B. Personennamen

(H. Bahlow)

In den Berichtsjahren 1936 und 1937 ist die Erforschung der deutschen Familiennamen einen beachtlichen Schritt vorwärts gekommen. Die Namengeographie, die in Gottschalds deutscher Namenkunde im wesentlichen Theorie blieb und in des Berichterstatters »Deutschem Namenbuche« erstmalig als Grundvoraussetzung wissenschaftlicher Deutung zur Geltung kam, hat in Brechenmachers »Deutschen Sippennamen« <1936, 418> insofern praktische Anwendung gefunden, als bei den einzelnen Namen die wichtigsten Orte ihres Vorkommens und ihre zahlenmäßige Verteilung vermerkt sind. Leider schöpft Br. seine Belege -- von seiner schwäbischen Heimat abgesehen -- fast nur aus den Adreßbüchern größerer Städte, so daß die Methode nicht selten unfruchtbar bleibt; denn eine Angabe wie »Düsseldorf, Berlin, Wien« sagt schlechterdings nichts über die Heimat des Namens aus. In andern Fällen ist die ermittelte Verbreitung für die Deutung ungenutzt gelassen; so weist Brodmärkel nicht nur sprachlich, sondern auch durch die Fundorte »Augsburg, Hof, Kottbus« nicht nach dem Niederdeutschen: es ist ein fränkischer Märkel (= Markwart), der Brothandel treibt. Ein voller Erfolg wird der geographisch-statistischen Methode erst dann beschieden sein, wenn sie systematisch auf kleinere Räume, auf Namenlandschaften, Anwendung findet. Dies wird der Fall sein im »Handbuch der deutschen Familiennamen nach Landschaften«, in dessen Rahmen Br. die schwäbische Namenlandschaft vorführen wird.

Den Gedanken, unsere Namenwelt nach Ursprungsgruppen aufzugliedern, den ich 1933 durchführte, um den stets überschätzten Anteil der ursprünglichen Taufnamen in seinem Verhältnis zu dem der verkannten Herkunftsnamen aufzuzeigen, greift neuerdings Linnartz <1936, 419> auf, ohne daß dieser methodische Zweck auch bei ihm zu spüren wäre. Denn die Fülle kulturgeschichtlichen Materiales schrumpft nicht unerheblich zusammen, wenn man die Fehldeutungen ausscheidet. So gehört ein großer Teil von den (angeblich) 10_000 Berufsnamen des ersten Bandes in die Gruppe der Herkunftsnamen, sei es daß Eckermann mit der Schweinemast in Verbindung gebracht wird statt mit dem Harzflüßchen Ecker, oder Eibenschütz mit Eibenholz und Bogenschützen statt mit dem Ortsnamen Eibenschitz in Mähren. Auch Deutungen wie Kutschenreiter und Senftenreiter (von Ortsn. auf -reut) als »herrschaftliche Kutscher und Vorreiter« würden von den weiteren Bänden nicht viel erwarten lassen, wenn nicht der soeben erscheinende zweite Band (die ursprünglichen Vornamen) angenehm enttäuschte. Ist auch im einzelnen die mangelnde Erfahrung aus eigener Quellenarbeit spürbar, so bedeutet das Buch als Ganzes doch einen unleugbaren Fortschritt, insofern sich Linnartz von Förstemann und Heintze-Cascorbi grundsätzlich lossagt und als gesunde Grundlage seiner Deutungen die Taufnamenwelt des 13. bis 16. Jh.'s wählt.

Das weite niederdeutsche Gebiet hat durch O. Göbel (Niederdt. Familiennamen der Gegenwart, 1936) die erste zusammenfassende Darstellung seiner Namenwelt erhalten, deren Schwergewicht freilich im Hannöverschen liegt, so daß der Niederrhein und besonders Ostelbien recht schlecht dabei fahren. Den Nachdruck legt der Verf. auf die kulturgeschichtliche Erschließung der Namen, indem er ihren Inhalt durch Quellenbelege aus dem Wörterbuch von Schiller-Lübben zu veranschaulichen sucht. Ein sehr nützliches Unternehmen, solange er nicht übers Ziel hinausschießt und durch laienhafte Deutungen wie Puttfarken »Erde ausschachten« (statt »Ferkel«) u. ä. die fehlende methodische Schulung


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verrät (worüber man »Zeitschr. f. Mundartforschung« 14, 1938, H. 2 vergleiche). Leider macht G. auch nicht den Versuch, die landschaftliche Forschungsweise anzuwenden, so daß wir über die geographische Verteilung der Namen nichts erfahren. Eine künftige Darstellung der niederdeutschen Namenlandschaft wird ein gänzlich anderes Gesicht zeigen und die starken Lücken in G.'s Arbeit gründlich ausfüllen müssen.

Die Frage nach dem Verhältnis von städtischer und ländlicher Namengebung hat sich die Doktordissertation von Werner Felten < 492> gestellt. An Hand der alten Boizenburger Namen, vor allem vom Ende des 15. Jh.'s (1494) bis zum Dreißigjährigen Kriege (1614) sucht F. durch getrennte Behandlung von Stadt und Land grundsätzliche Unterschiede zwischen beiden zu erweisen. Das Ergebnis ist in Wirklichkeit weitgehende Übereinstimmung, da beide ihre Namen aus denselben Quellen schöpfen und der größere Teil der Stadtbevölkerung aus der ländlichen Umgegend stammte. Das Land unterscheidet sich lediglich durch zäheres Festhalten an den ererbten Taufnamen und durch das Übergewicht der slawischen Namen, da nur das Land noch Zufluchtsstätten für die Wendenreste bot. Daß anderseits der Stadt so mancher ländliche Name fremd ist und das Land wiederum die städtischen Berufsnamen z. T. gar nicht kennt, ist schließlich selbstverständlich. Die lehrreichen statistischen Aufstellungen über das Verhältnis der einzelnen Gruppen zueinander ergeben das gewohnte Bild, und die scheinbaren Abweichungen bei den Herkunftsnamen (vor 1400: 50 Prozent, nachher nur 22) beruhen lediglich auf Falschdeutungen.

Nach Oberdeutschland versetzt uns die gleichfalls bäuerlicher Namengebung gewidmete Arbeit von Hildegard Lösch <1936, 422> aus der Schule Alfred Götzes, beachtenswert schon wegen der hervorragenden Quelle, die aus den Jahren 1303--1311 jeden Untertan der Habsburgischen Besitzungen am Oberrhein namentlich aufführt, also etwa dem Gebiete von Socins umfassendem Mittelhochdeutschen Namenbuche entspricht. Bemerkenswert ist, daß die bäuerlichen Zunamen des Urbars in der Regel schon als Familiennamen aufzufassen sind, eine Bestätigung der Socinschen Ergebnisse. Beweisend sind Fälle wie Zehender, ein Name, der in derselben Ortschaft gleichzeitig für sechs verschiedene Personen bezeugt ist. Die wichtige Erkenntnis, daß dictus »genannt« ganz äußerlich von der Quelle, d. h. von Schreiberwillkür abhängt, aus seinem Fehlen also keinerlei Schlüsse auf Festigkeit der Namen gezogen werden können, bestätigt erneut die Berechtigung meiner Forderung, viel strengere Quellenkritik zu treiben als bisher (vgl. Baltische Studien 1934). Die Erklärung der Namen selber kommt freilich über das Anfängerniveau nicht immer hinaus. Verfehlt ist jedenfalls das Kapitel der Familiennamen aus altdeutschen Männernamen, wo wieder einmal Förstemann und Cascorbi Pate gestanden haben. Von einer »außergewöhnlichen Häufigkeit« dieser Namengruppe kann keine Rede sein, da jeder zweite Name anders zu erklären ist: so Bremse nicht als Bramolf, sonder als mittelhochdt. bremse »Klemme, Maulkorb«, Baldenwek und Heldingen als Ortsnamen, Kiselingh und Munzihubt als Übernamen usw.

Die rheinischen Namenverhältnisse waren bisher trotz reichlich fließender Quellen sehr wenig durchforscht. Zu der Kölner Arbeit Fritz Wagners (1913) aus der Schule Edward Schröders tritt jetzt die Gladbacher von Heinz Trupp < 497>. Er hat auf die Beinamen nach Wohnsitz und Herkunft besondere Mühe verwandt. Ausgehend von der Tatsache, daß Gladbach z. Zt. der Namengebung noch kein


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eigentliches Stadtgebiet, sondern durch die Abtei mehr der verwaltungsmäßige Mittelpunkt aller jener zinspflichtigen Höfe und kleinen Ortschaften war, daß wir es also mit einem ausgesprochenen Hofsiedlungsgebiet zu tun haben, zeigt der Verfasser, daß die vielen auf -s, -es, -is auslautenden Namen des nördlichen Rheinlands durchaus nicht immer patronymische Bildungen sind (mit Ellipse von »Sohn«, so Brasse 1907), sondern großenteils kontrahierte bzw. elliptische Wohnstättennamen auf -hus wie etwa Thalers <to Alartzhuys, Scherpenis <to Scherpenhus, Class <to Clashuis, Grechtz <to Grechthus usw. Auch die sehr häufigen -mann- Namen sind richtig beurteilt als »Insassennamen«: Drieschmann, Grechtmann, Stapmann, Schurmann usw. Bildungen auf -er erscheinen nur ganz vereinzelt: Hoefkemper. Hinsichtlich der einzelnen Klassen kommt auch T. wieder zu dem wichtigen Ergebnis, daß die Beinamen nach Wohnsitz und Herkunft den weitaus größten Teil der Namen ausmachen. Zu bedauern bleibt, daß T. sich auf ein einzelnes Urkundenbuch beschränkt, dessen verhältnismäßig dürftiges Material sich über fünf Jahrhunderte verteilt und somit keine beweiskräftigen Gleichungen zu liefern vermag. Zudem wird statt des niederdeutschen Wörterbuchs von Schiller- Lübben ständig der hochdeutsche »Lexer« zu Rate gezogen, am Niederrhein!

Auf die Methode der Kulturraumforschung in ihrer Bedeutung für die Namenkunde weist der Volkskundler Adolf Bach im Rahmen einer umfassenden volkskundlich-psychologischen Betrachtung der deutschen Eigennamen hin; mit Recht, da nur sie die äußere Geschichte unseres Namenschatzes und deren Dynamik aufzuhellen vermag. Hervorgehoben seien in diesem Zusammenhang die Herkunftsnamen: »ein unersetzliches Quellenmaterial für die Erkundung der auch volkskundlich bedeutsamen Bevölkerungsverschiebungen auf der Höhe des Mittelalters«; wertvoll sind die beigegebenen Karten von Bach und dem Rezensenten. Aber nicht nur »im südlichen Rheinland und an der Mosel«, sondern überall »stellt das Ortslexikon meist den Schlüssel dar zu allen etymologisch undurchsichtigen Familiennamen« <in 1917, Bd. 3, S. 321--373>.

Neuerdings bemühen sich einige Mundartwörterbücher, die Eigennamen ihrer Landschaft mit zu erfassen; in ungewöhnlichem Umfange z. B. das Schlesische durch W. Jungandreas < 471>, leider -- wie schon Ernst Schwarz betont hat -- ohne der Aufgabe gewachsen zu sein. Schon die Zugrundelegung des Breslauer Adreßbuchs und die Beschränkung auf die überholte Erstlingsarbeit von Reichert über die Breslauer Personennamen des Mittelalters von 1907 zeugt von der unwissenschaftlichen Haltung. Denn aus dem Großstadtadreßbuch läßt sich die Bodenständigkeit und geographische Verteilung der Familiennamen nicht erkennen, mithin auch ihre wahre Bedeutung nicht immer erfassen. Nicht einmal solche Besonderheiten wie das sekundäre End-t in Reichelt (= Richel = Richolf) u. v. a. sind dem Bearbeiter geläufig, -- er konstruiert ein erfundenes Reichwald! Die Brille des Mundartforschers raubt ihm im übrigen den Blick für die slawische Grundlage so manches schlesischen Erbnamens wie Raupach, Raschke, Rauke usw., und Deutungen wie Raubentisch »raub den Tisch« vermögen erst recht nicht das Zutrauen des Lesers zu erwecken. Es steht zu hoffen, daß das »Handbuch der schlesischen Familiennamen« dem weiteren Umsichgreifen solcher Fehldeutungen rechtzeitig halt gebieten wird (vgl. hierzu den Aufsatz »Landschaftliche Erbnamenforschung« in »Forschungen und Fortschritte« v. 20. 11. 1938).


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