II. Historische Landeskunde, einschließlich Ortsgeschichte.

Mehrere Arbeiten im Berichtsjahre befassen sich mit der Entstehung des Leipziger Stadtbezirks, der Ausdehnung seines Einflusses innerhalb der Bannmeile und der Gegenwirkung von außen her. R. Kötzschke < 256> überblickt in seinem Aufsatz die älteste Zeit des Burgwards und der Stadtgründung mit deren Folgen für Besitz, Gericht und Verkehr innerhalb der von Markgraf Otto bestimmten Bannmeile, und weist schon darauf hin, daß ebenso zollpolitische Maßnahmen in Sachen des Weggeldes wie geistige Ausstrahlungen und sprachliche Gemeinschaft von früh an eine besondere Verbundenheit von Stadt und Land innerhalb der Bannmeile schaffen. Sie wird noch stärker, als die Stadt trotz der Landsässigkeit unter den Wettinern eine eigene Geschäftsführung zu entwickeln vermag, die sich ebenso auf die Zunahme von eigenem Besitz gründet wie auf die steigende Bedeutung von Wissenschaft und Kunst in Leipzig selbst. -- Im Anschluß an eine Arbeit Krokers verfolgt M. Rössiger < 256>, wie die Rechtsetzung Markgraf Ottos durch die Zollfreiheit von 27 Dörfern die Grundlage für einen engeren Handelsverkehr und zugleich die Voraussetzung für das spätere Wachstum der Stadt bildet. Die Erweiterung der Zollfreiheit für die Dörfer im Norden, Nordosten und Südosten innerhalb der Bannmeile bringt den großen Fortschritt bis zum 16. Jh., und dann wird auch der Widerstand Merseburgs im Westen und Tauchas im Nordosten allmählich umgangen oder beseitigt.

Darauf wirft eine umfangreiche einschlägige Untersuchung neues Licht. W. Emmerich < 2079> bietet sie mit seiner eindringenden Forschung über den ländlichen Besitz des Leipziger Rates von den Anfängen bis etwa 1700. Vorbild und Gegner zugleich war anfangs das Thomaskloster, das bis zur Säkularisation sich den größten Grundbesitz um Leipzig erworben hatte <1927, 1499a>. Aber im Gegensatz zu ihm sah der Rat bei seinen Erwerbungen weniger auf Einträglichkeit der Güter als auf Sicherung von Straßen und Handel und auf Steigerung seines Ansehens durch Besitz über das Weichbild hinaus. Am liebsten hätte er wohl stadtrechtliche Befugnisse über seine ländlichen Besitzungen erlangt, doch das gelang ihm auch bei den ersten nur zum Teil, weil der Landesherr sich nicht aller


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Rechte entäußern wollte, und bei den späterhin erworbenen Rittergütern mußte er sich wohl oder übel mit den grundherrlichen Rechten begnügen. Die älteste Erwerbung (1381) ist Eutritzsch, ihr folgen 10 Ortschaften bis 1543, worunter Lindenau dem Rate wegen der wichtigen Straßenlage sehr begehrenswert ist, aber auch wegen der Lehnszugehörigkeit zum Bistum Merseburg sehr teuer zu stehen kommt. Merseburg sah das Eindringen der Stadt in seinen Besitz höchst ungern und bereitete auch weiterhin große Schwierigkeiten. In der Säkularisationszeit von 1543 glückt dem Rat der Erwerb der Leipziger Klostergüter bis auf das Paulikloster, das mit allem Drum und Dran der Universität zugesprochen wird. 18 Ratsdörfer und außerdem Waldungen und Wiesen umfaßt jetzt der ländliche Besitz des Rates. Er wird bis 1607 noch durch Ankauf von 10 Rittergütern erweitert, aber dann kommt ein großer Rückschlag, der 1627 sogar zur landesherrlichen Ordnung und Überwachung des städtischen Rechnungswesens führt. Die Erträge aus den Gütern und Dörfern deckten bei weitem nicht die Zinsen für die Ausgaben, und noch schlimmer war, daß der Rat die letzten baren Gelder in verfehlte Mansfelder Spekulationen gesteckt hatte. Grundsätzlich wird jetzt jede noch bisher betriebene Eigenbewirtschaftung der Güter aufgegeben und alles auf Pacht abgestellt. Der kurfürstliche Kommissar Dr. Döring erpreßt für sich die Abtretung von Taucha (mit Dörfern), und weiterhin muß der Rat noch 13 Ratsortschaften aufgeben, um seine Schulden einigermaßen begleichen zu können. Da aber der 30jährige Krieg mit seinen Lasten einen wesentlichen Teil Schuld an den mißlichen Verhältnissen trägt, wird es mit seinem Ende auch wieder besser, und der Rat kann außer sonstigem Grund und Boden wieder 10 Ortschaften, darunter Taucha, in seinen Besitz bringen. Ausführlich erörtert E. weiter die Nutzung und Bewirtschaftung mit Zinsen und Anfällen aller Art, die Verhältnisse bei Eigenbewirtschaftung, Verpachtung und Erblehen und ganz besonders eingehend die Gerichtsherrlichkeit in den Dörfern und die Verwaltung durch die Stadt, zuerst nebenamtlich von Ratsbeauftragten, seit etwa 1560, vielleicht gar nach dem früheren Vorbild des Thomasklosters, von einer Landstube als eigener Abteilung. Im ganzen scheint festzustehen, daß die Angehörigen der Ratsdörfer in Einkommen und Recht gesicherter lebten als die Bauern von Rittergutsdörfern. Eine gute Übersicht über Inhalt und Schrifttum, sowie sorgfältige Aktenhinweise sichern dem Buch eine gute Aufnahme bei allen Forschern auf ähnlichem Gebiet.

Ob und inwieweit sich die Arbeit von J. Langer < 2081> über Freiberg mit dem Streben und Inhalt der Arbeiten über Leipzig berührt, kann ich nicht sagen, weil ich sie infolge unglücklicher Umstände nicht einsehen konnte. Ebendaher vermag ich auch den in der gleichen Zeitschrift erschienenen Aufsatz von A. Schwenke < 1767> über das Freiberger Amtsdorf Erbisdorf 1532--1632 usw. nicht zu besprechen, sondern hier nur für Forschungszwecke zu erwähnen.

E. Wild < 258> sagt von seinem Buch, daß es mit Liebe geschrieben sei, und jeder Leser wird das nachempfinden. Die Liebe zur vogtländischen Heimat, zu ihren Menschen und Bräuchen erfüllt jedes Kapitel, und wenn das Buch auch bei allem Sammlerfleiß nicht rein wissenschaftlich ist, so wird es trotzdem oder vielleicht gerade deswegen seine Liebe auf die Vogtländer ausströmen und sie mit neuem Stolz auf ihre alte Heimat erfüllen. Es ist ein geschichtliches Lesebuch, aus dem das gesamte Volksleben der seit mehr als 7 Jahrhunderten in sich abgeschlossenen Landschaft vor uns ersteht. Zugleich aber zeigt uns der Einblick in das Sonderleben des Vogtlandes, daß es zutiefst doch mit dem deutschen Gesamtleben


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untrennbar verbunden ist. Gerade das Aufspüren und Erkennen dieser Verbundenheit macht das Buch für alle Heimatforscher wertvoll und erschließt im Vergleich ebenso manches Neue, wie es Altbekanntes auch für das scheinbar so abgelegene Gebiet nachweist. Der Stoff ist so angeordnet, daß bei jedem Kapitel eine »Einleitung« die geschichtlichen Grundlagen und einen Überblick über die daraus folgende Entwicklung gibt und daß dann als »Quellen« ausgewählte Beispiele von Urkunden, Verträgen, Vorschriften und sonstigen Aufzeichnungen den Leser unmittelbar mit der Vergangenheit verbinden. Die Sprache der Zeugnisse aus alter Zeit hat W. im allgemeinen beibehalten und sie nur bei schwierigen Stücken dem Hochdeutschen angenähert; lateinischen Quellen hat er verständigerweise die Übersetzung beigefügt. So lassen sich die Quellen meistens ohne Schwierigkeiten lesen, nur könnten hier und da noch mehr Wörter für den Laien erklärt werden (z. B. schildechte, S. 44, vor lesen, S. 132, unser trucken, S. 215, steydir, S. 354), obwohl W. im ganzen nicht mit Anmerkungen gespart hat. Um von dem Umfang des Stoffes wenigstens einen Begriff zu geben, führe ich die einzelnen Kapitel an: das Bauerntum; Stadtrecht und städtisches Leben; Handwerk und Zunftbrauch; Handel und Verkehr; Recht und Gericht; der Adel; Kirche, Schule und Bildungswesen; Wehrwesen und Kriegsschicksale. Im Kapitel über den Adel sollte bei einer Neuauflage die Plauener Fehde von 1544 nicht fehlen (vgl. Schriften Dr. Melchiors von Osse (1922), S. 67 ff. mit Lit.). Sachweiser und Namenweiser sorgen für Übersichtlichkeit in der Fülle des Gebotenen, treffliche Bildbeigaben auch für Anschaulichkeit einzelner Schriften, Bauten, Geräte und Bilder. -- M. Söllner < 257> bietet einige geschichtliche Skizzen aus dem Leben des Vogtlandes, die aber gegenüber Wilds Buch nur Arabesken sind. Bemerkenswert ist, daß danach der 30jährige Krieg nicht soviel Elend über Städte und Dörfer gebracht hat wie die ungeheuren Lasten des 7jährigen Krieges.


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