III. Großmachtbildung und gesamtstaatliche Probleme.

Die Arbeit von Olga Joelson, Kaiser Maximilian I. und das Behördenwesen seiner Zeit ( 1312) will die Frage des Ursprungs der deutschen Behördenorganisation wieder aufwerfen. Sie gibt eine Skizze der Entwicklung des Problems von den Arbeiten S. Adlers über Maximilian bis zu Theodor Mayer. Es geht um den Einfluß Burgunds und die Frage der Planmäßigkeit des Vorgehens Maximilians. Den Forschungen Mayers folgend, zeigt nun J., wie nicht nur in Tirol, wo die für die Entscheidung der Streitfragen wesentlichen Schritte getan wurden, sondern auch in anderen deutschen Territorien ein Zusammenwirken von Herrscher und Ständen festzustellen ist. Für die spezifisch österreichischen Probleme bringt die Arbeit kaum etwas Neues.

Lazarus Henckel von Donnersmarck hat J. Kallbrunner eine kurze, aber materialreiche und eindrucksvolle Studie gewidmet ( 1401). Nach dem Niedergang des städtischen Wirtschaftslebens im 15. Jhd., waren die Habsburger fast ausschließlich auf die Finanzhilfe der großen süddeutschen Kapitalisten angewiesen. Erst nach 1560 treten, nach den großen Zusammenbrüchen der oberdeutschen Häuser, wieder österreichische Geldgeber der Kaiser hervor. Zuerst Adelige, die auf diese Weise in Besitz der landesfürstlichen Domänen kommen, dann aber auch Bürger. Unter ihnen nimmt Henckel die führende Rolle ein. Um 1550 geboren, einer deutschen Familie der oberungarischen Stadt Leutschau entstammend, hatte er sich nach einem Aufenthalt in Oberdeutschland in Wien niedergelassen und hier seit 1580 mit steigendem Erfolg betätigt. Export von Tuch und Eisenwaren nach Osten, Wein-, Vieh- und Häutehandel, dann spekulative Ausnützung von Kursdifferenzen, haben sein großes Vermögen geschaffen. Seit 1591 finden wir ihn in steigendem Maße als Bankier des Staates, namentlich während des Türkenkrieges von 1593--1606, und zwar sowohl im Wechselgeschäft bei der Geldüberweisung an die Truppen und den Fürsten von Siebenbürgen wie als Geldgeber, namentlich bei Bevorschussung der Reichshilfen. Je länger aber der Krieg dauert, die finanziellen Hilfsmittel sich erschöpfen, um so höher steigt die Summe des von Henckel dem Staat vorgeschossenen Geldes. Wie bei den Fuggern und anderen Bankiers wird ein verhängnisvoller Weg in dem Augenblick betreten, da neue Vorschüsse nur deshalb gewährt werden, um die alten zu retten. Doch scheint der Gewinn aus dem Warenhandel, aus dem ungarischen Kupferbergbau, an dem er sich beteiligt hatte, aus seinem Güterbesitz so groß gewesen zu sein, daß er das riesige in Staatsanleihen langfristig immobilisierte Kapital zu entbehren vermochte. Erst nach seinem Tod (1624) ist durch Übertragung der großen oberschlesischen Herrschaft Oderberg-Beuthen dieses Kapital wieder verfügbar geworden. Wie so viele große Kaufleute hatten auch die Henckel damit den Übergang in die feudale Welt vollzogen. Erst die zum Teil auf den Kohlenflözen ihres Bodens erwachsende oberschlesische Industrie hat sie im 19. Jhd. wieder zu einer großen Wirtschaftsmacht werden lassen. -- Das Archiv des Bosniaken Osman Pascha, das Franz Babinger ediert hat ( 834),


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hat auf Österreich nur insofern Bezug, als es am 12. September 1683 vor Wien erbeutet wurde und in die Hände des Hofkriegsratspräsidenten, des Markgrafen Hermann von Baden kam, der aus den Papieren, allerdings vergeblich, Material über das osmanische Heer und die Zeitereignisse erwartete. Inhaltlich gehört die Publikation der inneren Geschichte des osmanischen Reiches in der zweiten Hälfte des 17. Jhds. an.

Justus Schmidt behandelt unter dem Titel »Voltaire und Maria Theresia, Französische Kultur des Barock in ihren Beziehungen zu Österreich« ( 1933) die französischen Kultureinflüsse in Österreich, vorwiegend in Wien vom 16. bis zum 18. Jhd. Es ist eine reiche, aber keineswegs vollständige Materialsammlung, die uns der Verfasser hier vorlegt, ohne weiter Anspruch zu erheben, die dahinterliegenden geistigen und politischen Tendenzen aufzudecken, von denen nur in gelegentlichen, nie in die Tiefe gehenden Bemerkungen gesprochen wird. Es werden die in Wien wirkenden französischen Künstler zusammengestellt, ausführlicher seit der Mitte des 17. Jhds., dann von Eugen von Savoyens geistigen Beziehungen zu französischen Künstlern und Literaten wie Jean Baptiste Rousseau gesprochen, Montesquieus Aufzeichnungen über Österreich in Auszügen wiedergegeben, die lothringische Kolonie um Franz Stephan behandelt, deren bedeutendstem Vertreter, dem Architekten Jadot, Schmidt eine Monographie gewidmet hat. Schließlich werden Voltaires und Rousseaus Beziehungen zu Wien erörtert und mit Notizen über Franzosen in Wien unter Josef II. und die Emigranten der Revolution geschlossen. So dankenswert diese oft aus weitschichtigem und entlegenem Material zusammengetragene Notizensammlung ist, so ist sie doch keineswegs erschöpfend. Es fehlt ganz die Linie von der gelehrten und religiösen Kultur des französischen 17. Jhds., die nach Süddeutschland und Österreich führt, so folgenreich in der Geschichtswissenschaft (Mabillon) wie als Wegbereiterin jansenistischer und gallikanischer-staatskirchlicher Gesinnungen. Daß hier eine der Wurzeln des Josephinismus liegt, der ganzen durch die Schulen der Klöster vermittelten, bis tief ins 19. Jhd. nachwirkenden Haltung einer katholischen Aufklärung, der geistigen Strömungen, aus der dann ein Denken wie z. B. Bolzano hervorwächst, dessen geistiges Werk erst den letzten Generationen verständlich wurde, hat den Verfasser nicht interessiert. Ebensowenig ist die gerade für Herausbildung einer spezifisch österreichischen Form der barocken Baukunst so wesentliche Auseinandersetzung italienischer und französischer Strömungen behandelt, oder überhaupt etwas von dem großen Aspekt, in dem Gunther Müller in seiner Arbeit über höfische Kultur den Wiener Hof gegenüber dem Pariser gesehen hat. Beiseite gelassen ist vor allem das reiche von c. 1750--1811 reichende Material an Tagebüchern (65 Bände)! und Reiseberichten des Grafen C. L. v. Zinzendorf, das außerordentlich viel zur Geschichte des kulturellen Einflusses Frankreichs in Wien bietet, ein Einfluß, der schon um diese Zeit über Wien die nicht deutschen Völker erreicht (Bedeutung der ungarischen Garde Maria Theresias für das erwachende magyarische Nationalgefühl!) und in der Folge durch die Verbindung westeuropäischen Staatsdenkens mit den Nationalismen »Zwischeneuropas« zu einer der stärksten, den Bestand der Monarchie gefährdenden Kräfte wird. Man sieht, hier ist eine wichtige, bisher nicht in Angriff genommene Aufgabe. Dazu werden dann auch Schmidts Materialien von Nutzen sein. -- Ulrich Noacks Aufsatz, das Metternichproblem ( 911), ist eine Auseinandersetzung mit zwei Kritikern von Srbiks Metternichbiographie, mit Ed. v. Wertheimer und A. O. Meyer.


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Beide werden mit wesentlich Srbiks Buch entnommenen Argumenten zurückgewiesen (vgl. S. 207). -- Auf Grund der Wiener und Turiner Archivalien verfolgt K. Grossmanns Metternichs Politik in der Frage einer Lega italica ( 892) vom Herbst 1814 bis zum Frühahr 1816. Der Plan ist am Widerstand Sardiniens gescheitert.

In dem Sammelwerke Deutsche Literatur, Reihe Politische Dichtung hat den österreichischen Vormärz 1816--47 einer der besten Kenner dieser Zeit Otto Rommel ( 1950) bearbeitet. Grillparzer und Anastasius Grün stehen im Vordergrund, neben denen Sebastian Brunner die katholisch-konservative Linie vertritt. Die wichtigsten Abschnitte: Allgemeine Stimmung und gedankliche Einstellung; Der Kampf gegen das System, Zensur, Josephinismus und Klerikalismus, Nationalitäten; Soziale Fragen; Ernüchterung und Rückschlag; Aus dem Lager der Konservativen; Sturmzeichen, mögen ein Bild des Inhalt geben. -- Reinhold Backmanns Arbeit über »Grillparzer als Revolutionär«, verfolgt an Hand seiner Werke Grillparzers politische Einstellung ( 1913). Im Mittelpunkt steht seine Beurteilung der Julirevolution. Es ist Backmanns Absicht, zu zeigen, daß Grillparzer nicht, wie man nach seinem Verhalten im Jahre 1848 fälschlich geurteilt habe, ein »Reaktionär«, sondern ein »Revolutionär« gewesen sei. Eine einigermaßen simple Fragestellung. Vor allem vermißt man an der Arbeit jede Auseinandersetzung mit der neueren Literatur über Grillparzer und über den österreichischen Vormärz. Man mag Büchern wie dem Grillparzerbuch Ernst Alkers mit einiger Skepsis gegenüberstehen, aber es ist methodisch ganz unmöglich, Äußerungen des Dichters zu verwerten, ohne psychologische Fragestellung. Gerade das zweispältige, verletzliche, oft ans Krankhafte streifende Seelenleben des Dichters hat unter dem Druck des Restaurationszeitalters in einem Maße gelitten, das seine Äußerungen nicht einfach als historisch-politische Urteile gewertet werden können. Dem Verfasser geht aber auch offenbar wirkliche Kenntnis der inneren Struktur des österreichischen Staates und seiner Herrschaftsformen ab. So hätte er sich nicht des Dichters zum Teil von offenkundiger, persönlicher Abneigung diktierte Meinungen über Metternich und Gentz zu eigen gemacht. Gewiß, Grillparzer war »Josephiner«, er war in diesem Sinne liberal, es steht aber seiner Abneigung gegen den Absolutismus des Restaurationszeitalters die nicht geringere gegen den »Demokratismus«, gegen die heraufziehende Massenherrschaft in einer industriellen Gesellschaft entgegen. Hier wäre anzusetzen und in einer eingehenden Darlegung der gegebenen Verhältnisse Grillparzers politisches Denken zu schildern gewesen. Daß Grillparzer unter seiner Zeit gelitten, daß er revolutionäre Vorgänge begrüßt hat, wußte man auch bisher. Ihm darum den Titel eines Revolutionärs beizulegen, ist sinnlos (vgl. auch S. 350). -- Die Wege, die eine Geistesgeschichte des Vormärz betreten müßte, um über so primitive Kategorien hinauszukommen, zeigt W. Bietaks Buch über das Lebensgefühl des »österreichischen Biedermeier« ( 1949). --

In dem Aufsatz Kaiser Josef II. in der Wiener Bewegung des Jahres 1848 ( 945) führt F. Engel-Jánosy seine Studien über Josef II. im Urteile der Nachwelt fort; sie enthalten wesentlich mehr als ihr Titel anzeigt, nämlich eine Geschichte des Josefsbildes vom letzten Jahrzehnt des 18. Jhds. an bis 1848 und damit einen sehr wichtigen Beitrag zur Geschichte des österreichischen Staatsgedankens.

F. Bilgers Arbeit »Großdeutsche Politik im Lager Radetzkys« verfolgt die


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Stellung Radetzkys ( 944) zur deutschen Frage auf Grund seiner Denkschriften und der einschlägigen Archivalien seit etwa 1828, vornehmlich aber in den Jahren 1848/49. Besonders interessant ist der Hinweis auf die Einsicht, die Radetzky von der Seite der Heeresorganisation in die besonderen Schwierigkeiten des österreichischen Staatswesens besaß. Auf die Akten des Wiener Staatsarchivs gestützt, gibt D. v. Jánosy eine genaue Darstellung des Verlaufs der russischen Intervention in Ungarn 1849 ( 941). -- Eine wichtige Quelle zur Geschichte des Neuabsolutismus hat I. K. Mayr durch die Veröffentlichung des Tagebuches des Polizeiministers General Kempen 1859 ( 942) erschlossen. Wir erhalten hier Einblick in das innere Leben der »neuabsolutistischen« Epoche Österreichs und unsere Kenntnis wird durch eine Fülle wertvoller Einzelheiten bereichert. -- Die Studie von R. Lorenz über die Tätigkeit des Generals Gablenz bei der Verwaltung Holsteins 1865--66 ( 977) gehört in der Hauptsache der allgemeinen deutschen und der holsteinischen Geschichte an.

In eine wenig, zu wenig gekannte Welt, der katholisch-konservativen, foederalistischen Kräfte in den Kronländern, in die Welt der Opposition gegen liberalen Parlamentarismus und zentralistische Bürokratie, führt uns die umfangreiche Biographie des tirolischen Landtages und Reichsrats-Abgeordneten Baron Dipauli ( 1033). Sie umfaßt die Zeit von 1865--83. Vom Sohn verfaßt, kann sie freilich nicht mehr bieten als breit ausgesponnene Materialien. -- In einer Polemik gegen die in der Kölnischen Zeitung im Mai 1931 erschienenen Aufsätze von Prof. Marx in Bonn erörtert E. Urbas ( 1029) noch einmal alle Argumente, die für einen Selbstmord des Kronprinzen Rudolf sprechen. Man darf hoffen, daß damit die Erörterungen über dieses traurige, aber historisch doch nicht sehr belangreiche Ereignis zum Abschluß gelangt sind. Journalistische Sensationslust wird sich allerdings nicht hindern lassen, die alten Legenden immer wieder als neueste Entdeckungen ans Licht zu bringen. -- Die Stellung des Deutschen Reiches zur innerösterreichischen Lage, besonders zum völkischen Kampf der Deutschen im letzten Jahrzehnt des 19. Jhds. hat W. Rudert ( 1039) in einer Leipziger Dissertation untersucht, die sich auf den Schriftwechsel der Botschafter und Militärattachés, aber auch auf die Publizistik der Zeit stützt.

Das Jahr 1930 hat durch die hundertjährige Wiederkehr des Geburtstages des Kaisers Franz-Joseph Anlass zu einer Reihe von Publikationen gegeben, von denen einige schon im Jb. 6, 447 f. zu besprechen waren. Auch Chrousts Aufsatz, Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz-Joseph ( 955) gibt ein Referat über die wichtigeren Neuerscheinungen der Jahre 1930 und 1931: über Tschuppiks Elisabethbiographie, die Briefe Kaiser Franz-Josephs an seine Mutter, die Schnürer herausgegeben hat und Glaise-Horstenaus Graf Beck, schließlich über das Sammelwerk von Steinitz, Erinnerungen an Kaiser Franz Joseph I. ( 955) das hier zu besprechen ist. Neben kurzen historischen Studien wie die von Eduard Heller, Steinitz, Beck und Oswald Redlich, die ein knappes Bild der ersten Hälfte der Regierung des Kaisers geben, folgen Erinnerungen von Mitwirkenden aus seiner Spätzeit, Minister, Diplomaten, Generale und hohe Hofbeamte. Es sind wichtige, natürlich ungleichwertige Beiträge zu einer künftigen Biographie des Herrschers. Einstweilen zieht die Summe aus der Literatur des letzten Jahrzehnts und eigener Studien ein Aufsatz Heinrichs von Srbik über Franz Josephs I. Charakter und Regierungsgrundsätze ( 955). Man darf wohl sagen, daß hier zum erstenmal in einem großen Essai der Versuch einer eingehenden Würdigung des


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Herrschers, dessen Charakter sich auch sehr nahestehenden Mitarbeitern oft nur schwer erschloß, gemacht wurde.

Die Erinnerungen an Montenegro von G. v. Hubka ( 1129) umfassen die Jahre 1912--14, die Zeit vom Ausbruch des ersten Balkankrieges bis zum Weltkrieg, in der der Verfasser als österreichisch-ungarischer Militärattaché in Cetinje tätig war. Angefügt sind kurze Mitteilungen über den Zusammenbruch Montenegros im Jahre 1916. Für die österreichische Geschichte hat nur eine Episode größere Bedeutung, Mitteilungen über das Eingreifen des Erzherzogs Franz-Ferdinand in die Außenpolitik, das in den Akten keinen Niederschlag gefunden hat. -- Eine große Zahl von Büchern und Zeitschriftenaufsätzen, die Österreich-Ungarns Politik vor und während des Weltkrieges betreffen ( 1087, 1091, 1094, 1101, 1122, 1134, 1144, 1175, 1176, 1179, 1180, 1209, 1210), wird an anderer Stelle besprochen (S. 239 ff.).


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