IV. Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

W. Schwinkowski ( 354) veröffentlicht als ersten Teil der Münz- und Geldgeschichte der Mark Meißen in den Schriften der Sächs. Kommission für Gesch. die Abbildungstafeln der meißnischen Brakteaten vor der Groschenprägung. Man spürt als Laie den ungeheueren Sammelfleiß des Herausgebers Blatt um Blatt und ist dankbar dafür. Nur der genaue Sachkenner mag entscheiden, ob etwa einzelne Stücke (z. B. 2,32; 4,69; 25,456 usw.) in der Wiedergabe schärfer hätten herauskommen können. -- Eine weitere stattliche Reihe von Brakteaten aus der Oberlausitz bietet in Abbildung und mit sachgemäßen Erläuterungen W. Haupt ( 322). --

Der Freiberger Bergknappschaft als geschlossener Körperschaft widmet Joh. Langer ( 1491) einen Aufsatz, der die früheren Arbeiten von Wappler ergänzt und nunmehr einen vollständigen Überblick über diese jahrhundertealte Gewerkschaft ermöglicht. Mit gewohnter Sorgfalt bringt L. zunächst in vier Kapiteln die Mitgliederzahlen, eine Übersicht über bedeutungsvolle Namen, die Rechnungsregister und die Darstellung der Knappschaft als Kampforganisation gegen bergbauliche, wirtschaftliche und soziale Mißstände. Zwei weitere Kapitel stehen 1931 noch aus. Es ist reizvoll, in der Darstellung von L. zu verfolgen, wie in der örtlichen Bedingtheit der Freiberger Bergknappschaft manche Fragen viel früher auftauchen als in der großen Wirtschaftswelt und manche Antworten hier gefunden werden, die noch heute zu denken geben. Anderseits


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ist »der gemeine Mann« in den Bergwerken auch leicht geneigt, gegen mißliebige Anordnungen oder wirtschaftliche Schwierigkeiten in offenen Tumulten aufzubegehren (S. 69). -- W. Schellhas ( 355) schildert Freiberg in der Kipper- und Wipperzeit (1619--1623) und legt dar, daß sie aus allgemeinem Mangel an Scheidemünzen entstand. Als der Krieg ausbrach, griff man im Lande zu dem falschen Abhilfemittel, Interimsmünzen oder Usualmünzen mit hohem Nennwert, aber geringem Silbergehalt in großen Mengen prägen zu lassen. Sie zogen wie anderwärts, so besonders auch in Freiberg das alte gute Silber mit geringem Nennwert aus der Bevölkerung heraus und führten dadurch zu gefährlichen Inflationserscheinungen mit gewaltigen Preissteigerungen (S. 111), bis die Stabilisierung seit 1623 mit dem strengen Landesverbote aller »leichten Münzsorten« verhältnismäßig schnell durchgeführt wurde. Ohne große Verluste der Einzelwirtschaft ging es freilich bei dem Einziehen der minderwertigen Münze nicht ab. --

H. Semmig ( 1492) verfolgt in seiner von der Sächs. Komm. f. Gesch. gedruckten Dissertation die wirtschaftliche Entwicklung der Exulantensiedlung Johanngeorgenstadt von der Gründung 1654 bis zum großen Stadtbrande 1867. Die geschichtlichen Erläuterungen könnten genauer sein. Es ist z. B. irreführend, von einem Sieg Waldsteins am Weißen Berge 1632 zu reden, und die Schlacht bei Nördlingen fand schon 1634, nicht erst 1635 statt (S. 9). Im übrigen erwecken die volkswirtschaftlichen Betrachtungen keinen schlechten Eindruck. Sie befassen sich mit Bevölkerungszahl, Stadtverwaltung, Finanzwesen, Forst- und Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, Verkehrsverhältnissen, Bergbau, Industrie und endlich Stadtbrand 1867. Die Industrie wird eingehender im Verhältnis zum Bergbau beschrieben, und im ganzen zeigt sich, daß die Einwanderung der böhmischen Glaubensvertriebenen in Sachsen nicht nur für Johanngeorgenstadt, sondern auch für das ganze sächsische Erzgebirge ein Born langsam aber stetig steigenden Wohlstandes durch Arbeit und Sparsamkeit geworden ist. Die rechtsgeschichtliche Seite der Schrift wird von H. Löscher (Neu. Arch. sächs. Gesch. 1931, S. 304 ff.) einer scharfen Kritik unterzogen, die nach den angeführten Beispielen nicht unberechtigt scheint. --

H. Petrick (Diss. Jena 1931) behandelt die Einnahmen Zittaus aus dem Kommunalvermögen in der Zeit von 1830--1930. Natürlich kommen für die frühere Zeit bei den einzelnen Posten nur vergleichende Annäherungswerte in Betracht, aber durch die graphischen Relativdarstellungen und den klaren, sorgfältig gegründeten Text gelingt es dem Verf. durchaus, die Finanzwirtschaft der Stadt Zittau in diesen hundert Jahren einwandfrei deutlich zu veranschaulichen; seine Methode dürfte von ähnlichen Untersuchungen auch bei anderen Städten mit Vorteil übernommen werden. --

Der Nationalökonom und spätere Ministerialdirektor A. C. Weinlig -- 1812 bis 1873 -- ist nicht nur der Schöpfer der sächsischen Gewerbeordnung von 1861, sondern auch um Handel, Gewerbe und Industrie, um Zoll-, Eisenbahn- und Postwesen Sachsens vor 1870 hochverdient. Er hat sich nach anfänglichen Bedenken gegen den »gerissenen Berliner« besonders gut mit Rudolf Delbrück verstanden und als Bundesratsbevollmächtigter ihn durch Rat und Tat in der wirtschaftlichen Ausgestaltung des Norddeutschen Bundes aufs beste unterstützt. P. Domsch hat 1912 in seiner Programmarbeit der Techn. Staatslehranstalt in Chemnitz ein anziehendes Lebensbild des selbstlosen Arbeiters und


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liebenswürdigen Menschen geboten und dafür manches aus Briefen an Weinlig benutzt, aber diese Fundgrube bei weitem nicht erschöpft. So ist die Herausgabe des ganzen Briefwechsels Weinligs von 1829/1870 durch S. Moltke und W. Stieda ( 1493) gerechtfertigt. Der Briefwechsel ist wichtig für die deutsche Wirtschaftsgeschichte vor 1870 und bringt manchen neuen Aufschluß über Menschen und Vorgänge dieser Zeit. Wie unbefangen Weinlig urteilt, zeigt z. B. seine Äußerung über die redseligen Sachsen im Nordd. Reichstage im Gegensatz zu den wortknappen Arbeitern im Bundesrate (S. XVII). Die guten Erläuterungen erleichtern das Verständnis der Briefe wesentlich, und das ausgezeichnete Register sichert den Ertrag des umfangreichen Buches für die Wissenschaft. --


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