VIII. Einzeldarstellungen.

Um dem Sarazeneneinfall von 846, der Rom betroffen hatte, wirksam zu begegnen, erließ Kaiser Lothar I. an das christliche Abendland einen Appell zur Verteidigung der ewigen Stadt und zur Verfolgung der Ungläubigen, die sich in Benevent festzusetzen drohten. Dies Dokument, bekannt unter dem Namen »De expeditione contra Sarracenos facienda« wird von Dupraz < 674> auf seine Beziehungen zur burgundischen Westschweiz untersucht. Auch die Bistümer der Westschweiz wurden zur Expedition eingeladen, auch sie hatten unter den Säkularisationen zu leiden, auch ihnen wurde die Pflicht zum Subsidium auferlegt. Der Verf. stellt fest, daß die Bischöfe im Gegensatz zur merovingischen Zeit zur Heerfahrt verpflichtet waren, und betrachtet es als wahrscheinlich, daß die Kontingente der Westschweiz zur Expedition nach Benevent herangezogen wurden. Er stellt ferner die Namen einiger Bischöfe von Lausanne, Basel und Sitten fest, die entweder nur zweifelhaft oder gar nicht bekannt waren. --Beck < 687> schildert die Geschichte des schweizerischen Raumes von der Völkerwanderung bis zum Anfall Burgunds an das Deutsche Reich; es ist eine Periode, die trotz erheblich geförderter Einzelforschung in den neueren Gesamtdarstellungen der Schweizergeschichte nur kursorisch behandelt wird. Eine neue Darstellung dieser Periode ist daher durchaus zu begrüßen, und es ist dem Verf. gelungen, für die Festsetzung der Alamannen, für die Entstehung der Bistümer Konstanz und Lausanne, für die Bedeutung der Klöster in karolingischer Zeit und für die Politik der Ottonen neue Gesichtspunkte zur Diskussion zu stellen. -- Der gelehrte Benediktiner aus Disentis P. Iso Müller hat die Diskussion um die »Walserfrage« durch seine Arbeit wesentlich gefördert (Die Wanderung der Walser über Furka-Oberalp und ihr Einfluß auf den Gotthardweg. In: Z. Schweiz. Gesch., 16, S. 353--428). Auf Grund eingehender sprachlicher Untersuchungen ergibt sich, daß über Furka und Oberalp auch eine Einwanderung von Walsern nach Graubünden stattgefunden hat, neben der die Einwanderung von Walsern aus dem Süden durchaus zu Recht bestehen bleibt. Es ergibt sich die interessante Tatsache, daß ein erheblicher Teil der ehemals walserischen Siedlungen im Vorderrheintal gegen Ende des 14. Jh.'s wieder romanisiert wurde, nachdem auch das Gotteshaus Disentis


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lange Zeit hindurch eine Stütze des Walsertums gewesen war. Diese Fragen sind enge verknüpft mit der Gestaltung der Paßwege: zunächst dominierte der Lukmanier, später der Gotthard. Auf den älteren Lukmanierstaat folgt unter Führung Uris der Gotthardstaat. Die Talschaft Urseren, zunächst über Oberalp und Furka am Ostwestverkehr beteiligt, wird schließlich das Übergangsgebiet für den Nordsüdverkehr. Besonders beachtenswert ist die Feststellung M.s, daß die romanische Bevölkerung am Vorderrhein gegen Ende des 14. Jh.'s kräftig gegen die Walser und gegen das Deutschtum reagierte. Wichtig sind auch die Argumente M.s für den eventuellen Anteil der Walser in Urseren an der Eröffnung des Gotthardpasses durch die Wegbarmachung der Schöllenen.

Für das Land Glarus, das 1938 die 550 jährige Wiederkehr der Befreiungsschlacht von Näfels feiern kann, liegt die tüchtige Arbeit von F. Stucki vor (Beiträge zur Geschichte des Landes Glarus vor seiner Befreiung. Glarus, 138 S.). Neben den heute noch grundlegenden Arbeiten von Blumer und Schulte ergab sich die Möglichkeit, einzelne Probleme der älteren Glarner Geschichte erneut zu überprüfen. Dargestellt werden: Land und Leute; die Eigentumsverhältnisse; die Standesverhältnisse; Probleme der säckingisch-habsburgischen Herrschaft; die Wirtschaftsverbände; die Grundlagen der Organe der Selbstverwaltung. Der Verf. führt seine Arbeit bis in die 2. Hälfte des 14. Jh.'s, indem der Anschluß an die Waldstätte 1352 und das erste sicher bezeugte Vorkommen der Landsgemeinde 1387 die Begrenzung ergaben. Beigegeben sind vier bisher nicht veröffentlichte Urkunden zur Glarner Geschichte.

Zürich feierte 1936 die Erinnerung an die Einführung der Zünfte 1336 durch den ersten Bürgermeister Rudolf Brun. Die Gedächtnisschrift wurde von Largiadèr < 803> verfaßt. Von den oberrheinischen Zunftstädten ist Zürich der Ort, an welchem die Zunftverfassung mit weitaus den größten Kämpfen verbunden war: die Handwerker wurden von dem unzufriedenen Stadtadel gegen die Kaufleute ausgespielt, und Brun errichtete zur Sicherung seiner Herrschaft eine eigentliche Diktatur, für deren Besonderheiten der Historiker wohl heute ein schärferes Sensorium besitzt als es bei früheren Generationen der Fall war. Beachtenswert ist die Tatsache, daß Zürich den Wortlaut seiner neuen Stadtverfassung, des sog. »Geschworenen Briefes« von 1336, aus Straßburg entlehnte, wie denn überhaupt die Beziehungen zwischen Zürich und dem Oberrhein sehr mannigfaltige gewesen sind. Für die Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzung Zürichs mit den Grafen von Habsburg-Laufenburg zu Rapperswil, wo die verbannten Räte Zuflucht gefunden hatten, ergibt sich aus bisher unbekanntem Material vermehrte Einsicht. Dargestellt werden ferner der Grinauerkrieg, die Mordnacht von Zürich, der Ausklang des Geschlechts der Brun und der endgültige Übergang der politischen Gewalt an die Handwerker. Durch das Verschwinden des alten Stadtadels, der unter Brun noch einmal eine kurze Scheinblüte erlebt hatte, um 1400, erhielt Zürich jenen besonderen sozialen Aspekt als Zunftstadt, der ihm bis 1798 geblieben ist. Im Anhang zur Arbeit werden 57 Dokumente zur Geschichte Zürichs im 14. Jh. geboten, u. a. die Kriegsrechnung des Grinauerkrieges von 1337. Da unter Brun auch die ersten Anläufe zur Territorialbildung des Kantons Zürich unternommen wurden, da ferner auf Betreiben des ersten Bürgermeisters Zürichs 1351 der Bund mit den Waldstätten abgeschlossen wurde, greift das Thema der Arbeit auch in die eidgenössische Gesamtgeschichte ein.


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Genau 50 Jahre nach der Zunftrevolution in Zürich liegt der Sempacherkrieg (1386), der die Glieder der werdenden Eidgenossenschaft zusammenschweißte und vor allem auch Zürich endgültig zur eidgenössischen Partei hinüberzog. So war 1936 auch dieses Ereignisses zu gedenken. H. G. Wirz hat die staatspolitischen Momente dieses Feldzuges, dessen Vorgeschichte und Nachwirkungen in einer kurzen ausgezeichnet abgewogenen Monographie dargestellt (Sempach. 9. Heumonat 1386. Gedenkschrift ... mit Geleitwort von H. Guisan. Bern, 40 S. mit Taf.). Nicht nur Luzerns Feldzug, sondern auch die Aktionen in Glarus, Bern, Zürich und Zug werden geschildert, und der Winkelriedtat ist ein besonderes Kapitel gewidmet. -- Die offizielle Erinnerungsschrift im Auftrage der Luzerner Regierung und die Bibliographie der Sempacherliteratur von Weber < 801 und 802> sind als Ergänzungen zu Wirz willkommen. -- Graubünden, das sich aus den drei Teilen des Gotteshausbundes, des Oberen oder Grauen Bundes und des Zehngerichtenbundes zusammenfügte, konnte 1936 das Gedächtnis an die 1436 erfolgte Gründung des Zehngerichtenbundes erneuern. In einer umfangreichen, auf den Quellen aufgebauten Darstellung gibt der heutige Staatsarchivar von Graubünden Gillardon < 293> die wechselvolle Geschichte dieses Bundesgebietes wieder. Auszugehen war von der Tatsache, daß nach dem Tod des letzten Grafen von Toggenburg dessen rhätische Gebiete sich nach dem Beispiel der anderen Bünde zusammenschlossen und sich in jahrhundertelangem Ringen gegen Habsburg die Selbständigkeit erstritten. Der Verf. geht den geschichtlichen Grundlagen seines Gebietes seit der Walserbesiedelung nach und schließt mit 1803 ab.

W. Näf, der eine größere Vadianbiographie vorbereitet, hat in einer besonderen an anderer Stelle <S. 353> näher besprochenen Studie < 1684> das Emporkommen des Geschlechtes Watt dargestellt und seine Wirksamkeit innerhalb des kleinen st. gallischen Stadtstaates, der aber durch die Watt-Diesbach-Gesellschaft im 15. Jh. geradezu europäische Bedeutung gewann, geschildert. Die Probleme der allgemeinen Wirtschaftsgeschichte und Soziologie des Spät-MA. zeichnen sich in dieser Studie scharf und deutlich ab.


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