IV. Stadtraumgeschichte.

Einen wertvollen kritischen Rück- und Überblick über »Alte und neue Wege in der Stadtplanforschung« bietet W. Gerlach < 1400>. Er bezeichnet seinen Aufsatz als »Beitrag zur historisch-topographischen Poligraphie« und meint damit, daß neben dem Grundriß auch der Aufriß der Stadt zu betrachten sei. In den letzten 25 Jahren ist die Stadtplanforschung immer mehr zu einer wichtigen Hilfswissenschaft geworden. Darin erschöpft sich ihre Bedeutung nicht. Sie hat eigene Aufgaben. Deshalb sind alle die Versuche abzulehnen, die den Stadtplan nur von einseitigem Gesichtspunkt, etwa dem geographischen oder dem wirtschaftsgeschichtlichen, betrachten, wie dies beispielsweise W. Geisler ausgehend vom äußeren Stadtbild getan hat. Ein wirklicher Fortschritt wird erst zu erzielen sein, wenn sich die Stadtplanforschung »nicht mehr einseitig mit der Behandlung von formalen Erscheinungen und mit


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der Erfassung von gegebenen räumlichen Situationen begnügt und wenn sie darauf verzichtet, in der Stadtanlage nur eine künstlerische Schöpfung zu sehen«. Der Stadtplan muß »zugleich auch als kulturell, sozial, wirtschaftlich, rechtlich und geographisch bestimmtes Gebilde erfaßt werden«. Die historisch-topographische Stadtplanbeschreibung hat sich all dieser wissenschaftlichen Gesichtspunkte »zugleich« zu bedienen und hat die entscheidende Frage zu stellen: »Inwiefern ist der Stadtgrundriß das Ergebnis des historischen Schicksals dieser Siedlung?« Trotzdem sehr mannigfaltige Antworten darauf zu erteilen sein werden, müssen Typenreihen gesucht werden, in die sich die Stadtpläne eingliedern lassen. Angeregt vor allem durch den zu wenig beachteten Aufsatz von A. E. Brinkmann »Die geschichtliche Anlage der deutschen Städte« und A. Hoenigs allgemeingültigen Untersuchungen über die böhmischen Städte gibt Gerlach am Schluß seines klaren Aufsatzes eine Typenreihe, die auf den Satz »die Funktionen bedingen die Struktur der deutschen Städte« aufgebaut ist.

In gewissem Umfange kommt F. Voggenreiter in seiner Dissertation »Die Stadt Regensburg, ihre Erscheinung und ihre Entwicklung zum neuzeitlichen geographischen Raumorganismus« < 1445> den Thesen Gerlachs nach. V. macht den Versuch, Regensburg, das nach seinen bedeutungsvollen Jahren in der ma.'lichen Kolonisation ein Landstadtdasein geführt hat, das erst heute durch neue Grenzaufgaben unterbrochen wird, in seinem Raum am Donauknie zu sehen. Die erste frühgeschichtliche Siedlung in der Regensburger Bucht entstand, weil dort die Donau ein Verkehrshindernis darstellte. V. zeigt, wie auch die Altstadt in drei großen Entwicklungsabschnitten zu einem Umfang herangewachsen ist, den sie bis ins vorige Jahrhundert behalten sollte. Die später zu Neubauringen zusammengeschlossenen Wachstumsspitzen bildeten sich zuerst an den Verkehrsstraßen. Heute erfolgt die Erweiterung durch Siedlungsdörfer. In der Entwicklungsgeschichte des Aufrisses lassen sich drei gesellschaftliche Bevölkerungsgruppen unterscheiden: Herzog-, Kaiser- und Königtum, die geistliche Welt und das Bürgertum, das durch die Errichtung zahlreicher festungsartiger Häuserkomplexe die städtebauliche Eigentümlichkeit R.'s geschaffen hat. Die Zeit, da R. ständiger Sitz des deutschen Reichstags war, hat nur Flick- und Veränderungswerk hervorzubringen vermocht. Weiterhin behandelt V. die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung. Letztere hebt dort an, wo bereits im MA. Brennpunkte des innerstädtischen Wirtschaftslebens lagen. Der Schwerpunkt der eigenen Untersuchungen liegt in der Klärung der gegenwärtigen Beziehungen der Stadt zum Raum, wobei sie als »Vereinigungspunkt der geographischen, verkehrs- und wirtschaftsgeographischen Kräfte der Bayerischen Ostmark« hingestellt wird. -- Für die »Stadt des deutschen Handwerks«, Frankfurt a. M., stellt sich W. Gley < 1430> die Aufgabe, die Entwicklung der Stadt in Raum und Zahl zu untersuchen. Die Anfänge der Stadtentwicklung liegen im Dunkeln. Drei Siedlungselemente lassen sich urkundlich festlegen: die Pfalz, der befestigte Königshof und der unbefestigte Wirtschaftshof. Der Schwerpunkt des ältesten Frankfurt lag zwischen Römerberg und Fahrgasse. Das Straßennetz der ersten Erweiterung bildet eine der großartigsten Leiterformen deutschen Städtebaues. Die zweite Erweiterung erfolgte konzentrisch. Sachsenhausen hatte dörfliches Gepräge. 1628 wird die Stadt befestigt. Dieses bastionäre Befestigungssystem wie die ma.'lichen Mauern wurden


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1804--12 niedergelegt. Die allseitige radiale Ausdehnung an den Landstraßen begann. Das heutige Groß-Frankfurt besteht aus 26 ehemals selbständigen Gemeinden. Parallel mit dem räumlichen Wachstum stieg -- jedoch auch von Rückgängen unterbrochen -- die Bevölkerungszahl, 1387: 10_200; 1440: 8000; 1578/79: 13_000. Bürgerverzeichnisse des 15. Jh.'s erlauben die Herkunft der Einwohner zu bestimmen. Seit dem Ende des 16. Jh.'s ist Frankfurt die Stadt des Luxus. Durch Karten und Skizzen erläutert, wird das räumliche Wachstum bis zur Gegenwart verfolgt. Ein besonderes Kapitel ist dem Wohnsitz (ma.'liches Judenviertel am Dom) und der Zahl der Juden gewidmet. Erst das 16. Jh. brachte das gewaltige Anwachsen der Judenschaft, bis sie 1885 11,25 v. H. der Gesamtbevölkerung ausmacht. Während Gley in seiner Untersuchung über Frankfurt die räumlich-politischen Bindungen in den Hintergrund treten ließ, hat er sie in einer Skizze über die geopolitische Lage der Stadt Mainz < 1431> in den Mittelpunkt gestellt. Bisher fehlen geopolitische Studien über die Stadt. Mainz ist dazu durch seine günstige geographische Lage geeignet. Es liegt am Schnittpunkt der von der Natur gegebenen Verkehrslinien. Als Hauptstadt der römischen Provinz Obergermanien, im Schutze des Limessystems, als Mittelpunkt des Erzbistums des gesamten Ostreichs, als führende Handelsstadt des rheinischen Deutschlands, Hauptstadt des geistlichen Kurfürstentums, wirken sich die Raumkräfte von Mainz geopolitisch aus. Im 16. Jh. wandelt sich die Lage. Mainz wird Festung gegen Frankreich. -- Fast ebenso bevorzugt durch seine Lage war Konstanz, dem H. W. Faißt eine siedlungsgeographische Abhandlung widmet < 1437>. Leider fehlt es infolge der heute ungünstigen politischen Lage dieser Stadt dem Verfasser an Vorarbeiten, um die naturhaft und kulturell bestimmten Raumbeziehungen dieser Stadt deutlich werden zu lassen. Nach bewährtem Muster werden Natur- und Kulturlandschaft, topographische, hydrographische und Verkehrslage, Grundriß, Aufriß, Verkehr, Wirtschaft, Bevölkerung und die Einordnung von Konstanz in der Landschaft behandelt. Die Entwicklungsrichtung des Grundrisses verlief Süd-Nord (Römersiedlung), erst später Ost-West. Befestigungen und Grenzlage hemmten die Erweiterungen. -- Die immer mehr in den Mittelpunkt tretende Aufrißerforschung der Stadt verleiht der von H. Bunjes vorgelegten Trierer Baugeschichte auf Grund von Plänen und Ansichten allgemeinere Bedeutung < 1390>. Nach dem Grad der topographischen Zuverlässigkeit werden drei Gruppen unterschieden: originale Stadtansichten, deren Nachzeichnungen und Phantasiedarstellungen. Die Zahl der ersteren ist für das 16. bis 18. Jh. gering. -- F. Lenz behandelt in seiner Dissertation die räumliche Entwicklung von Lübeck bis 1370 < 1414>.


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