VI. Städtewesen, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte.

Zur Städtegeschichte sind an erster Stelle die beiden neuen Bände der grundlegenden Geschichte von Antwerpen von Prims < 172> zu nennen. Die große Bedeutung der Arbeit ist bereits gewürdigt worden <1933/34, S. 714--714>. Nunmehr wird die Burgunderzeit behandelt; so ist fast das ganze 15. Jh. in die Darstellung einbezogen. In dem politischen Bande wird betont, welche Bedeutung die Rückkehr Antwerpens zum Herzogtum Brabant unter den Burgundern hatte. Bemerkenswert ist die Arbeit durch die sicher richtige Hervorhebung des starken territorialen Eigenlebens in dem Herzogtum Brabant. Der wirtschaftliche Band beschäftigt sich in eingehender Weise auch mit den Beziehungen zu Deutschland, vor allem der Hanse. Wertvoll ist auch eine Geschichte der Löhne und Preise in Antwerpen. Begleitet wird die Arbeit durch eine Sammlung von Einzelaufsätzen < 171>, sie sind eine Fundgrube zur Volkskunde und Kulturgeschichte und behandeln die Burgunderzeit und die Zeit der französischen Revolution. Die Gerichtsverfassung seiner Heimatstadt hat Prims in einer großen Sonderarbeit < 170> dargestellt, die wieder reiches Material, auch von Interesse für die deutsche Forschung, bringt (Enklaar, Tijdschr. v. Geschied., 52, 73--75). Van Werveke < 223> brachte eine sachkundige Übersicht über neue Arbeiten zur Geschichte von Tournai (Doornik), namentlich von Rolland, mit wertvollen kritischen Bemerkungen. Zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte sind zunächst die beiden Rechenschaftsberichte der flandrischen < 189> und der burgundischen < 145> rechtshistorischen Gesellschaft zu nennen. In dem ersteren sei hervorgehoben der Vortrag von Thomas, der den Nachweis zu führen sucht, daß vor den geschriebenen Keuren (Stadtrechten) in Flandern, die erst im 12. Jh. erscheinen, mündliche Bewilligungen vorgelegen haben. Die verfassungsgeschichtlich sehr wichtige Frage sollte weiter verfolgt werden. In Burgund stand im Mittelpunkt die Rechtsfrage der Erwerbung des Herzogtums Burgund durch Philipp den Kühnen. Es seien Aufsätze von Chevrier über die Entstehung des Parlaments von Dijon, die burgundischen Herzogsrechte im 15. Jh. und von Champeaux über die Rechtslage bei der Thronbesteigung erwähnt. Van Iterson < 105> gibt eine interessante Darstellung mit Belegen aus nordniederländischem Gebiet (996--1503) eines altgermanischen Rechtsbrauchs, nach dem durch fröhliche Miene die Zustimmung zu einer Veräußerung symbolisch ausgedrückt wird. Leider war mir auch diesmal eine große Arbeit von Perrin < 156> über den Besitz eines elsässischen Klosters unzugänglich <1935, S. 591>, die von grundlegender Bedeutung für die Rechts- und Verfassungsgeschichte der ländlichen Gebiete im Westen während des hohen MA.'s ist. Nach der Kritik von Génicot (Rev. d'hist. ecclés., 32, 676--677) enthält sie auch neue Betrachtungen über die Frage der Markgenossenschaft. Hierzu hat auch Fockema Andreae < 67> bemerkenswerte Ausführungen gemacht; er behandelt Rechtszustände


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in dem niederländischen Gebiet Oberbetuwe in Kritik der Auffassung Martens' van Sevenhoven, der sich in einem Anhang im ganzen zustimmend dazu äußert. Latouche < 120> gibt in deutscher Sprache eine Übersicht über die Agrarzustände in Frankreich während des hohen MA.'s. Er weist beachtenswerterweise für den Südwesten eine starke Einzelhofwirtschaft nach. Zur Geschichte der sozialen Klassen im frühen und hohen MA. ist die Arbeit von Boeren <S. 115, Nr. 2184> über die flandrischen Verhältnisse mit reichem, ungedrucktem Material sehr beachtenswert (Verlinden, Rev. belge, 16, 315--318, vgl. ferner mit grundsätzlichen Ausführungen M. Bloch, Annal. d'hist. économ. et sociale, 1937, 9, 301--304). Aus dem Nachlaß von Des Marez < 143> sind, hauptsächlich auf die Anregung von Bonenfant, Aufsätze veröffentlicht worden, die für die vorkommunale Periode der südniederländischen Städte von erheblichem Belang sind. Wichtig für die Frage des Lehnsrechts ist der Aufsatz von Didier < 50> über das Verhältnis der ligischen und nichtligischen Vasallität im Hennegau. Seine Ausführungen über den homo ligius und die Herkunft dieser Rechtsform sind auch für deutsche Verhältnisse von Interesse. Hinzuweisen ist auf den Fund des bekannten flandrischen Rechtshistorikers Strubbe < 193> der Handschriften des ältesten Rechtsbuches der brabantischen Stadt Vilvoorde, das er herausgegeben hat. Von de Sturler < 194> stammt eine verfassungsgeschichtlich recht bedeutende Studie zur brabanter Territorialgeschichte, in der ihm der Nachweis gelungen ist, daß die Stadt und Herrschaft Diest eine Kölner Enklave in Brabant darstellt (Ganshof, Rev. belge, 16, 522--523). Brouwers < 26> veröffentlicht den Schluß und die Einleitung seiner großen Urkundenpublikation zur Finanz- und Verwaltungsgeschichte der Grafschaft Namur im Anfang des 17. Jh.'s (Nelis, Rev. d'hist. ecclés., 33, 168). Meilink < 144> entdeckte einen Bericht über Verhandlungen der niederländischen Generalstaaten aus dem Jahre 1482, den er mit wertvollem Kommentar veröffentlichte. Jansma < 106> setzte seine Arbeiten über die höchste burgundische Verwaltungsbehörde in Holland fort <1933/34, S. 718>. Besondere Beachtung verdient die Arbeit von de Vrankrijker < 217>, die von grundsätzlicher Bedeutung für das Verhältnis der Stände zum Herrscher in den Niederlanden ist und auch zeigt, daß die kirchlichen Maßnahmen Philipps II. jederzeit auch politischen Charakter gehabt haben. Zu der grundsätzlichen Frage der Ausbildung von Regierungsmittelpunkten im niederländischen Raum nimmt Sproemberg <S. 76, Nr. 1399> Stellung. Es werden zunächst die Haltung des fränkischen und deutschen Königtums zur Residenz dargelegt und dann die Verhältnisse in den einzelnen Territorien (Flügge, D. L. Z., 1936, 57, 1974--1975). Zur Wirtschaftsgeschichte kann hier nur in Kürze auf das bedeutende Werk des flandrischen Wirtschaftshistorikers Espinas < 62> hingewiesen werden, der die Tätigkeit von zwei flandrischen Kapitalisten in Douai im 13. Jh. behandelt <1933/34, S. 716, vgl. die Kritik von de Saint-Léger, Rev. du Nord, 22, 304--304>. Ein Seitenstück dazu lieferte Blockmans < 14> in einer neuen Untersuchung über die Wirtschaftstätigkeit von Genter Patriziern <1935, S. 589>. Van Werveke < 222> betonte mit Recht, daß der Eigenhandel der Flamen im MA. weit bedeutender war, als man es bisher annahm, namentlich der Fernhandel zu Lande (Ganshof, Rev. belge, 16, 543--544). Coornaert < 42> hat in seiner Studie über das Wirtschaftsleben in Antwerpen im 16. Jh. stärker den rein ma.'lichen Charakter des Wirtschaftslebens

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auch in dieser Zeit herausgearbeitet. Bei einer eingehenden Würdigung der Arbeit von Rolland <1935, S. 589> hat Espinas < 61> wichtige Vorschläge für die Herausgabe ma.'licher Zolltarife gemacht.

Leider mußte der Bericht aus Gründen der Raumersparnis diesmal stark gekürzt werden. Es sei daher auf die Hansische Umschau und andere Sonderberichte über die Arbeiten verwiesen. -- Die Berichterstattung ist wiederum durch den sachkundigen Rat derselben Gelehrten, die bereits im Vorjahr <1935, S. 592> genannt wurden, und von Frau Professor Minder (Nancy), gefördert worden.


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