§ 12. Zeitungswesen

(E. Dovifat)

Es mehren sich die Beiträge, die zu einer Geschichte des deutschen Zeitungswesens Bausteine liefern. Die Forschungsthemen zeigen ein gewisses System, und die vorgenommenen Arbeiten gehen vielfach den methodisch einzig richtigen Weg: mit regional gebundenen Untersuchungen zu beginnen.

In der Vorgeschichte des Zeitungswesens erregt eine Arbeit Aufsehen, die bezüglich der geschriebenen Zeitungen eine neue Erkenntnis brachte bzw. einer überwunden geglaubten ihre Berechtigung wiedergab. M. A. H. Fitzler < 541> hat »Die Entstehung der sogenannten Fuggerzeitungen« des 16. Jh.'s, die in der Wiener Nationalbibliothek gesammelt sind, entgegen der zeitungswissenschaftlich geläufig gewordenen Auffassung Kleinpauls nicht auf ein hochentwickeltes Korrespondenzgewerbe der Zeitungsschreiber, sondern auf regelmäßige Leistung der Fuggerschen Faktoren selbst zurückgeführt, deren Persönlichkeit und Leistung die Arbeit in interessanter Weise zeichnet. Sie sammelten selbst den Stoff und ergänzten ihn durch Nachrichtenkauf gelegentlich auch bereits in gedruckter Form. Damit fällt freilich die vielfach angenommene große Entwicklung des Augsburger Korrespondenzgewerbes im 16. Jh. Zeitungen zu schreiben, war also den Fuggerschen Vertretern als besondere Aufgabe gesetzt. Aus der Fülle des so anlaufenden Nachrichtenstoffes gaben die Fugger dann eine Auswahl an Freunde und Politiker. Fitzlers Buch bringt neues Licht in ein zeitungsgeschichtlich sehr umstrittenes Gebiet und trägt viel zu dessen endgültiger Klärung bei.

Über die ältesten Zeitungen veröffentlicht W. Schöne im Arch. f. Buchgewerbe u. Gebrauchsgraphik (Bd. 74, S. 1 ff.) eine Artikelreihe unter dem Titel: »Die Frühformen der periodischen Presse in Deutschland.« Ohne sich in den Streit um die Herkunft des »Augsburger« Avisos <vgl. 1936, S. 179> einzumischen, hält er es überhaupt für unangebracht, allzu subtile Folgerungen an den Zeitungsholzschnitt anzuknüpfen. Er baut seine Methode mehr aus dem Vergleich der Nachrichten, ihrer Wege und Herkunft auf. Danach scheint ihm Frankfurt a. M. im beginnenden 17. Jh. die Stadt der meisten Nachrichtenblätter gewesen zu sein, während in den süddeutschen Städten mehr die Mittelpunkte des Nachrichtensammel- und Umschlagdienstes lagen. Eine Untersuchung über die als »Einblattdrucke« vertriebenen »Neuen Zeitungen« führt den Verf. zu dem Schluß, daß sie und keineswegs die Zeitungen damals Hauptträger des publizistischen Meinungskampfes gewesen sind. Die Sammlung solcher Flugblattdrucke und ihre Numerierung bilden dann die Anfänge der späteren »Schriftenreihen«. Die Zeitschrift -- das dem 18. Jh. so genehme Mittel publizistischer Führung -- hat in Rudolf Naumanns Arbeit über die Frankfurter Zeitschriften um 1700 < 565> einen gewissenhaften Forscher gefunden, der auf Grund eines gründlichen Zeitverständnisses sein Teilgebiet durch eine auch bibliographisch sehr ergebnisreiche Arbeit fördert. -- Zwischen Zeitschrift und Zeitung, im wesentlichen Teil seiner publizistischen Arbeit entschieden der Zeitung zugewandt, steht Justus Möser. Nachdem er in der umfangreichen Literatur, die über ihn aus mannigfaltigsten wissenschaftlichen Blickrichtungen geschrieben worden ist, vielfache Wertung gefunden hat, ist W. Hollmann ihm zum ersten Male umfassend vom zeitungswissenschaftlichen Standpunkte her nahegekommen. Die gründliche Arbeit untersucht »Justus Mösers Zeitungsidee«


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< 544>, deren Verwirklichung er in seinem »Wöchentlichen Osnabrückischen Anzeiger« am nächsten kam. Diese Zeitungsidee selbst hat nicht das Ziel liberaler Debatte oder gar verantwortungsloser Kritik, also überhaupt nicht die Funktion, die eine liberale Pressefreiheit der Zeitung zuweist, und die eine von dorther ausgerichtete Möserliteratur oftmals auch in Mösers journalistischen Arbeiten sucht. Umgekehrt: als Folge von Mösers Staatsdenken soll seine Zeitung ein Führungsmittel, ein Verkündungsorgan sein. Es soll die Maßnahmen jenes Staates deuten und erläutern, der »mit dem Volke eins« ist. Die Zeitung soll ein vollendetes Abbild des staatlichen Lebens sein, Kampfplatz der Meinungen abseits von allem Parlamentarismus und jeder negativen Kritik. In der Zeitung sollen sich schöpferische Kräfte betätigen. »Das Volk soll dort den Gesetzgeber, dieser in ihren Spalten das Volk kennenlernen.« Um dies zu ermöglichen, soll der Journalist »Vertrauter seiner Leserschaft, aber ebenso im Vertrauen der Regierung sein«. Das Vertrauen des Staatsbürgers in die Staatsführung zu festigen, ist nach Möser eine der Aufgaben, der die Zeitung dient. »Alle Aufgaben der Zeitung sind politischer Art, das Leben in ihren Spalten soll einem Gespräch gleichen. Politisch in höherem Sinne ist nicht das Stammtischgespräch des 'Zeitungsstatisten', sondern das Thing. Beim Thing regelt der Herzog den Verlauf des geordneten Gespräches, bei der Zeitung die Staatsgewalt. Die Begrenzung dient zur Erhaltung der Würde des staatsbürgerlichen Lebens.« In Möser findet somit der dem 18. Jh. eigene Typ des »Staatsjournalismus«, wenn auch im engen Osnabrückischen Raume, eine lehrreiche Ausprägung. Hollmann untersucht auch die übrigen Eigenarten der Möserschen Arbeit, der er einen ausgesprochen journalistischen Charakter gibt, leider ohne diesen Begriff genauer festzulegen, was z. B. für das Publizistische (wenn auch allzu weit) geschieht. Zur Geschichte der Heimatpresse, des Anzeigenwesens, der journalistischen Gestaltung und Aufmachung bietet die Arbeit viel neuen Stoff. Der Wert der Arbeit, die gerade unserer Zeit, die dem Zeitungswesen wieder seine allgemeinen und öffentlichen Aufgaben zugesprochen hat, doppelt einleuchtet, ist noch durch Beigabe eines genauen Quellenverzeichnisses und einer Möser-Bibliographie gesteigert. Sie ist reich an völlig neuen Blickpunkten zur Beurteilung des Lebensbildes Justus Mösers mit den Wertmaßen, die unsere Zeit gewonnen hat. -- Allerdings scheint es historisch nicht zutreffend zu sein, wenn derselbe Verf. in einer kleinen und lehrreichen Arbeit, »Alte deutsche Zeitungen« < 540> Möser den ersten regierenden Staatsmann nennt, der in lebendige Wechselbeziehungen zur Zeitung getreten sei. In patriarchalischen und zudem auch bürgerlich recht behäbigen Formen hatte Möser im Hochstift Osnabrück Gelegenheit, eine besondere Zeitungsidee im engen Raume zu erproben. Ihn aber den ersten und einzigen zu nennen, der im 18. Jh. lebendige Beziehung zur Zeitung unterhielt, hieße die politisch äußerst tatkräftigen Leistungen verkennen, die Friedrich d. Gr. ebenso wie Maria Theresia pressepolitisch zuwege brachten. Wie rege übrigens im 18. Jh. pressepolitisch gearbeitet wurde, lehrt uns auch H. Gstettner in seiner Arbeit über die »Regensburger Reichstagskorrespondenz« < 542>, die ein Stück der Pressepolitik des Reiches geben will und dabei das Wirken des Kurbrandenburgischen Legationssekretärs H. Ganz und der von ihm herausgegebenen Korrespondenz in den Vordergrund stellt. Die Arbeit gibt gute Streiflichter auf das Korrespondenzwesen des 18. Jh.'s und die Bedeutung Regensburgs als Mittelpunkt der Nachrichten- und Pressepolitik jener Zeit.

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Einen Beitrag zur »Tiroler Zeitungsgeschichte« gibt F. Olbert im Heft 16 der »Tiroler Studien« < 572>. Er geht im ersten Band den Tiroler Zeitungen von ihren Anfängen bis 1814 nach. Die erste Tiroler Zeitung glaubt er nach Aktenvermerken mit dem Jahre 1649 festlegen zu können, während erst die »Ynnsbruckerische Zeitung« von 1765 tatsächlich erhalten ist. Die kleine Arbeit trägt allerlei Wissenswertes über ihr Thema zusammen, entbehrt aber der methodischen Gründlichkeit und krankt an einem Mangel wirklicher Kenntnisse zum zeitungsgeschichtlichen Urteil.

In der »Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland am Ende des 18. Jh.'s« bringt Irene Jentsch < 546> in einer fleißig gearbeiteten und umfassenden Darstellung vor allem eine Schilderung der gesellschaftlichen Formen des Zeitunglesens. Das Studium der Natur und des Wesens der Leserschaft ist eine unerläßliche zeitungswissenschaftliche Ergänzung zu jeder Wissensförderung über die Zeitung selbst. Die Aufgabe ist aber historisch noch viel schwerer, als sie es heute ist. In der ständigen Wechselbeziehung zwischen Zeitung und Leser bleibt der Leser meist nur schwer faßbar im Anonymen. In Durchforschung breitesten Materials ist es der Verfasserin gelungen, für das ausgehende 18. Jh. greifbare Vorstellungen über den Leserkreis zu vermitteln. Gesellschaftliche Formen der Zeitungslektüre zeigen sich in einer überraschenden Mannigfaltigkeit. Sie finden sich in allen bedeutenden, aber auch an sehr vielen kleinen und selbst kleinsten Orten. Die Verfasserin hat sie in einer sehr nützlichen Übersicht zusammengestellt. Die freie Verbreitung des Zeitunglesens war am Ende des 18. Jh.'s, wie die Arbeit aus beweiskräftigen Stellen zeigt, beachtlich entwickelt. Jedenfalls geht es weit über die Kreise der »Gebildeten« hinaus in die des »Volkes«, d. h. der Handwerker und Bauern. In der Ausnutzung dieser Tatsache sind danach auch Bemühungen, die Zeitung zur Volkserziehung und Führung zu nutzen, festzustellen. Man möchte wünschen, daß auch für das 19. Jh., mit seinen freilich noch schwieriger gelagerten Verhältnissen, eine derartige Untersuchung vorgenommen würde.

E. Grathoff < 545> liefert in der Darstellung der »Deutschen Bauern- und Dorfzeitungen des 18. Jh.'s« einen Beitrag zur Geschichte des Bauerntums, der öffentlichen Meinung und des Zeitungswesens. Das erstaunliche Ergebnis der Arbeit ist die Tatsache, daß dies fürwahr nicht bauernfreundliche Jahrhundert bereits Bauern- und Dorfzeitungen von stärkstem Bildungs- und Führungswillen besessen hat. -- K. Reiber < 549> untersucht »Die Deutschen Blätter« von Brockhaus (1813/16), indem er ihre Gründungsgeschichte und erste Entfaltung darstellt, dann die für das Blatt wirkenden Persönlichkeiten schildert und ferner Stil und Form der Blätter und ihren Kampf mit der Zensur schildert. In einem 2. und 3. Teil ist der publizistische Inhalt der Blätter analysiert und ist ihre publizistische Gesamtbedeutung festgehalten. -- Das im letzten Jahresbericht <1936, S. 177> besprochene Werk K. d'Esters »Das politische Elysium oder die Gespräche der Todten am Rhein«, das M. F. Trenk von Tondern's bekanntes Kampfblatt systematisch behandelte, ist durch einen 2. Band wertvoll ergänzt worden. Aus den zahlreichen von Trenk in seiner Zeitschrift behandelten Stoffgebieten sammelt der Verf. unter dem Titel »Publizistische Wehr im Westen« die »Gespräche der Todten als Vorkämpfer des deutschen Gedankens am Rhein von der französischen Revolution bis Bonaparte« < 548> wertvolle Kapitel und schildert ihre publizistische Natur und Wirkung. Er bietet ein sorgsam ausgewähltes


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und durch eine Fülle lehrreicher Erläuterungen fruchtbar erschlossenes Material zur Entwicklung des deutschen Nationalgefühls und zur Geschichte der deutschen Presse und Propaganda. An Hand vielfältiger Belege ist in die Darstellung vielfach die damalige propagandistische Technik einbezogen. Die Arbeit ist unentbehrlich für jeden, der die Geschichte der geistigen Kämpfe jener Zeit verstehen will. Das Werk ist ausgestattet mit Belegen und Unterlagen für viele und wertvolle Schlüsse zur Beurteilung der pressepolitischen und propagandistischen Entwicklung unserer Zeit.

Die umfassende Literatur über Friedrich List hat es bisher versäumt, die geniale publizistische Natur dieses Mannes herauszuarbeiten. Seine gerade hier so tiefgreifenden Leistungen zu schildern, Stil, Form, Wirtschaft und Technik dieser Leistungen festzuhalten und seine Zeitungen und Zeitschriften auf ihre breite Massenwirkung zu untersuchen, hat nun Carl Schneider < 2151> in einem Aufsatz »Friedrich List als Publizist« nachgeholt. Hier zum ersten Male werden die publizistischen Leistungen im einzelnen dargestellt und zeitungsfachlich gekennzeichnet. Es war dies um so nötiger, als die sonst so verdienstvolle Ausgabe der Gesamtwerke dieser Seite des Listschen Schaffens in ihren Begleitartikeln nicht gerecht geworden war. W. Spilker untersucht »Robert Prutz als Zeitungswissenschaftler« < 550>, nachdem er als Schriftsteller, Dichter und Literarhistoriker bereits oft und eingehend gewürdigt wurde. Einbezogen wird dabei vor allem die von Prutz verfaßte »Geschichte des deutschen Journalismus« sowie eine Reihe gröerer Abhandlungen und Aufsätze, die sich mit dem Journalismus befassen. Der Verf. weist nach, wie Prutz die Zeitungswissenschaft als Glied eines Wissenszweiges einordnet, den er als »Gebiet der Literatur und des öffentlichen Lebens« bezeichnet. Er zieht denn auch, wie es die moderne Zeitungswissenschaft tut, alle Formen publizistischer Führung unter Bevorzugung der Zeitung und Zeitschrift in seine wissenschaftliche Forschung ein. Dabei kommt Prutz besonders sein Bestreben zu Hilfe, jede wissenschaftliche Leistung im Sinne der politischen Zeitforderungen zu aktivieren. Große Teile seiner derart literarischpolitisch bestimmten Arbeiten über Zeitung und Zeitschrift decken sich daher durchaus mit dem Arbeitsgebiet der modernen Zeitungswissenschaft. Gleichzeitig sollten seine Zeitungsstudien wissenschaftliche Hilfen der Geschichte und der Literaturwissenschaft sein. Daß die politische Richtung seiner Schriften und Reden durch die liberaldemokratische, von ihm aber auch stark national beeinflußte Strömung seiner Zeit bestimmt ist, ändert nichts an der aktivistischen Betonung dieser Arbeit und ihrer allgemein publizistischen Grundhaltung. Sie entspricht einer heute in wachsendem Umfange vertretenen organischen Erweiterung zeitungswissenschaftlicher Forschung. Ihre Berechtigung zeigt sich somit schon in diesen von Prutz geleisteten ersten Anfängen zeitungsgeschichtlicher Forschung, insbesondere da er selbst in seiner eigenen Arbeit verschiedenste publizistische Mittel nebeneinander nutzte.

Brauchbare Beiträge zur Zeitungsgeschichte Duisburgs und Dortmunds bieten die Arbeiten von Monning < 567>, Brauksiepe < 566> und Tenbergen < 565 a>, während P. Tröger < 568> in einer lebendig geschriebenen Einzelstudie die Entwicklung des »Stuttgarter Neuen Tagblattes« darstellt. Die Arbeit ist nicht nur durch ihre Beigaben, sondern ganz besonders für das Verständnis des besonderen Zeitungstyps wichtig, zu der das Neue Tagblatt zu rechnen ist. D. Redeker < 559> ist an die Bearbeitung der Pressegeschichte der ehemaligen


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deutschen Kolonien gegangen und hat mit dem Journalismus in Ostafrika begonnen. Pressetechnisch und journalistisch sind die geschilderten Zeitungen ohne erhebliches Interesse, um so lehrreicher ist die Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Kämpfe in den Kolonien, die sich im Streit um Gründung und Führung der Zeitungen sehr lebendig zeigt. Da der Verf. die vorliegende (sehr spärliche) Literatur geschickt benutzte und ferner die Akten des ehemaligen Reichskolonialamts einsehen konnte, ist eine aufschlußreiche und recht lebendig geschriebene Arbeit entstanden. Die Geschichte eines wichtigen Nebengewerbes der Presse, der Anzeigenexpeditionen, schreibt G. F. Heuer < 555>. Er schildert die Entwicklung des Anzeigenwesens im 19. Jh. und die ersten Anzeigenexpeditionsgründungen, ihre geschäftlichen Grundsätze und Bedingungen, ihre Beziehungen zur Zeitung und deren politischer Richtung, die Kämpfe gegen schwere Verfallserscheinungen und die schließliche Neuordnung unter dem Werberat der deutschen Wirtschaft. H. hat damit in ein bisher wenig bearbeitetes, aber für die wirtschaftlichen Grundlagen der deutschen Presse wichtiges Gebiet der Zeitungsgeschichte Licht gebracht.

Zur Geschichte der nationalsozialistischen Presse leistet Gerhard Köhler < 562> einen Beitrag, der über Kunstanschauung und über Kunstkritik in der nationalsozialistischen Presse handelt. Das Material ist der Geschichte des »Völkischen Beobachters« entnommen. Seine kritischen Kämpfe untersucht die Arbeit eingehend und belegt sie mit typischen Beispielen. Darüber hinaus entwikkelt der Verf. sehr aktuelle Ausführungen über das Wesen der Kunstkritik, deren Haltung und Maßstäbe er aus der rassegebundenen, geistig-typischen Schichtung des Kritikers ableitet. Ein besonderes Kapitel erweist an der kritischen Leistung des »Völkischen Beobachters« die entwickelte Theorie im einzelnen. In einem Anhang ist ein ausführliches Schriftenverzeichnis zur Geschichte der Kritik beigegeben. Des weiteren ist die Kritiksparte des V. B. in ihrem Verhältnis zum Gesamttext und in ihrer stofflichen und journalistischen Gliederung untersucht. Die Arbeit ist ein willkommener Beitrag zum geschichtlichen Verständnis der Kulturpolitik des richtunggebenden Blattes der Bewegung.

Heinrichsdorff untersucht an der Entwicklung der »Frankfurter Zeitung« die liberale Opposition in Deutschland seit dem 30. Januar 1933 < 563>. Der nationalsozialistische Staat hat jede frühere Form demokratischer Opposition unmöglich gemacht und auch eine bevorzugte Trägerin dieser Opposition, die Presse, nicht mehr als Mittel der Diskussion, sondern der Führung und Ausrichtung der Öffentlichkeit im Sinne des Willens der Führung neu gestaltet. Dabei ist es verständlich, daß mindestens in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Staatsführung die Opposition neue, der veränderten Lage angepaßte Ausdrucks- und Wirkungsformen suchte. In den ersten drei Jahren nach der »Gleichschaltung« war diese Opposition in der »Frankfurter Zeitung« noch fühlbar, und der Verf. sieht sie in vier Formen sich entfalten. In einem Breittreten aufkommender Spaltungserscheinungen, im Willen der Entpolitisierung selbst streng politischer Inhalte, im Umdeuten des Geschehens auf eine liberale Ideologie und schließlich in bewußt zersetzenden Gedankengängen oder doch deren vorsichtig getarnter Andeutung. An den politischen und kulturpolitischen Hauptfragen der ersten Jahre nationalsozialistischer Staatsführung belegt der Verf. die geschilderte Oppositionstaktik aus Zitaten der »Frankfurter Zeitung«. Vielmals


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einleuchtend, manches Mal aber auch nicht überzeugend! Man kann heute aus erlebtem nationalsozialistischem Bekenntnis sehr leicht in einer Tageszeitung der Jahre 1933/35 Stellen finden, die nicht 100% der reinen Lehre entsprechen. Sie brauchen darum aber keineswegs dem Willen zur Opposition zu entstammen, sondern dienen dem Herüberführen der Leserschaft eben zur nationalsozialistischen Überzeugung. Den Absprung von einem doktrinären Liberalismus zum dynamischen Nationalsozialismus konnte eine Tageszeitung wie die »Frankfurter« nicht jäh von heute auf morgen finden, gerade auch nicht um ihrer Leser willen, deren Führung Schritt um Schritt zu vollziehen war. So ist in den Zitaten, die der Verf. zusammenstellt, gewiß manches, das wie nachklingende Opposition sich anhört, es aber keineswegs in all den Fällen ist, die der Verf. annahm.

Fr. Sellmeyer < 561> legt in allgemeinen Linien die »Entwicklungsgeschichte der Jugendzeitschriften und ihre Gestaltung in der sozialdemokratischen, kommunistischen und nationalsozialistischen Jugendbewegung« fest. Das sehr weit gespannte und innerlich sehr gegensätzliche Thema erfaßt alle erreichbaren Zeitschriften der drei politischen Gruppen und schildert ihren Entwicklungsgang im Rahmen der jeweils kurz dargestellten politischen Aufgabe. Es wäre sehr erwünscht gewesen, wenn den bearbeiteten Zeitschriften ausführlichere bibliographische Angaben beigeliefert worden wären.

Wieder sind schließlich eine Reihe von Arbeiten zu verzeichnen, die bestimmte historische Ereignisse oder Zustände »im Spiegel« der zeitgenössischen Publizistik zeigen (Spiegelarbeiten). Hier ist zunächst die Arbeit von H. J. Theil < 557> zu nennen. Sie behandelt die reichsdeutsche Presse und Publizistik und das österreichisch-ungarische Verfassungs- und Nationalitätenproblem (1903/06). Es ist wertvoll, daß der Verf. nicht nur Tageszeitungen und politische Zeitschriften, sondern auch Fach- und Verbandsblätter sowie Broschüren und aktuelle Buchliteratur nach ihrer Meinung gefragt hat. Die Arbeit stellt überzeugend fest, daß die deutsche Öffentlichkeit sich über das Schicksalsverhängnis des österreichisch-ungarischen Problems in keiner Weise im klaren war. Ihr Meinen und Wollen zeigte sich viel zersplittert, durch wirtschaftliche, konfessionelle und parteipolitische Gesichtspunkte. Saturiertheit und Optimismus übersahen die entscheidende Bedeutung des österreichisch-ungarischen Problems, dessen heute gewonnene volksdeutsche Lösung damals nur ein sehr kleiner und kaum ernst genommener Teil der deutschen Publizistik forderte. -- W. Gubalke < 560> hat sich durch die großen Stoffmassen der Berliner Presse anläßlich des Kampfes um den Dawes-Plan durchgearbeitet und deren Gruppenaufgliederung festgestellt und belegt. -- O. Wedel zeigt den »deutsch-österreichischen Zollunionsplan im Spiegel der reichsdeutschen Presse« < 556>. Der Verf. weist nach, wie der 1931 vorgenommene Vorstoß der deutschen Regierung zur deutsch-österreichischen Zolleinheit der entschiedenen innerpolitischen und publizistischen Unterstützung entbehrte und auch außenpolitisch ungenügend vorbereitet war. Das Scheitern eines Planes an einer so empfindlichen Stelle des völkischen Bewußtseins mußte mit einem besonders empfindlichen Rückschlag des öffentlichen Ansehens der Regierung endigen. Aus allen Lagern des deutschen Parteiwesens wird diese Entwicklung an Hand von Pressestimmen belegt.

Die Außenpolitik der Kölnischen Zeitung während der Bülow-Zeit (1897 bis 1909) hat Joh. Lehmann < 558> zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht,


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die vor anderen »Spiegelarbeiten« den großen Vorzug hat, daß sie sich zeitungswissenschaftlich über die Natur und die persönlichen Kräfte der Kölnischen Zeitung eingehend unterrichtet hat. Die Schilderung des Blattes als Ganzes, seiner Herkunft, Tradition und Haltung ist zutreffend. Freilich sei darauf aufmerksam gemacht, daß der Chefredakteur der Kölnischen Zeitung, Ernst Posse, dessen Politik für die Jahre 1901--1923 hier behandelt wird, sich 1938 in Nr. 88 der Köln. Ztg. kritisch mit der Arbeit Lehmanns auseinandersetzt. Nach Lehmanns Auffassung hat die Köln. Ztg. zwar ohne amtlichen Auftrag, aber kraft ihrer traditionsmäßigen persönlichen Verbindungen als »offiziös« zu gelten. Sie zeigt sich -- bei nur gelegentlicher und sehr vorsichtiger Kritik -- im allgemeinen mit der Regierungspolitik Bülows eng verbunden. Posse erwidert, die Köln. Ztg. habe Bülow nur unterstützt, weil sie ihrer Überzeugung nach verpflichtet war, die Außenpolitik der Reichsregierung zu verteidigen und vor schweren Schädigungen zu schützen. Man möchte wünschen, daß in allen Arbeiten dieser Art die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen der publizistischen Leistung so gründlich untersucht und klargestellt würden.


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