III. Darstellungen zum Gesamtproblem.

E. Maschke, einer der besten Kenner der polnischen Geschichte an deutschen Universitäten, gab in der Berichtszeit einen knappen, aber die großen Linien gut herausstellenden Überblick »Deutschland und Polen im Wandel der Geschichte« < 300>. Auf der Grundlage des schon erwähnten »Słownik Biograficzny«, Bd. I, untersucht Karl H. Meyer »Deutschpolnische Kulturbeziehungen« < 299>. Nach einigen Beispielen interessanter Aussagen über bekannte polnische Persönlichkeiten der Gegenwart wendet sich der Verfasser den kulturgeschichtlichen polnischen Beziehungen zum Deutschen Reiche und Volke zu. Diese haben sich vor allem auf polnischem Boden abgespielt, eine Folge der deutschen Masseneinwanderung seit dem hohen MA. Meyer führt aus dem Słownik eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten des Deutschtums in Polen an, unter denen sich Geistliche beider Konfessionen, Gelehrte, Künstler, Kaufleute und Soldaten finden. Auch Deutsche, die ihrem Volkstum verlorengegangen sind, werden genannt. Als ein Glied der deutsch-polnischen Beziehungen wertet der Verf. auch die fürstlichen Heiratsverbindungen, deren Bedeutung aber in diesem Zusammenhang wohl wenig ins Gewicht fällt. Endlich ist sehr interessant, wie viele bedeutende Polen sich im Laufe der Jahrhunderte ihre Bildung auf deutschen Universitäten erworben haben. Meyer errechnet aus dem 1. Bd. des Słownik 113 Personen. Im alten Königreich Polen hält Wittenberg die Spitze der Beliebtheit, in der jüngsten Vergangenheit sind es Wien und Berlin. Wenn M. aber feststellt, »daß mindestens jeder siebente aller bedeutenden polnischen Menschen im Laufe des letzten Jahrtausends seine entscheidende Ausbildung in Deutschland erhalten hat«, so erscheint diese Statistik etwas gewagt. Einmal sind ja nur die Bekanntgewordenen, die Erfolgreichen in das Biographische Wörterbuch aufgenommen. Dann aber lag dem Autor von diesem erst ein Band mit den Anfangsbuchstaben A und B (bis Bey --) vor. Meyer meint, daß seine Rechnung durch die späteren Bände schwerlich noch Veränderungen erfahren wird. Das muß abgewartet werden. (Rez. v. K. Forstreuter in Jbb. f. Gesch. Osteuropas, Bd. 1, 1936, S. 621). -- Einen knappen Überblick über die Geschichte der deutsch-polnischen Grenzgebiete gibt der Posener Historiker Z. Wojciechowski in einem Heft der »Baltic Pocket Library« betitelt »The Territorial Development of Prussia in relation to the Polish homelands« (Balt. Institut, Thorn, 1936, 79 S.). Die englische Weltsprache, das handliche Format bezeugen, daß es sich hier mehr um eine Propagandaschrift als um eine ernste wissenschaftliche Untersuchung handelt. Zu den polnischen


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Stammlandschaften rechnet W. auch Pommern und Pommerellen. Auf seine Behauptung der Zugehörigkeit dieser Länder zu Polen schon unter Mieszko I. wird an anderer Stelle näher eingegangen. Der Verf. hält es für ein nationales Unglück, daß Polen im Jahre 1525 die Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum zugelassen habe, statt ihn dem polnischen Reiche einzuverleiben. (Was wohl zweifellos ein Rechtsbruch gewesen wäre!) Aus dieser angeblichen Unterlassungssünde entwickelt W. die weitere Fehlpolitik der polnischen Könige, die neben sich Brandenburg-Preußen groß werden ließen, welches zum Dank dafür ein polnisches Stammland nach dem anderen schluckte. Der Appetit kommt bei dem Essen und hat sich im Laufe der Jahrzehnte so gesteigert, daß nach W. auch die Neubegründung eines unabhängigen polnischen Staates, nicht zuletzt durch Preußen-Deutschland, im Jahre 1916 letztlich nur ein Mittel dazu war, die russischen Teilgebiete auch noch zu verspeisen! Man kann nur den Kopf darüber schütteln, mit welcher Einseitigkeit hier ein anerkannter polnischer Gelehrter geschichtliche Zusammenhänge deutet. Ist die Schrift auch wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen, so ist ihr Erscheinen in einer ausgesprochen der Propaganda dienenden Reihe um so bedauerlicher. -- In der Schaffsteinschen Sammlung kam in der Berichtszeit ein Bändchen »Deutsche Sendung im Osten« < 298> von E. Kalkschmidt heraus. Es bietet für einen denkbar geringen Preis einen guten Überblick über die Entwicklung der deutschen Stellung im Ostraum. Nacheinander ziehen germanische Vorgeschichte, ma.'liche deutsche Wiederbesiedlung Ostelbiens, der deutsche Ordensstaat, die Hanse, der Staat der Hohenzollern und die Lage des Deutschtums im Osten nach Versailles an uns vorüber. Die Schlußfolgerung der Schrift ist: »Die deutsche Sendung im Ostland weiß sich von jeder Art nationalistischen und imperialistischen Machtanspruchs frei. Die Ostvölker wissen genau, was sie der deutschen Leistung verdanken; sie wissen auch, daß auf den Grenzkampf und den Hader der Nationen ein friedlicher Ausgleich erfolgen muß, in dem es nicht Sieger und Besiegte, nicht Herren und Knechte geben darf.« -- »Events and Personalities in Polish History«, einen kurzen Abriß der polnischen Geschichte in englischer Sprache aus der Feder des Generalsekretärs des J. M. C. A. in Polen, Paul Super, bringt die schon vorher erwähnte »Baltic Pocket Library« (Balt. Institut, Thorn-Gdingen, 1936, 116 S.). Die Einstellung des Verf.'s zum deutschpolnischen Verhältnis in Vergangenheit und Gegenwart ist verhältnismäßig objektiv. In allen heute strittigen Punkten wird selbstverständlich die polnische Lehrmeinung vertreten. Der stark christlich beeinflußte Standpunkt des Verf.'s gibt der Darstellung an manchen Stellen eine eigene Note. Allerdings nimmt Super trotz christlicher Objektivität keinen Anstand, Friedrich den Großen, dessen Bedeutung auch von einer ehrlichen polnischen Gelehrtenwelt anerkannt wird, einen »Schuft« (rascal) zu titulieren. Bolesław Chrobry als »Polish Charlemagne« zu bezeichnen, ist demgegenüber etwas zu schmeichelhaft. Daß König Sobieski nicht der einzige Erretter Wiens von den Türken war, ist heute klar erwiesen. Hervorgehoben zu werden verdient der reiche und gut ausgewählte Bildschmuck des Bändchens. -- Joh. Ahlers schrieb ein Buch, »Polen, Volk, Staat, Kultur und Wirtschaft« (Deutscher Verlag für Politik und Wirtschaft, Berlin, 1935, 208 S., 30 Karten und Statistiken, 16 Kunstdruckbildtafeln), in dem naturgemäß auch die deutsch-polnischen Grenzfragen eine Rolle spielen. Der Verf. ist Journalist. Deshalb sind auf geschichtlichem Gebiet von ihm weder eigene Forschungen noch wissenschaftliche Erkenntnisse zu erwarten. Der geschichtliche Hintergrund ist überhaupt nur angedeutet.

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Er beginnt mit dem Untergang des alten Polen in der dritten Teilung 1795, wird ausführlicher aber erst bei der Schilderung der polnischen Parteirichtungen der Vorkriegszeit, PPS. und Nationaldemokratie. Die politische Entwicklung ist über die Neugründung des Staates, die ersten parlamentarischen Jahre, den Staatsstreich Pilsudskis bis zum Tode des Marschalls und die Kämpfe um die Nachfolge behandelt. Außenpolitisch wird das Verhältnis zu Deutschland kurz gestreift. In den beiden andern Teilen werden Land und Leute sowie die Wirtschaft Polens zum Gegenstand genommen. Das Deutschtum in Polen wünscht man sich etwas eingehender gewürdigt. Doch sind die gebrachten Tatsachen im großen und ganzen verläßlich, die beigegebenen Bilder und Karten eine gute Ergänzung des Werkes, so daß sich das Buch Ahlers' wohltuend von leider nicht ausgebliebenen Konjunkturerzeugnissen unterscheidet. (Der schlimmsten eins: Dr. Wilh. Nölting: Polen: Kurt Wolff Verlag, Berlin, 1936, 167 S., 125 Photos, 1 Karte, erfährt unter dem Motto »Schundliteratur über Polen« eine vernichtende Kritik in »Ostland-Berichte«, Jg. 1937, Nr. 2, S. 90 ff. Ähnlich unzureichend auch: A. Gottlieb: Polen. Wanderungen eines Europäers. Wien, Leipzig 1935. Rez. v. P. Breitenkamp in D. W. Z. i. P., Bd. 30, 1936, S. 221 f. Rez. von Ahlers durch A. Lattermann in D. W. Z. i. P., Bd. 30, 1936, S. 222 f.) -- Axel Schmidt nimmt die gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Ostseeraum zum Ausgangspunkt einer Untersuchung des »Dominium Maris Baltici« (Preuß. Jbb. Schriftenreihe, Bd. 31, Verlag G. Stilke, Berlin 1936, 76 S.). Er gibt zuerst einen Überblick über die Geschichte des Ostseeraums, der in Einzelheiten nicht ganz fehlerfrei ist. So haben die Polen um das Jahr 1000 nicht (wie überhaupt niemals in geschichtlicher Zeit) an der Ostseeküste gesiedelt, sondern damals allein die dort wohnenden Pomoranen unterworfen. Es ist auch nicht wahr, daß Polen am Ende des 16. Jh.'s »im Besitz der drei wichtigen Flußmündungen Düna, Weichsel und Oder« war. Diese Beispiele ließen sich noch vermehren. Schmidt kommt zu dem Schluß, daß auf die Dauer keiner der Anliegerstaaten einen politischen Herrschaftsanspruch über die Ostsee hat behaupten können. Immer aber ist eine politische Vormachtstellung im Ostseeraum mit dem Besitz Livlands verknüpft gewesen. Die Gegenwart sieht den Ostseeraum in einem politischen Gleichgewicht der Mächte, dessen einzige Gefährdung in der militärischen Aktivität Sowjetrußlands liegt. Der beste Teil der Arbeit Axel Schmidts ist die Betrachtung des Ostseehandels im Wandel der Zeiten. Im großen und ganzen ist die Schrift eine sehr ansprechende publizistische Leistung. (Vgl. auch die recht positive Bespr. in »Kwart. Hist.«, Bd. 50, S. 559 f.) Zum Thema des Ostseeraums wären noch zwei Dissertationen zu nennen, die Königsberger: »Die politisch-geographische Bedeutung der Ostsee« von E. Schlump (1934) und die Rostocker: »Die politische und wirtschaftliche Konstellation im Ostseeraum« von K. H. Blaschke (1936). Schlump gelingt es nicht, wie der Stoff erwarten läßt, eine Geopolitik des Ostseeraums zu schreiben. Der geographische und der historische Teil -- dieser schöpft ziemlich unkritisch aus zweiter Hand -- klaffen auseinander. Blaschke legt das Hauptgewicht seiner Arbeit auf Untersuchung der wirtschaftlichen Konstellation. Er weist nach, daß weder in der Gegenwart noch früher die starke politische Bedeutung einzelner Staaten mit wirtschaftlicher Vormachtstellung parallel geht. Letztere ist seit dem Ausgang des MA.'s mehrmals raumfremden Mächten zugefallen (Holland, England). Politisch gibt Blaschke heute Deutschland und Polen die ersten Plätze im Ostseeraum. (Rez. v. F. Morré in »Osteuropa«, 12. Jg., 1937, H. 11/12, S. 752--754.)


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