I. Ortsnamen.

Die deutsche Orts- und Flurnamenforschung trägt nicht nur in mühsamer und langwieriger Arbeit ihr Material zusammen, sie sieht sich auch vor eine doppelte Aufgabe gestellt. Die Namen sind einmal sprachliche Quelle und also mit den Mitteln der Sprachforschung zu deuten, sie sind aber auch Geschichtsquelle und deshalb für die Geschichtsforschung nutzbar zu machen.

Die urkundlichen Formen trägt für Oberösterreich K. Schiffmann <1935, 525; 1936, 470> zusammen, sich jeder eigenen Deutung enthaltend. Damit ist dem Ortsnamenbuch der Steiermark im MA. ein zweites Ortsnamenbuch für ein österreichisches Land an die Seite getreten und eine sichere Grundlage für Deutungen geschaffen, die aber noch die mundartliche Aussprache zu berücksichtigen haben. Das Nachschlagbuch für die österreichischen Länder von E. Weinberg <1936, 469> leidet an mangelnder Kritikfähigkeit der verschiedenen nebeneinander gestellten Ortsnamendeutungen. Für Mähren und das Troppauer Schlesien erfüllt das im Erscheinen befindliche Werk von Hosák <1933/34, S. 785, Nr. 16> leider nicht die an eine historische Ortsbeschreibung gesetzten Erwartungen der Historiker und Ortsnamenforscher, denn die historischen Angaben sind lückenhaft, die alten Ortsnamenschreibungen aber nur z. T. angegeben. Zugrundegelegt sind die alten Kreise, was vorderhand, solange noch kein Register vorhanden ist, die Benützung recht erschwert. Demgegenüber erstrebt das Sudetendeutsche Ortsnamenbuch nicht nur bezirksweise an die urkundlichen Belege und die mundartliche Aussprache möglichst gesicherte Deutungen anzuschließen, sondern die Durcharbeitung der historischen Quellen auch für eine Geschichte der Herrschaften nutzbar zu machen und durch die Verbindung der Ergebnisse der Namenforschung mit den Aussagen der Geschichte die Siedlungsgeschichte zu befruchten. Bisher liegen drei Hefte vor, die sich mit den politischen Bezirken Reichenberg, Gablonz und Friedland beschäftigen und von E. Gierach und E. Schwarz <1932, 537; 1935, 527; 1936, 473, 474> geschrieben sind.

Eine lang entbehrte Lücke der Ortsnamenforschung füllt Helbok <1935, 249; 1936, 1454; 1937, 1525> mit den seinem Werke beigegebenen Ortsnamenkarten aus, die er an anderer Stelle (Deutsches Volkstum, 6. Bd.) für einige Ortsnamengruppen bis in das westliche Norddeutschland ergänzt. Der Siedlungsgeschichte wird dadurch ein neues Hilfsmittel an die Hand gegeben.

Die germanischen Ortsnamen in der Romania sind durch Gamillschegs großes Werk <1933/34, 688; 1935, 470; 1936, 459; dazu Frings, 1935, 27, S. 570> wieder in den Vordergrund der Forschung gerückt worden. Petri < 1620> überträgt die Erkenntnisse der modernen Dialektgeographie von der nicht unmittelbar siedlungsmäßigen, sondern kulturdynamischen Grundlage der heutigen Mundartgebiete und -grenzen auf die heutige deutsch-französische Sprachgrenze, die er als eine erst in spätfränkischer Zeit zustandegekommene Ausgleichsgrenze betrachtet. Der Vorgang hat in den Namenverhältnissen zu beiden Seiten der Sprachgrenze einen Niederschlag gefunden. Wie sich hier alte und neue Anschauungen gegenüberstehen, zeigt die Auswertung der Ortsnamen Elsaß-Lothringens für die Siedlungsgeschichte im Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums (II,


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S. 326 ff. und 330 ff.) durch Wolfram und Petri, wo Wolfram noch an die Möglichkeit der Verwertung der Ortsnamen im Arnoldschen Sinne der Stammestheorie glaubt.

Einen kühnen Vorstoß in die germanische Vor- und Frühzeit unternimmt mit Hilfe der Ortsnamen Simon < 477>. Er will mit ihnen die Wanderwege der germanischen Stämme herausarbeiten. Seine Methode ist aber durchaus abzulehnen. Für die Warnen werden z. B. alle Ortsnamen in Anspruch genommen, die mit Personennamen, z. B. Wernberht, Wernher zusammengesetzt sind, etwa Wernersdorf oder Warnsdorf, ohne Rücksicht darauf, aus welchen Zeiten sie stammen, ob sie im Alt- oder Neuland liegen, überhaupt ohne eingehendes Studium ihrer Vorbedingungen. Die deutschen Lokatoren des 13. Jh.'s, die Wernher usw. geheißen haben, haben sicherlich mit den Warnen nichts mehr gemein. Der Umstand, daß im ersten Teil ihrer Namen vielleicht der Stammesname fortlebt, hat mit den Wanderungen der Warnen im 6. Jh. nichts zu tun. S. hält es sogar für möglich, Namen wie Schweinfurt, alt Swinfurtin, oder Schwanfeld, 8. Jh. Suanafeldum mit den Schweden zusammenzubringen, sogar Namen slawischer Herkunft wie Schweidnitz entgehen ihm nicht. Die Fehlerquellen sind eben unendlich größer, als S. ahnt. Dabei sind Ortsnamen wohl geeignet, in Fragen auch der frühgeschichtlichen Siedlung weiterzuführen, wie H. Ehmer, Die sächsischen Siedlungen auf dem französischen »Litus Saxonicum« (Halle, Niemeyer, XII, 58 S. = Studien zur englischen Philologie, 92) zeigt. Die Einwanderung germanischer Stämme nach Britannien hat man sich bisher meist so vorgestellt, daß wenigstens ein Teil dieser Stämme vorher an den Rheinmündungen und bei Boulogne gewohnt habe, wo das Litus Saxonicum als von den Sachsen bewohnte Küste erklärt wurde. Die hier verbreiteten Ortsnamen auf -ingthun wurden dafür als Zeugen herangezogen, da sie sonst nur noch in England vorkommen. Durch lautliche Beobachtungen gelangt E. zur Überzeugung, daß sie nicht sächsischen, sondern angelsächsischen Ursprunges sind und aus dem 6.--8. Jh. stammen, wobei die ing-Namen in England älter sind. Das archäologische Material ist zwar kärglich, widerspricht aber nicht, zumal sächsische Funde vor dem 6. Jh. auf dem französischen Litus fehlen. So wird es wahrscheinlich, daß Litus Saxonicum »die gegen die Einfälle der Sachsen geschützte Küste« bedeutet und daß die Siedlungen bei Boulogne angelsächsische, wahrscheinlich kentische Gründungen frühestens aus der zweiten Hälfte des 6. Jh.'s darstellen. Die angelsächsische Einwanderung in Britannien dürfte dann in stärkerem Maße, als es bisher geschehen ist, in direkter Fahrt über die Nordsee zu denken sein. Zu vergleichen und ergänzen sind damit die von E. nicht berücksichtigten, aber seiner Auffassung nicht widersprechenden Bemerkungen bei Petri < 1620>, S. 671 und 880.

Die auffallende Beschränkung der ingen-Namen in Norddeutschland, die gehäuft in der Lüneburger Heide und in der später friesischen Marsch (Oldenburg, Groningen und im friesischen Westergo) auftreten, sucht Carsten < 512> dadurch zu erklären, daß er eine Verbindung zwischen diesen Gegenden herstellt. Er trifft eine Neueinteilung der alten Germanen in eine West- und eine Osthälfte. Nur dieser spricht er die ingen-Namen zu und nimmt an, daß die Herminonen die ingen-Namen, vom Norden kommend, in Deutschland westlich der Elbe eingeführt hätten. Ihnen möchte er auch die von ihm als chaukisch angesprochenen ingen- Namen der südlichen Nordseeküste zuteilen, während die Friesen die Träger der um(heim)-Namen, die Sachsen die der sted-Namen sein sollen. Die Arnoldsche


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Theorie wird also in neuem Gewande wieder aufgenommen. Richtiger ist es, nicht die Stammesfrage voranzustellen, sondern sich bei solchen Namenuntersuchungen nicht auf eine Gruppe von Ortsnamen zu beschränken, alle vorhandenen Ortsnamen sorgfältig zu betrachten, die ingen-Namen also nicht aus ihrem natürlichen Zusammenhange mit den anderen Namengruppen zu reißen. -- Die Ortsnamen auf -ingerode, die auf einem verhältnismäßig scharf umgrenzten Raum um den Harz vorkommen, sucht Boegehold < 520> zeitlich zu verankern und als Rodegründungen des 10. und 11. Jh.'s wahrscheinlich zu machen. Stark vertreten sind unter ihnen die Wüstungen, nur zwei sind zu Städten geworden. Für die Bachsche Hypothese von der Entstehung aus dem Nebeneinander von -ingen und -rode läßt sich nicht ins Treffen führen. Erschöpfend ist die Frage dieser Ortsnamen aber noch nicht behandelt.

Eine gute Einführung in die Schweizer, z. T. auch Elsässer Ortsnamen, über ihr Aufkommen, ihre Aussagemöglichkeiten, ihre Deutungen, Eingreifen der Behörden, über ihre Rolle als Begleiter der Geschichte einer Gegend gibt Bruckner < 503>. Die mit Baumnamen gebildeten Ortsnamen in Baden, leider nur die mit den häufigen, untersucht Nordlund < 528>. Während 30 Prozent der badischen Ortsnamen auf -heim und -ingen bereits vor 800 belegt sind, sind bis zu dieser Zeit nur 3,9 Prozent der aus Baumnamen gebildeten Ortsnamen nachzuweisen, in denen also in der Hauptsache jüngere Bildungen zu sehen sind. Damit stimmt das geographische Verbreitungsgebiet der heim- und ingen-Namen in der fruchtbaren Ebene und im Raume archäologischer Funde überein. Weiter ergibt sich, daß die Buche im MA. über die Eiche ein entschiedenes Übergewicht hatte und daß die Laubbäume über die Nadelbäume in den im MA. besiedelten Gebieten vorherrschten. Die Folgerungen sind deshalb nicht immer überzeugend, weil aus solchen Orts- oder Flurnamen nicht immer zwingend auf den Baumbestand einer Gegend geschlossen werden kann. -- Das Fortschreiten des Siedlungsganges an der Hand der Ortsnamen der Diözese Eichstätt verfolgt Bacherler <1931, 378; 1937, 529>. Die Erklärung der Namen baut meist auf dem ältesten Beleg auf, weitere Belege und Rücksichtnahme auf die mundartliche Entwicklung fehlen. Die Namen werden nach Lage und mutmaßlicher Entstehungszeit am Schlusse jedes Abschnittes zusammengefaßt. Die Abschnitte Lage- und Kulturnamen stehen noch aus. -- In der ortsnamenkundlich etwas vernachlässigten Oberpfalz bietet Hecht <1936, 466> eine auf urkundlichen Formen und mundartlicher Aussprache aufgebaute Erklärung der Ortsnamen des Bezirksamtes Roding. -- Die viel behandelte Lar-Frage sucht Schnetz, Die Lösung des Lâr-Problems (Z. Namenforschg., Bd. 13, S. 110--121) abzuschließen, indem er hlâr als »Weide« erklärt.--E. Schröder < 504> gibt weitere Beispiele dafür, daß Tiernamen ohne besonderes Suffix auch als Flußnamen gebraucht werden konnten.

Ein schwieriges Ortsnamengebiet ist das Burgenland, wo deutsche, madjarische und kroatische neben älteren slawischen Namensformen vorhanden sind. Österreichische und ungarische Forscher bemühen sich darum, die Ortsnamen dieses Grenzlandes für die Siedlungsgeschichte verwertbar zu machen. Das Buch von Elemér Schwartz über die deutschen Ortsnamen Westungarns <1932, S. 664, Nr. 4> bedeutete einen großen Rückschritt, da er nirgends versuchte, die Eindeutschung der einzelnen Ortsnamen mit sprachlichen Mitteln zu bestimmen, und sich um Lautgesetze nicht kümmerte. Die Ergebnisse der österreichischen Ortsnamenforschung in diesem Lande sind von E. Klebel (auf Grund historischer Untersuchungen)


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und W. Steinhauser (auf Grund sprachlicher) im Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums (I, S. 715) kartographisch zusammengefaßt und dargestellt worden. Eine Krönung von Moórs Arbeiten bedeutet sein neues Buch < 536>, worin er Westungarn im MA. im Spiegel der Ortsnamen zeigen will. Sein Verdienst ist es, die sprachwissenschaftliche Seite der Ortsnamenforschung mit der historischen der Siedlungsgeschichte organisch zu verknüpfen, die Namendeutungen auch siedlungsgeschichtlich zu kontrollieren, wodurch die Fehlerquellen bedeutend eingeschränkt werden. Gegen Einzelheiten haben sich Widersprüche erhoben (vgl. St. Kniezsa in den Ungar. Jbb. 17, S. 275--291 und W. Steinhauser, Burgenländische Heimatbll. 6, S. 73 ff.).

Einen kritischen Überblick über die Orts- und Flurnamenforschung in den Sudetenländern 1927--1936 gibt Ernst Schwarz < 537>. Bei der Darstellung der Ortsnamen des Kreises Neumarkt in Schlesien durch Moepert <1935, 504> vermißt man die nötige Rücksichtnahme auf die Erscheinungen des Lautersatzes und die mundartliche Entwicklung, doch ist die Verbindung mit der Ortsgeschichte zu loben. Slawische Ortsnamen Mitteldeutschlands deutet Brückner <1935, 497>. So vortrefflich viele Erklärungen sind, die mit Glück polnisches und tschechisches Vergleichsmaterial heranziehen, es fehlt das tiefere Verständnis für die Bedeutung der Regeln des Lautersatzes gerade im deutsch-slawischen Berührungsgebiet, mit deren Hilfe die Sicherheit der Deutungen und damit ihre Verwendung als Geschichtsquelle beträchtlich gesteigert werden kann. Der Versuch Lattermanns <1935, 499>, mit Hilfe der Lautersatzerscheinungen die Ortsnamen im deutschpolnischen Grenzraum als Geschichtsquelle zu verwerten und an den Ortsnamen des Kreises Fraustadt zu erproben, bringt manche wertvolle Beobachtungen, doch fehlt genügender sprachlich-phonetischer Unterbau der beachteten Erscheinungen, auch stört der nicht überzeugende Versuch, unbedingt das Deutschtum vor 1200 zu verankern und am liebsten an die germanische Zeit anzuknüpfen. Den im deutschen Osten einzig dastehenden Namenbeziehungen zwischen Wandalenresten in Schlesien um den Zobtenberg (Silingberg) mit den im 6. Jh. einwandernden Slawen gehen Vasmer <1936, 439>, Steinhauser <1936, 440> und Schwarz (Jbb. Gesch. Osteuropas 1, 1936, S. 68 ff.) nach. Dieser zeigt, daß der bisher für germanisch gehaltene Flußname Lohe doch slawischen Ursprunges ist und ursprünglich ein örtlich beschränkter Furtname war.


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