I. Allgemeines.

Auf Grund neuer umfassender Ausgrabungen am Ufer der Schlei tritt G. Schwantes ( 657) in einem äußerst klaren Bericht der von Sophus Müller und anderen Forschern ausgesprochenen Vermutung entgegen, daß der Doppelname Schleswig-Haithabu auf zwei verschiedene Städte am Schleiinnern zurückzuführen und daß die Bezeichnung Haithabu (Hedeby) nach dem Untergang der südlichen Siedlung erst von dieser auf das nördliche Schleswig übertragen sei. Vielmehr ergibt sich nach Schw.s Auffassung, namentlich durch die Freilegung eines heidnischen Kammerfriedhofs, für Haithabu ein wesentlich älterer Ursprung, als bisher angenommen wurde. Offenbar ist Haithabu in der Frühzeit des 9. Jhds. mit Schleswig identisch gewesen; die Stadt, ein durch Reichtum und weite Handelsbeziehungen bedeutendes Gemeinwesen, hat wohl mit der ältesten Anlage des Danevirke in Verbindung gestanden und nur -- infolge von kriegerischen Ereignissen, aber auch von Veränderungen des Fahrwassers oder Neuerungen im Schiffsbau -- ihren Platz gewechselt, und zwar spätestens um 1050. -- F. Frahm ( 408) weist in einer großangelegten Übersicht über die Frühgeschichte des Herzogtums Schleswig auf die bei der Schleimündung nach Osten sich verzweigende Eider-Treene-Linie als Glied einer internationalen Verkehrsstraße hin und hebt dabei auch die handelspolitische Bedeutung von Schleswig-Haithabu hervor, hält indes die Annahme zweier gleichzeitiger Siedlungen aufrecht; von ihnen habe die südliche lediglich als Landungsstelle der Flotte und als Garnisonsort gedient; allerdings glaubt auch er, sie sei mit dem Danevirke zu ihrem weiteren Schutze verknüpft gewesen. Überzeugend ist jedenfalls F.s Feststellung, daß die Werke zwischen Schlei und Treene nicht bloß eine Abwehrbastion für Jütland, sondern einen vorgeschobenen Posten des gesamten dänischen Reiches überhaupt gebildet haben. Scharfsinnig wird auch von F. die eigentümliche staatsrechtliche Stellung Knud Lawards als »dux« der dänischen »Präfektur« an der Schlei und anderseits als »Knaes« des slawischen Ostholsteins gekennzeichnet.


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Ungemein instruktiv ist der von R. Bülck dargebotene Abriß der Geschichte des politischen Verhältnisses Hamburgs zu den Elbherzogtümern ( 176), der zugleich gewissermaßen die Vorgeschichte zur »Groß-Hamburg-Frage« wiedergibt. B. betont aufs neue mit Nachdruck, daß Hamburg ohne Zweifel ursprünglich eine holsteinische Stadt war, wenn auch die auf die Zeiten Karls d. Gr. oder doch Ludwigs d. Fr. zurückreichende kirchliche Ansiedlung deren beherrschender Mittelpunkt blieb. Von B. wird auch die entscheidende Rolle herausgearbeitet, die der dem Schauenburger Hause entstammende holsteinische Graf Adolf III. in der Entwicklung Hamburgs gespielt hat: durch die Gewährung von mancherlei Rechten (Fischerei, Zoll, Geldwechsel, Markttagen) suchte der Landesherr die Stadt gegenüber dem seiner Gewalt entgleitenden Lübeck zu heben. Freilich eiferte nun erst recht Hamburg dem Beispiel Lübecks nach und bemühte sich, die landesherrliche Macht beiseite zu schieben. Wie schließlich am Ausgang des 18. Jhds. Hamburg in der Tat zur freien Reichsstadt geworden ist, dieses Ende eines fast sechshundert Jahre währenden, von B. treffend geschilderten Ringens zwischen Elbstadt und Landesfürstentum -- der von Caspar v. Saldern kräftig geförderte sogen. Gottorper Vergleich -- wird uns hier besonders anschaulich gemacht. -- W. Klüver ( 175) legt seiner auch sprachlich schön geschriebenen Abhandlung die richtige Erkenntnis zugrunde, daß keine der einzelnen Teillandschaften Schleswig-Holsteins ein so reiches und so selbständiges Sonderleben entfaltet hat und auch keine so hervorragend aktiv aufgetreten ist wie das kleine inselartig abgeschlossene Dithmarschen. Der Umstand, daß dieses Territorium schon früh einen geistlichen, keinen weltlichen Oberherrn, den Erzbischof von Bremen, besaß, bestimmte für ein halbes Jahrtausend, wie K. mit Recht unterstreicht, die besondere, so gut wie selbständige Stellung der Bauernrepublik, deren Aufstieg und Verfall im Zusammenhang mit den Schicksalen der Herzogtümer eindrucksvoll beleuchtet wird. Wertvoll ist auch die Darstellung der höchst eigenartigen Selbstverwaltung des Landes nach seiner Eroberung und Teilung durch die schleswig-holsteinischen Fürsten sowie die Schilderung des Siegeszuges des landesherrlichen Absolutismus und auch der späteren verfassungsrechtlich-nationalen Bewegung, deren Träger u. a. Klaus Harms, Peter Mohr, Paul Johann Friedrich Boysen und Hans Reimer Claussen waren. Eine kurze Charakteristik des tiefen Einschnitts, den die preußische uniformierende und zentralisierende Verwaltung für Dithmarschen brachte, beschließt die gehaltvolle Studie. -- Wie stark der Königliche Anteil der Herzogtümer durch eine rücksichtslos ausbeutende Finanzpolitik, zuletzt durch Einengung der einst mächtigen Stellung des Statthalters nahezu bereits zur Provinz des dänischen Gesamtstaates in der 2. Hälfte des 17. Jhds. herabgedrückt wurde, erläutert P. v. Hedemann-Heespen (»Ein übersehenes Werk«, Nordelbingen 8, 1930/31, 263--266) in einem geistreichen Referat aus dem von der deutschen Forschung bisher nicht beachteten, 1908 und 1922 erschienenen dänischen Werk C. Christiansens »Bidrag til dansk Statshusholdnings Historie under de to förste Enevoldskonger«. -- P. v. Hedemann- Heespen (»Die Bernstorffs«, Nordelbingen 8, 332--333) beschreibt auch in einem feingeschliffenen Lexikonartikel die wesentliche Leistung des älteren (Johann Hartwig Ernst) und des jüngeren (Andreas Peter) Bernstorff für den europäischen Norden; höchst bemerkenswert ist die Beobachtung, daß erst der gewaltige Aufschwung des deutschen Schrifttums in Dänemark und in den


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Herzogtümern während der Bernstorffzeit die dänische geistige Kultur so kräftig befruchtete, daß diese nach 1815 das Deutschtum entbehren konnte und auch gern entbehrte. -- An Hand einer wohl aus den 40er Jahren des 19. Jhds. stammenden Porträtzeichnung vermag P. v. Hedemann-Heespen (»Zur Frage Reventlow und Dahlmann«, Nordelbingen 8, 431--432) durchschlagend nachzuweisen, daß damals die schlewig-holsteinische Bevölkerung instinktiv »in Reventlow, Dahlmann und Lornsen das Triumvirat eines geschlossenen Geschichtsverlaufs sah«. Daß auf dem Blatt nicht Fritz Reventlow von Emkendorf, der eigentliche Führer der Ritterschaft, sondern sein von ihm geleiteter Bruder Cai Reventlow abgebildet ist, erscheint durchaus im Hinblick auf Cai Reventlows Rücktritt als bewußter »Oppositionsschritt« verständlich. v. H.-H.s Ausführungen bestätigen die von Otto Brandt vertretene Auffassung, daß Dahlmann von Reventlow gelernt hat, aber auch daß der erste, von Fritz Reventlow geführte Ritterschaftskampf um die Wende des 18. Jhds. von deutschem politischen Wollen getragen war. -- In einer von innerstem Mitempfinden zeugenden Skizze gedenkt H. v. Srbik ( 981) der heroischen Todesverachtung des obersteirischen Jägerbataillons Nr. 9 und des »gelben« Grazer Hausregiments »König der Belgier« Nr. 27, die mit den »schwarzen« Hessen Nr. 14 zur »schwarz-gelben Brigade« Nostiz im Verband des 6. Armeekorps zusammengefaßt, am 6. Februar 1864, im Ansturm auf den zur Treene steil abfallenden Höhenzug, im Kampf um den Sankelmarker Wald, bei Översee geblutet und auch den Sieg errungen haben. S. erinnert an das trutzige österreichische Soldatenlied »Die Jäger von Nummero neun«, an das ergreifende Gedicht des aus Augsburg stammenden, späteren freisinnigen Abgeordneten im Deutschen Reichstag Albert Träger, »Der Kaisersoldat«, und gibt ferner eine feinfühlige Analyse eines erschütternden Briefes, den der Adjutant des preußischen Kronprinzen in Wrangels Hauptquartier, der in Wien bisher tätige Diplomat Hans Lothar v. Schweinitz am Tage nach dem Gefecht aus Flensburg an die Baronin v. Werther geschrieben hat, und der (aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien) von S. zugleich in extenso mitgeteilt wird. Eine Ergänzung hierzu bietet, worauf S. gleichfalls aufmerksam macht, das Bild, welches der preußische Kronprinz in seinem Tagebuch von dem blutigen Schlachtfeld entwirft. -- Von größter Bedeutung für die Geschichte der Herzogtümer in den 60er Jahren des 19. Jhds. ist die vorwiegend auf einem umfassenden ungedruckten Aktenmaterial der Archive in Wien und Kiel beruhende, ausgezeichnete Abhandlung von R. Lorenz ( 977). L. geht von der Erkenntnis aus, daß die Schleswig-Holstein-Aktion Österreichs 1864, für deren Initiative, Durchführung und schließliche Folgen die Verantwortung dem Ministerium Rechberg-Schmerling zufällt, die Strukturprobleme der ganzen Habsburgermonarchie aufgerollt hat, ja daß überhaupt eine Wechselwirkung zwischen dem Schicksal des Donaustaates und dem des schleswig-holsteinischen Landes bestand. Die auf Grund des Gasteiner Abkommens eingesetzte Statthalterschaft des Generals von Gablenz für Holstein (nach dem Ende der über beide Herzogtümer bisher gemeinsam regierenden »Obersten Zivilbehörde«) war, wie L. dartut, durch weitgehende Rücksichtnahme auf die angestammte Eigenart jenes Gebietes, durch verhältnismäßig geringe obrigkeitliche Bevormundung in dem »ganzen eigentümlich fortschrittlich-konservativen Gemenge« ein Gegenbild der neu begonnenen föderalistischen Ära Belcredi in Österreich. Anderseits, wenn auch Gablenz der

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Augustenburgischen Bewegung gegenüber aus konservativen Gründen sich zurückhielt und eine opportunistische Politik der Mitte trieb, so ist doch sein von L. im einzelnen liebevoll und erschöpfend untersuchtes inneres Reformwerk nicht als Ausfluß einer landfremden Diktatur anzusehen. Vielmehr kann es als ein Produkt verschiedener, zur Mitarbeit durch Gablenz gewonnener, die alte holsteinische Tradition verkörpernder gemäßigter Persönlichkeiten aus dem Augustenburger Kreise in der Hauptsache gelten: als »eine Probe aufs Exempel, wie sich etwa die Regierung dieses deutschen Landes gestaltet hätte, wenn es in irgendeiner Form seiner selbst Herr geblieben wäre«. Überaus interessant ist auch das von L. mit feinem psychologischen Verständnis klargelegte Verhältnis von Gablenz zu dem schillernden preußischen Statthalter in Schleswig Manteuffel, das oftmals in einen peinlichen Kleinkrieg ausartete, wie auch sein verzweifelter Versuch, -- womöglich gerade auch mit Hilfe dieses seines konservativ, aber doch annexionistisch-militärisch denkenden preußischen Gegenspielers -- zur Erhaltung des konservativen Elements in Deutschland und Mitteleuropa in letzter Stunde eine Versöhnung zwischen Wien und Berlin zustande zu bringen (Sendung seines Bruders Anton v. Gablenz an Esterhazy). Wie sehr Manteuffel schließlich doch nur eine politische Offensive führte und jede kriegerische Entscheidung vermied, so daß die österreichischen Truppen und Beamten sich ungehindert über die Elbe zurückziehen konnten, -- diese »Höflichkeitskampagne« wird von L. durch z. T. überraschende drastische Einzelheiten lebendig veranschaulicht, aber auch aus den Grundsätzen des preußischen Gouverneurs erklärt.


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