VI. Sozial-, Wirtschafts- und Nationalitätengeschichte.

In einem flüchtigen, von keiner tieferen Sachkenntnis zeugenden Überblick über die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Pilsener Gebietes beschäftigt sich Macháček ( 30) mit dem slawischen Siedlungswesen, der Art der Besitzverteilung und ihrem Schicksal in der Hussitenzeit. Weitere Abschnitte sind der Geschichte des städtischen Hauses gewidmet. -- Erfreulicherweise kann diesmal über einige ertragreiche Arbeiten zur Industriegeschichte berichtet werden. Durch Umsicht und Gründlichkeit ragt namentlich Šebáneks ( 53) Beitrag zur merkantilistischen Wirtschaftspolitik der mährischen Kaunitze in der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18. Jhds. hervor. Mit holländischer, schweizerischer und der einheimischen Deutschen Hilfe wurde 1702 die Tuchfabrikation in Austerlitz mittels einer zentralisierten Manufaktur begründet. S. schildert die Produktionsvorgänge, die Schwierigkeiten der Verhandlungen mit der Regierung, die Widerstände der Fürsten u. a. m. -- Zeitlich umfassender ist B. Heiligs Arbeit: Die Vorläufer der mährischen Konfektionsindustrie in ihrem Kampfe mit den Zünften, Jahrb. f. Gesch. d. Juden in der Tschechoslow. Rep. III, 147 S. Der Kleiderhandel befand sich bereits im 16. Jhd. monopolartig in jüdischer Hand und wurde im 17. Jhd. um den Handel mit neuen Kleidern vermehrt. Mayer Mandl begründete schließlich 1858 die österreichische Konfektionsindustrie. --Zuman ( 64, 65) hat sich die Erforschung der Papiermühlengeschichte in Böhmen zum Ziel gesetzt. Während er für das 17. Jhd. in Böhmen 50 Papiermühlen verzeichnet, gab es deren im 18. Jhd. schon 114. Der Trautenauer Papiermühle widmet er eine Sonderuntersuchung. -- Ein interessantes Kapitel der Handelsgeschichte schneidet Blau (S. 72, Nr. 1514) in seiner mehr volkstümlich gehaltenen Arbeit über den Neuerner Bettfedernhandel an, in der er eine Menge heute noch lebendiger mündlicher Überlieferung und amtliches Material verarbeitet hat. Bessere Ordnung in der Darstellung wäre erwünscht gewesen.

Ein grundlegendes, auf weite Sicht abschließendes Werk widmete Roubík ( 47) der Geschichte der um Taus siedelnden Chodenbauern, die Geschichte und Dichtung immer wieder durch ihren jahrhundertelangen heroischen Freiheitskampf angezogen haben. In breitangelegter Darstellung läßt R. die Geschichte dieser ursprünglich als Grenzwächter mit reichen Privilegien ausgestatteten Bauern seit dem 10. Jhd. bis zum Ende des 18. Jhds. vorüberziehen und geht dann namentlich den Gründen für den Verlust dieser Freiheiten nach, woraus sich auch für die Geschichte des Bauernstandes in den Sudetenländern im allgemeinen wichtige Erkenntnisse ergeben. Die ungezählten Zusammenstöße mit den Grundherrschaften in den neueren Jhdn., namentlich zu Ende des 17., schildert R. bis in alle Einzelheiten. Dieser kampfbare Geist bewahrte diese tschechischen Bauern vor der Entnationalisierung, so daß an dieser Stelle das tschechische Volkstum am weitesten nach Westen, ins deutsche Siedlungsgebiet, vorgreift. Der Kampf der Choden um ihre Freiheit war kein religiöser,


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sondern ein rein rechtlicher und wirtschaftlicher. -- Zahlreiche Beiträge zur Geschichte der Bauernaufstände in der Zeit von 1738--1848, und zwar in erster Linie für Südböhmen, liefert Teplý ( 56). Gründe und Beispiele für die Verschlechterung des Bauernstandes werden reichlich beigebracht. Besonders ergiebig erweist sich das Buch für die bäuerliche Volkskunde.


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