II. Zur Völkerwanderung.

Den Übergang zu den Reichsgründungen der germanischen Stämme veranschaulicht die eindringliche und mit genauester Kenntnis der deutschen Fachliteratur verfaßte Abhandlung von E. Barger < 628>. Sie verfolgt noch einmal, und zwar für den Umkreis von Salzburg, Schritt vor Schritt die Frage der Kontinuität, deren Behauptung A. Dopsch zum Leitgedanken seiner Darstellung in den »Grundlagen« gemacht hat. B. kommt bei seiner unvoreingenommenen und gründlichen Nachprüfung zu einem ähnlichen


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Ergebnis wie vordem H. Zeiß <1933/34, 939> für das rätische Flachland. Die Brücke, die nach D. den Einschnitt überspannt, der in Verwaltung, Wirtschaft und geistigem Leben das karolingische Germanien vom Alten Rom trennt, erweist sich bei genauerem Zusehen als wenig gefestigt. Es bleibt vielmehr nach B. bei dem Eindruck, daß die römischen Verhältnisse, die während der Limesbesetzung bestanden, mit einer gewaltsamen Erschütterung abbrachen; dazu stimme am ehesten auch die lockere Stammesverfassung, auf die wir am Ende des 8. Jh.'s stoßen.

Was im übrigen zu dieser Epoche an Veröffentlichungen vorliegt, ist wenig genug. Neben der überaus gelehrten Namenstudie, die Myres < 664> im Dienste der angelsächsischen Frühgeschichte über die Humbrenses, die älteste Bezeichnung der »Northumbrians«, beisteuert, verdienen einen besonderen Hinweis die beiden Vorschläge, die herrschende Meinung über die Entleerung des ostgermanischen Siedlungsraumes nach 375 in Rücksicht auf den neueren archäologischen Befund zu berichtigen. N. Åberg < 663> gibt -- im Anschluß an das Kriegergrab von Jakuszowice, das er als gotisch bestimmt -- mit aller Behutsamkeit zu bedenken, ob nicht durch den Hunnensturm Trümmer des Gotenvolkes auch nach Norden verschlagen worden seien. Wesentlich weiter wagt sich E. Petersen < 666> vor. Die Überreste im Oder- und Weichselgebiet aus der Zeit vom 4.--7. Jh. bezeugten, daß es zu einer »kräftigen Nachblüte des einst ostgermanischen Volksbodens« gekommen sein müsse. Das setzt nach seiner Meinung in erheblichem Umfang den Verbleib von germanischen Bewohnern voraus, mit denen in Schlesien und Kongreßpolen bis ins 5. Jh., in Ostbrandenburg, Pommern, Westpreußen, Posen und im westlichen Ostpreußen sogar bis ins 6. und 7. Jh. zu rechnen sei. Mithin bliebe der Zeitpunkt für die Slawisierung Ostelbiens noch eine offene Frage. Wenn man dagegen die slawische Einwanderung gemeinhin unter Berufung auf die schriftliche Überlieferung bereits um 600 ansetzt, so sei das eine unzulässige Verallgemeinerung der Vorgänge, die sich im Gebiet der Saale und Mittelelbe abgespielt haben; denn dort seien Slawen von Böhmen her eingerückt, während die späteren slawischen Siedler in Nord- und Ostdeutschland vermutlich aus einer ganz anderen Richtung gekommen seien. -- Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch das einschlägige Kapitel über die Halbinsel Krim (vom Erscheinen der Goten bis zur Oberherrschaft der Hunnen im 5. Jh.) aus dem Buche Vasilievs < 585>. Der Verf. hat mit entsagungsvoller Hingabe an das schwierige Thema das gesamte weitläufige Material zusammengetragen, das bis zu den jüngsten russischen Ausgrabungen für die Geschichte der »Gothia« vorliegt, weit über die ma.'lichen Überbleibsel gotischer Bevölkerung hinaus, deren Minderheit sich frühzeitiger in der Hellenisierung und Tatarisierung durch ihre Umgebung verlor, als man nach den gelegentlichen spätma.'lichen Nachrichten von einem Weiterbestehen der gotischen Sprache erwartet. Mit dem Buch ist eine tatsächliche Lücke auch in der deutschen Forschung geschlossen und ein zuverlässiger Führer für den Südosten und seinen Anteil an der Kulturentwicklung Europas bis zum Ausgang des MA.s geschaffen.


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