IV. Einzeldarstellungen.

Die frühesten politischen Beziehungen Polens zum Deutschen Reich in Verbindung mit der Entstehung des polnischen Staatswesens, über die in den letzten Jahren eine umfangreiche Literatur entstanden ist <1932, S. 572 f., 1935, S. 616 f.>, sind auch in der Berichtszeit Gegenstand einer Reihe von Neuerscheinungen gewesen. Die Schrift des Posener Historikers Zygmunt Wojciechowski »Mieszko I. i powstanie państwa Polskiego« (M. I. und die Entstehung des polnischen Staates <1935, S. 618>) erschien 1936 mit einer Reihe von Änderungen und Ergänzungen auf Grund der neuesten Literatur in einer englischen Ausgabe unter dem Titel: M. I. and the Rise of the Polish State. Die Übersetzung kam in gefälliger Form in »The Baltic Pocket Library« des Thorn-Gdingener Baltischen Instituts heraus und ist anscheinend für einen breiteren Leserkreis in der angelsächsischen Welt berechnet. In ihr verarbeitet W. auch eine gesondert erschienene Abhandlung »Jeszcze o Mieszku I. Nieco polemiki i uzupełnien, w tem słowo o pochodzeniu dynastji zachodnio -- pomorskiej«. (Noch ein Wort zu M. I. Polemisches und Ergänzendes einschließlich eines Wortes über die Herkunft der Dynastie Westpommerns.) Zapiski Towarzystwa Naukowegow Toruniu Tom. 10, Nr. 6, 1936, in der er zu den bisherigen Kritiken seines obengenannten Buches und der jüngsten Literatur Stellung nimmt. (Rez. v. B. Stasiewski in Jbb. f. Gesch. Osteuropas, Jg. 2, 1937, S. 295 f.) Auch seine Auseinandersetzung mit der Schrift A. Brackmanns »Reichspolitik und Ostpolitik im frühen MA.« <1935, S. 617> in Rocz. Hist. 1936, S. 131--135, fügt Wojciechowski in die englische Ausgabe ein. Auf andere deutsche Autoren, wie Baethgen, Bollnow, Holtzmann, Lorentz und Sappok, mit denen wir uns in diesem Bericht ebenfalls noch zu beschäftigen haben, wird in Text und Anmerkungen, meist ablehnend, hingewiesen. Auf polnischer Seite verteidigt sich Wojciechowski in der Abhandlung »Jeszcze Mieszko« wie in der englischen Mieszko-Übersetzung gegen seinen Posener Fachgenossen K. Tymieniecki. Dieser hat in »Roczniki Historyczne«, 1936, S. 136--140 den »Mieszko« und in einem Aufsatz »Widukind i Thietmar o wypadkach z r. 963« (W. u. Th. über die Ereignisse des Jahres 963) ebda., S. 95--106, die kritischen Neuausgaben der beiden deutschen Chronisten, die die wichtigste Quelle zur Erforschung der frühesten deutsch-polnischen Beziehungen sind, besprochen. Tymieniecki sieht in den diesbezüglichen Stellen des in der 1. Hälfte des 11. Jh.'s lebenden Thietmar nur gekürzte und z. T. mißverstandene und deshalb unverständliche Wiederholungen des zeitgenössischen Widukind. Eine Kenntnis des Merseburger Bischofs von diesen Dingen aus Erzählungen seines Vaters, der an den Polenkämpfen teilgenommen hatte, wird von Tymieniecki abgelehnt. Diese Annahme ist aber mit ein Grund, weshalb die Chronik des Thietmar von der gesamten deutschen Forschung und ebenso von Wojciechowski als eine Quelle ersten Ranges betrachtet wird. Der gleichen Ansicht ist L. Koczy, der ebenfalls aus Anlaß der Neuausgaben, in Kwart. Hist., Bd. 50, 1936, S. 656--676, die Entstehung beider Chroniken behandelt. In seiner Besprechung des »Mieszko« in Kwart. Hist., Bd. 50, S. 283--286, wendet sich Koczy gegen Wojciechowskis Methode, für seine oft sehr hypothetische Darstellung der Politik M. I. in Westpommern Parallelen aus der Zeit Boleslaw Chrobrys und Boleslaw Krzywoustys heranzuziehen. Die Interpretationen des Thietmar durch Wojciechowski dürften allgemein auf große Bedenken stoßen. Der Quellenwert der Erzählung des Gallus Anonymus von den Vorgängern des Mieszko z. B., die Wojciechowski ohne weiteres für seine Darstellung verwertet, wird von Tymieniecki sicher mit Recht angezweifelt. Ebenso


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kritisch darf man wohl gegenüber der in »Jeszcze Mieszko« in der englischen Mieszko-Ausgabe als Exkurs angefügten Hypothese über die Abstammung des pommerschen Fürstenhauses von den polnischen Piasten sein. Die in Anlehnung an die Ansichten von Baltzer (Genealogja Piastów) und Zakrzewski (Bolesław Chrobry Wielki) aufgestellte Genealogie geht über das in den Quellen Gesagte weit hinaus. (Vgl. die sehr vorsichtigen Ausführungen von M. Wehrmann in seiner kürzlich veröffentlichten »Genealogie des pommerschen Herzoghauses«, Stettin 1937.)

Die Überlieferung der neben Thietmar und Widukind wichtigsten Quellen zur Frühgeschichte, nämlich des Dokumentes »Dagone judex« und des Reiseberichtes des Ibrahim ibn Jakub, untersucht L. Koczy in Roczniki Historyczne, Jg. 12, 1936, S. 1--46. Koczy ist durch seine kritische Einstellung zu der Auswertung der skandinavischen Sagas für die Erhellung dieser Zeitepoche bekannt. In dem vorliegenden Aufsatz »Dagone judex, Schinesge i Awbaba« gibt er eine Hypothese des Weges von der verlorenen Schenkungsurkunde zu dem verstümmelten »Dagome judex«-Regest auf der Grundlage aller bekannten Handschriften und der päpstlichen Kanzleigeschichte. Weiter stellt er unter Hinweis auf die zu erwartende polnische Neuausgabe die manchmal recht verschiedene Überlieferung des Ibrahimberichtes zusammen, der ebenfalls nicht in seiner ursprünglichen Form erhalten ist. Im einzelnen beschäftigt sich Koczy mit den im Titel genannten Namen, über deren Deutung bis heute noch keine Einheitlichkeit herrscht. In der Erklärung des »Dagone« lehnt er die nordische Herkunft des Namens ab und schließt sich Baltzer an, der darin eine Verstümmelung der Anfangsworte »Ego Mesco« der Schenkungsurkunde durch einen Kopisten sah. Die »civitas Schinesge« hält er nach den überlieferten Wortformen für identisch mit Gnesen und spricht sich gegen die Gleichsetzung mit Stettin aus. Bei der Einordnung der »Awbaba« ist Koczy besonders vorsichtig. Sicher sind sie für ihn nur ein den Polen benachbarter und von ihnen unabhängiger Volksstamm in Nordwesten. In der Beziehung auf die »Vuloini« des Widukind legt er sich ebensowenig fest wie auf eine genaue Datierung des Aufenthaltes Ibrahims am Hofe Ottos d. Gr., für welchen er die Jahre 965 und 973 nebeneinanderstellt (Widajewicz: 965, Stasiewski: 973 <1935, S. 618>). Seinen verschiedenen Monographien zur polnischen Politik in Westpommern in der 2. Hälfte des 10. Jh.'s hat J. Widajewicz eine neue, mehr zusammenfassende hinzugefügt < 712>. (Rez. E. Petersen in Jbb. f. Gesch. Osteuropas, Jg. 2, 1937, S. 297 f.) Wesentlich wiederholt er seine früheren Ansichten, so über die Lokalisierung der Liccikaviki des Widukind auf dem linken Oderufer bei Zehden (Cidine), über die Gleichsetzung der »civitas Schinesge« im Dagome-Regest mit Stettin oder über die Identifizierung des »Burislafr« der nordischen Quellen sowohl mit Mieszko I. wie mit Bolesław Chrobry. (In scharfer Polemik mit Koczy!) Die wikingische Jomsburg sieht Widajewicz in Wollin und hält den Gegensatz Wollin-Polen für abhängig von einem polnischen Gegensatz zu Dänemark. Mit Koczy betrachtet er die Heiratsverbindung der ersten Piasten mit Schweden als eine Sicherung gegen Dänemark. Im letzten Abschnitt revidiert Widajewicz seine ältere Behauptung, daß Mieszko I. Pommern 960 erobert und 963 wieder verloren habe. Er bekennt sich jetzt zu der Ansicht, daß Mieszko 963--67 Ost-, Mittel- und Südpommern besetzte und 967 Wollin eroberte, welches er in Zusammenhang mit einem Einfall der Dänen vor 980 wieder aufgeben mußte. (Demgegenüber hat zuletzt E. Randt: »Die neuere polnische Geschichtsforschung über die politischen Beziehungen Westpommerns


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zu Polen im Zeitalter Kaiser Otto des Großen«, Danzig 1932, S. 66, nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Quellen über eine Eroberung Pommerns durch Mieszko I. 963 bzw. 967 nichts aussagen. Vgl. die Zustimmung von G. Sappok, »Die Anfänge des Bistums Posen etc.«, Leipzig 1937, S. 38 f.) Auf der Grundlage seiner souveränen Beherrschung der westslawischen Sprachentwicklung versucht auch der jüngst verstorbene Friedrich Lorentz noch einmal in »Schinesghe und die Nordgrenze der Dagone-Schenkung < 711>«, die »civitas Schinesghe« festzulegen. Bei der genauen Analyse des Lautstandes scheint ihm eine Beziehung auf Gnesen eher möglich als eine solche auf Stettin. Allerdings entscheidet er sich für keinen der beiden Orte sondern für einen Ort Kenitz in der Nähe von Oderberg, der einmal als Aufenthaltsort des Herzogs Bogislaw I. von Pommern genannt wird. Das in der Schenkungsurkunde vorkommende »mare longum« sei nicht die Ostsee, sondern der Goplo-See, und damit sei bewiesen, daß Pommern nicht zu dem an den Hl. Stuhl geschenkten Territorium gehört hat. Diese Hypothese wird auf polnischer Seite von Wojciechowski »Jeszcze Mieszko«, S. 251, für ein »wissenschaftliches Kuriosum«, von Maleczyński, Kw. Hist., Bd. 50, S. 487, Anm. 3, für unglaubwürdig gehalten. Sappok, Z. d. Ver. f. Gesch. Schles., Bd. 70, S. 426 f., nennt sie »einen nicht sehr glücklichen Erklärungsversuch«, der »historisch gesehen -- ein Unding« ist. Gerhard Sappok hat in der Berichtszeit an verschiedenen Orten Übersichten über Quellen, bisherige deutsche und polnische Literatur sowie den gegenwärtigen Stand der Erforschung des ganzen Problemkreises gegeben und dabei auch mehrfach einen eigenen Standpunkt eingenommen. Am klarsten tritt dieser in einem Aufsatz »Zur Entstehungsgeschichte des polnischen Staates« < 709> hervor. Als deren Hauptfragen formuliert der Verfasser: 1. Grundcharakter der polnischen Staatsbildung (organische Entwicklung von innen heraus oder Eroberung von außen? 2. Die Gebietserweiterungen des alten Reiches unter seinen ersten Herrschern. 3. Das staatsrechtliche Verhältnis des Piastenstaates zum deutschen Reiche im Früh-MA. 4. Die Christianisierung Polens, die Stellung der jungen polnischen Kirche zum römischen Stuhl und zur deutschen Reichskirche. -- Die Zusammenfassung der deutschen und polnischen Quelleninterpretationen und Lehrmeinungen besonders zu den beiden ersten Punkten dürfte in der Tat den zur Zeit besten kritischen Überblick über die bis zum Jahre 1936 erschienene Literatur darstellen. In seiner eigenen Stellungnahme ist Sappok sehr vorsichtig. Er legt sich ebensowenig für oder gegen die »Normannentheorie« der Entstehung des polnischen Staates fest wie in der Frage der Zugehörigkeit des Krakauer Gebiets zu Polen vor 999 und erhofft eine einwandfreie Klärung von weiteren Untersuchungen. Allein die Zugehörigkeit Pommerns zu Polen vor 990 lehnt er als unbeweisbar ab und bekennt sich dabei zu E. Randts Quellenanalyse. Denselben Problemenkreis wie der eben skizzierte Aufsatz behandeln zwei weitere knappe Darstellungen Sappoks, die im Jahre 1936 unter dem Titel »Polen und das Deutsche Reich in ihren frühesten Beziehungen« und »Deutsche Aufbaukräfte bei der Christianisierung Polens« in den »Deutschen Monatsheften in Polen« (Jg. 2, S. 380--401 < 708> und Jg. 3, S. 281--299) erschienen. Beide sind wohl für einen breiteren Leserkreis berechnet und zeichnen sich durch einen bemerkenswert flüssigen Stil aus. Die erste ist stofflich nur eine Abwandlung des oben beschriebenen Beitrages, die zweite geht zeitlich über die ersten polnisch-deutschen Beziehungen hinaus und beschreibt dabei vor allem die durch den Polenherzog Boleslaw Krzywousty veranlaßte Missionstätigkeit des

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Bischofs Otto von Bamberg im 1. Drittel des 12. Jh.'s in Pommern. (Es sei hier noch kurz auf das 1937 erschienene Buch Sappoks, »Die Anfänge des Bistums Posen und die Reihe seiner Bischöfe 968--1498« hingewiesen.) Weiter äußerte sich in der Berichtszeit »Zur Geschichte der ältesten deutsch-polnischen Beziehungen« < 710> der Königsberger Historiker Friedrich Baethgen. Da er die polnische Sprache nicht beherrscht, ist ihm die einschlägige polnische Literatur nur aus ihrer Behandlung in deutschen Arbeiten bekannt. Von diesen stützt sich Baethgen in der Hauptsache auf die letzten Akademievorträge A. Brackmanns, aus deren Besprechung der vorliegende Zeitschriftenaufsatz entstanden ist. Bei weitgehender Zustimmung zu Brackmanns Beweisführung, besonders gegen Jedlicki, ist der Verf. in einigen Punkten anderer Ansicht. So möchte er in der durch die »Dagone judex«-Urkunde vollzogenen Übereignung Polens an den Heiligen Stuhl eine deutliche Spitze gegen das Reich sehen und kann sich auch Brackmanns Interpretation des Gallus Anonymus, daß die Schenkung der St. Mauritius-Lanze durch Otto III. an Boleslaw Chrobry bei den Gnesener Vorgängen im Jahre 1000 die Übertragung der kaiserlichen Herrschergewalt über Polen an den Polenherzog bedeutet habe, nicht anschließen. Für den Gnesener Akt betont Baethgen die Parallelität der Ereignisse in Polen und Ungarn, die die Quellen unabhängig von einander in gleicher Weise schildern. Eine oft behandelte Teilfrage des Problemkreises ist die örtliche Festlegung der großen wendisch-wikingischen Handelsstadt, die in den Quellen die verschiedensten Namensformen wie Julin, Jumne, Junneta, Vineta und Jomsburg trägt. (Über die einheitliche Bedeutung dieser Namensformen und ihre Gleichsetzung mit dem heutigen Wollin vgl. A. Hofmeister: Zur Vinetafrage, Mon. Bll. d. Ges. f. pom. Gesch. u. Altertumsk., 46 Jg., 1932, S. 81--89.) Z. Wojciechowski zitiert in den Rocz. Hist., Jg. XI, 1935, S. 211--217 in wörtlicher Übersetzung einen Bericht des Leiters der 1934 in Wollin vorgenommenen Ausgrabungen, Otto Kunkel, über deren bisheriges Ergebnis. Dieses ist das unzweifelhafte Vorhandensein einer wendisch-wikingischen Großsiedelung am Dievenowstrom. Daran knüpft K. Tymieniecki, ebda., S. 217--288, einige historische Bemerkungen. Einmal verweist er auf die von Widajewicz in seiner in diesem Bericht schon behandelten Arbeit vorgenommenen Gleichsetzung der Jomsburg mit Wollin aus historisch-politischen Gründen. Dann vertritt er als eigene Ansicht: »Nichtsdestoweniger war die Stadt an der Dievenow, von der Zeit der Jomsburger Kolonie abgesehen, in ethnischer Hinsicht eine slawische Stadt« (S. 219), um daran noch einige Bemerkungen über die slawischen, insbesondere polnischen Städte vor der deutschen Kolonialisation anzufügen. Der einstimmigen Ablehnung der deutschen Geschichtswissenschaft verfiel ein Buch des Geographen R. Hennig, »Wo lag Vineta?« <vgl. 1935, S. 198, 358, 453; 1936, S. 322>. Zeigt hier die Erforschung der Vineta-Wollin-Frage schon die Fruchtbarkeit gemeinsamer Arbeit der Geschichts- und Vorgeschichtswissenschaft in der gegenseitigen Ergänzung der Auswertung schriftlicher Quellen und der Spatenarbeit, so werden die vielversprechenden Aussichten einer solchen Gemeinschaftsarbeit im besonderen durch ein anderes in der Berichtszeit erschienenes Werk vor Augen geführt. Es ist dies das von A. Brackmann und W. Unverzagt herausgegebene Buch »Zantoch« < 142, vgl. S. 210>. Der vorliegende Band umfaßt den 1. Teil des Werkes, in welchem »Zantoch in der schriftlichen Überlieferung und die Ausgrabungen 1932/33« von J. Baas, A. brackmann, O. Doppelfeld, H. Lüpke und W. Unverzagt behandelt werden. Anlaß zu den vorgenommenen Ausgrabungen war die

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Beseitigung der »Zantocher Enge« für Schiffahrtszwecke. Die vorgenommenen Burgwallgrabungen, von deren erstem Abschnitt hier berichtet wird, waren äußerst erfolgreich. Es wurden nicht weniger als 12 Brandschichten erforscht, von denen jede die Überreste einer Burganlage in sich birgt. Aus ihnen kann in Ergänzung der von Brackmann und Lüpke dargestellten schriftlichen Überlieferung der Geschichte Zantochs das wechselvolle Schicksal der Burg vom 10--15. Jh. abgelesen werden. Die erste Burg ist anscheinend eine Grenzburg der Pomoranen gegen die feindlichen Polenstämme gewesen. In Übereinstimmung mit den Funden in Pommern läßt sich die für die Kultur der Pomoranen bezeichnende Feststellung machen, daß die Bauart der Burg unverkennbar germanische Züge, vermutlich wikingischer Herkunft, trägt. Unsere spärliche Kenntnis des frühesten Verhältnisses der Pommern zu den Polen aus den schriftlichen Quellen kann aus den Grabungen in Zantoch dahin ergänzt werden, daß die Pomoranen im 10. Jh. den Ausdehnungsbestrebungen der Polen an der Warthe-Netze-Linie heftigen Widerstand mit wechselndem Erfolg geleistet haben. Burg 2 wurde vermutlich von Bolesław Chrobry nach Unterwerfung Pommerns bald nach 1000 errichtet, und in den späteren heftigen Grenzkämpfen mit den Pommern zuletzt von Bolesław Krzywousty immer mehr ausgebaut (bis Burg 5). Die Ausgrabungen erschlossen hier ein Bild der frühpolnischen Kultur. Die Burgen 6--9 gehören in das Zeitalter der deutschen Kolonisation und machen einen deutschen Eindruck. Sie waren fürstliche Grenzwachten, im Hin und Her des Kampfes der brandenburgischen Askanier mit den Polen. Die Burgen 10--12 zeigen die Anlage einer deutschen Ritterburg des 15. Jh.'s. Diese Entwicklung wird in ihren einzelnen Perioden von Unverzagt und Doppelfeld genau dargelegt. Auch die in den Burganlagen gefundenen pflanzlichen Reste erfahren eine eingehende Untersuchung durch Baas. Den großen geschichtlichen Zusammenhang endlich schaffen Brackmann und Lüpke. An der fruchtbaren Wechselwirkung aller Beiträge, die sich sehr gut ergänzen, kann ermessen werden, in welch reichem Maße die frühmittelalterliche Geschichte Ostdeutschlands durch weitere Zusammenarbeit der Historiker und Prähistoriker (z. B. bei Wollin, Nimptsch, den anderen Netzeburgen) noch erhellt werden kann. (Rez. von E. Petersen, Jbb. f. Gesch. Osteuropas, Jg. 2, 1937, S. 326 f.; von W. La Baume, Altpr. Forsch., 13. Jg., 1937, S. 128 f.; von Joh. Schulze, Forsch. z. brandbg. preuß. Gesch., Bd. 49, 1937, S. 207 f.; nur referierend in Kw. Hist., Bd. 50, 1936, S. 561 f.) Ein junger Krakauer Historiker, St. Nowogrodzki, behandelt in einem größeren Aufsatz »Między Luksemburgami, Wittelsbachami a Polską. Pomorze Zachodnie a Polską w latach 1323--1370« (Zwischen Luxemburgern, Wittelsbachern und Polen. Westpommern und Polen in den Jahren 1323 bis 1370), Rocznik Gdański, Jg. 9/10, 1935/36, die Beziehungen der Herzöge von Pommern-Wolgast zu Polen, insbesondere seinem Könige Kasimir d. Gr., auf dem Hintergrunde der Ostpolitik der brandenburgischen Wittelsbacher und Kaiser Karls IV. -- Als Band 3 der Reihe »Deutschland und der Osten« erschien »Ein englischer Gesandtschaftsbericht über den polnischen Staat zu Ende des 16. Jh.s«, herausgegeben von S. Mews. (Leipzig 1936, 88 S.) Die Handschrift, die allgemein Sir George Carew zugeschrieben wird, den die Königin Elisabeth von England 1598 als Gesandten nach Schweden, Polen und Danzig sandte, wurde erst 1932 von einem polnischen Gelehrten im Britischen Museum entdeckt. Da der von diesem veröffentlichte Auszug unzulänglich ist, veröffentlichte Mews den Bericht unter Übertragung ins Deutsche von neuem. Der Gesandtenbericht ist deshalb ein

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so interessantes Zeitdokument, da er offen und ehrlich die damals schon bedenklich großen Mißstände im polnischen Reich zur Sprache bringt. Zuerst werden die Landesteile, darunter auch Litauen, Kurland und Livland geschildert, dann die innerstaatlichen Verhältnisse und Polens Beziehungen zum Ausland beleuchtet. Mews kommentiert die Beschreibung ziemlich erschöpfend aus der einschlägigen, besonders polnischen Literatur. Seine Übersetzung sucht überall möglichst Vollständigkeit und Genauigkeit des Originials zu wahren. (Rez. von R. Seeberg-Elverfeldt in Altpr. Forsch., Jg. 14, 1937, S. 133; Kwart. Hist., Bd. 50, S. 267.) Von R. Cromer erschien in der Berichtszeit der 2. Teil seiner im Vorjahr (S. 619) angezeigten Darstellung »Die Polenfrage auf den Nationalversammlungen von Frankfurt am Main und Berlin« (Nation und Staat, Jg. IX, 1935/36 < 1028>). Er behandelt auf der quellenmäßigen Grundlage der stenographischen Berichte die die Polenfrage betreffenden Debatten und Beschlüsse der preußischen Nationalversammlung in Berlin. Klar geht aus den Stenogrammen die kritiklose Polenfreundlichkeit der Abgeordneten der Linken hervor. Doch lehnte die preußische Verfassung von 1850 die von ihnen befürwortete Selbstverwaltung der Polen im Großherzogtum Posen ab. -- Die Dissertation von Kl. Mühlmann, »England und die polnische Frage im Jahre 1863« <1933/34, 1538> beruht auf einer guten Kenntnis der englischen Literatur. Der Standpunkt der polnischen Wissenschaft ist nicht berücksichtigt worden. Der Verf. behandelt zuerst eingehend die schwankende Einstellung der englischen Politik zu der am 8. Februar 1863 zwischen Preußen und Rußland abgeschlossenen sog. »Alvensleben-Konvention«. Das 2. Kapitel schöpft die zeitgenössische englische Publizistik für eine Schilderung der pro-polnischen Haltung der englischen Öffentlichkeit während des Aufstandes von 1863 aus. (Rez. v. Z. Krzemicka in Kw. Hist., Bd. 50, 1936, S. 103 f.) -- K. Witt hat »Die Teschener Frage« < 1363> zum Gegenstand einer umfangreichen Monographie genommen. Das Teschener Schlesien ist eine der besonders mit volkspolitischen Fragen geladenen »Dreivölkerecken«. Mitten hindurch geht die polnisch-tschechische Sprachgrenze. Deutsche wohnen besonders in der Bielitzer Sprachinsel. Hier ist ein altes Grenzland, das 1772--1918 im österreichischen Staat die Verbindungsbrücke zwischen Schlesien-Böhmen und Galizien bildete. Seit altersher haben stärkste deutsche Kultureinflüsse dem Lande ihren Stempel aufgedrückt. Nach einem geschichtlichen Überblick schildert W. ausführlich die Teschener Frage am Ausgang des Weltkrieges und auf dem Versailler Kongreß, die am 28. Juli 1920 durch einen Spruch der Botschafterkonferenz zu einer Teilung des Gebiets zwischen Polen und der Tschechoslowakei führte. Das bedeutende Kohlenrevier von Mährisch-Ostrau mit polnischer Bevölkerungsmehrheit fiel an die Tschechoslowakei, eine Tatsache, die bis heute von polnischer Seite nicht anerkannt worden ist. Als Anlage bringt Witt eine Reihe von Originaldokumenten, u. a. das polnisch-tschechische Minderheitenabkommen von 1925. Den Abschluß bildet eine Bibliographie zur Teschener Frage. -- Für einen Teilabschnitt schildert B. Heinemann die verkehrs- und bevölkerungspolitischen Auswirkungen der Grenzzerreißung durch das Versailler Diktat. (»Grenzland Ostpommern«, Z. f. Geopolitik, Jg. 13, 1936, S. 485--490.) -- Auch im Schrifttum des Auslandes ist das Problem des in Versailles geschaffenen sog. polnischen Korridors und des Freistaats Danzig immer wieder erörtert worden. Eine ausführliche geschichtliche und gegenwartspolitische Darstellung »Den Polske Korridor og Danzig« < 301> verfaßte der Däne Sven Henningsen unter Heranziehung der einschlägigen deutschen

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Literatur. Von polnischer Seite ist ihm anscheinend infolge Nichtkenntnis der polnischen Sprache nur das französisch abgefaßte Schrifttum zugänglich gewesen. Die Studie wurde vom Kopenhagener »Instituet for Historie øg Samfunds- økonomi« herausgegeben. Ebenso legt das »Royal Institute of International Affairs« in London eine umfangreiche Untersuchung von J. F. D. Morrow und L. M. Sieveking, »The Peace Settlement in the German-Polish Borderlands« < 1358> vor, welche die durch die Versailler Grenzziehung geschaffene Lage an der deutsch-polnischen Grenze im Vergleich zu den Vorkriegsverhältnissen zum Gegenstand hat. Von den Grenzländern werden Ost- und Westpreußen, das Memelgebiet, Danzig, Pommerellen, Ostpommern und die Grenzmark Posen-Westpreußen behandelt. Die Quellen sind zum großen Teil deutsche Veröffentlichungen; von polnischer Seite nur solche in englischer und französischer Sprache, da Morrow anscheinend das Polnische nicht beherrscht. (Von L. M. Sieveking stammt nur ein selbständiger Exkurs über die Danziger Finanzen.) Bei der historischen Darstellung ist Morrow eine Reihe von Fehlern unterlaufen. Die Schilderung der durch die Grenzziehung in den deutschen Grenzgebieten entstandenen Nöte und Schäden entspricht im Wesentlichen den Tatsachen. Morrows Feststellung, daß diese aber von den »ostelbischen Junkern« bewußt übertrieben worden sind, um ihre eigenen Schwierigkeiten zu verdecken, muß von deutscher Seite abgelehnt werden. (Vgl. die Rez. von F. Morré in »Jomsburg«, Völker und Staaten im Norden und Osten Europas, Jg. 1, 1937, H. 1, S. 89 ff.; von J. Makowski u. R. Bierzanek in »Baltic and Scandinavian Countries«, Vol. III, 1937, Nr. 1, S. 151 ff. u. in »Jantar«, Jg. 1, 1937, S. 60 ff.)


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