d) Reformationsgeschichtliche Einzelliteratur.

Während Meinholds oben genannte Arbeit weithin die Theologie der Melanchthonschüler behandelt, führt Moldaenke zu einem der treuesten Schüler Luthers, Flacius Illyricus, dessen Name durch das große historische Werk der Magdeburger Zenturien dem Profan- und Kirchenhistoriker in gleicher Weise vertraut ist < 2342>. Auch als Hermeneut hat Flacius schon lange Aufmerksamkeit erregt. Kein Geringerer als W. Dilthey hat in ihm den Begründer der protestantischen Hermeneutik erkannt. Im Gegensatz zum katholischen Traditionsprinzip entsteht die protestantische Forderung, »durch ein Organon der Exegese die normative Selbständigkeit der Schrift darzutun«. Für Dilthey handelt es sich um die Einordnung dieser Tat des Flacius in die aufsteigende Welt des modernen Geistes. M. hat sich ein anderes Ziel gesetzt. Er gibt die theologische Ableitung der flacianischen Hermeneutik, und so liest sich sein Werk weithin als eine Gesamtdarstellung der Theologie des Flacius. M. stellt in ihm den Humanisten dar, der unter dem überwältigenden Einfluß Luthers die reformatorische Schriftwertung übernimmt, ohne aber auf den Humanismus als wissenschaftliche Methode verzichten zu können. Der große Umfang des Werkes erklärt sich aus den vielen wörtlichen Beigaben, die aus den schwer zugänglichen oder ungedruckten Werken des Flacius entnommen sind. Besondere Anerkennung bei diesem Thema verdient, daß die stark systematische Begabung den jungen Verfasser nicht dazu verführt, Geschichte im Sinne einer theologischen Richtung zu verfälschen. Wenn von ihm aus der Freude an den reichen Ergebnissen heraus gefordert wird, daß nach Abschluß der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers ein Corpus der Nachreformatoren geschaffen würde, so ist diese Aufgabe im Hinblick auf Flacius und auch manche anderen wichtig. Immerhin ist Clemens Einspruch zu beachten, der eine Ausgabe der Werke der Mitreformatoren wie Bucer, Brenz, Bugenhagen u. a. als vordringlich ansieht. -- Einer der erbittertsten Gegner des Flacius an der Jenaer Universität war Johann Stigel, der mit vollem Recht durch Pflanz der Vergessenheit entrissen worden ist < 2343>. Denn dieser neulateinische Dichter und Jenaer Universitätsprofessor ist ein Laie, so daß man in seinen Werken Laientheologie und -frömmigkeit vor sich hat. Dies erkannt zu haben, macht den Wert der vorliegenden Arbeit aus. Stigel, der seinem Landesherrn von Wittenberg nach Jena folgte, ist durchaus ein Schüler Melanchthons. Doch geht die geistige Abhängigkeit nicht soweit, daß er das Interim gebilligt hätte. -- Über Bucer als protestantischen Politiker handelt die Königsberger Dissertation von G. Schmidt < 2344>. Er leitet aus der bisher unbeachteten


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Schrift Bucers »das ym selbs niemant sonder andren leben soll und wie der mensch dahyn kummen mög« das Eigene an Bucers Tätigkeit ab. Wie jemand sich im Dienst einer Sache verzehren soll, das hat Bucer als Organisator selbst verwirklicht. Als Ganzes ist die Arbeit gegen die Auffassung gerichtet, die Bucer vorwärts zu Calvin und rückwärts zu Luther darstellt. Aber über das Gelingen dieser Aufgabe läßt sich auf Grund des Teildrucks kein Urteil fällen. --Krahns Arbeit < 2355> gibt ein anschauliches Bild von dem Leben, dem Kampfe und der Theologie des Führers des leidsamen Täufertums. Keineswegs ist eine lückenlose Lebensbeschreibung möglich. Es bleiben notwendig Lücken, da es sich um das verborgene Leben eines verfolgten Kämpfers handelt. Die theologische Wertung läßt erkennen, wie wenig Luther für diesen Täufer bedeutet hat. Eher ist an die Abhängigkeit von Sebastian Franck zu denken. Im übrigen ist dies Leben ein Kampf gegen alle -- gegen Katholiken und Kalvinisten, nicht am wenigsten gegen die aufrührerischen Geister im eigenen Lager.


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