I. Germanische Funde aus den ersten fünf Jahrhunderten.

Über seine grundlegenden und für die germanische Siedelungsgeschichte überaus wichtigen Untersuchungen der Warfen-Siedlung bei Ezinge in Holland hat E. A. van Giffen eine zusammenfassende Darstellung gegeben (Germania 20, S. 40 ff.; Forsch. u. Fortschr. 12, S. 189 ff.). Die unzähligen Schichten des Wohnhügels lassen mehrere Schichtengruppen erkennen (von oben nach unten): I. Hoch- und frühma.'liche Schichten, darunter völkerwanderungszeitliche und spätrömische Schicht mit angelsächsischen Grubenhäusern. -- II. Merowingisch bis jüngere Kaiser-Zeit, mit rechteckigen Holzhäusern, die Wände aus Plaggen vor den Flechtwerkwänden haben. -- III. Ältere Kaiser-Zeit bis Spät-Latène, mit großen dreischiffigen Hallenhäusern bis 25 m Länge. -- IV. Spät- bis Mittel-Latène, dreischiffige Pfostenhäuser. -- V. Kernwarf aus Rasenschollen. Mittel- bis Früh-Latène, vereinzelte Häuser und kleines Warfengehöft. -- VI. Erste Siedlung auf dem ebenen Boden, Früh-Latène, mit pfahlbauähnlicher Speicheranlage. Die in dem feuchten Boden zum Teil vorzüglich erhaltenen Hausgrundrisse ließen eine Menge Einzelheiten der Baukonstruktion erkennen. Für die Geschichte des Hausbaues dürfte das wesentlichste Ergebnis der Nachweis sein, daß der niederdeutsche (sächsische) Haustyp bis in die Früh-Latènezeit zurückgeht und die Häuser vor Ezinge die Vorläufer des sächsischen und des friesischen Hauses sind. -- Eine vorgeschichtliche Warf ist auch im Amt Wesermarsch durch H. Schütte und O. Rink untersucht worden (Oldenb. Jb. 38, S. 141 ff.). Es handelt sich um eine überschlickte Ansiedlung auf einer kleinen Bodenwelle bei Golzwarderwurp, die vom 3. Jh. v. Chr. bis zum Beginn des 4. Jh.'s n. Chr. gedauert hat. Ihre Bewohner waren sicher Westgermanen, nach Annahme des Verf. wahrscheinlich Chauken. Entgegen der bisher bestehenden Ansicht, im 3. Jh. n. Chr. seien Sachsen dort eingewandert, nimmt Verf. eine durchgehend chaukische Wohnstätte an; die »sächsischen« Funde von dort seien durch Kulturbeeinflussung oder Stilwandlung zu erklären. -- Auch mit der Besiedelungs- und Bevölkerungsgeschichte Schleswig-Holsteins ist die Frage nach der Besiedelung der Nordseemarschen aufs engste verknüpft; sie ist aus Mangel an andern Quellen nur durch Grabungen zu erschließen. Anfänge solcher planmäßigen archäologischen Untersuchungen liegen nun vor, wie wir einem vorläufigen Bericht von W. Haarnagel über die Grabung auf der germanischen Siedlung in Hodorf (Holstein) 1936 entnehmen (Nachrichtenbl. dt. Vorz. 12, S. 240 ff.). Dort ist eine Flachsiedlung aus dem 1. und 2. Jh. und eine darüberliegende Wurtsiedlung aus dem 3. Jh. vorhanden. In der älteren Siedlung wurde ein dreischiffiges Hallenhaus gefunden, das denen ganz ähnlich ist, die van Giffen auf der Wurt Ezinge in Holland aufgedeckt hat (s. oben). In der jüngeren Schicht konnte nur ein Hausgrundriß (kleines einräumiges Grubenhaus) festgestellt werden. Die Verwandtschaft, die sich bei der Keramik der gesamten Nordseemarschen nachweisen läßt, erstreckt sich also auch auf die Form des Hausbaues. Das jüngere Grubenhaus erinnert allerdings an die Hausform der angelsächsischen Völkerwanderungszeit, wie sie van Giffen auf der Warf Ezinge gefunden hat, jedoch bleibt noch offen, ob dieses Haus als die Wohnform der letzten Siedelungsperiode angesprochen werden darf. -- Als Beitrag zur Frage nach dem Ursprungsgebiet der Sachsen bringt Fr. Tischler vergleichende Betrachtungen über die Verbreitung kaiserzeitlicher Gefäßtypen in Schleswig-Holstein < 580, 582>. Mehrere in der sogenannten »Westgruppe« an


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der schleswig-holsteinschen Westküste vorkommende Formen kommen im Osten von Holstein nicht vor. Außerdem gehören sowohl die West- wie die Ostgruppe (Fuhlsbütteler Kreis) nicht zu dem großen Kreis der Elbgermanen mit Mäandergefäßen. Die untereinander enger verwandten holsteinschen Gruppen heben sich also deutlich gegen Hannover und Mecklenburg ab, deren Keramik den Langobarden zugeschrieben wird. Somit wären die holsteinischen Fundgruppen den Sachsen zuzuschreiben, oder jedenfalls den Stämmen, die sich später zu den Sachsen zusammenschlossen. Als (»ursächsisches«) Kerngebiet ist wahrscheinlich die Westgruppe anzusehen; die enge Verwandtschaft der Stämme an der Nordseeküste (Friesen, Chauken u. a.) mag dann am Ende des 2. Jh.'s den Zusammenschluß unter der Oberherrschaft der Sachsen erleichtert haben. Später sind die Sachsen von Holstein aus erobernd nach Süden zu vorgedrungen. -- Daß die archäologische Untersuchung der vor- und frühgeschichtlichen Befestigungen für die Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte ungemein wichtige Aufschlüsse ergibt, ist in den letzten Jahren bei Ausgrabungen immer wieder festgestellt worden. In der Rheinprovinz sind daher von dem großzügigen Ausgrabungsplan der Provinzialverwaltung bedeutsame Ergebnisse für die germanische Geschichte zu erwarten. Ein guter Auftakt dafür ist die Ausgrabung auf der Erdenburg bei Bensberg, Bez. Köln, über die ein Bericht von W. Buttler vorliegt < 625>. Nach den datierenden Kleinfunden stammt die Festung aus der Spätlatènezeit, und zwar ist sie, wie die Bodenfunde erweisen, von Germanen erbaut worden. Der Bau der Befestigung, die u. a. eine äußerst wertvolle Toranlage aufweist, ist ein Zeugnis germanischer Festungsbaukunst, das, wie der Verf. betont, jeden Vergleich mit einem römischen Kastell der gleichen Zeit aushält. Am meisten Wahrscheinlichkeit hat nach B. die Annahme, daß die Burg eine Anlage der Sugambrer gewesen ist, die nach Cäsar zwischen Sieg und Ruhr gesessen haben. Die Burg macht den Eindruck, als sei sie mit großem Aufwand an Menschen und Machtmitteln sehr schnell errichtet worden; dann muß ein Ereignis eingetreten sein, das zum Verlassen der Burg führte (Übersiedlung eines Teiles der Sugambrer auf das linke Rheinufer?). Auf alle Fälle hat die Burg eine wichtige Rolle in den Ereignissen gespielt, die mit den Römerzügen und mit dem Vordringen der Germanen in Zusammenhang stehen. -- Ein Hausfund aus der Chaukenzeit (1. u. 2. Jh.) bei Rastede in Oldenburg, den Michaelsen < 146> beschreibt, ist nach Ansicht des Verf.'s als ältester Fachwerkbau im niedersächsischen Gebiet anzusehen; nach den Begleitfunden war es ein Arbeits- und Vorratsgebäude, in dem gesponnen, gewebt und gebacken wurde. -- Auf Grund der von antiken Geschichtsschreibern übermittelten Angaben sind die Wohnsitze der westgermanischen Stämme nicht mit Sicherheit festzulegen, jedenfalls nicht in den Einzelheiten; auch das Schicksal dieser Stämme, deren Namen uns aus den Römerkriegen zum Teil wohlbekannt sind, und das Werden der großen Stammesverbände (Franken, Sachsen usw.) ist noch ungenügend bekannt. Diese Lücke in unserer geschichtlichen Kenntnis auszufüllen, ist die archäologische Forschung berufen; ausführliche Fundstoff-Veröffentlichungen müssen die Grundlage für die Stammesgeschichte liefern. Als Baustein dazu ist die Arbeit von Albrecht < 158> zu begrüßen, der die im Dortmunder Museum aufbewahrten westfälischen Funde aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten beschreibt und durch Abbildungen bekanntmacht. Namentlich die Kenntnis der westgermanischen Tonware wie auch die

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des fremden Einfuhrgutes erfährt dadurch eine wertvolle Bereicherung (an Waffen und an Schmuck sind die westfälischen Gräber dieser Zeit sehr arm). -- Die im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Münster aufbewahrten Grabfunde aus Westfalen, die den ersten 5 Jh.'en angehören, hat Albrecht < 159> ebenfalls bearbeitet; sie sind sicher germanisch, doch reicht der Fundstoff noch nicht aus, eine Abgrenzung der westgermanischen Stämme im westfälischen Gebiet vorzunehmen. Über die Herkunft der in karolingischen Quellen zuerst als Ost- und Westfalen genannten Westgermanen besteht daher noch keine Klarheit; sie ist erst von Untersuchungen zu erwarten, die ein größeres Gebiet umfassen. -- Das Gräberfeld von Langenhagen, Kr. Saatzig, gibt Eggers (Monatsbl. Ges. pomm. Gesch. u. Altertumskunde, Jg. 50, S. 128 f.) Anlaß, die Kultur der Spätlatène-Zeit (1. Jh. v. Chr.) in Pommern in eine westpommersche, eine mittelpommersche und eine ostpommersche Gruppe zu gliedern. Die westpommersche ist westgermanisch, die beiden anderen sind ostgermanisch. Ob die beiden ostgermanischen, von denen die ostpommersche mit der Kultur im unteren Weichselland übereinstimmt, verschiedenen Stämmen angehören und welchen, ist noch nicht endgültig geklärt und hängt mit der Beantwortung der Frage zusammen, ob die Goten vor oder nach Chr. Geb. nach dem Festlande eingewandert sind. -- Da die sogenannten Steinkreise von Odry in Pommerellen jetzt oft unter den »georteten« vorgeschichtlichen Anlagen genannt werden, hat La Baume < 144> alles zusammengefaßt, was nach dem heutigen Stande der Wissenschaft als gesichertes Ergebnis gelten kann. Nach den Ausgrabungen handelt es sich um Hügelgräber mit ostgermanischen (gotischen) Bestattungen aus den ersten Jahrhunderten nach Chr. Geburt. Die Hügel haben kreisförmige Steinsetzungen und sind z. T. in Reihen angeordnet, von denen einige nach den Vermessungen des Astronomen Rolf Müller geortet sind (N--S- und O--W- Richtung, Winter- und Sommersonnenwende). -- Daß der Bernstein in vorgeschichtlicher Zeit eine sehr große Rolle gespielt hat, ist sowohl aus den Funden wie aus der Fundverteilung zu erschließen; über die Wege dieses Handels bestanden aber bisher nur Vermutungen. Ein neuer Fund, über den W. Nowothnig berichtet (Nachrichtenbl. dt. Vorzeit 12, S. 173 ff.), wirft neues Licht auf dieses Problem. Bei Breslau-Hartlieb sind 3 mit Rohbernstein gefüllte Gruben gefunden worden, die im ganzen 30 Zentner Bernstein enthielten. Es handelt sich um Bernsteinspeicher, die in der Nähe eines ostgermanischen Hauses aus dem letzten Jh. v. Chr. angelegt worden sind. Die Nähe der Oder legt die Annahme nahe, daß diese riesigen Mengen von Bernstein von der Ostseeküste her oderaufwärts gebracht worden sind, und zeigt erneut die Bedeutung dieser dem Flusse folgenden vorgeschichtlichen Handelsstraße.


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