I. Gesamtdarstellungen.

J. Jatzwauk gibt in Neu. Arch. sächs. Gesch. 1931, S. 309 ff. die Übersicht für 1930 über die wichtigsten Schriften und Aufsätze zur sächsischen Geschichte. --

Die Leipziger Dissertation von A. Hofmann ( 1298) beschäftigt sich mit dem Landgeleit in ganz Sachsen. Ursprünglich fließt das Recht zu fürstlichem Geleit aus kaiserlichem Recht [1231, statutum in favorem principum], und die Straßenzüge durften ohne kaiserliche Genehmigung von den Landesherren nicht geändert werden. Friedrich von Meißen erhielt aber 1332 die Erlaubnis zur Veränderung von Straßen in seinem Gebiet, wenn anderen Fürsten daraus kein Schaden an ihren Geleiten erwachse. Zu dieser Zeit erscheint also das Geleit schon als nutzbares Regal der Landesherren, das sie dem Reiche abgewonnen hatten. Geleit ist Schutz, und daher wird seit dem 13. Jhd. eine Abgabe erhoben, wofür Geleit und Zoll als Bezeichnung nebeneinander gebraucht werden. Eine genaue sachliche Scheidung zwischen beiden Begriffen ist aussichtslos, da die Abgabe bleibt, auch als der Schutz nicht mehr notwendig ist. Nur werden die Einkünfte aus dem Geleit seit dem 17. Jhd. grundsätzlich zur Verbesserung der Straßen und Ufer verwendet, denn es gibt ein Land- und ein Wassergeleit. Die Arbeit von Hofmann stellt nur das Landgeleit mit allem Drum und Dran dar, bis es am 1. 1. 1834 mit Inkrafttreten des Dt. Zollvereins aufhörte. Es werden behandelt: die Einnahmestellen, die Erhebungssätze, die Verwaltung (mit Beamten), die Streitigkeiten mit den Nachbarstaaten, die Beschwerden der eigenen Untertanen und die letzten wichtigen Geleitsordnungen ebenso wie die Aufhebungsbestimmungen. Am Schluß sind die Geleitseinnahmestellen aus der letzten Regierungszeit von Kf. August aufgeführt, die im Inhaltsverzeichnis nicht ganz richtig als Ortsregister bezeichnet sind. --

H. Kretzschmar zeigt im Neu. Arch. sächs. Gesch. 1931, 207 ff., wie sich aus der Form des Ständestaats schon vor 1830 in Sachsen bescheidene Wünsche nach einer Reform durch eine »dem Zeitgeist angemessene Repräsentation der Staatsbürger in den ständischen Versammlungen« (S. 216) entwickelten. Die Regierung behielt aber trotz einigen kopflosen Augenblicken die Zügel in der Hand, veranlaßte von sich aus die Ausarbeitung von Verfassungsentwürfen und setzte auch ihre Vorschläge bis auf geringfügigere Abänderungen durch. Das Wesen der Verfassung von 1831 wird kurz auseinandergesetzt (S. 220) und im ganzen als stark konservativ charakterisiert, obwohl man in Österreich und Preußen darüber ganz anderer Meinung war. Vergleicht man die radikalen Forderungen aus dem Kreise des Advokaten Moßdorf (S. 224 f.) mit den Bestimmungen


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der Verfassung, so muß man Kr. recht geben. Denkwürdig bleibt, daß Frankreich von den Vorgängen in Sachsen sogleich wieder auf eine Spaltung des Dt. Bundes spekulierte und daß England die besonnene Nachgiebigkeit der sächsischen Regierung den anderen deutschen Regierungen als Vorbild wünschte. Zar Nikolaus äußerte sich dagegen sehr mißfällig wie auch die Regierungsstellen in Österreich und Preußen, während Ranke in seiner Zeitschrift mit seiner wohlwollenden Auffassung der Wortführer der Mehrheit des gebildeten deutschen Bürgertums war. Schmachvoll erscheint es immer wieder, daß damals die deutschen Diplomaten an ihre eigenen Regierungen noch in französischer Sprache berichteten. --

Die Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Leipziger Stadtverordnetenkollegiums von R. Kötzschke ( 1342) berührt sich im Stofflichen naturgemäß mit Kretzschmars Aufsatz, insofern als sie die bewegte Zeit von 1830/31 noch eingehender in Streben und Gelingen schildert, aber anderseits müht sie sich, die Vorgänge vom Blickpunkt des Bürgertums aus zu schauen. Wirkungsvoll knapp hat dabei K. die Zustände von damals in ihrer Reibung mit vorwärtsdrängenden Kräften zu erfassen gewußt und damit das Verständnis für die Tat der neuen Städteordnung vom 2. 2. 1832 erschlossen. Vorbilder waren die preußische Städteordnung von 1808 (aber schon mit den Verbesserungen, die man in Preußen noch plante) und weiter die badische Städteordnung. Der ausgesprochene Zweck sollte sein, die Städte Sachsens in ihren besonderen Angelegenheiten von einem steten Eingreifen der staatlichen Behörden möglichst zu befreien und ihnen die Selbstverwaltung wieder zurückzugeben, wobei nun auch die Bürgerschaft durch von Wahlmännern gewählte Abgeordnete mitzuwirken hatte. Da gleichzeitig die Bauernbefreiung unternommen und die Landesverfassung geschaffen wurde, erschien das Reformwerk vielen Zeitgenossen als »eine Wiedergeburt Sachsens«. K. führt weiter noch im einzelnen aus, wie Leipzig sich zu den Reformgedanken gestellt hat, wie sich hier die Einführung des neuen Rates vollzog und wie die neue Einrichtung sich auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens vorteilhaft auswirkte und so Sachsen wieder zu einem »Brückenpfeiler deutscher Gesamtwirtschaft werden ließ. --

In diesem Abschnitt muß auch die schöne Gabe erwähnt werden, die H. Beschorner ( 50) in Zusammenarbeit mit 28 Fachgelehrten aus fast allen Teilen Deutschlands Woldemar Lippert zum 70. Geburtstage dargebracht hat. Das Schrifttum Lipperts, das R. Naumann darin zusammengestellt hat, ist ja für eine Gesamtdarstellung der sächsischen Geschichte von grundlegender Wichtigkeit, wenn es auch noch so viel andere Wissensgebiete umspannt. Die anderen Beiträge befassen sich, dem hochverdienten Archivar zu Ehren, fast durchgängig mit Vorgängen oder Streitfragen aus dem Wirkungskreise der Archive. Da werden nicht nur geschichtliche Rückblicke geboten (Boer, Friedensburg u. a.), sondern es werden auch Fragen erörtert, die seit langem schon die Gemüter von Archivaren und Archivbenutzern bewegen: die Sorge für Karten und Risse (Beschorner), die Kassation von Akten (Müsebeck, z. T. auch Müller), die Berücksichtigung der Familienforschung (Butte), die Zweckmäßigkeit von Zentralisation oder Regionalisierung (Kretzschmar, Gröger, Pietsch), die vernünftige Anwendung des Provenienzprinzips (Schultze), die Aufbewahrung der Kirchenbücher in den Archiven u. a. mehr. Wer irgendwie vom alten Zauber um


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Archiv und Akten berührt ist, wird auch irgend etwas in dem Buche finden, was ihn besonders anzieht. --


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