§ 65. Allgemeines zur Geschichte des Auslanddeutschtums

(R. Konetzke)

(Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Bibliographie S. 544)

Der 2. Band der International Migrations ( 1) verwertet die grundlegenden, doch recht lückenhaften Statistiken des 1. Bandes (Statistics, 1929). Die Reihe der Einzelstudien berücksichtigt als wichtigste Einwanderungsländer die Vereinigten Staaten, Canada, Argentinien, Brasilien, Australien und Neuseeland. In der Behandlung der Auswanderungsländer bezieht sich auf die deutsche Auswanderung die zusammenfassende Übersicht von F. Burgdörfer, Migration across the frontiers of Germany, S. 313--389. Merkwürdigerweise fehlt eine Darstellung der spanischen und portugiesischen Auswanderung, die auch für große Teile der deutschen Auslandssiedlungen die Voraussetzungen geschaffen hat. In der Anlage des Gesamtwerkes müßten die methodischen Gesichtspunkte genauer herausgestellt und einheitlicher durchgeführt werden. -- Für die Erforschung der Ursachen, des Verlaufs und der Richtung der deutschen Auswanderung bietet H. Rosenthal ( 3) einen wertvollen Beitrag. Die Verf. behandelt auf Grund des Aktenmaterials und der zeitgenössischen Publizistik die Auswanderung aus dem sächsischen Staatsgebiet nach Außerdeutschland in den Jahren 1815--1871. Sie faßt die Geschichte des Auslanddeutschtums als Teilgebiet der Landesgeschichte und ordnet wesentlich die sächsische Auswanderung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Sachsens ein. Wir erkennen, wie die Auswanderungsbewegung aus den Wirtschaftskrisen der 20er Jahre und der Jahre 1846--47 sowie aus den politischen Umwälzungen des Jahres 1848 starke Antriebe erhält und wie sie in den Jahren 1856--1871 in mehr gleichmäßigen und geregelten Bahnen verläuft. Wir erfahren auch nähere Einzelheiten über eine stärkere sächsische Auswanderung aus rein religiösen Motiven, die Übersiedlung von über 750 Altlutheranern unter der Führung des Pfarrers Stephan nach der Gegend von St. Louis. Die Eingliederung der sächsischen Auswanderer in ihre neue Heimat läßt sich im einzelnen nicht näher verfolgen, nur über die sächsische Ansiedlung Wartburg in Ost-Tennessee und Saxonia in der Mucury-Kolonie der Provinz Minas-Geraes (Brasilien) vermag die Verf. einige nähere Angaben zu machen. -- In der Geschichte des Auslanddeutschtums verdient die Missionsgeschichte eine aufmerksame Beachtung. Sie umfaßt einen guten Teil jener Ausbreitung des Deutschtums über die Welt, die ihre Ursachen in religiösen Motiven hat. Die Missionsstationen mit ihren Siedlungen wurden wichtige Außenposten des deutschen Volkstums und der deutschen Kultur. Auch für diese Zusammenhänge beansprucht das Werk »200 Jahre Brüdermission« ( 5) besondere Anerkennung. Der Anlaß


S.544

für diese umfassende Geschichte der Brüdermission auf Grund des reichen handschriftlichen Materials war das 200jährige Jubiläum der Heidenmission der Herrnhuter Brüdergemeinde. In dem ersten Band gibt K. Müller die Darstellung des ersten Missionsjahrhunderts. Er zeigt zunächst, wie eine eigentliche evangelische Mission erst aus dem Geiste des Pietismus ihren Ausgang nimmt, während das orthodoxe Luthertum keinen geeigneten Boden für den Missionsgedanken darbot und in seiner engen Bindung an das deutsche Landesfürstentum keinen besonderen Anlaß für eine Missionstätigkeit erhalten konnte. Der äußere Anstoß gab eine Reise des Grafen Zinzendorf nach Dänemark, wo er von dem Elend der heidnischen Sklaven auf den dänischen Antilleninseln erfuhr. Die seit 1732 dorthin ausgesandten Herrnhuter betätigten sich auch in der Bewirtschaftung von Plantagen, die nach schwierigen Anfängen sich gedeihlich entwickelten. Als Siedler und Missionare wirkten die Brüder auch auf den britischen Antilleninseln. In dem niederländischen Suriname waren sie seit 1735 tätig. Durch die Beziehungen Zinzendorfs zum dänischen Königshause fanden sie ferner Zugang zur Mission in Grönland, von wo aus sie die Mission nach den Hudsonbai-Ländern weitertrugen. Auch an der afrikanischen Goldküste suchten die Missionare der Brüdergemeinde Fuß zu fassen. Dauernde Erfolge hatten sie in der Kapkolonie. Es ist ein Vorzug der Darstellung, daß das Schicksal der Missionen in die großen kolonialpolitischen Kämpfe der Zeit hineingestellt und ihre kolonisatorische Betätigung in das Wirtschaftsleben des jeweiligen Missionsgebietes eingefügt wird. --

1 International Migrations. Vol. 2. Interpretations ... ed. by Walter F. Willcox. New York, National Bureau of Economic Research. 715 S.

Archiv für das gesamte Auslanddeutschtum. Hrsg. von M. Durach und W. Hofstaetter. Bd. 1. U. a. Traeger, P., Auslanddeutschtum, Muttersprache und Volkstum. S, 10--30.

3 Rosenthal, H., Die Auswanderung aus Sachsen im 19. Jhd. (1815--1871). Schriften des Dten. Ausland-Instituts. Stuttgart, Reihe A, Bd. 30. Stuttgart, Ausland u. Heimat. 88 S.

Rohrbach, P., Das Deutschtum über See. Karlsruhe, Schiller. 360 S.

5 Müller, Karl, 200 Jahre Brüdermission. Bd. 1. Das erste Missionsjahrhundert. Herrnhut, Missionsbuchhandlung. VIII, 380 S.

Thauren, J., Die Missionen der Gesellschaft des göttlichen Wortes in den Heidenländern. Steyl, Missionsdruckerei.

Schweizer im Ausland. Von ihrem Leben und Wirken in aller Welt. Hrsg. von der neuen Helvetischen Gesellschaft u. der Auslandschweizer Kommission. Genf, Sadag. 340 S.


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