V. Städtewesen, Wirtschafts- und Handelsgeschichte.

Ein Aufsatz von Espinas (S. 59, Nr. 1256) unterrichtet allgemein über den Stand der Forschung der Geschichte des Städtewesens, namentlich in wirtschafts- und rechtsgeschichtlicher Beziehung. Es sei hier auf die darin erwähnten Arbeiten aus Belgien und Frankreich hingewiesen, die in großem Zusammenhang sachkundig gewürdigt werden. Für die Stadtgeschichte stehen diesmal Arbeiten über Antwerpen im Vordergrund. Terlinden ( 203) hat in einem kurzen Aufsatz die Bedeutung Antwerpens in der Burgunderzeit als einen gemeinsamen Mittelpunkt für die Bewohner der Niederlande herausgearbeitet. Namentlich aber sind es die Forschungen des verdienten Archivars von Antwerpen, Prims ( 173, 174 und 175), durch die unsere Kenntnis von der auch für Deutschland bedeutsamen mittelalterlichen Geschichte seiner Heimatstadt grundlegend erweitert wird. Mit Sachkunde und unermüdlichem Fleiß hat er aus den Archiven ein reiches und


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wertvolles Material herbeigebracht, das er in den neuerschienenen Bänden seiner Geschichte von Antwerpen zugänglich macht und auswertet. Erschienen ist der vierte Teil des zweiten Bandes, der ein Ergänzungsband zu der Geschichte des 13. Jhs. ist. Er bringt Regesten, Nachrichten über Klöster, Siegel und Münzen (de Sturler, Rev. belge 11, 776--782 und Unger, Tijdschr. v. geschied. 46, 290 bis 291). Ferner ist bereits der erste Band des dritten Teils erschienen, in dem die Regierung Johanns II. von Brabant (1294--1312) in Angriff genommen wird. Bereits in dieser Zeit tritt Antwerpen wirtschaftlich stärker hervor und durch die Teilnahme des Herzogs an der internationalen Politik, auf die eingegangen wird, ist der Inhalt dieses Bandes auch für die deutsche Geschichte von Belang. Das Schwergewicht liegt natürlich auf den inneren Verhältnissen von Antwerpen; es wird die Verfassungsgeschichte, aber auch bereits Wirtschafts- und Kirchengeschichte behandelt. Außerdem veröffentlichte Prims noch Urkundentexte aus der Zeit Johanns III. (1313--1355) (Jberr. 6., S. 483). Laar und Franken ( 112) gaben eine Geschichte von Antwerpen heraus, die sich an weitere Kreise wendet (Prims, Bijdr. tot d. geschied. 22, 303--309). Die Entstehung der Stadt Dordrecht wird von Ramaer ( 181) vom Standpunkt der historischen Geographie untersucht. Er führt die Entstehung auf die Gründung einer Zollstätte durch den Grafen Dietrich V. von Holland gegen 1080 zurück, die dieser an einem von ihm hergestellten Kanal anlegte. Beigegeben ist eine wertvolle Karte des Rhein- und Maasdeltas im 11. Jhd. Gegen einzelne historische Ausführungen hat Verlinden mit Recht Bedenken erhoben (Rev. belge 11, 423). Der erste Teil einer Geschichte von Dordrecht von van Dalen ( 48) bringt besonders historische Nachrichten über das Stadtbild und die Straßen. Die Arbeit von Adriaanse ( 1) über Hulst ist gleichzeitig ein Beitrag zur Geschichte seeländisch Flanderns (Obreen, Rev. belge 10, 774--775). Eine wertvolle Untersuchung über die Anfänge des Städtewesens in der Grafschaft Looz, einem Teil des Fürstentums Lüttich, hat Lyna ( 135) geliefert (Bloch, Moyen âge 1932, 290--293). Eine große Einzeluntersuchung über die Geschichte von Ors an der Sambre und der Burg Malmaison, die über diesem Ort lag, von Trelcat ( 209) ist auch für die mittelalterliche Geschichte von Cambrai wertvoll. Die ältesten Urkunden von Cambrai, die der Verfasser heranzieht, sind allerdings Fälschungen. Die 1255 erbaute Burg diente der Grenzdeckung gegen den Hennegau und ist heftig umstritten worden. Die beigegebenen Dokumente haben daher auch militärgeschichtliches Interesse. Hingewiesen sei auch noch auf die umfangreiche Untersuchung über Seclin in der Nähe von Lille von Leuridan ( 121), die auch die Geschichte des Kollegiatstiftes St. Piat bringt und reiches archivalisches und urkundliches Material enthält (Rolland, Rev. belge d'archéol. 2, 178--179) und ferner auf die sorgfältige Arbeit von Deltenre ( 52) über Trazegnies im Hennegau, das mit der berühmten Abtei Lobbes in alten Beziehungen stand (Rousseau, Rev. belge 11, 420--422). Für die Geld- und Finanzgeschichte stellt der Aufsatz von Didier ( 55) einen nicht uninteressanten Beitrag dar. Er behandelt die Geldlehen in der Grafschaft Hennegau von 12. bis zum 15. Jhd. Die Grafen haben von ihrer Grenzlage Vorteil gezogen durch Subsidien der großen Mächte, sie haben dann selbst Geldlehen in der Grafschaft ausgeliehen. Im weiteren Verlauf wurden diese Renten persönlich und ohne dingliche Sicherung gegeben, das ist also eine Annäherung an Beamtengehälter. Die Arbeit ist in dieser Beziehung von größerem Interesse

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(Piron, Rev. belge 11, 427). Für die flämische Wirtschaftsgeschichte ist ein bedeutender Aufsatz von van Werveke ( 223) über die Münzpolitik der Grafen von Flandern (1337--1433) anzuführen. Der flandrische Silbergroschen wurde in dieser Zeit in seinem Silbergehalt von 4,55 g auf 0,81 g vermindert. Diese Münzverschlechterung hatte in dem stark industriellen Flandern weittragende Folgen. Es fand eine tatsächliche Senkung der Löhne statt, allerdings sanken damit auch die Gestehungskosten der flandrischen Tuchindustrie und sie konnte sich daher länger im Wettbewerb mit England erhalten. Die auch für die Gegenwart beachtenswerten Ausführungen sind durch graphische Darstellungen erläutert. Enklaar ( 61) veröffentlicht vier Urkunden (1300--1505), in denen Umwechslungskurse für rheinische Münzen in Utrecht festgesetzt werden. In einer sachkundigen Einleitung weist er auf die Bedeutung dieses Materials für die Kenntnis des rheinischen Geldwesens hin. Grunzweig ( 88) hat eine wirtschaftlich und politisch wichtige Veröffentlichung aus dem Florentiner Reichsarchiv begonnen. Er legt den ersten Band der Korrespondenz der Filiale des Hauses Medici in Brügge vor (1439--1464). In einer sehr bedeutenden Einleitung werden die wirtschaftlichen Beziehungen des Hauses Medici mit den Niederlanden behandelt. Die Medici waren bei den Finanztransaktionen der englischen Könige und der Herzöge von Burgund beteiligt (Quicke, Rev. belge 11, 338--339). Pirenne hatte auf das Vorkommen flandrischer Tuche in Novgorod im 12. Jhd. hingewiesen (Jberr. 6. S. 484). Eck ( 56) weist nach, daß die Stelle der spät überlieferten russischen Urkunde, auf die sich Pirenne stützt, jedenfalls im Original gestanden hat, und führt auch andere Belege zur Unterstützung der Auffassung Pirennes an. Gleichfalls Beziehungen Flanderns zum Osten behandelt Malowist ( 136), und zwar den Warenaustausch mit Polen und dessen östlichen Nachbarländern im 13. und 14. Jhd. Der Tuchhandel spielt auch hier eine große Rolle. Die Arbeit ist auch für die deutsche Wirtschaftsgeschichte vielfach recht bedeutsam, ist aber einseitig vom polnischen Standpunkt geschrieben. Für die Geschichte der flandrischen Tuchindustrie bringen die Dokumente, die Espinas ( 64) aus Valenciennes veröffentlicht, neues Material. In einer Sonderuntersuchung ( 65) behandelt er eine eigenartige Brüderschaft der Weber von Valenciennes im 14. Jhd., an der auch Geistliche und die Mönche von St. Saulve, eines cluniazensischen Priorats bei Valenciennes, beteiligt waren. Ähnlicher Art ist ein Beitrag Battistinis ( 11) zur Geschichte der Flamen in Florenz. Dort hat sich 1446 aus einer Vereinigung von Fremden, die als teutonici bezeichnet werden, die Brüderschaft St. Barbara gebildet, in der die Flamen und Brabanter die Hauptrolle spielen. Es waren Weber, die mit Zähigkeit an ihrer Nationalität festhielten. Die Untersuchung von van Nierop ( 150) über die Seidenindustrie Amsterdams [1648--1730] ist auch für deutsche Verhältnisse beachtenswert, weil nach diesem Vorbild und zur Bekämpfung des Wettbewerbes Hollands die Seidenindustrie Krefelds geschaffen wurde. Unmittelbar deutsche Belange berührt die Arbeit von Sneller ( 193) über den westfälischen Leinenstapel in Rotterdam [1669--1672]. Aus verschiedenen deutschen Territorien stammte das westfälische Leinen, das in Rotterdam gehandelt wurde. Es ist bemerkenswert, wie auch gegenüber dem scharfen Merkantilismus die Handelsgewandtheit und Kapitalkraft Hollands sich durchzusetzen vermochte. Auch die allgemeine Untersuchung über den Stapelmarkt Hollands und dessen Untergang von van der Kooy ( 111) ist für die deutsche Wirtschaftsgeschichte

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belangreich (Brugmans, Tijdschr. v. geschied. 47, 291--293). Zur Siedlungs- und Agrargeschichte muß auch in diesem Zusammenhang der Abriß der Geschichte der französischen Landwirtschaft und des französischen Bodens erwähnt werden, den Bloch ( 18) veröffentlicht hat. Namentlich auch die Rechtsverhältnisse sind ausgezeichnet behandelt worden und wichtige Pläne zur Agrargeschichte beigegeben (Dopsch, Zeitschr. f. d. Ges. Staatswissensch. 94, 118--121). Dept ( 54) hat die Nachrichten über die alten Siedlungen der Flamen im Grenzgebiet von Wales zusammengestellt und kritisch untersucht. Sie sind dort 1107 von Heinrich I. angesiedelt zur Grenzwacht gegen Wales, haben sich dort lange behauptet und auch erfolgreich ihr Wirtschaftssystem eingeführt (Sturler, Rev. belge 11, 425--426). Stein ( 195) veröffentlicht eine Ordonanz Ludwigs XI. vom 25. Juli 1481. Es handelt sich um einen Ausführungserlaß zu dem Plan Ludwigs XI., Arras mit Franzosen zu besiedeln. Zwei kleine Aufsätze von Tréfois ( 206) und Van Zuylen van Nievelt ( 227) beschäftigen sich mit der flandrischen Agrargeschichte, und zwar mit der Bewirtschaftung und der Form der flandrischen Bauerngüter (Fermen). Brouwers ( 27) veröffentlicht eine große Enquete in der Grafschaft Namur nach den Grundabgaben (1602--1603) -- ein für die Wirtschafts- und Agrargeschichte recht wichtiges Material (Vannérus, Rev. belge 12, 255--257).


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