VI. Historische Geographie und Siedlungsgeschichte.

Die Siedlungsgeschichte hat sich mehr und mehr zum stärksten Faktor landesgeschichtlicher Wissenschaft entwickelt und bildet mehr als andere Zweige derselben zugleich das Verbindungsglied zur Gesamtgeschichte des deutschen Ostens, da die Siedlerströme noch nicht an die zumeist erst später festgewordenen Territorialgrenzen gebunden waren. Bei dieser Sachlage ist es unbedingt notwendig, die siedlungsgeschichtlichen Neuerscheinungen, soweit sie auf dem Boden der Landesgeschichte erwachsen sind, auch im Rahmen der landesgeschichtlichen Abschnitte hier zu behandeln. Herberts Ludats Buch über »Die ostdeutschen Kietze« < 1545> ist die reife Frucht langer Arbeit des Verf. Bisher als Ghetto des bei der ostdeutschen Stadtgründung verdrängten Slawentums geltend, wird der Kietz hier als Wohnplatz der bei einer slawischen Landesburg wohnenden Dienstmannen erwiesen. Weder P. van Niessen noch andere haben diese Frage so konsequent zu Ende gedacht, wie es hier geschieht. Wie die Kernfragen, so ist auch das Thema der Kultur der Westslawen, die Frage nach ihrem Verbleib nach der Eindeutschung des Landes und nach der Dauer der Nachweisbarkeit


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von Slawen in unseren Gebieten mit dankenswerter Vorurteilsfreiheit behandelt. Möchte die Arbeit gerade hinsichtlich ihrer Unvoreingenommenheit Schule machen! Nur dann wird die Wissenschaft eine scharfe Waffe bleiben. -- Gleiches gilt von Herbert Ludats ergänzenden Aufsätzen über die »Bevölkerungsbewegung in den ostdeutschen Kietzen« < 1501> und über die »Kietzerschulzen« < 1954>, die ergeben, daß die Kietze infolge des deutschen Blutzustroms nicht länger slawische Volkszugehörigkeit bewahrten, als andere Siedlungen, und daß die Funktionen der Kietzerschulzen sich nicht wesentlich von denen anderer deutscher Dorfschulzen unterschieden. -- Dem schon von Müllenhoff für deutsch erklärten Namen der Havel stellt Ludat den Namen »Wublitz« als wahrscheinliche slawische Bezeichnung der Havel zur Seite < 433>. Mit Interesse darf man den weiteren Untersuchungen über topographische Namen entgegensehen, die wohl erstmalig hier zugleich von der Basis guter sprachphilologischer Schulung und objektiver Einstellung erfolgen.

Gerhard Fischers Buch über die Siedlungsgeschichte des Landes Lebus < 1557> umfaßt die Gesamtheit der Entwicklung. Gute Kenntnis der schlesischen Geschichte, eine ausgezeichnete geographische Unterbauung des Ganzen, landwirtschaftliche und landschaftliche Vertrautheit zeichnen die Arbeit aus. Deutscher Rodungssiedlung im nordwestlichen Höhenlande steht die Umsetzung slawischer Besiedlung im Süden und Osten gegenüber. Sollte es keine magdeburgische Siedlung im Lebuser Gebiet, wie jenseits der Oder gegeben haben? Sowohl den Veränderungen des 16. Jh.'s, wie der Kolonisation der absolutistischen Zeit wird Verf. gerecht. -- Einige Kernprobleme ma.'licher Kolonisation behandeln Hans-Heinrich Schefflers »Beiträge zur Besiedlungsgeschichte der Herrschaft Ruppin« < 1554>. Beobachtungen auf Grund verschiedenartiger Pfarrausstattung führen Sch. zur Annahme genauerer Termine für den Besiedlungsbeginn in einzelnen Teilgebieten, als wir sie bisher kannten. Seine These, der Schulze sei ganz allgemein früher im Lande gewesen als der Ritter, er sei auch ein freier Mann gewesen, ist abzulehnen. Der germanische Freiheitsbegriff ist nicht recht verstanden; örtliche Ruppiner Verhältnisse, wo eben die Arnsteiner über dem Schulzen standen, werden mißverstanden und dann verallgemeinert. Die These vom völkischen Ursprunge der Kossäten ist bereits von anderer Seite abgelehnt worden (s. o. die Anzeige des Sorauer Landregisters von J. Schultze, ferner Herbert Ludat in Forsch. z. br. u. pr. Gesch. 49, S. 210). -- Über die »Wüstungen in den Kreisen Ruppin und Templin« weiß Werner Sorg (Diss. Berlin 1936) Gescheites zu sagen. Mit Recht sieht er in Fehden und schlechtem Boden die Hauptursachen des Wüstwerdens. Auch bei Templin werden beide Ursachen zutreffen. Die richtige Erkenntnis, daß der negative Vorgang nicht ohne Inbeziehungsetzung zur positiven ma.'lichen Siedlung behandelt werden kann, verleitete Verf. zu einer gänzlich unzureichenden, teilweise unkommentierten Darstellung der slawischen und deutschen Besiedlung seiner Gebiete.

Verblüffende Ergebnisse scheint Friedrich Bestehorns »Deutsche Urgeschichte der Insel Potsdam« < 1406> zu haben. Eine genaue Überprüfung der Beweisführung ergab, daß die behauptete Konstanz der Bauernstellen von 1375 bis ins vorige Jahrhundert bei keinem der Inseldörfer auch nur entfernt vorhanden ist. Beim Paradebeispiel Bornim ist die Übereinstimmung der Hufenzahlen von 1375 und 1844 nur durch eine glückliche Verlesung der Ziffern des


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Landbuchs zustandegekommen. Auch bei der Behandlung der Flureinteilung vermißt man den Grad der Sauberkeit, der Voraussetzung wissenschaftlicher Arbeit ist und bleiben muß. -- Da ist die Arbeit eines Nichtfachmannes fast eine Mahnung an die fachlich Vorgebildeten, sich zu besinnen: Erich Metzenthin, »Zur Besiedlung der Mittelmark« < 1555>, zeigt außer vernünftigem Menschenverstand und Unvoreingenommenheit so gute landwirtschaftliche Kenntnis, daß einige Arbeitshypothesen Gleys zur Scheidung deutscher und slawischer Siedlung ins Schwanken geraten. Es ist hiernach in der Tat zweifelhaft geworden, ob das Einhufensystem ursächlich auf slawische Verhältnisse zurückgeht und nicht vielmehr auch die Ausstattungsweise der Siedler zu Beginn der Kolonisation (bes. in der Altmark z. B.) ist, die mit fortschreitender Erkenntnis der schlechten Bodenerträge durch das Zwei- und Mehrhufensystem ersetzt wurde. Auch gestattet die Höhe der Hufenabgabe keinen Schluß auf die ursprüngliche Volkszugehörigkeit des Steuerzahlers, sondern hat ihren Grund ebenfalls in der Ertragsfähigkeit des Bodens. Die besonders in letzter Zeit immer häufiger werdenden Versuche, ma.'liche Hufenangaben in Beziehung zu solchen des 18. Jh.'s zu setzen, erscheinen ganz abwegig, wenn, wie Verf. mit Recht annimmt, die Hufe nur das zur Zeit der Aufstellung des jeweiligen Steuerkatasters beackerte Land, nicht aber Wiesen, Weiden und Wälder umfaßt, Veränderungen der beackerten Fläche also die Hufenzahlen oftmals verschoben haben.

Zur neueren Siedlungsgeschichte lieferte Hansjörg Tröger einen tüchtigen Beitrag < 1556>. Ohne die staatspolitischen Ziele des königlichen Kolonisators, die allgemeinen wirtschaftspolitischen Zwecke der Spinnerdörfer aus dem Auge zu verlieren, werden die Einzelheiten behandelt. Bisher vernachlässigte Gesichtspunkte, wie das privatkapitalistische Moment bei der friderizianischen Kolonisation werden in dankenswerter Weise hervorgehoben.


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