V. Kirchen- und Kirchenverfassungsgeschichte.

A. Katholisches Kirchenwesen. Nach den Ausführungen von M. Schuler ( 1570) scheint der späte Ansatz der Christianisierung Galliens (um 250) nicht begründet, wenn auch die apostolischen Gründungslegenden abgelehnt werden. Auf Grund guter gleichzeitiger Zeugnisse ist ein früherer Anfang der gallischen Kirchen anzunehmen. Im Gegensatz zu Hauck nimmt Schuler schon für die Zeit des Irenaeus eine bischöfliche Kirche in Trier an. (Vgl. auch die Besprechung von J. Zeiller in: Rev. hist. égl. France 18, 371--372.) -- Mit Dank ist die von P. Heusgen ( 1612) besorgte Veröffentlichung des dem 12. Jhd. entstammenden ältesten Memorienbuchs des Kölner Gereonsstifts zu begrüßen. Es besteht aus einem Kalendar, zu Neujahr mit der dann fortlaufenden Wochentagsbezeichnung A-G beginnend, ohne die übliche Angabe der goldenen Zahl und sogar der Tagesheiligen. In einem 2. Teil werden für die einzelnen Monatstage die Wohltaten der Stifter genauer aufgeführt. Einzelne Nachträge gehen bis ins 13. Jhd. Die Kommentierung ist sorgfältig. Ein Register der Ortsnamen und der wichtigeren Personennamen ist beigefügt. -- Über die seit 1298 amtierenden Kölner Weihbischöfe sind unsere Kenntnisse noch mangelhaft. Es fehlt ein einwandfreies Verzeichnis. A. Güttsches ( 1613) erläutert das an einem Fall und zeigt, daß im 14. Jhd. drei Titularbischöfe von Scopia als Weihbischöfe tätig gewesen sind. -- Belangreich für die kirchliche Rechtsgeschichte ist die sorgfältige Skizze von Franz Gescher ( 1561). Für die Frühzeit der kölnischen Kirche, deren Anfänge etwa ins 2. Jhd. zurückreichen, ist anzunehmen, daß neben dem Bischof lediglich das Presbyterium als beratende Instanz stand. Als Nestor


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der Beamten ist dann im 4. Jhd. der Diakon von Einfluß, seit der karolingischen Zeit der Archidiakon älterer Ordnung, mit dem dann die Chorbischöfe in Konkurrenz traten. Seit wann das Domkapitel zu Einfluß gelangte, ist noch nicht geklärt. Bevor es in seine führende Stellung einrückt, treten seit 1090 die Prioren als Beirat des Bischofs auf, die am Ende des 13. Jhds. der Macht des Domkapitels weichen mußten. Um 1250 tritt der bischöfliche Offizial in Tätigkeit, dessen juristische Struktur nach französischem Vorbild erfolgte. Ihm tritt 50 Jahre später der Weihbischof zur Seite. Mit der Einrichtung des Amts eines Generalvikars (1390) war für Jahrhunderte der Behördenaufbau an der erzbischöflichen Kurie abgeschlossen. -- J. J. Wagner ( 1697) schildert, z. T. unter Einfügung von Urkundenregesten, wie es den Augustiner-Chorherren in Niederwerth bei Vallendar im 15. Jhd. gelang, sich in den Besitz des Franziskanessenklosters in Ehrenbreitstein zu setzen, nachdem von hier schon Schwestern nach Beßelich versetzt worden waren. Der Konvent nahm bald eine hervorragende Stelle in der sächs. Augustinerkongregation ein; die angesehensten Patres aus Erfurt, so Joh. von Paltz, der Lehrer Luthers, wirkten hier, letzterer als Prior seit 1507. Ein besonderes Kapitel bildet Luthers Aufenthalt in Ehrenbreitstein. Abgesehen hiervon bieten auch die folgenden Abschnitte über die Schicksale des Klosters im 16. Jhd. bis zu seiner Aufhebung im J. 1572 wegen der vielfachen Beziehungen zu Erfurt und Wittenberg bzw. zur Reformation mancherlei allgemein Interessierendes. Die Bemühungen des Augustinerordens um Wiedererlangung einer Niederlassung in Ehrenbreitstein scheiterten an den ablehnenden Gutachten der kurtrierschen Beamten. Im Anhang werden Urkunden von 1493--1555 zum Abdruck gebracht. Das anspruchslose Büchlein ist mit manchen seltenen Illustrationen geschmückt und mit Registern versehen. -- Die durch Franz Gescher ( 1698) herausgegebene und näher erläuterte Verordnung des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied vom 3. März 1538, die eine Veröffentlichung der Statuten des Kölner Provinzialkonzils von 1536 bezweckte, ist insofern beachtenswert, als der Erzbischof hier von diesen Statuten eine wohltätige Reformwirkung für seine Geistlichkeit erwartet, während eine im J. 1546 herausgegebene Schrift jene Synode von 1536 nicht mehr als Überzeugungswerk Hermanns gelten lassen will. Die von Gescher für den Charakter Hermanns daraus gezogenen Folgerungen vermag ich nicht anzuerkennen. Hermann hat sich eben allmählich zum überzeugten Protestanten entwickelt und die Gropperschen Ideen abgestreift. -- Gegenüber anderen Diözesen in Deutschland und im Ausland hat im Erzbistum Köln die Reformbewegung auf der Basis des Tridentinum verhältnismäßig spät eingesetzt. Über die Hindernisse, die hier zu beseitigen waren und über die Art, wie sie schließlich doch beseitigt wurden, gibt die Bonner Dissertation von Peter Weiler ( 1699) zum erstenmal eine umfassende und auf gründlichen Archivstudien aufgebaute Darstellung. Durch die von Karl Unkel hinterlassenen Auszüge aus den Nuntiaturberichten war er in der Lage, auch über die Mitwirkung der Kölner Nuntien (Bonomo, Frangipani, Garzadori) an der kirchlichen Reform vom J. 1590 ab eine umfassende Darstellung zu geben. Die entscheidende Wendung erfolgte hier durch die hingebende Tätigkeit Ferdinands von Bayern, der seit März 1596 die Regierung des Erzstifts übernahm. In welcher Weise es der junge Fürst verstand, zunächst durch Visitationen und die Bestimmungen der Diözesansynode von 1598, dann aber durch die Arbeiten des Kirchenrats von 1601--1615

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(mit diesem Jahr enden die Protokolle) das Fundament zu legen, auf dem später die tridentinische Reform aufgebaut werden konnte, darüber erhalten wir durch die flüssig geschriebene und übersichtlich angelegte Arbeit eingehende Belehrung, die um so willkommener ist, als bisher über die geistliche Verwaltung eines rheinischen Kurfürstentums es völlig an zuverlässigen Untersuchungen fehlte. -- Der Aufsatz B. J. Kreuzbergs ( 1700) gibt ein recht anschauliches Bild davon, in welchem Maße die deutschen Bischofswahlen des 18. Jhds. unter den Einflüssen der großen europäischen Politik standen. Finanzielle Erwägungen scheinen für den Entschluß des sächsischen Prinzen Clemens Wenzeslaus maßgebend gewesen zu sein, die erfolgreiche militärische Laufbahn im J. 1760 aufzugeben, um ein geistliches Fürstentum zu erlangen. Bei den Bemühungen in dieser Richtung genoß er in reichem Maße die Fürsprache der Kaiserin Maria Theresia und seiner mit dem Dauphin Ludwig verheirateten Schwester Maria Josepha. Nach vergeblichen Versuchen, Kurköln, Münster, Paderborn, Hildesheim oder Lüttich zu erlangen, wurde er in Freising gewählt, erhielt die Stelle als Koadjutor in Augsburg und wurde 1768 Kurfürst von Trier. Als solcher mußte er dann auf die süddeutschen Bistümer verzichten.

B. Evangelisches Kirchenwesen. Das Buch von Ewald Dresbach ( 1609) darf grade in jetziger Zeit mit besonderem Danke begrüßt werden. Es will eine Art Heimatbuch sein und den geschichtlich Interessierten die kirchliche Vergangenheit in Rheinland und Westfalen näherbringen, da auch in gebildeten Kreisen eine erstaunliche Unwissenheit auf kirchlichem Gebiete herrscht. So soll es kein Buch für die Gelehrten, sondern für das Volk sein. Die ersten vier Abschnitte sind der Zeit vom Beginn der Christianisierung bis zur Reformation gewidmet. Der fünfte Abschnit, bei weitem der umfangreichste, behandelt die Reformation und kirchliche Entwicklung in den rheinischen und westfälischen Ländern von 1517 bis 1803, eingeteilt nach den geistlichen und weltlichen Gebieten, so daß hier jeder sich schnell über die Verhältnisse etwa in der Reichsabtei Werden oder in den kurpfälzischen Ländern unterrichten kann. Da der Verf. hierbei die Entwicklung in den einzelnen Gebieten konfessionell scheidet und sozusagen jedem Ort gerecht werden will, kann diese Statistik allerdings nur mit Vorsicht benutzt werden. Denn die bisherige lokale Literatur ist natürlich von verschiedenem Werte und beruht vielfach nicht auf quellenmäßigen Studien. So erhalten wir hier z. B. kein Gesamtbild der kirchengeschichtlichen Entwicklung in Jülich-Cleve-Berg, wie es etwa Forsthoff bietet, sondern eben nur eine Statistik und nur nebenher einen Blick auf die Stellung der Regierung. Merkwürdig genug, daß die grade für das jülichsche Gebiet so ertragreichen Visitationen von 1533 und 1559/60, deren Protokolle ich veröffentlicht habe, überhaupt nicht erwähnt werden. Anscheinend ist dem Verf. meine Publikation (Jülich-bergische Kirchenpolitik) überhaupt nicht bekanntgeworden. Die Kirchenordnung von 1532--33 wird mit dem bekannten Urteil Luthers kurz abgetan. -- Der sechste Abschnitt behandelt das innere Leben der Kirche 1517--1803, so z. B. das Verhältnis der Konfessionen zueinander, Pietismus, Rationalismus usw., der siebente das Kirchenwesen (katholisch und evangelisch) seit der Säkularisation. Mit den Listen der Vertreter der kirchlichen Obrigkeit (Bischöfe, Präsides usw.) schließt das Buch, das zweifellos manchem willkommen sein wird.


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Der kleine, aber Abschließendes bietende Aufsatz von H. Keußen ( 1959) zeigt, daß es auch im »hilligen Köln« und speziell an der Kölner Hochschule, diesem Bollwerk der katholischen Kirche, im 16. Jhd. nicht an Versuchen gefehlt hat, Luthers Lehre zur Geltung zu bringen. Diese Versuche knüpfen sich an die Namen Gerhard Westerburg, Theod. Fabricius, Agrippa von Nettesheim, Joh. Glandorp, G. Longolius, Joh. Oldendorp, Joh. Meinerzhagen, Justus Velsius, Jak. Leichius, Jak. Middendorp, Stephan Isaac, Joh. Seveneich. Bekanntlich ist es nicht gelungen, die Universität zu einer gewissen Toleranz zu bringen. -- Nach längeren Ausführungen über die Entstehung und Bedeutung der lutherischen Konsistorien überhaupt, weist M. Ascherfeld ( 1789) nach, einen wie geringen Einfluß das in Essen begründete luth. Konsistorium gehabt hat. Obwohl einer der beiden Essener Bürgermeister hier den Vorsitz hatte, ist es immer der Magistrat oder der Rat, der auch in der kirchlichen Verwaltung das entscheidende Wort spricht. Auch die Kirchenordnungen wurden von der Stadt erlassen. Die Verf. sucht durch einen Rückblick auf die Entwicklung im ausgehenden MA. es wahrscheinlich zu machen, daß hierdurch die Stadt sich das jus episcopale angemaßt habe. Vermutlich hat aber doch auch das Vorhandensein einer großen reformierten Gemeinde in Essen mit dazu beigetragen, daß die städtische Obrigkeit das Kirchenregiment fest in Händen hatte. Die Verf. zieht auch die Konflikte mit dem Francke-Schüler Merker mit in den Kreis ihrer Betrachtungen. Auch hierbei hat das Konsistorium gar keine Rolle gespielt. -- Unter den von Th. Wotschke ( 1768) mitgeteilten Briefen scheinen mir nur die Briefe von Joh. Heinr. Reitz an Spener aus dem J. 1694 und von Daniel Christian Francke an A. H. Francke aus dem J. 1720 einige Beachtung zu verdienen. Im allgemeinen fehlt bei dieser Briefveröffentlichung das geistige Band oder eine notwendige Einführung.


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