VI. Kirchengeschichte.

Mit Dank und Freude begrüßen wir als wertvollste und gewichtigste Veröffentlichung des Berichtjahrs die von dem Altmeister der schwäbischen Landesforschung K. Weller verfaßte württembergische Kirchengeschichte bis zum Ende der Stauferzeit < 2137>, die im Rahmen der Neubearbeitung der längst vergriffenen »Calwer Kirchengeschichte« an die Stelle der von dem trefflichen G. Bossert d. Ä. herrührenden Abschnitte über den früh- und hochma.'lichen Zeitraum tritt. Die Aufgabe war angesichts der Tatsache, daß das württembergische Gebiet sich aus Bestandteilen von fünf Bistümern zusammensetzt, aber keinen der in Frage kommenden Bischofssitze einschließt, und daß es weiter, von der einen Hirsauer Bewegung abgesehen, niemals Ausgangspunkt und Träger kirchlich-religiöser Strömungen gewesen ist, nicht gerade leicht.. W. hat sich ihrer in mustergültiger Weise entledigt; unter Auswertung eigener und fremder Forschungen


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hat er den gesamten, für die kirchliche Geschichte des genannten Zeitraums irgendwie in Frage kommenden Stoff erschöpfend zusammengestellt und in steter Verknüpfung mit den großen Strömungen in der Reichs- und Landesgeschichte zu einer sauber und übersichtlich gegliederten gut lesbaren und auf den neuesten Stand gebrachten Darstellung verarbeitet. Er hat damit ein grundlegendes Werk geschaffen, das als willkommenes Hilfsmittel zur Einarbeitung und Weiterbildung wie als zuverlässiges Nachschlagebuch gleich wertvolle Dienste leisten, überdies aber durch die von ihm ausströmenden Anregungen den Ausgangspunkt zu neuen, weiterführenden Forschungen bilden kann.

Aus dem Gebiet der Forschung zur ma.'lichen Klostergeschichte sei hier von uns noch nachträglich der immerhin scharfsinnige Versuch O. Häckers < 2235> angeführt, im Kampf um die Vita Hariolfi und die Deutung ihrer Angaben zur Gründungsgeschichte des Klosters Ellwangen gegen Mettler die »Basilica monachorum« und die »Popularis Basilica« als nacheinander entstandene Teile der Klosterkirche (Langhaus -- Querhaus mit Chor) zu deuten. Ohne jeden besonderen Wert ist dagegen der Aufsatz von J. Heberle über die Hirsauer Klosterreform < 2234>, da er leider ohne alle Fühlung mit der überaus regen Forschung der letzten beiden Jahrzehnte geschrieben ist.

Zur Reformationsgeschichte legt der unermüdliche G. Bossert d. J. eine der im Vorjahr von ihm veröffentlichten Arbeit über das Amt Hornberg <1935, S. 537> entsprechende Studie über die kirchliche Entwicklung des Dekanatsbezirks Böblingen vom Ausgang des MA.'s bis zur endgültigen Sicherung der Reformation unter Herzog Christoph vor < 2390>. Bei der Besprechung der einzelnen Pfarreien und Pfründen dieses zum württembergischen Kerngebiet gehörenden, aber unter die Diözesen Speyer und Konstanz aufgeteilten Gebiets, macht B. auf die wichtige Tatsache aufmerksam, daß Blarer zur ersten Durchführung der Reformation viele Nichtwürttemberger heranzog. Trotz der zahlreichen, Klöstern und Stiften gehörenden Patronatsrechte, die sich in der Interimszeit unliebsam bemerkbar machten, und trotz der Unzuverlässigkeit der meisten aus der alten Kirche übernommenen Prediger, drang die Reformation überall durch, mit Ausnahme des dem Johanniterorden gehörenden Dorfes Dätzingen (bei Weil der Stadt). J. Endriß wandelt weiter auf A. Hegelers Spuren und setzt seiner Studie über den Aufenthalt Seb. Francks in Ulm <1935, S. 537> eine aus den Quellen schöpfende Darstellung der in den gleichen Zeitraum (1534--39) fallenden und mit Francks Schicksal verflochtenen Kämpfe der Ulmer Prädikanten gegen den schlesischen Edelmann Caspar Schwenckfeld zur Seite < 2389>, der schließlich trotz seines überlegenen Geistes und trotz der Hilfe seiner einflußreichen Gönner Besserer und Aitinger auf den dauernden Aufenthalt in Ulm verzichten und in Justingen seine Zuflucht suchen mußte. -- Sieht E. in Schwenckfeld und in den ihm und Franck geistig verwandten mystischen und separatistischen Strömungen noch Vorläufer des späteren Pietismus, so möchte P. Schattenmann dessen Wurzeln eher in der aus dem Luthertum selbst herausgewachsenen inneren Erneuerungsbewegung suchen, wie sie sich als »Frühpietismus« in der Entwicklung von Joh. Arndt zu J. Ph. Spener kundgibt und auch an einigen im Bannkreis Speners stehenden Theologen Württembergisch-Frankens (z. B. in Öhringen) sich beleuchten läßt < 2391>. Seine aus den ersten Bänden der Synodal- und Konsistorialprotokolle geschöpfte Geschichte der kirchlichen Verwaltung in diesem, dem Einbruch des Pietismus voraufgehenden Zeitraum <1935, S. 538> bringt F. Fritz in zwei besonderen Aufsätzen <2394, <milestone unit="page" n="537"> 2392> zum Abschluß, von denen der erste die mehr dogmatischen und gottesdienstlichen Fragen (Unionfrage, Duldung der Andersgläubigen, Gottesdienst, Seelsorge, Kirchenzucht, Mission), der andere die mehr verfassungsrechtlichen Angelegenheiten (Bildung, Geschäftsordnung und Rechtstellung von Konsistorium und Synodus, Prüfung und Anstellung der Kirchendiener, Oberschulbehörde usw.) behandelt. -- Die für die Geschichte des württembergischen Pietismus überaus wichtige und aufschlußreiche Darstellung der schweren Seelenkämpfe, unter denen Chr. Fr. Oetinger sich von Zinzendorf löste und dem Kreise J. A. Bengels nähertrat <1935, S. 538>, hat Geiges nunmehr gleichfalls zum Ende geführt < 2395>.

Auch von Leubes verdienstvoller Geschichte des Tübinger Stifts, die zugleich eine unerschöpfliche Fundgrube zur ganzen württembergischen Geistes- und Kulturgeschichte bildet, liegt jetzt der Schlußband < 2393> vor. Gewisse Eigentümlichkeiten des überaus gründlich gearbeiteten Buchs <vgl. 1930, S. 433 f.> haben dazu geführt, daß trotz des Umfangs keine die Entwicklung in ihrer Gesamtheit ausreichend erfassende Darstellung zustande gekommen und selbst wesentliche Fragen oft kaum gestreift worden sind. Immerhin wird man es nur billigen können, daß L. auf die Darstellung des Zeitraums 1770--1815, des Zeitalters der großen Weltenwende und der inneren und äußeren Wandlungen, das zugleich die Zeit der »Geniepromotionen« (Hölderlin, Hegel, Schelling usw.) ist, den Hauptnachdruck gelegt und ihr fast die Hälfte des Bandes gewidmet hat. In einem besonderen Aufsatz < 2455> zeigt L. noch eingehender an der inneren und äußeren Geschichte des Stifts und seiner Insassen während der ereignisschweren Jahre 1790--1813 die Einwirkungen der großen politischen und geistigen Zeitströmungen und der Wendung der Deutschen vom Weltbürgertum zum Nationalgefühl auf.

In Ergänzung seiner früheren Arbeiten über die Gründung des Bistums Rottenburg <1933/34, S. 646 f.> bespricht M. Miller < 2313> die Dreiervorschläge der stimmberechtigten Mitglieder des württembergischen Klerus für die Besetzung des neuen Bistums; so wenig wirkliche Bedeutung auch dieser »Bischofswahl« von 1822 beikam, so zeigt doch M. in anregender Form, wie aufschlußreich für die Beurteilung der kirchenpolitischen Lage der Zeit die Zusammenstellung der Kandidaten auf den einzelnen Stimmzetteln, die Höhe der einem jeden zugefallenen Stimmenzahl und einzelne Bemerkungen der Abstimmenden sein können.


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