4. Bäuerliche Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse. Hagmeister

< 1973> untersucht das bäuerliche Besitzrecht in Ravensberg bis ins 16. Jh., ausgehend von der besitzrechtlichen Stellung der alten ständischen Gruppen (Liten, Ministeriale, Schutzhörige, Hagenfreie, Stuhlfreie). Nach Zahl und Bedeutung stehen unter ihnen die Liten bei weitem voran; sie sind der Typus der Hörigen auf grundherrlich gebundenem Land. Bäuerlicher Allodialbesitz tritt uns erst gegen Ausgang des MA.'s entgegen. Der Lite genoß, ebenso wie der Ministeriale auf den Fronhöfen, ein festes erbliches Besitzrecht, das sich fast einer Art Niedereigentum näherte. Eine grundlegende Wandlung brachte im Zusammenhang mit der Auflösung der Villikationen das Eindringen des Meierrechts, das zunächst die Meierhöfe erfaßte, bald aber die gesamte besitzrechtliche Lage des Bauernstandes umgestalten zu wollen schien. Seinem Wesen nach war es ein freies, vertragliches Rechtsverhältnis. Doch erwiesen sich die alten besitzrechtlichen und ständischen Bindungen so stark, daß einerseits ein Aufstieg der Liten zum freien Meier unterblieb -- er wurde und blieb Eigenhöriger --, andrerseits aber die Erblichkeit ihres Besitzrechts tatsächlich nicht beeinträchtigt wurde. Die Ausgestaltung zum Anerbenrecht fußt auf der Unteilbarkeit der Höfe, die im Interesse des Grundherrn wie der Markgenossenschaft geboten war. (Daß der Grundsatz der Unteilbarkeit nicht undurchbrochen galt, ist eine siedlungsgeschichtlich wichtige Tatsache, für die auch H. urkundliche Belege anführt.) -- Nimmt man von der Arbeit Hagmeisters den Eindruck mit, daß sie gesicherte Ergebnisse bietet und einen wesentlichen Fortschritt bringt, so kann das von den beiden Schriften Kollmeyers < 1773> nicht ebenso behauptet werden. Ihr Verständnis ist durch die Art der Darstellung und Beweisführung nicht eben leicht gemacht. Den eigentlichen Gegenstand der weitläufigen Betrachtungen bilden die Hausgenossenverbände von Enger und Wetter. K. sieht in ihnen altsächsische Hofes- und Wehrverbände, die einem Edelings(ober)hof untergeordnet waren. Trotz aller Bemühungen des Verf., den Leser hiervon zu überzeugen, und trotz seiner ausgedehnten Schilderungen der altsächsischen Verfassung, wie er sie sich vorstellt, muß rundweg festgestellt werden, daß er auch nicht die Spur einer Wahrscheinlichkeit, geschweige eines Beweises für seine Theorien geliefert hat. Vielmehr kann mit ziemlicher Bestimmtheit gesagt werden, daß für beide Hausgenossenverbände die Vogtei den Entwicklungsboden und den Rahmen abgegeben hat; in dem Falle der »Wetterfreien« ist die grundherrschaftliche Grundlage, eine Villikation des Stifts Neuenheerse, deutlich gegeben, während bei Enger das Zusammenwachsen von Freien und Vogtleuten zur Hausgenossenschaft recht gut zu erkennen ist. Eine Zurückführung in altsächsische Zeit ist danach abzulehnen. --Voß < 1774> hat sich hauptsächlich um die Feststellung des Besitzes und der Gerechtsame der einzelnen Grundherren -- neben den Rittern von Kalenberg sind es nur geistliche, nämlich die Klöster Abdinghof und Böddeken und das Paderborner Domkapitel -- bemüht. Im Untersuchungsgebiet herrscht zwar Dorfsiedlung. Nichtsdestoweniger besteht auch hier Streulage der grundherrlichen Besitzungen. Einen anderen Charakter verleiht der Grundherrschaft wenigstens teilweise die Verbindung mit Jurisdiktionsrechten über ganze Dorfmarken. Hie und da entstanden grundherrliche Ökonomien, und der Ausnutzung der Zehnten, der Holz- und Fischereirechte sowie der Schäfereigerechtigkeit


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wird seitens des Grundherrn stärkere Aufmerksamkeit zugewandt. Auf dem Gebiete des bäuerlichen Besitzrechtes zeigt sich ein ständiges Zunehmen des freien Meierrechts und ein entsprechender Rückgang der Eigenhörigkeit. Bei den Hintersassen des Klosters Böddeken wird sie zur Wachszinsigkeit umgewandelt. -- Ähnliches ist nach v. Roden < 2094> bei den Pächtern des Stifts Fröndenberg in der Grafschaft Mark zu beobachten. Gründung und Gütererwerb des Stifts fallen in die Zeit, als Villikationen bereits nicht mehr bestanden. Einzelne Pachthöfe und daneben in steigendem Maße Renten werden vom Stift erworben. Die Erträge fließen z. T. an Vogteien oder Renteien, deren es seit dem 16. Jh. je eine in drei benachbarten Städten gab und die im ganzen verpachtet waren. Die Stiftshöfe werden sämtlich in Pacht ausgetan, dem Wortlaut der Urkunden nach auf Zeit, tatsächlich aber auf Lebenszeit und sogar erblich. Ihrer persönlichen Rechtsstellung nach werden die Kolonen einheitlich als Wachzinsige behandelt, ebenso wie die des benachbarten Stifts Scheda. -- Das typische Bild eines alten Hofesverbandes führt »Die Geschichte des Reichshofes Oer von seinen Anfängen bis zur Bauernbefreiung« von Jos. Menke (Vest. Z. 43, S. 14--91; auch phil. Diss. Münster) vor Augen. Der Hof gehörte bereits im 12. Jh. dem Kölner Domkapitel. Seine Bezeichnung als Reichshof ist jungen Datums; auch der Verf. hat sie als nicht quellengemäß empfunden, aber trotzdem nicht Anstand genommen, dem Hof eine Vergangenheit nach dem Schema der Rübelschen Theorie anzudichten. Ministerialen, die von Oer, verwalteten als Schultheißen den Hof, zuletzt als Pfandbesitzer. Im 15. Jh. wurden sie durch beamtete Verwalter ersetzt, die in Recklinghausen ihren Sitz hatten. Der Hofesverband war damit wenigstens als Wirtschaftsorganisation beseitigt. Die Hofesverfassung aber blieb bis Anfang des 19. Jh.'s in Kraft und wurde 1614 in einer Hobsordnung niedergelegt, die die Hofesgerichtsbarkeit regelte und die Rechte der Hobshörigen festlegte, deren Rechtsstellung im ganzen günstiger war als die der »Leibeigenen« (Eigenbehörigen) im Vest. -- Einen wirklichen Königshof lehrt uns der Beitrag von Fr. Herberhold zu der Festschrift »1100 Jahre Erwitte« (s. oben II.) kennen. Unter Heinrich I. ist er als solcher zuerst bezeugt; wer die früheren Besitzer waren, ist nicht zu erkennen. Durch Heinrich II. wurde er der Paderborner Kirche geschenkt. In den territorialpolitischen Auseinandersetzungen mit dem Erzstift Köln, dem Besitzer des Gogerichts, hat Paderborn sich auf den Besitz der Grundherrschaft des Königshofes gestützt, schließlich aber die Landeshoheit Kölns anerkennen müssen. Auf dem Gebiete der Verwaltungsorganisation stehen später das aus dem Gogericht hervorgegangene kölnische Amt Erwitte und das Paderborner auf der Villikation beruhende grundherrliche Amt Erwitte-Westernkotten nebeneinander. Entgegen der Rübelschen Theorie kann, soweit die Zeugnisse reichen, von einer Geschlossenheit der zugehörigen Ländereien beim Königshof keine Rede sein; unbegründet ist auch die beliebte Gleichsetzung von Ortschaft und Königshof. Zu beachten ist dagegen seine Verbindung mit dem Freigericht. Von dem Eindringen des Meierrechts ist nur der Haupthof der Villikation erfaßt worden. Die Verwaltung des Gesamtbesitzes wurde von dem einstigen Haupthof abgetrennt und einem eigenen Amtmann übertragen. Die zugehörigen Unterhöfe wurden nach Amtsrecht ausgetan, die Inhaber der Stätten blieben persönlich unfrei (»amtshörig«). -- Die Verfassung der Herdecker Mark entspricht voll und ganz der anderer westfälischer Markgenossenschaften. Der engen Verbindung mit dem Stift Herdecke -- es war Hauptherr der Mark, Inhaber des Holzgerichts und führte die Verwaltungsgeschäfte --

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ist es zuzuschreiben, daß der Quellenvorrat (darunter ein Scharbuch von 1483) verhältnismäßig reich ist. Die Teilung der Mark ist im 18. Jh. staatlicherseits angeordnet worden. Das Bestreben Vöpels < 1772>, die Herdecker Mark als eine altsächsische »freie Eigenmark« -- der Ausdruck stammt aus dem Jahre 1665! -- im Gegensatz zu den fränkischen »Reichsmarken« zu erweisen, hat die Überzeugungskraft seiner Darlegungen eher beeinträchtigt; für die Typologie der Marken ist diese Unterscheidung unzureichend,


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