II. Geschichte der Volkskundeforschung.

Die Aufmerksamkeit der Historiker der Volkskunde hat sich auch in letzter Zeit der Frage weiter zugewandt, welchen Anteil die evangelische Kirche an den volkstümlichen Äußerungen genommen hat. Jobst < 1824> stellt eindringlich Luthers starke Verbundenheit mit dem Volkstum seiner Heimat dar; er kennt Märchen und germanische Gottheiten, Schwänke, Volkslieder und Sprichwörter; er teilt den Glauben seiner Zeit an Teufelsspuk, und wenn katholisches Brauchtum entfernt wird, so geschieht es unter Schonung des Brauchbaren. Auch die Zeit der Orthodoxie weist volksverbundene Prediger auf wie Seb. Frank (1499--1542) und Joh. Mathesius (1504--1565), aber die Orthodoxie schafft eine Kluft zwischen Kirche und Volkstum. Der Pietismus führt vom Ideal der Volkskirche ab, da er sich an die »Bekehrten« richtet, aber er hat Sinn für die Volkssprache und ist milde gegen den Volksglauben; der Pfarrer der Aufklärung beobachtet diesen Glauben; hier beginnt die Volkstumsforschung. Der »Theologe« Herder wird Bahnbrecher für die Wendung, die vom allgemein Menschlichen zum Nationalen führt. Das 19. Jh. bringt den volkskundlichen Dingen im Kreise des Religiösen immer größere Aufmerksamkeit entgegen, besonders Männer wie G. J. Kuhn (1775 bis 1849) und G. Gruner (1756--1830). -- Einzelpersonen behandeln Hellweg < 1840>, der Nikolaus Gryses Schriften auf ihren volkskundlichen Gehalt überprüft (16. Jh.), und Rieck < 1841>, der in dem Verfasser des holsteinschen Idiotikons J. F. Schütze (1758--1810) einen frühen Vertreter der niederdeutschen Volkstumsforschung würdigt. -- Die beste Übersicht über den Gang der volkskundlichen Arbeit unter Heraushebung der religiösen Volkskunde von 1885 bis Ende 1930 gibt G. Koch < 1821>; er unterscheidet die religionsgeschichtlich gerichtete primitivenkundliche, die beschreibende Gegenwartsvolkskunde und als wichtigsten Zweig die Arbeit, die volkskundlich kritisch die Erneuerung des Gemeinschaftslebens aus christlichem Geiste und den neuen Erkenntnissen anstrebt im Sinne der Forderungen E. M. Arndts: Einfalt, Ganzheit, Einheit; die Grundlage dafür bieten die bodengebundenen Kräfte der Grundschicht. -- Die kritische Bibliographie der elsässischen Volkskundeforschung, in der Linckenheld < 1848> über 900 Werke anführt, ermöglicht eine Übersicht über die seit 1918 stark wachsende elsässische Volkskundearbeit; die meisten der Werke sind deutsch geschrieben oder auch in Deutschland geschrieben. Daß das Elsaß ein deutschsprachiges Land ist, betont der Verf.; aber daß das gleichartige Volkstum, durch das sich das Land auszeichnet, aus mehrtausendjähriger bodenständiger Rasse herstammt, wie er sagt, wird er schwerlich beweisen können.


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