I. Allgemeines.Die mutmaßliche Tendenz des im
Erscheinen begriffenen polnischen Sammelwerks Dzieje Prus Wschodnich (Geschichte Ostpreußens; T.
1, 1--5. Thorn, Baltisches Inst.) dürfte von Maschke und von Forstreuter (Altpr. Forsch., Bd. 13, S. 159 f.; Mitt.
Ver. Gesch. Ost- u. Westpr. Jg. 12, S. 16 ff.) zutreffend charakterisiert sein. Der erste Beitrag,
Lowmiański: »Das heidnische Preußen« unterstreicht sehr stark den
Kultureinfluß Polens auf Preußen in der Vorordenszeit. Galincdien, das heutige Masuren, sei damals in den
Kämpfen zwischen Polen und Preußen in die Einöde verwandelt; Massowier hätten es dann seit dem 14.
Jh. wieder besiedelt. So wird der Einfluß des Ordens dort gleichsam ausgeschaltet. Im Nordosten, im Gebiet der
Schalauer und Nadrauer, müsse schon damals eine litauische Einwanderung stattgefunden haben. Vom religiösen
Standpunkt scheide die Geschichte der Preußen keine scharfe chronologische Demarkationslinie, habe doch
Bolesław Chrobry den ersten Versuch zu deren Christianisierung gemacht. Immerhin gibt L. an, die Preußen
hätten zu Beginn des 13. Jh.'s Einfälle nach Masowien unternommen, dessen Herzog Konrad den Deutschen Orden
ins Land gerufen hätte. Hingegen bestreitet Tymieniecki in einem Beitrag: »Die polnische
Mission in Preußen und die Berufung des Ordens«, daß der Masowierherzog unter dem Druck der
preußischen Angriffe den Orden um Hilfe gebeten hätte, ohne daß er einen anderen Grund für die
Anknüpfung des Herzogs mit diesem anzugeben weiß. Der Kruschwitzer Vertrag von 1230 wird von T. im Einklang
mit der älteren Forschung (Perlbach, Kętrzyński) gegen Seraphim, Caspar, Maschke für eine
Fälschung gehalten, obgleich er sich zwanglos in die Reihe der Verleihungen des Herzogs an den Orden einfügt.
Im übrigen ist dieser Aufsatz wissenschaftlich sehr gediegen. Zagączkowski schildert in
seinem Beitrag »Die Eroberung und Kolonisation Preußens durch den Orden« kurz den Gang der
Eroberungskämpfe und erkennt an, daß von einer Ausrottung der Preußen keine Rede sein kann. »Dies
arme, von Heiden bewohnte Land von niedriger Kulturstufe wurde zu einem gut bewirtschafteten, von den Einflüssen
christlicher Zivilisation erfaßten Gebiet und nahm im Lauf der Zeit ein immer stärkeres deutsches Aussehen
an.« Stehen auch die Deutschen unter den Siedlern an erster Stelle, so hätten die deutschen Forscher den
deutschen Anteil an der Einwanderung doch übertrieben, was freilich Kętrzyński für den
polnischen Anteil auch getan hätte. Aber auch Z. vermag gleich diesem der Versuchung
S.428 nicht zu widerstehen, die polnische Einwanderung nicht bloß möglichst umfangreich, sondern auch möglichst frühzeitig anzusetzen. Er fußt dabei auf den überholten Untersuchungen Toeppens, würdigt Gauses exakte Ermittlungen nicht in ihrer Bedeutung und übergeht von neueren Forschern namentlich Saborowski, Gollub und Schmauch sowie Krollmanns aufschlußreichen Aufsatz in Zs. d. Westpr. Gesch.-Ver., Bd. 64. Z. macht nicht den ja auch zweifellos aussichtslosen Versuch, das zahlenmäßige Verhältnis der deutschen und der polnischen Siedler zu bestimmen, doch zeigt gerade die geringe Zahl seiner Belege für das 14. Jh., wie unerheblich der Anteil der im übrigen ja unter deutscher Staatsführung erfolgten slawischen Kolonisationsarbeit vor dem 15. Jh. gewesen ist. Dem Beitrag von Koczy, »Die Ostseepolitik des Deutschen Ordens« <vgl. 785 zum selben Thema> hat Maschke (Altpr. Forsch., Bd. 14, S. 162 bis 164) eine eingehende und treffende Kritik gewidmet. Er betont mit Recht, daß K. das Wesen des Ordensstaats nicht verstanden hat. Daraus erklärt sich der innere Widerspruch der Ausführungen K.s. Einerseits handelt er recht ausführlich über die »Passivität« des Ordens zur See, meint, daß dieser die sich ihm aufdrängenden Aufgaben auf der Ostsee nich gelöst habe, andererseits erkennt er diese Passivität für politisch berechtigt an, weil der mit der polnisch-litauischen Feindschaft belastete Orden keine Seepolitik habe treiben können. Wenn er meint, der Orden habe Gotland »im Triumph« erobert und es »gedemütigt« aufgegeben, so entspricht das weder den Tatsachen noch den Absichten des Ordens. Einen Widerspruch sehe ich auch darin, daß der Orden einerseits die Handelsinteressen seiner Städte in Westeuropa energisch vertreten, diese aber auch seiner Politik geopfert hat, oder darin, daß die finanzielle Notwendigkeit zur Erhebung des Pfundzolls anerkannt, darin zugleich aber ein Mißbrauch der Staatsgewalt gesehen wird, wie übrigens auch in dem sehr ausgedehnten Eigenhandel des Ordens. Aber so sehr K.s Ausführungen zum Widerspruch reizen, so sehr regen sie auch zu einer neuen Untersuchung der Ostseepolitik des Ordens an. Der Beitrag Buczeks, »Die geographisch-historischen Grundlagen Ostpreußens«, sei hier nur vom politischen Standpunkt gewürdigt. Er schließt mit dem Satz: »Überflüssig wäre es, sich darüber auszulassen, welche Folgen das Bestehen der ostpreußischen Enklave für das wiedererstandene Polen mit sich bringt«. 1466--1772 hätte Polen sich in die endlosen litauisch-russischen Räume locken lassen. »Das Resultat war, daß die Republik ihre Grenzen nicht um die zur Hälfte von Polen und Litauern bewohnte Provinz abrundete, und daß es ihr niemals gelang, die beiden Weichselufer oder die Njemenmündung ganz zu besitzen.« Seltsam genug, daß B. damit Ostpreußen doch als ein Ganzes anzuerkennen scheint; denn in seinen Ausführungen trennt er es immer wieder in das Seengebiet im Süden und in das Land »jenseits der Seen«; oder »Ostpreußen bildet ein Flickwerk aus einigen verschiedenen Stromgebieten, von denen zwei, nämlich die der Weichsel und des Njemen, die zusammen die Hälfte des Gebietes einnehmen, gewissermaßen seine Grenzen sprengen«. Das Kerngebiet bilden die nach der Mitte zusammengedrängten Stromgebiete des Pregel, der Passarge und der übrigen kleinen Küstenflüsse, zusammen rund 20_000 qkm.« Ohne die frühe Verschlechterung der preußisch-polnischen Beziehungen »wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach im Lauf der Zeit zur Zurückdrängung der Grenze Preußens in der Richtung auf die Wasserscheide zwischen den Stromgebieten der Weichsel und derS.429 Passarge gekommen. In ihrer heutigen Gestalt, also nach dem Verschwinden der Umrahmung der Heiden (NB.: Polen und Pommerellen sind freilich früher christianisiert als Preußen!), können die Grenzen dieses Landes nicht zu den natürlichen gezählt werden.« Endlich sei erwähnt, daß Konrad von Masowien wegen seiner Anknüpfung mit dem Orden entschuldigt wird: »es war nicht seine Schuld, daß er bei den Rittern der allerseligsten Jungfrau Maria nicht auf ritterliche und christliche Redlichkeit stieß, sondern auf wirklich durchtriebene Hinterlist und Treubruch«. Es gibt den Ausführungen B.s ein besonderes Gewicht, daß mit seiner Abhandlung diese Geschichte Ostpreußens eingeleitet wird.Die von
der ost- und westpreußischen Historischen Kommission unter Krollmanns Leitung herausgegebene
Altpreußische Biographie <
47> bringt nicht wie entsprechende Werke anderer Kommissionen
verhältnismäßig wenige, aber ausführliche Lebensbilder, sondern nur ganz knappe, aber sehr
zahlreiche Biographien aller namhaften Ost- und Westpreußen, gleichgültig, ob diese in ihrer Heimat oder
außerhalb gewirkt haben, und aller derer, die in diesen Provinzen gewirkt haben, aber außerhalb geboren
sind. Die bisher erschienene 1. Lieferung bringt auf 32 Seiten etwa 180 Biographien von 47 Verfassern; jedem Artikel ist
ein guter Quellennachweis beigefügt. -- Das Verzeichnis der bisherigen Bücher und Aufsätze von Christian
Krollmann <
52> umfaßt rd. 130 Nummern aus den Jahren 1895--1935. In den ersten
Jahren stehen Abhandlungen zur Burgenkunde voran, dann beschäftigt K. in steigendem Maß die Geschichte seiner
Wahlheimat Ostpreußen, namentlich die Ordenszeit und das 17. Jh. --Mager <
2057> schildert kurz den wirtschaftlichen Zustand der ehemaligen Provinz
Westpreußen und des Netzegebiets vor der Ordenszeit, etwas ausführlicher die Aufbauarbeit des Ordens,
durchweg ohne eigene Urkundenstudien. Das Hauptgewicht liegt auf der Darstellung des Niedergangs dieser Gebiete zur
polnischen Zeit. Freilich von originellen Quellen dieser Zeit verwertet M. nur gelegentlich die 1582 erschienene
Geschichte des 13 jähr. Krieges von Runau und die wenig ergiebigen Akten aus der Zeit des brandenburgischen
Sequesters 1630--1635. Im übrigen ist seine Arbeit auf der Verwertung einer naturgemäß sehr
ungleichartigen Literatur, auf den Akten des Generaldirektoriums und namentlich auf den nach der Wiedervereinigung
Westpreußens 1772 angelegten Kontributionskatastern aufgebaut. So gibt er eigentlich ein Bild vom Zustand des
Landes um 1772, und in dieser Begrenzung ist seine Arbeit wertvoll. Aber sie zeigt nur das Resultat der polnischen
Herrschaft, einen geradezu ungeheuerlichen Kulturverfall in Stadt und Land; doch die Geschichte dieses Verfalls ist noch
ungeschrieben (Rez. von Krannhals in Mitt. d. Westpr. Gesch.-Ver., Jg. 36, S. 45). -- Die Arbeit von
Harmjanz <
1547> ist aus einer Antrittsvorlesung erwachsen. Er schildert den Gang der
Besiedlung Ostpreußens und versucht Volkskunst, Dorf- und Hausformen -- das ostgermanische Vorlaubenhaus ist
über die Preußen zu den Deutschen gekommen -- und Brauchtum zu den Ergebnissen der Siedlungsforschung in
Beziehung zu setzen, ein sehr fruchtbarer Gedanke, der also die enge Zusammenarbeit von Geschichts- und
Sprachwissenschaft, die von H. auch betont wird, durch die Volkskunde erweitern will; solche Zusammenarbeit dürfte
geeignet sein, zu reichen und sicheren Ergebnissen für die Bevölkerungsgeschichte zu führen. Ein 2. Teil
behandelt ohne inneren Zusammenhang mit dem 1. die Grenzen
S.430 der altpreußischen Landschaften, und zwar mit besonderer Ausführlichkeit die sehr schwierigen Grenzverhältnisse im Süden. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Grundsätzlich sei gesagt, daß für eine Untersuchung der altpreußischen Landschaftsgebiete nicht an den Ergebnissen der Vorgeschichtsforschung vorübergegangen werden dürfte, und daß es noch erwiesen werden müßte, ob die Landschaften der letzten Vorordenszeit ohne weiteres mit den aus der Überlieferung des 13. und 14. Jh.'s ermittelten Landschaftsgebieten gleichzusetzen sind. |
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