II. Sammelwerke.

Die im Dritten Reich Wirklichkeit gewordene nationalsozialistische Weltanschauung sieht in der Besinnung des deutschen Volkes auf seine großen Taten und Aufgaben im Osten einen ihrer wesentlichsten Bestandteile. Auf allen Gebieten des völkischen, staatlichen und wirtschaftlichen Lebens im deutschen Osten sind neue Großtaten in Angriff genommen, während die geistige Ausrichtung des nationalsozialistischen Menschen »nach Osten« auf der lebendigen Erinnerung an die zweitausendjährige Tradition seines Volkes in diesem Raume beruht. Für die Vermittlung des für diese Erkenntnis notwendigen Wissens bedarf es umfassender Werke, an denen wir, im Gegensatz zu einer Fülle von Sonderuntersuchungen und Forschungen, verhältnismäßig arm sind. Für einen einzelnen ist es heute kaum noch möglich, die für die Bewältigung einer solchen Aufgabe nötigen Spezialkenntnisse in sich zu vereinigen. In diesem Bewußtsein hat der Berliner Propyläen-Verlag eine Reihe von Wissenschaftlern und Publizisten aufgefordert, in einem Sammelwerk »Der deutsche Osten, seine Geschichte, sein Wesen, seine Aufgabe« < 297>, das in dem Format und der bekannten reichen Ausstattung der Propyläen-Weltgeschichte herausgekommen ist, ein umfassendes Bild des ostdeutschen Landes und Menschen zu geben. Es darf gleich vorausgeschickt werden, daß das umfangreiche Werk, als dessen Herausgeber K. Thalheim und A. Hillen Ziegfeld zeichnen, als Ganzes nicht restlos befriedigt. Die Grundkonzeption, die als »Deutschen Osten« die preußischen Provinzen Ostpreußen, Pommern, Grenzmark Posen-Westpreußen, Brandenburg, Schlesien, ferner Mecklenburg, Sachsen und die Bayrische Ostmark betrachtet, ist zu eng gefaßt. Sie entspricht keinesfalls einem gesamtdeutschen Geschichtsbewußtsein, das in den »deutschen Osten« neben Ostelbien immer das deutsche Österreich und sein südosteuropäisches Vorfeld miteinbegreifen wird. Der Beitrag »Der deutsche Osten bis zum Ende des Ordensstaates« von H. Aubin ist beispielhaft dafür, daß, historisch gesehen, dieser Raum zwangsläufig die Großtaten der nordost- wie südostdeutschen Kolonisation umfassen muß. (Vgl. auch das im vorigen Jahrgang <1935, S. 618 f.> bei der Besprechung des Beitrages von E. Klebel in »Die südostdeutsche Volksgrenze« Gesagte.) Es ist sicher auch zu bedauern, daß in einem so umfangreichen Werke (624 S.) die Darstellung des geschichtlichen Werdens nicht einen größeren Raum einnimmt (90 S.). Andererseits muß man immer wieder feststellen, daß durch ungenaue Abstimmung einzelner Beiträge verschiedener Verfasser aufeinander manches -- und gerade Geschichtliches -- mehrmals gesagt wird, was als eine bekannte Gefahr aller Sammelwerke sicher zu vermeiden gewesen wäre. Sehr beachtlich, und zum Teil auch neuartig, sind die von Hillen Ziegfeld gezeichneten Karten, prächtig und gut ausgewählt die beigegebenen Abbildungen und Reproduktionen (unter letzteren z. B. die Goldbulle Friedrichs II. von Rimini für den deutschen Orden, eine Dorfgründungsurkunde zu kulmischem Recht und eine Handschrift Joseph von Eichendorffs). Ein erster Abschnitt »Der Raum und seine Grenzen« umfaßt die Beiträge »Der deutsche Osten und das Reich« von M. H. Boehm, »Der Raum Ostdeutschland« von W. Geisler, »Die Grenzen der Deutschen im Ostraum« von A. Hillen Ziegfeld. Boehm skizziert in einer großen Schau den gesamten deutschen Osten mit seinen beiden Strömen nach Nordosten und Südosten und seinem Vorfeld von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Leider ist sein Aufsatz nicht als räumliches Programm für den weiteren Inhalt des Buches zu nehmen (vgl. oben). Schon der folgende Beitrag von Geisler, der ausgezeichnet die geopolitischen Grundlagen des Raumes Ostdeutschland darstellt,


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faßt als solchen eindeutig die preußischen Ostprovinzen. Gegen die zu schematischen Deutschtumskarten Hillen Ziegfelds äußert V. Kauder in einer Besprechung in »Deutsche Monatshefte in Polen«, Jg. 3, 1936/37, S. 275, starke Bedenken. Ein zweiter Abschnitt behandelt monographisch »Die Teilräume«, und zwar Ostpreußen von D. Weber-Krohse, Danzig von E. Lindow, Pommern und Grenzmark Posen-Westpreußen von E. Murawski, Niederschlesien von W.-E. Peuckert, Oberschlesien von K. Sczodrok, Mecklenburg von H. Witte, die Mark Brandenburg von Fr. Lange, Grenzland Sachsen von M. Durach, die Bayrische Ostmark von K. Trampler. Der Wert der Einzelbeiträge ist sehr unterschiedlich. Den Anspruch einer knappen, aber erschöpfenden landeskundlichen Monographie erfüllt eigentlich nur die Darstellung Mecklenburgs von H. Witte, dem Altmeister mecklenburgischer Landesforschung, die dafür aber auch ein wahres Kabinettstück ist. Großartige Formulierungen ersetzen eine gediegene landesgeschichtliche Kenntnis nicht, wie sie besonders die Darstellungen Ostpreußens und Brandenburgs vermissen lassen. Ob die Bezeichnung »Grenzland Sachsen« nicht etwas unglücklich ist, steht dahin. Schließlich siedelt vor der Staatsgrenze, die natürlich auch Wehrgrenze gegen einen fremden Staat ist, noch ein geschlossenes deutsches Volkstum! Ähnlich verhält es sich mit der Bayrischen Ostmark. Dieser Name kommt, historisch gesehen, wohl mit größerer Berechtigung Österreich zu. Es schafft Verwirrung, wenn der Begriff »Grenzland« einmal auf die Volksgrenze und einmal auf die Staatsgrenze bezogen wird, sofern beide nicht zusammenfallen. Die Entwicklung und das politische Leben der durch den Ausgang des Weltkrieges entstandenen östlichen Nachbarstaaten Polen und Litauen, Lettland und Estland finden eine ebenso sachverständige wie anschauliche Schilderung durch O. Hoetzsch, ebenso die Tschechoslowakei durch M. Durach. Unter dem Titel »Das Volk« sind drei weitere Kapitel zusammengefaßt, von welchen das erste »Volkstum und Lebensformen im deutschen Osten« von Paul Fechter mit das Tiefste und Treffendste enthält, was bisher zur Erkenntnis der dem ostdeutschen Menschen eigenen Wesensart gesagt worden ist. »Die rassischen Grundlagen des ostdeutschen Volkstums« werden von R. Grau nur sehr allgemein behandelt. Das ist aber wohl weniger die Schuld des Verfassers als die der mangelnden Vorarbeiten. Wenn jedoch schon die Vergangenheit in rassischer Hinsicht berücksichtigt wird, dann hätte man gern neben der breit ausgeführten vorgeschichtlichen auch Genaueres über die ostdeutschen rassischen Verhältnisse im Mittelalter und den Jahrhunderten der Neuzeit gehört. K. Thalheim referiert anschließend mehr zahlenmäßig über den Bestand der deutschen Volksgruppen im östlichen Vorfeld. »Der Weg der Geschichte« wird dreimal unterteilt. Von den Unterabschnitten darf »Der deutsche Osten bis zum Ausgang des Ordensstaates« von H. Aubin als ganz besonders glücklich bezeichnet werden. Den gegenwärtigen Stand der Forschung überschauend, gelingt es dem Verf., die vielfältigen geschichtlichen Ereignisse des deutschen Ostens im MA. in den großen Zusammenhang einzuordnen und dabei Sachkenntnis mit Anschaulichkeit zu vereinigen. Beides zeichnet auch die knappen Überblicke von E. Maschke »Der deutsche Osten vom Ende des Ordensstaates bis zum Weltkrieg«, und von K. v. Raumer »Der deutsche Osten in der Kriegs- und Nachkriegszeit«, aus. Zu diesen mehr den politischen Geschichtsverlauf festhaltenden historischen Darstellungen tritt eine weitere in dem Abschnitt »Das Werden der ostdeutschen Wirtschaft« von G. Aubin < 2029>, der ebenfalls einen ausgezeichneten Eindruck hinterläßt. Der Verf.

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schildert eingehend ländliche Siedlung wie städtische Entwicklung im Zeitalter der ma.'lichen Ostkolonisation und weist darauf hin, daß schon im MA. der ostelbische Ritter nicht nur »Grundherr«, sondern auch »Gutsherr«, das heißt der Bewirtschafter eines Eigenbetriebes, gewesen ist. Nach einer genauen Kennzeichnung des hansischen und binnenländischen ostdeutschen Warenhandels im 14. bis 16. Jh. wird in eingehender Weise die Wirtschaftspolitik und -verfassung des brandenburgisch-preußischen Staates bis zum Anfang des 19. Jh.'s dargelegt. K. Thalheim beschäftigt sich sehr ausführlich mit der ostdeutschen Wirtschaft des 19. und 20. Jh.'s und zeigt abschließend, »wie der von der Wirtschaftspolitik des neuen Deutschland mutig in Angriff genommene Umbau der ostdeutschen Wirtschaftsstruktur die Voraussetzungen schafft, auf denen sich eine gesunde und lebenskräftige ostdeutsche Wirtschaft aufzubauen vermag«. »Geistesleben und Dichtung des deutschen Ostens« von Fr. Andreae und »Die künstlerische Leistung des deutschen Ostens« von H. Schrade runden das in dem vorliegenden Sammelband entworfene umfassende Gemälde ab, dessen politische Folgerungen für die Zukunft die beiden Herausgeber in zwei Schlußaufsätzen »Der deutsche Osten als Aufgabe und als Kraftquelle« und »Die Lebensgesetze des deutschen Ostens« ziehen. Letzterer, von Hillen Ziegfeld, wird der tatsächlichen Entwicklung, wie sie sich in den meisten Beiträgen spiegelt, allerdings nicht ganz gerecht. Das angefügte Schrifttumsverzeichnis gibt einen guten ersten Überblick, ist aber wohl in mehr als einer Hinsicht ergänzungsbedürftig. (Vgl. die Rez. v. H. Ludat in Forsch. z. brandenb.-preuß. Gesch., Bd. 49, 1937, S. 205 f., und von Kl. Pleyer in Jbb. f. Gesch. Osteuropas, Jg. 2, 1937, S. 320 f., die ebenfalls an dem unzulänglichen Ostbegriff des Werkes Kritik üben. Ferner die Rez. in Kwart. Hist., Bd. 50, 1936, S. 360, die den Zweck des Buches darin sieht, den »Drang nach Osten« dem deutschen Volke erneut einzuhämmern.)

In Ergänzung des vorjährigen Berichtes sei hier noch auf ein sehr anschauliches Bilderwerk, »Das Antlitz der Grenzlande«, hingewiesen (3 Teile, München 1933, 268 S.), dessen Zusammenstellung und Textgestaltung der bekannte grenzdeutsche Vorkämpfer Karl C. v. Loesch übernahm. Für den vorliegenden Forschungsbericht kommen die Bände »Der Nordosten«, der die Ostgrenze des Deutschen Reiches zum Gegenstand hat, und »Der Süden und Südosten«, dessen Inhalt jene Grenzländer sind, die bis 1918 zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörten, in Betracht. Das Auge gewinnt einen äußerst nachhaltigen Eindruck von der Willkür der durch die Pariser Vorortverträge mitten durch geschlossenes deutsches Siedlungsgebiet gezogenen neuen Staatsgrenzen im Osten und den dadurch entstandenen Nöten und Schäden. -- In der Berichtszeit ist eine neue historische Schriftenreihe an die Öffentlichkeit getreten, deren räumlicher und Problemkreis sich mit dem unseres Forschungsberichtes deckt. Sie trägt den Titel »Deutschland und der Osten, Quellen und Forschungen zur Geschichte ihrer Beziehungen« (Verlag S. Hirzel, Leipzig). Als Herausgeber zeichnen H. Aubin, A. Brackmann, M. Hein, J. Papritz, E. Randt, W. Recke, H. Übersberger, deren Namen sämtlich in der historischen Ostforschung einen guten Klang haben. Auf die Einzelbände der neuen Reihe wird an anderer Stelle eingegangen werden. -- Eine wichtige Veröffentlichung hat die Krakauer Akademie der Wissenschaften in Angriff genommen. Es ist dies ein »Polski Słownik Biograficzny« (Poln. biographisches Wörterbuch) < 51>, von dem bisher zwei vollständige Bände und vier Hefte des dritten Bandes (-- Chodźko Jan) vorliegen. Der Herausgeber ist Prof. Konopczyński,


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dem 16 Fachredakteure zur Seite stehen. Die Edition ist auf 20 Jahre berechnet. Jährlich soll ein Band in fünf Lieferungen erscheinen. Die einzelnen Artikel sind durchaus wissenschaftlich exakt gearbeitet. Die Darstellung aber ist populär und für weiteste Kreise gedacht. Es wird im einzelnen viel unbekanntes Material verwertet. Die Auswahl der behandelten Persönlichkeiten ist sehr umfassend, doch wird der Kreis der bedeutenden Polen, was ihre Volkszugehörigkeit betrifft, mehr als einmal reichlich weit gezogen. Die Sachlichkeit der meisten Monographien muß anerkannt werden. Mitunter wird die Beurteilung des Verfassers den behandelten Persönlichkeiten allerdings nicht ganz gerecht. (Z. B. König August dem Starken von Sachsen-Polen!) Im großen und ganzen darf der Słownik Biograficzny aber als eine wertvolle Bereicherung der großen polnischen Nachschlagwerke angesehen werden. (Rez. von A.. Brückner in Slaw. Rundsch., Jg. 8, 1936, S. 234--241; von Stan. Kot in Reformacja w Polsce, Jg. 7/8, 1935/36, S. 373--376; von A. Brückner in Kw. Hist., Jg. 49, 1935, S. 638--642.)


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