III. Preußen.

Nach einem Rückblick auf die Entwicklung des brandenburgischen Geheimen Rates von der Begründung bis zum Tode Georg Wilhelms gibt Oestreich < 1940> ein anschauliches, bis ins einzelne gehendes Bild vom organisatorischen Aufbau, der Geschäftsverteilung und dem Geschäftsgang sowie den Aufgaben des Rates in den ersten Regierungsjahren des Großen Kurfürsten. Er zeigt, wie sich Friedrich Wilhelm den Rat für seine Zwecke umgestaltete, ihn zum Mittel seines persönlichen Regimentes machte. Ö. kennzeichnet diese Regierungsweise als eine glückliche Verbindung des kollegialen Ratssystems mit der persönlichen Kabinettsregierung. In der Ratsordnung von 1651 sieht Ö. einerseits die Festlegung eines lang geübten Brauches, darüber hinaus den Ansatz für die künftige preußische Regierungsverfassung, nämlich die Vereinigung von Kabinettsregierung und Verwaltung durch unabhängige, nach kollegialen Grundsätzen arbeitende Zentralbehörden. -- Friedrichs des Großen Stellung zu Volk, Staat und Recht untersucht Schmidt < 1942>. Er kennzeichnet den König als den Mann des nüchternen Denkens, dem das Volk nur eine Summe von Einzelwesen ist, der rein staatlich denkt und handelt. Wie er in Recht, Wirtschaft und Kultur den Gedanken der Humanität zu verwirklichen sucht, das erstrebte Humanitätsideal mit den nüchternen Forderungen der Staatsräson verbindet, den Ausgleich findet in der aus der rationalistischen Staatsvertragslehre abgeleiteten sittlichen Pflicht zum Dienst an der Gesamtheit und Hingabe an den Staat, wird von Sch. klar herausgearbeitet. -- Der 15. von Posner < 1939> in bewährter Form bearbeitete Band der Acta Borussica enthält die Akten vom April 1769 bis zum September 1772. Sie zeigen die fortschreitende Auflösung der kollegialischen Verfassung des Generaldirektoriums, die Bildung selbständiger Fachbehörden in der Form von Sonderaufträgen an die einzelnen Minister; besonders tritt die Tätigkeit des Ministers von Hagen hervor. -- Einen auf gründlichem Quellenstudium beruhenden Beitrag zur preußischen


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Verwaltungsgeschichte liefert E. Ruppel-Kuhfuß mit ihrer 1937 erschienenen Abhandlung über »Das Generaldirektorium unter der Regierung Friedrich Wilhelms II« (Würzburg, Triltsch, 167 S.). Die notwendige Reform im Sinne einer Zusammenfassung und Vereinheitlichung der obersten Stellen versuchte die Instruktion vom 28. 9. 1786 in bewußter Abkehr vom friderizianischen System dadurch zu erreichen, daß sie den Grundsatz der Kollegialität im Sinne Friedrich Wilhelms I. wiederherstellte, um damit die »Departementssouveränität« der Minister zu brechen. K. zeigt den entscheidenden Anteil Wöllners auf, von dem die Umgestaltung in Idee und Durchführung stammte; die Neuverteilung der Departements an die einzelnen Minister richtete sich nach seinen Wünschen. Bei der Reorganisation des Bau- und Forstwesens zwangen ihn aber sachliche Notwendigkeiten, im Gegensatz zu dem von ihm selbst aufgestellten Programm das von Friedrich dem Großen begonnene System der Spezialdepartements, wenn auch unter stärkerer Eingliederung in das Generaldirektorium beizubehalten. Es ist das Verdienst von R.-K., an Hand der Akten die vollständige Abhängigkeit Friedrich Wilhelms II. von Wöllner nachgewiesen zu haben; so daß man fast den Berater als den ungekrönten König Preußens bezeichnen kann. Seinem Einfluß entsprach aber nicht seine Stellung, so daß infolge der Unfähigkeit des Königs, die Einheit im Generaldirektorium zu wahren, die Eigenmächtigkeiten der Minister zunahmen. Auch Wöllner hatte kein klares Ziel, einerseits erstrebte er die Kollegialität, andrerseits unterstützte er die Selbständigkeit der Spezialdepartements. Persönlich uneigennützig hatte er zwar eine ziemliche Verwaltungskenntnis und Verständnis für die Notwendigkeit von Reformen, für eine umfassende Neugestaltung und Fortentwicklung fehlte ihm aber die Kraft. Die Folgerung daraus, daß die Wiederherstellung des kollegialischen Geschäftsganges mißglückte, zog die Instruktion von 1798, die den einzelnen Departements die notwendige Selbständigkeit gewährte. Ansätze dazu finden sich, wie R.-K. nachweist, schon in den Instruktionen für das Oberkriegskollegium und die Oberrechenkammer 1796. -- Anknüpfend an die Arbeiten von Schmoller, Steinbach-Bardeleben und Winkler entwirft Botzenhart < 1941> ein Bild des preußischen Städtewesens im 18. Jh. Seine Darstellung zeigt, im Gegensatz zu der herrschenden Meinung, daß der Gedanke der Selbstverwaltung der Städte, der Mitarbeit der Bürgerschaft auch im 18. Jh. fortbestanden hat, daß die Steinsche Städteordnung keinen radikalen Umbruch bedeutet. Im einzelnen weist er nach, daß die Reformen Friedrich Wilhelms I. notwendig waren, um das durch eigene Schuld der Bürger zerrüttete Städtewesen in Ordnung zu bringen, sie zur Erfüllung der staatlichen Pflichten leistungsfähig zu machen. Die Befugnisse der Magistrate wurden zwar beschränkt, doch wurden sie nicht vollends zu staatlichen Aufsichtsbeamten herabgedrückt; auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit, des Schul-, Armen- und Stiftungswesens sowie der Polizei blieb ihnen ein genügender Wirkungsbereich. In Deputationen und Ausschüssen wurden einzelne sachverständige Bürger zur Mitarbeit herangezogen. B. weist darauf hin, daß der sich in der Reformzeit bildende Begriff der städtischen Selbstverwaltung in vielen Punkten sich an die im allgemeinen Landrecht niedergelegte Städteordnung anlehnt. Das grundsätzlich Neue in den Steinschen Reformen sieht er weniger in dem veränderten Verhältnis der Stadtverordneten zum Magistrat, als in der Befreiung der Städte von der staatlichen Vormundschaft, in dem großen Vertrauen, das der Staat in die

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Bürgerschaft nunmehr setzt, vor allem aber in der veränderten Auffassung von den Aufgaben des Staates sowie der politischen Zielsetzung, die Stein der städtischen Selbstverwaltung gibt. -- An gleicher Stelle (Jb. Kommunalwiss., 2, Hbbd. 2, S. 53--84) schildert J. H. Tapolsky die Entwicklung des Landkreises in Preußen von den ersten Anfängen bis in die Gegenwart; dieser von einem Verwaltungsfachmann geschriebene Aufsatz ist auch für den Historiker anregend. --Winklers < 1946> Abhandlung über Johann Gottfried Frey ist mehr als eine Lebensbeschreibung dieses Mitarbeiters von Stein; sie gibt zugleich ein anschauliches Bild von der städtischen Verwaltung Königsbergs in der zweiten Hälfte des 18. Jh.'s. Das Wirken der städtischen Bürokratie, die Ansätze zu einer Neugestaltung (Mitarbeit einzelner Bürger in Ausschüssen, das Erwachen einer neuen Berufsgesinnung in einem Teil der Beamtenschaft) werden geschildert. Freys Verwaltungstätigkeit, seine Reformen und Vorschläge auf einzelnen Gebieten (Armenwesen, Polizei, Feuerwehr) werden dargestellt. Sie zeigen ihn als einen erfahrenen Praktiker der Stadt- und Staatsverwaltung, zugleich aber auch als einen vom preußischen Geist erfüllten, verantwortungsbewußten Mann. Aus seiner Verwaltungstätigkeit und den Erfahrungen, die er in den Kriegsjahren als Polizeidirektor und stellvertretender Stadtpräsident machte, entstanden seine Vorschläge zur Reform der städtischen Selbstverwaltung. Eingehend behandelt W. die den Reformen vorausgegangenen Verhandlungen und Beratungen. -- Die Unterschiede zwischen Stein und Frey werden von W. herausgearbeitet. Frey als Beamter neigte dazu, dem städtischen Beamtentum einen gewissen Vorrang zu gewähren, während Stein den größeren Wert auf die ehrenamtliche Mitarbeit der Bürgerschaft legte. Verstärkt wurde Freys Neigung durch seine Erfahrungen mit der Bürgerschaft während der Besatzungszeit. Die mannigfachen Schwierigkeiten, die sich bei der Durchführung der Reform ergaben, gaben Frey zum Teil recht. Im letzten Kapitel wird noch knapp seine Tätigkeit bei der Königsberger Regierung geschildert. --

Die Frage der Klage gegen Verwaltungsbeamte wegen Amtspflichtverletzung und die damit zusammenhängende nach der Feststellung der Grenzen der Amtspflicht betrachtet Wagner < 1947> in seiner lebendig geschriebenen Abhandlung als Sinnbild des Kampfes zwischen Justiz und Verwaltung, des Kampfes zwischen dem individualistischen, normativen Denken und dem staatlichen Ordnungsdenken. Zunächst schildert er die Unterschiede, die sich in Preußen durch Organisation, Verschiedenheit der Ausbildung, des Verfahrens, durch Überlieferung und damit verbunden politische Ausrichtung zwischen den Verwaltungsbeamten und Richtern im allgemeinen und besonders im 18. und 19. Jh. ergaben. Er kennzeichnet die Richter als die Vertreter des antistaatlichen, ständischen bzw. liberalen Prinzips. Anschließend werden die Stellung der Wissenschaft und die Staatspraxis in der Frage der Amtspflichtverletzung bis 1848 behandelt. Während in der Theorie sich der Gedanke durchsetzte, daß jede Rechtsverletzung vor den ordentlichen Richter gehöre, wurde praktisch nur die Unabhängigkeit der Richter verwirklicht. Der zweite Hauptteil schildert das Verhältnis von Justiz und Verwaltung seit 1848 und das Konfliktgesetz von 1854, seine Entstehung und Fortentwicklung. W. kennzeichnet es als Kompromiß zwischen den Notwendigkeiten des Staates und den liberalen Forderungen. Die parlamentarischen Auseinandersetzungen um das Konfliktgesetz bis zu


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seiner Aufhebung 1919 sind für W. der Ausdruck der großen geistigen Auseinandersetzung des 19. Jh.'s zwischen Staat und Individuum. So anregend auch W.s These ist, ihr scharfes Herausarbeiten auch manche neue Erkenntnis vermittelt, so führt sie doch zu einer teilweisen Verzeichnung der geschichtlichen Wirklichkeit und zu Widersprüchen in Einzelheiten. M. E. ist es bedenklich, die Verwaltung mit dem Staat gleichzusetzen, ihr Richtertum, Bürgertum und Liberalismus als staatsgegnerisch gegenüberzustellen. W. übersieht, daß die Gegnerschaft des Bürgertums gegen den Staat in der Restaurationszeit nicht einer grundsätzlichen Staatsfeindschaft entspringt, sondern die Auswirkung davon war, daß der den Staat beherrschende Adel dem Bürgertum die Gleichberechtigung versagte. W. beachtet auch nicht, daß die Forderung nach einer Begrenzung der Verwaltung durch die Gerichte, gerade aus der z. T. parteiischen Handhabung der Verwaltung durch die herrschenden Schichten zu erklären ist. Zu falschen Schlüssen führt auch leicht die Gleichsetzung von konservativ und adlig, sowie liberal und bürgerlich. Als Beitrag zur Geschichte der Staats- und Rechtsauffassung des vorigen Jh.'s ist W.s Arbeit wertvoll dadurch, daß sie den Anlaß zu weiterer Forschung auf diesem schwierigen Gebiete des Eindringens der liberalen Gedanken in Deutschland und ihre Verbindung mit deutschen Gedanken geben kann.


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