V. Staatsgeschichte.

Bei der starken Teilnahme, welche die früher stark vernachlässigte Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte des Preußenlandes in den letzten Jahrzehnten gefunden hat, ist die politische Geschichte weniger beachtet worden. Noch immer mußte die schon 100jährige Darstellung Voigts herangezogen werden. Sie ist in ihren Quellenhinweisen und in der Behandlung der einzelnen Hergänge auch heute nur erst durch einige Sonderschriften überholt. Für die Auffassung der großen politischen Zusammenhänge ist sie jetzt jedoch durch das vorzügliche, auf langjährigen eindringenden Forschungen beruhende Werk von Ch. Krollmann über die Politische Geschichte des deutschen Ordens im Preußenlande ersetzt worden ( 190). Der Verfasser beschränkt sich bewußt auf die politische Geschichte des Ordensstaates im engsten Sinne. Nur die Beziehungen des Hochmeisters zu seinen Untertanen, den Ständen, und zu seinen Nachbaren werden in knappen Abschnitten dargelegt, die alles wesentliche erfassen und die Ereignisse nach ihrer zeitlichen Folge aneinanderreihen. Die eigene Verfassung des Ordens, die Verwaltung des Staatsgebietes durch die einzelnen Ordensämter und die ihnen vielfach gleichgestellten Bistümer und Städte werden nur gelegentlich gestreift. Auch die wirtschaftliche und militärische Entwicklung wird nur so weit herangezogen, als es zum Verständnis der außenpolitischen Vorgänge unbedingt notwendig ist. Um so heller ist das diplomatische Verhalten des deutschen Ordens beleuchtet, sein Ringen mit Papsttum und Kaisertum um seine politische Selbständigkeit, der fast unablässige Kampf gegen Polen und Litauen, das häufige Zusammengehen mit Böhmen, die politische Beziehung zu Ungarn und Rußland. Hinter diesen Großstaaten des Ostens traten die angrenzenden deutschen Fürstentümer zurück. Am engsten war noch der Zusammenhang mit den Markgrafen von Brandenburg. Das Verhältnis zu den Herzögen von Pommern war sehr locker. Am wenigsten hat sich das Deutsche Reich um den fernen Ordensstaat gekümmert. Es ist das besondere Verdienst Krollmanns, das außenpolitische Kräftespiel, das den Ordensstaat von Anfang an umtobte und schließlich seinen Untergang herbeiführte, scharfsinnig und vielfach zum ersten Male herausgestellt zu haben. In der Beschränkung auf die außenpolitische Geschichte liegt eine Einseitigkeit, aber auch eine Stärke des Buches. Der Verfasser hat auch die Persönlichkeiten einiger Hochmeister, wie Heinrichs von Plauen und seines Nachfolgers Küchmeister, höchst anschaulich geschildert. Die Ereignisse von der Schlacht bei Tannenberg 1410 bis zur Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum 1525 werden am ausführlichsten behandelt. Die Geschehnisse des 13. Jhds. werden dagegen leider nur kurz angedeutet. Die politischen Maßnahmen werden in der Überzeugung, daß nur eine starke Staatsleitung den politischen Erfordernissen gerecht werden konnte, vorwiegend vom Standpunkte des Ordens beurteilt. Diese Haltung führt zu einer weitgehenden Rechtfertigung des Ordens; sie wird aber den Bestrebungen der Stände nicht immer gerecht. Die Geschichte des Preußenlandes zur Ordenszeit war nicht allein eine politische Geschichte des deutschen Ordens, sondern eine politische Geschichte des Deutschordensstaates. Unter diesem Gesichtspunkt sind zum Teil andere Grundlagen zu wählen und andere Folgerungen zu ziehen. Die Zusammensetzung der Bevölkerung, ihre Betätigung in Landwirtschaft, Handwerk und Handel, ihr kirchliches


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Verhalten und ihr geistig kulturelles Schaffen wären dann auch zu berücksichtigen gewesen. Es hätte dabei gezeigt werden können, daß trotz der Zerreißung der Staatseinheit 1454 die Volks- und Kulturgemeinschaft gewahrt geblieben ist, obwohl die Politik im engeren Sinne durch fehlerhafte Leitung und Mißgeschick zu ihrer Gefährdung nicht wenig beigetragen hat. Trotz aller hohen Anerkennung, die Krollmanns mit hübschen Abbildungen versehenem Werke gezollt werden muß, bleibt somit der Wunsch nach einer umfassenderen Würdigung des Ordensstaates bestehen. Er verbindet sich mit dem lebhaften Bedauern, daß Krollmann selbst seine Darstellung in dieser Richtung nicht ausgeweitet hat, da er auch als einer der besten Kenner der inneren Geschichte des Preußenlandes zu gelten hat.

Die geringen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die das Preußenland zur Ordenszeit mit Rußland verbanden, machten die Kenntnis der russischen Sprache nur in wenigen Fällen notwendig. Die russischen und litauischen Fürsten schrieben an den Hochmeister lateinisch oder deutsch. Im Jahre 1419 hatte der Komtur von Elbing einen »russischen« Schreiber, ohne daß aus seiner Erwähnung hervorgeht, ob er ein Russe war. Erst die Urkunde über den Vertrag zwischen dem Hochmeister und dem Zaren vom Jahre 1517 war in russischer und deutscher Sprache ausgefertigt. In den mittelalterlichen Quellen werden sonst noch einzelne russische Siedler, Bärenführer und Musiker erwähnt. Die einschlägigen Nachrichten hat K. Forstreuter zusammengestellt (Zs. f. slav. Philol. 8, 124 bis 128). M. Hein ( 189), mit der Geschichte des Großen Kurfürsten durch seine Forschungen in deutschen und schwedischen Archiven eingehend vertraut, würdigte seine Leistungen für das Herzogtum Preußen. Der Krieg gegen Karl Gustav von Schweden, gegen Polen, die Auseinandersetzung mit den rebellischen Ständen, die Regelung der Steuern füllte seine Regierungszeit aus. Er beseitigte die äußeren und inneren Widerstände, ohne deren Bezwingung seine beiden Nachfolger ihr Werk der wirtschaftlichen und siedlerischen Hebung des Landes nicht hätten durchführen können. Mehreren älteren Schriften über die Geschichte Ostpreußens zur Zeit Kants und der Befreiungskriege ließ W. Kuhrke ( 907) eine knappe Darstellung der beiden ostpreußischen Generallandschaftsdirektoren Alexander zu Dohna und Theodor Gottlieb von Hippel folgen. Die kleine volkstümliche Schrift faßt unter sorgfältiger Benutzung der Fachliteratur alles Wesentliche über den Lebenslauf und die politische Wirksamkeit der beiden Männer anschaulich zusammen. -- Zu den eigenartigsten Persönlichkeiten der 48er Jahre zählt der Ostpreuße Ernst von Saucken. Als Jüngling war er im Heere Napoleons in Rußland gewesen. Der Befreiungskampf führte ihn nach Paris. Als er nach dem Kriege sich zurückgesetzt fühlte, nahm er seinen Abschied aus dem Heere und widmete sich der Bewirtschaftung seines väterlichen Gutes Tarputschen. Doch schon 1822 trat er in das politische Leben ein. Er gehörte dem Auschuß an, der die Vorschläge über die Bildung der Provinzialstände ausarbeitete, und trat im Jahre darauf dem Provinziallandtag bei. Seine politische Tätigkeit, die bisher schon zum Teil aus Briefen bekannt war, die Georg von Below vor 30 Jahren veröffentlicht hat, schilderte neuerdings anziehend und eindringend R. Adam ( 939), der weitere Familienpapiere heranziehen konnte. Saucken war stets um den Ausgleich zwischen Staat und Volk bemüht. Er forderte mit weiten Kreisen des ostdeutschen Adels auf dem Huldigungslandtag 1840 die Einführung der Verfassung. Er tat dies jedoch nicht im Sinne des bürgerlichen Liberalismus, sondern weil er von der Teilnahme der Bevölkerung an der Regierung eine Stärkung des Staatsgedankens erwartete. In seinen Reden,


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in Briefen an Friedrich Wilhelm IV. und an seinen Schwager, den bekannten General von Below, trat er mit Leidenschaft für seine Ziele ein. Er schreckte vor Übertreibungen nicht zurück, er zeigte sich oft unbeherrscht und rücksichtslos. Seine Ausführungen waren weitschweifig. Er scheute sich auch nicht, die Regierung in der Presse anzugreifen. Er stand stets unerschrocken seinen Mann. So lehnte er auf dem Vereinigten Landtag die Mittel für die Ostbahn ab, obwohl er ihre Bedeutung für die heimische Wirtschaft nicht verkannte. Er setzte sich gleichzeitig für die Landgemeinden ein, obwohl er der Adelskurie zugehörte. Bekannt ist sein Wortwechsel mit Bismarck über die Ursachen der preußischen Erhebung 1813. Sein politischer Eifer verschaffte ihm auch die Wahl zur Nationalversammlung in Frankfurt. Die dortigen Erlebnisse erweckten in ihm den lebhaften Wunsch nach der Einigung Deutschlands. Er gehörte zu den sieben Abgeordneten, die den Reichsverweser von Wien abholten, und machte neben ihm im Wagen sitzend seinen Einzug in Frankfurt mit. Das Scheitern der damaligen Pläne verbitterte ihn. Auch der Olmützer Vertrag empörte ihn. Er zog sich auf seine Besitzungen zurück und griff nur noch selten durch Wort und Schrift in die politischen Ereignisse ein. Im Jahre 1854 ist er gestorben. Im großen Zusammenhange stellte R. Adam ( 189) die politische Entwicklung des Preußenlandes im 19. Jhd. dar. Er legte den Nachdruck auf die führenden Persönlichkeiten des Adels und des Bürgertums, welche die politischen Willensäußerungen des Provinziallandtages und der Provinzialvertreter im Preußischen Landtag bestimmten. Die Eigenart des preußenländischen Liberalismus in Stadt und Land wird treffend gekennzeichnet. Auch werden die Gründe für die 1878 erfolgte Aufteilung der Provinz Preußen in die beiden Provinzen Ostpreußen und Westpreußen, sowie die Einwirkungen der meist unglücklichen preußischen Polenpolitik auf diese beiden Provinzen richtig geschildert. -- Einen anregenden Beitrag zur Geschichte der öffentlichen Meinung in Westpreußen lieferte A. Lechner ( 1993), indem er die Stellungnahme des »Graudenzer Geselligen« zu den politischen Ereignissen zwischen 1848 und 1870 untersuchte. Die einst weit verbreitete Zeitung wurde von Carl Gotthilf Roethe, dem Großvater des bekannten Germanisten Gustav Roethe, 1826 in Graudenz begründet und erschien seit 1833 wöchentlich zweimal. Sie brachte zunächst nur Unterhaltungsstoff und Mitteilungen aus Stadt und Land Graudenz. Erst seit 1848 suchte der Herausgeber im Sinne der konservativen Partei die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Er wandte sich lebhaft gegen die Umtriebe der Polen im Kulmerlande. Nachdem 1852 Gustav Roethe, der Sohn des Begründers, die Leitung des Blattes übernommen hatte, entwickelte sich dies bald zur führenden Zeitung im südlichen Teil der Provinz Westpreußen und wirkte mit durchaus selbständigem Urteil im national-liberalen Sinne. Auf die innere Geschichte der Redaktion und Druckerei ist der Verfasser nur kurz eingegangen.


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