IV. Darstellungen und Quellen nach der Reihenfolge der Ereignisse.

Pekař ( 41) kehrt zu dem alten Streite um die Echtheit Christians zurück, die er neuerlich gegen Novotný verteidigt. Mit überzeugenden Gründen bemüht er sich um die Rettung dieses wertvollen Schriftdenkmals, das er in das Ende des 10. oder den Beginn des 11. Jhds. versetzt. Böhmens geistige Entwicklung in dieser Frühzeit rückt damit in ein wesentlich günstigeres Licht. Durch die Rettung Christians gestaltet sich auch das Lebensbild Wenzels d. Hl. eindrucksvoller, als es Novotný zu zeichnen vermochte. --Naegle (S. 35, Nr. 745) faßt für Wenzel nochmals alle bekannten Tatsachen über die Abhängigkeit Böhmens vom Deutschen Reich zusammen. --Wostry (S. 89, Nr. 1882) entwirft


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ein farbenreiches, sattes Bild von der Kulturfülle des karolinischen Zeitalters in Böhmen, in dem der im Mittelpunkte der Darstellung stehende Prager Dombaumeister Peter Parler einen wichtigen Platz einnahm. Besondere Beachtung verdienen W.s Bemerkungen über den nationalen Charakter Prags und Böhmens sowie Karls Einstellung zu den Nationen des Landes. --Bauer ( 5) analysiert die diplomatischen Verhandlungen und Verträge Johanns von Böhmen mit Kasimir d. Gr. von Polen aus den Jahren 1335/9, und kommt zu dem Schluß, daß Kasimir erst 1339 den schon 1335 vorgesehenen Verzicht auf Schlesien ratifiziert hat. -- Ein lehrreiches Kapitel aus Karls Diplomatentätigkeit erhellt Lies (S. 36, Nr. 762) gelegentlich der Wahl Wenzels zum römischen König, bei der man von so gut wie von allen Einzelbestimmungen der Goldenen Bulle von 1356 zugunsten der Erzielung der Einhelligkeit der Wahl absah. Eine Wahl vivente imperatore war durch die Goldene Bulle nicht ausgeschlossen, aber auch nicht ausdrücklich vorgesehen.

Für die Hussitenzeit steuert wieder Bartoš ( 2, 3) wertvolle Beiträge bei. Seine beachtliche Ausbeute aus den Bibliotheken Nürnbergs, Erlangens, Stuttgarts, Zürichs, Basels, Einsiedels usw. an Husitika und Bohemika unterrichtet u. a. über den Widerhall der hussitischen Bewegung in deutschen Landen. Zum andern faßt er nochmals alle Seiten des Hussitismus ins Auge, die von fremden Einflüssen auf Hus und seine Anhänger zeugen. Namentlich das Verhältnis Wiclef-Hus, die Einwirkungen des Waldensertums, des Deutschen Nikolaus von Dresden, des Marsilius von Padua mit seinem Defensor pacis, Peter Paynes, der Pikarden, der Widerhall der hussitischen Manifeste, schließlich die deutschen Hussiten Friedrich Reiser und Stephan von Basel, erfahren manche neue Beleuchtung. -- Im Berichtsjahre ist das dreibändige Werk Kybals ( 29) über Hussens Lehre zum Abschluß gekommen. Nachdem Novotný schon 1919 bis 1921 zwei starke Bände über Hussens Leben und Werk hatte erscheinen lassen, schloß Kybal 1923 mit seiner der Lehre Hussens gewidmeten Monographie organisch an. Es würde zu weit führen, den grundlegenden Charakter dieser Werke für die Erforschung des Hussitentums zu begründen. Es genüge, auf eine eingehende Würdigung, zum Teil Widerlegung mancher Thesen des Kybalschen Werkes von Spáčil ( 51) hinzuweisen, der namentlich gegen Kybals antikatholische Einstellung Einspruch erhebt, so daß jetzt wohl mit einer Auseinandersetzung des katholischen und freiheitlichen Lagers zu rechnen sein wird.

Wie stark Böhmen 1620 westlich gerichtet gewesen ist, führt Hrubý ( 23) an dem Lebensbilde des jungen Zürchers Johann Heinrich Waser vor, der Augenzeuge der Vorgänge in Böhmen während des Aufstandes gewesen ist und namentlich in seinen Briefen an Abraham Scultetus wertvolle Beobachtungen niedergelegt hat. -- Einen ausführlichen Bericht des Berauner Bürgers Nikolaus Diwisch von Doubrawin über seine Erlebnisse zwischen 1621--27, namentlich über das Prager Blutgericht, vermittelt Sokol ( 50). --Roubík ( 48) verzeichnet 65 chiffrierte Briefe Wallensteins, die im Archiv des Ministeriums des Innern in Prag liegen. -- An ein wesentliches Problem der nachweißenberger geistigen Entwicklung rührt Muk ( 37), der zeigt, wie der tschechische Adel schon vom 16. Jhd. herwärts, besonders nach 1620, zusehends im fremdnationalen Volkstum aufging. Namentlich der Wiener Hof entfaltete eine starke Zugkraft auf den böhmischen Hochadel, wenngleich es


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in der Zeit Balbins immer noch einen Kreis nationalbewußten tschechischen Adels gab. Erst in der Zeit Karls VI., Maria Theresias und Josefs II. verlor der Adel jede lebendige Verbindung mit der einstigen nationaltschechischen Vergangenheit, so daß die Wiedergeburt der Tschechen in erster Linie vom Bürgertum getragen wurde. -- Den Sieg der deutschen Sprache im öffentlichen und höheren Gesellschaftsleben läßt auch die Praxis der böhmischen Hofkanzlei erkennen, die Prokeš (nr. 44) für die Vorbereitungszeit zur Königskrönung Maria Theresias klarlegt. Daneben erörtert er die mit der Krönung zusammenhängenden, namentlich durch den Friedensschluß von 1742 noch vermehrten staatsrechtlichen Probleme. -- Im Gegensatz zu der hier im Vorjahr angezeigten Arbeit Kazbundas über das Jahr 1848 geht Roubík ( 46) darauf aus, die Gesamtbewegung dieses Jahres, soweit sie sich namentlich in den tschechischen Reihen abgespielt hat, darzustellen. R. hat sich dabei besonders die Erzeugnisse der Presse und Publizistik zunutze gemacht, so daß er über die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse wesentlich mehr als Kazbunda zu bieten vermag. Da sich das Buch auch an breitere Leserkreise wendet, ist eine vertieftere Auffassung der gesamten Zeit nicht angestrebt worden. Der Schwerpunkt der Darstellung gehört den Ereignissen des Frühjahrs und Sommers, während die doch für die Tschechen auch belangreichen Vorgänge im Wiener Reichstage mehr links liegen bleiben. --Kazbunda ( 24) beschäftigt sich mit den Gründen, warum der deutsch-tschechische Ausgleich auf Grund der Fundamentalartikel Hohenwarts 1871 schließlich scheiterte. Dabei schildert er die Stellung Beusts, Österreichs zu Deutschland, der Tschechen zu Frankreich und Rußland eingehend.


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