I. Historische Hilfswissenschaften und Quellenkunde.

Zu den bisher schon besprochenen, auch heuer wieder fortgesetzten Bibliographien zur sudetenländischen Geschichte (S. 3 Nr. 38 und 8, 45) tritt ein allgemeiner gehaltenes, von Nosovský und Pražák ( 40) betreutes Unternehmen, das die gesamte tschechische schriftliche Produktion, darunter auch die Arbeiten zur Geschichte für die Zeit von 1901--1925 umfassen soll. --Jungbauers (S. 27 Nr. 573) Verdienst, die 1896 erschienene Einführung in die deutschböhmische Volkskunde Hauffens neu herausgegeben und namentlich nach der bibliographischen Seite ausgebaut zu haben, wäre noch erheblich größer gewesen, wenn er sich nicht auf die von deutscher Seite zur deutschböhmischen Volkskunde geleisteten Arbeiten beschränkt, sondern das organisch hinzugehörende einschlägige tschechische Material mit verarbeitet hätte. Die Bibliografie české historie erweckt eine Vorstellung von der dadurch entstandenen Lücke. Auch vermißt man die Berücksichtigung der historischen Volkskunde schmerzlich. -- Man wird über den Versuch Wenischs (S. 62, Nr. 1307), eine systematischabstrakte Gliederung der nord- und westböhmischen Stadtbücher zustandezubringen, in der vorgelegten Form verschiedener Meinung sein können, wohl auch die Zweckmäßigkeit nicht ganz einsehn, während man die Erschließung der Bücher des Znaimer Stadtarchivs durch Auer ( 1) samt der hinzugefügten Bibliographie zur Znaimer Stadtgeschichte begrüßen kann. -- Dank der Festschrift für den tschechischen Hilfswissenschaftler Friedrich ( 49) erfreuten sich die historischen Hilfswissenschaften diesmal eifrigerer Pflege. Morávek ( 36) verfolgt zunächst die Schicksale des Böhmischen Kronarchivs auf der Prager Burg, von wo ein Teil nach dem andern entweder nach Wien oder in andere Prager Archive übertragen wurde, so daß schließlich der von Dienzenhofer entworfene Aufenthaltsort auf der Burg allein zurückblieb. Gleich bunt gestaltete sich das Schicksal der böhmischen und mährischen Landtafel. Zerstörte der Brand von 1541 einen Gutteil der böhmischen, so daß man für die Erkenntnis ihrer Beschaffenheit auf Rückschlüsse angewiesen ist -- auf diesem Wege versucht Čáda ( 10) für das 14. Jhd. die tschechische, nicht lateinische Sprache als die authentische nachzuweisen --, so wurde jetzt erst die mährische


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Landtafel, 73 Bände umfassend, ins Brünner Landesarchiv überführt. Zu dieser Gelegenheit wartet Hrubý ( 22) mit einem luxuriös ausgestatteten Bande auf, in dem er eindringlich auf die Bedeutung dieser Quelle für die Landesgeschichte, namentlich für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, hinweist. Das Schicksal beider das Land bewohnenden Volksteile spiegelt sie bestens wider, wie auch der sprachlich utraquistische Charakter der Ausgabe angenehm berührt. Eine Reihe gelungener Einbandtafeln mit den Wappen der Oberstlandkämmerer sind beigegeben.

Einblicke in die Geschichte des böhmischen Kanzleiwesens gewähren eine Reihe weiterer Arbeiten. Zunächst bespricht Dobiáš ( 14) Bruchstücke einer neuen Handschrift für die Formularsammlung des Prager Bischofs Tobias. Ertragreicher ist Vojtíšeks ( 62) Entdeckung von zwei Blättern eines Kammerregisters Johanns von Böhmen von 1312, womit erwiesen ist, daß es schon zu dieser Zeit in Böhmen ein Registerwesen gegeben hat. -- Die Absicht Stloukals ( 52), für die böhmische Hofkanzlei zur Zeit ihres Höhepunktes, unter Rudolf II., den inneren Geschäftsgang zu ermitteln, bringt der Verwaltungs-, Kanzlei- und Urkundengeschichte erheblichen Nutzen. St. will unter Hervorkehrung der diplomatischen Seite ein Beispiel dafür aufstellen, wie neuzeitliche Akten- und Urkundenlehre zu erfassen ist. Die Arbeit darf als Musterbeispiel für ähnliche Unternehmen gewertet werden. Rühmenswert bleibt des weiteren die Anschaulichkeit und das pädagogische Geschick, mit dem er den Stoff vermittelt. Er begleitet die Schicksale einer Eingabe bis zu ihrer Erledigung, schildert dabei die gesamte Kanzleiorganisation, die Bedeutung der einzelnen Organe, bietet eine Menge biographischer Daten über die in der Kanzlei tätigen Kräfte, bespricht die Handhabung der Amtssprache, wobei das Vordringen des Deutschen besonders hervorzuheben ist. Borovičkas ( 9) Arbeit über die Anfänge der Kanzlerschaft Zdenkos von Lobkowitz 1600--1606, berührt sich aufs engste mit der Stloukals, da Lobkowitz Hofkanzler war und Stloukal gerade seine Kanzlertätigkeit von der Kanzlei aus zu beurteilen sucht. Dennoch vermag B. eine Menge Daten für die persönliche Einstellung Lobkowitzens zu den Vorgängen in der Kanzlei, bei Hofe, in der Politik beizubringen. Seine von B. eingehend zu Rate gezogenen Privatpapiere ergänzen vortrefflich die Protokolle des königlichen Rates, denen Pešák ( 43) eine Sonderstudie widmet. Ähnlich wie Stloukal für die Hofkanzlei sucht P. für dieses ein Ministerium ersetzende Staatsorgan auch vom Standpunkte der Aktenkunde aus den Wirkungsbereich zu umschreiben.

Eine Urkunde des Klosters Waldsassen (Cod. dipl. Boh. I nr. 351) bestimmt Mendl ( 34) als zum Jahre 1194 gehörig. »Beiträge zur Diplomatik mährischer Immunitätsurkunden« legt H. Zatschek (S. 13, Nr. 247) vor. Es gelingt ihm, ein neues Immunitätsformular, das 1207 in der königlichen Kanzlei entstand und 1234 eine entscheidende Weiterbildung erfuhr, für Mähren festzustellen. Die Unterschiede zwischen böhmischer und mährischer Immunitätsentwicklung werden erneut beleuchtet. (Über Vaněčeks rechtshistorische Parallelarbeit vgl. unten.) -- Unter den im jetzigen landwirtschaftlichen Staatsarchiv hinterlegten umfänglichen Archivalien für die Geschichte der Berka und Kolowrat befindet sich auch eine Reihe ungenützter Urkunden, die namentlich die politische Stellung und den Besitz dieser Geschlechter betreffen. Černý ( 12) legt nun für die Zeit von 1348--1636 141 Regesten vor.


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Die staatsrechtliche Bedeutung von Siegel und Wappen erhellen zwei Arbeiten für die böhmischen Herrscher. Bauer ( 4) stellt fest, daß erst seit Wladyslaws II. Königskrönung das doppelseitige Siegel, das den König und den hl. Wenzel zeigte, als Thronsiegel in Gebrauch kam. Das Wenzelsiegel konnte auch als allgemeines Landessiegel gelten. Seit Przemysl II. verliert es sich aus dem Thronsiegel, da jetzt Herrscher und Land auseinander zu treten begannen. Vojtíšek ( 61) hinwieder zeigt den allmählichen Übergang vom schwarzen Adler zum doppelschwänzigen Löwen im böhmischen Herrscherwappen. Dabei taucht der einschwänzige Löwe zuerst unter Wladyslaw II. auf, der doppelschwänzige unter Przemysl I. Übrigens führte Mähren nach 1182 auch den Adler im Wappen. Der Löwe wurde fernerhin das Zeichen der königlichen Würde. Alle diese Änderungen spiegeln das jeweilige Verhältnis zum Deutschen Reiche wider.

In ihrer Studie über den in zwei Exemplaren vorhandenen Dukaten Jodoks von Mähren kommt Nohejlová (S. 18, Nr. 363 und 39) zu dem Ergebnis, daß es sich um ein, allerdings gelungenes, Falsum handelt.


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