II. Allgemeine Landeskunde.

Die rastlose Tätigkeit G. Wolframs hat die Literatur zur Landeskunde Elsaß-Lothringens im Berichtsjahr um ein geradezu monumentales Werk bereichert, den in Verbindung mit W. Gley und einer Reihe anderer Forscher herausgegebenen Atlas ( 385). Monumental glücklicherweise nicht in bezug auf die äußere Erscheinungsform; vielmehr ist es ein besonderes Verdienst der Herausgeber, daß sie mit Erfolg versucht haben, im Gegensatz zu dem Riesenformat etwa des rheinischen Geschichtsatlas, einen halbwegs handlichen Band zu einem vergleichsweise mäßigen Preis herauszubringen. In diesem bescheideneren äußeren Rahmen ist ein Reichtum an Kartenmaterial enthalten, der das übliche Programm eines historischen Atlas wesentlich erweitert. Es sei zur Kennzeichnung dieses Reichtums nur auf die Darstellungen zur Statistik der Kunstdenkmäler hingewiesen und auf einige Spezialkarten, deren Herstellung durch bereits vorhandene Detailforschungen nahegelegt war (Schulte, Herkunft der Straßburger Domherren; Cahn, Straßburger Münzen; Amman, Verbreitung des Elsässer Weins). Außerdem wird der für jeden Geschichtsatlas unentbehrliche Grundstock an politischen und kirchlichen Karten noch durch ein reiches Material zur Sprachen- und Dialektverteilung, Siedlungskunde und Wirtschaftsgeschichte ergänzt. Eine geradezu vorbildliche Klarheit des Kartenbildes ist in fast allen Fällen erreicht worden. Handhaben zu kritischer Nachprüfung bietet ein besonderer Erläuterungsband (vgl. S. 129). -- Das Buch von Jaffé ( 169), in dem der Versuch gemacht wird, die Zwiespältigkeit der elsässischen Seele aus der Geschichte zu begreifen, hat in Frankreich eine schlechte Presse gefunden, woraus von vornherein zu ersehen ist, daß es einige unwiderlegliche Wahrheiten enthält. Liebgewordene Stücke der linksrheinischen publizistischen Rüstkammer wie Dumons auch in dieser Zeitschrift (1928, S. 614) zurückgewiesene Entstellungen des Rassen- und Kulturbegriffs werden zum alten Eisen geworfen; auch Barthels westöstliche Künsteleien -- zuletzt noch in einer sehr anfechtbaren, im Anhang zu Jaffé abgedruckten Entgegnung vertreten -- erfahren die verdiente Kritik. Daß es gerade beim Thema »Elsaß« leicht ist, durch geschickte Auswahl und Ausdeutung geschichtlicher Zeugnisse zu mehr oder weniger bewußten Entstellungen zu gelangen, verhehlt sich Jaffé nicht und er selbst hat sich mit Glück bemüht, diese Klippe zu vermeiden (als eine von vielen Proben lese man etwa S. 315 ff.). Am gelungensten scheint mir die Behandlung der französischen Zeit des 18. und 19. Jhds. zu sein. Der Zwiespalt zwischen der politischen Zugehörigkeit zu Frankreich und der inneren Deutschheit ist besonders gut herausgearbeitet für die Zeit von 1815 bis 1870, »eine Zeit ständigen schweren Ringens«, die doch in manchen früheren Darstellungen mehr als eine Epoche geschichtlicher Windstille zu erscheinen pflegte. Das für die Charakteristik der einzelnen Epochen der elsässischen Geschichte zugrunde gelegte Schema vom Vorherrschen des politischen, soziologischen und seelischen Moments ist vielleicht nicht ganz glücklich, wie es ja immer gewagt erscheinen muß, den vielfach verzweigten Strom des Geschehens gleichsam kanalisieren zu wollen; die Betrachtung des großen Einschnitts, den die Zeit der französischen Revolution


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und Napoleons im elsässischen Leben bedeutet, ist vielleicht infolgedessen etwas zu einseitig auf das Soziologische abgestimmt, aber sonst verweben sich glücklicherweise im Verlauf der Darstellung die Fäden mehr, als dem allzu scharf sondernden Schema entsprochen hätte. Die gewandte Handhabung der Sprache, die den Vf. anfangs zum Aufsetzen mancher reichlich gesuchten Glanzlichter verleitet, mildert sich gegen die Mitte des Buches zu einer schönen Würde, in deren gediegenem Gewand man den Inhalt um so lieber auf sich wirken läßt. Vorurteilsfreie Leser werden hüben wie drüben diesem Werk neben mancher Einzelbelehrung auch einen beträchtlichen Gesamtgewinn entnehmen können. -- Von den Schriften zur spezielleren Landeskunde verzeichnen wir die neueste Arbeit des unermüdlichen Colmarer Stadtarchivars A. Scherlen ( 170), eine kurzgefaßte illustrierte Geschichte der Stadt Colmar, die neben dem geschichtlichen Überblick eine Reihe monographischer Kapitel über abgegangene Orte der Umgebung, Straßen und Häuser, Denkmäler, Zünfte, Museen, Bibliothek und Archiv enthält und in ihrer Gesamtheit gleichsam einen historischen Führer durch die Stadt bildet. Der Vf. hält sich eng an die urkundlichen Zeugnisse, die ihm wie keinem andern bekannt sind und konnte sich in manchem an zerstreute, eigne frühere Arbeiten anschließen, in denen man auch die Quellenbelege aufzusuchen hat, die in dieser jüngsten Publikation leider aus Sparsamkeitsgründen wegfallen mußten. In dem Abschnitt über das Stadtarchiv ist der Papst Athanasius zu ändern in: Anastasius (vgl. Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh. VII 182).


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