I. Allgemeines.

Die in dem letzten Bericht angedeutete Entwicklung der Vorgeschichtsforschung hält an; die schon für 1936 feststellbare Beruhigung beherrscht auch das neue Berichtsjahr. Es fehlen die rasch zusammengestellten Konjunkturschriften, und das Interesse an Ortungen und Symbolen, an Heiligtümern und sonstwie geheimnisvoll umwobenen Fundverhältnissen hat weiter nachgelassen. Es fällt auf, wenn der Ringwall über dem Kriemhildenstuhl bei Dürkheim von seiten eines Astronomen (R. Müller) zum Ausgang eines Ortungsnetzes genommen wird < 591>; der Versuch, hier allerlei himmelskundliche Kenntnisse der Germanen und einen Gestirndienst nachzuweisen, führt nicht zu greifbaren Ergebnissen. Angesichts eines derartigen Strebens versteht man wiederum nur zu gut, daß es auf diese Art nicht möglich gewesen ist, der Vorgeschichtsforschung einen nennenswerten Kreis treuer Freunde zu verschaffen; es fehlt hier der tragkräftige Boden der Wirklichkeit, dem es allein beschieden sein kann, auf die Dauer anziehend zu wirken.

Der genannte Aufsatz ist ein verspätetes Glied in der großen Gruppe der vor einigen Jahren sehr beliebten Versuche, eine altnordische Hochkultur nachzuweisen. Vorgeschichtlicher Fundstoff und volkskundliche Beobachtungen verschiedenster Art dienten hier dem Aufbau von Ideologien, unter denen Atlantis einen besonders gesicherten Platz einzunehmen schien; soweit das Erlöschen dieser Welten überhaupt erörtert wurde, sollten christliche Kirche und MA. insgesamt sie zerstört haben. Heute geht das Streben nicht mehr darauf aus, eine vorgeschichtliche Hochkultur zu ermitteln; man ist vielmehr bemüht, das Weiterleben prähistorischer Zustände in das MA. hinein zu verfolgen. Die innere Kraft der germanischen Welt zeigt sich dem Beobachter jetzt darin, daß sie sich gegenüber der Kirche behauptet und bis zur Gegenwart erhält. Diese Verlagerung des Interessengebietes hat einen Wechsel in den stofflichen Grundlagen zur Folge. Spielte bei dem Aufbau der Urkultur natürlich der vorgeschichtliche Fundstoff die wichtigste Rolle, so gründet man seine Betrachtungen jetzt im wesentlichen auf volkskundliches Material.

Den Wandel in der Fragestellung spiegelt der Vortrag von O. Höfler < 257> wider. Während Kontinuität im Sinne der bisherigen Auffassung »ein Fortbestehen von kulturellen Schöpfungen bei einem Wechsel der Träger« ist, stellt H. die Konstanz der Träger heraus. Er wendet sich gegen die z. B. bei Otto von Freising nachweisbare »römische Kontinuität des Geschichtsbewußtseins, die das germanische


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Selbstbewußtsein in fast unvorstellbarer Weise überlagert hat«. Auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Einzelforschung äußert sich diese Einstellung in der Erörterung der Frage, wie weit die Kulturleistungen der Antike in die Einrichtungen des MA.'s übernommen worden sind. Im Gegensatz hierzu verlangt H., daß die germanische Welt im Mittelpunkt des Geschichtsbildes stehe. »In Wirklichkeit müßte das historische Großbild der germanischen Völker mehr als andere durch Kontinuität bestimmt sein. Ganz offenbar tritt in unserem Bewußtsein die Tatsache nicht klar hervor, daß gerade bei den Germanen die historische Einheit des Lebens weniger gebrochen ist als bei den meisten anderen: die nordische Rasse, die bei Kelten, Griechen, Italikern, Slawen, Persern und Indern bald vermischt oder zurückgedrängt worden ist, hat sich hier im ganzen führend erhalten. Die Sprache der germanischen Stammländer hat seit der urgermanischen Zeit keine Umwälzungen erfahren, die etwa der Romanisierung Galliens oder Spaniens auch nur annähernd vergleichbar wären. Zur Kontinuität der Sprache gesellt sich die der Heimat: die Beständigkeit der Wohnsitze wurde in den germanischen Kernländern weniger erschüttert als bei fast allen übrigen Großkulturvölkern, und auch die Neusiedler haben den Zusammenhang mit den Mutterländern und ihrer Kultur fester bewahrt als andere. Und schließlich kann dieser Raum auf eine jahrtausendealte Kontinuität der politischen Souveränität zurückschauen, die ihresgleichen weder im europäischen Osten, Süden noch Westen hat. Je stärker unser historisches Großbild durch diese vierfache Kontinuität geprägt wird, um so natürlicher wird es uns werden, die Entwicklung unseres Lebens, unseres Geistes und unserer Kultur in diesem Rahmen zu sehen und zu prüfen. Und öfter, als man es früher auch nur geahnt hat, wird es bei einer solchen Einstellung des Blickes der Wissenschaft gelingen, die lebendigen Zusammenhänge der älteren und jüngeren Epochen nachzuweisen.«

Der Schwerpunkt des Stoffes, mit welchem diese Fragestellung arbeitet, liegt außerhalb der Prähistorie. Und auch da, wo diese »Volkskunde des Politischen«, wie H. sie nennt, frühgeschichtliche Tatbestände heranzieht, wird sie der vorgeschichtlichen Forschung keineswegs eine neue Richtung weisen. Denn seitdem die deutsche Prähistorie auf dem von Kossinna beschrittenen Wege hinter den Fundgruppen lebendige Völker sucht, gipfelt ihr Geschichtsbild in der Germanisierung Mitteleuropas. Die innere Konsolidierung des Faches, die trotz des Vorhandenseins gewisser Gegensätze sachlicher wie auch persönlicher Natur langsam fortschreitet, wird also durch diese neue Auffassung nicht in Frage gestellt.

Dagegen sieht man aus einer ganz anderen Richtung der Weiterentwicklung des vorgeschichtlichen Faches mit Bedenken entgegen. Schon wiederholt ist an dieser Stelle <1929 S. 177; 1930 S. 148> auf die Gefahr aufmerksam gemacht worden, welche der Prähistorie durch den Zugang von allzuviel neuem Stoff und durch ihre Beschränkung auf den Interessenbereich der Denkmalpflege droht. Das Fach hat es nicht in der Hand, von sich aus den Zugang an Neufunden zu regeln; gerade weil dieses zufällig zutage tretende Material schon viele schöne und auf weite Sicht in Angriff genommene Arbeitspläne zunichte gemacht hat, sollte man die Plangrabungen auf ein möglichst geringes Maß beschränken. Der tatsächlich vorliegende Stoff bietet eine solche Fülle von Problemen, daß diese nicht erst dem Erdboden abgerungen zu werden brauchen. Es gibt sehr zu denken, daß die der regionalen Denkmalpflege dienenden Zeitschriften an Umfang zunehmen und daß auch ihre Zahl sich noch vergrößert, während die periodischen Organe höheren


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Ranges nicht entsprechend wachsen. Auf eine neue Grundlage gestellt, hat sich die Trierer Zeitschrift von schmalen Heften zu ansehnlichen Bänden entwickelt; die Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte (11, A. Lax, Hildesheim) verdoppelten ihren Umfang. Die schleswig-holsteinische Denkmalpflege tritt mit einer neuen Zeitschrift an die Öffentlichkeit, welche den Namen des anglischen Königs Offa trägt < 580>; die Rheinischen Landesmuseen Bonn und Trier stellen neben ihre bisherigen Publikationen die für einen weiteren Kreis bestimmte Zeitschrift »Rheinische Vorzeit in Wort und Bild«. Zu ihnen gesellt sich als dritte neue Gründung »Sachsens Vorzeit, Jahrbuch für heimatliche Vor- und Frühgeschichte, im Auftrage des 'Heimatwerkes Sachsen', hrsg. von dem Landespfleger für Bodenaltertümer in Sachsen und von dem Seminar für Vorgeschichte an der Universität Leipzig«. Als ein Beispiel der Materialpublikation von Dienststellen mit noch kleinerem Arbeitsgebiet sei Heft 1 der »Veröffentlichungen aus dem Städtischen Museum Dortmund« genannt, welches ausschließlich frühgeschichtlichen Funden gewidmet ist.

Wohin die Überfütterung mit Stoffmassen führen kann, zeigt uns die Entwicklung der klassischen Archäologie, obwohl hier die Planarbeit eine größere Rolle spielt und die Zufallsfunde nicht so zahlreich sind. Es ist daselbst einzelnen Althistorikern und Vertretern der Kunstwissenschaft vorbehalten geblieben, mit ihren Fragestellungen dem Fach diejenigen Anregungen zu geben, deren es zu seiner Weiterentwicklung bedurfte. Dabei gilt es zu überlegen, daß dieser Zweig der Archäologie schon seit Jahrhunderten eine selbstverständliche Hilfswissenschaft der Philologie ist, ein Vorsprung, der unserer mitteleuropäischen Prähistorie noch fehlt. Diese hat noch keineswegs diejenige Fühlung mit der Germanistik und den sonst in Betracht kommenden Philologien, welche ihrer Entwicklung förderlich sein könnte. Als Geschichtswissenschaft ist sie im wesentlichen auf sich selbst gestellt, insofern mit nennenswerten Anregungen von seiten der vergleichenden Völkerkunde bis auf weiteres nicht gerechnet werden kann. Gerade deshalb wird man es bedauern, daß die Prähistorie sich so wenig an den großen Problemen der vorgeschichtlichen Zeit versucht. Vertretern der ma.'lichen Geschichte blieb es vorbehalten, mit archäologischen Mitteln an das »Kontinuitätsproblem« heranzugehen und den geschichtlichen Gehalt der Reihengräberfriedhöfe auszuschöpfen. Die zu unserer politischen Gegenwart führende geistige Entwicklung hat das Fach vor eine ganze Reihe von Fragen gestellt; aber außer dem Problem der Bevölkerungsgeschichte einiger begrenzter Gebiete ist keine von diesen nennenswert gefördert worden.

So sollte man z. B. erwarten, daß die Frage nach dem eigentlichen geschichtlichen Gehalt der mitteleuropäischen Vorzeit, bzw. der germanischen Frühgeschichte die Gemüter lebhaft beschäftigte. Man möchte sich doch vorstellen, daß die verschiedene Bewertung der Vorgänge und Erscheinungen einen lebhaften Gedankenaustausch hervorrufen könnte, der dann wieder der Einzelforschung neue Nahrung geben würde. Das ist aber keineswegs der Fall, und damit hängt es auch zusammen, daß die Prähistorie nach wie vor ein nur sehr geringes Interesse an der geschichtlichen Darstellung als solcher zeigt.

In Ablehnung dieser hier schon einmal angedeuteten Bedenken hat man darauf hingewiesen, daß es die Grundlage der historischen Wissenschaft sei, zunächst einmal die Archive der Vergangenheit zu ordnen (Gött. gel. Anz., Jg. 198, 1936, S. 32). Diese Notwendigkeit planvoller Durcharbeitung und Vorlage des Materials


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soll heute so wenig bestritten werden, wie sie damals angezweifelt worden ist. Aber das damals herausgestellte Mißverhältnis zwischen Förderung und Verarbeitung des Materials besteht auch heute noch, und eben hierauf, d. h. auf ein gewisses Gleichgewicht zwischen der Ausbreitung des Stoffes und der Beschäftigung mit den großen geschichtlichen Problemen des Faches kommt es an. Es darf niemals vergessen werden, daß auch die Bearbeitung des Fundmaterials von den tragenden Gedanken zehrt; in der Art, wie es gesehen wird, spiegelt sich stets die besondere Einstellung wider, welche die Zeit ihm gegenüber einnimmt. Man hat an die Möglichkeit einer naturwissenschaftlich-objektiven Aufnahme der Tatbestände auch in der Prähistorie geglaubt, aber es fragt sich doch sehr, ob nicht diese Vorstellung nur deshalb Boden gewinnen konnte, weil die leitenden Gesichtspunkte fehlten. Auf diese letzteren kommt es auch an, wenn das Fach die dringend notwendige engere Fühlung mit Germanistik und Geschichte des frühen MA.'s erreichen will. Man vermag sich des Eindruckes nicht zu erwehren, daß die Prähistorie nach diesen Richtungen hin in gewissem Umfang gerade deshalb enttäuscht, weil ihr die Fragen der praktischen Denkmalpflege näher liegen als ihre Stellung innerhalb der Hochschule und auch im Geistesleben der Nation. Es gilt aber, die regionalen Belange des Faches in die ihnen zukommenden Grenzen zu bannen und die für uns Heutige wesentlichen Lebensäußerungen der mitteleuropäischen Vorzeit schärfer ins Auge zu nehmen. --

Eine Reihe von Arbeiten dient der Ausbreitung des Materials kleinerer Räume. Diejenige von Bohm < 598> schließt sich an die Behandlung der Funde des Nachbarkreises Ostprignitz an, welche vor einigen Jahren erschien <1929, 653>, ist aber in der Anlage weniger streng. Sie strebt offenbar danach, die Bestandsaufnahme weiteren Kreisen zugänglich zu machen, gelangt jedoch damit zu einer Form der Darstellung, die weder dem Fachmann genügen noch den Laien gewinnen dürfte. Zwei vortreffliche Beispiele der Behandlung kleiner Pflegebezirke bieten Kost < 611> und Marquardt < 606>. Das Gebiet um Schwäbisch-Hall findet jetzt endlich einen Betreuer, welcher nun vorweist, was alles man diesem bisher kaum beachteten Raum abringen kann, wenn man nur gründlich sucht. Bei M. vereinigen sich die schon seit einem Jh. bekannten Bestände eines Altertumsvereins von romantischer Prägung mit schönen eigenen Beobachtungen zu einem ansprechenden Gesamtbild, welches die wesentlichen Züge der Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte zu erkennen gibt. Das Letztere gilt auch von der Darstellung des vorarlbergischen Fundstoffes, welche als XXVII. Band der Österreichischen Kunsttopographie erschienen ist < 615>. Bleibt die Zahl der geschlossenen Bestände hier verhältnismäßig gering, so entschädigt er durch die Besonderheiten seiner geographischen Voraussetzungen. Besondere Beachtung verdient eine neolithische Siedlung aus dem Rheintal; auch einige in Höhe von 1600 bis 2150 m gefundene bronzezeitliche Bronzen fallen auf, mögen sie nun lediglich auf das Begehen der Pässe oder auch auf die Nutzung der Hochweiden hinweisen.

Die derzeitigen Interessengebiete der vorgeschichtlichen Forschung beleuchtet Frhr. v. Richthofen < 575>, nachdem er den Wandel dargestellt hat, der sich 1933 aus der Machtübernahme für das Fach ergab. Während die Denkmalpflege schon recht gut versehen wurde, ist die Vorgeschichte erst jetzt ein notwendiges Glied im Lehrplan der Universitäten. Hieraus folgern die engeren Beziehungen zu den im einzelnen dargelegten anderen Wissenszweigen, und auch die Möglichkeit, stärker als bisher in die Öffentlichkeit zu dringen. Wenn hier dem Problem der


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Darstellung, d. h. der greifbaren Repräsentation des Faches, keine selbständige Behandlung zuteil wird, so spiegelt sich darin das Fehlen eines nennenswerten Interesses an ihr innerhalb der Prähistorie wider. In der Tat ist auch diesmal die Anzahl der hier zu nennenden Darstellungen recht klein.

Engel dringt zu einer sehr ansprechenden kulturgeographischen Wertung der ostpreußischen Frühgeschichte vor < 593>; »es gibt wohl keine andere Landschaft Deutschlands, die in vorgeschichtlicher Zeit eine so ausgeprägte Sonderstellung gegenüber der Gesamtheit des Reiches einnimmt wie Ostpreußen«, und er erklärt dies durch die eigentümliche Landesnatur wie auch besonders durch die Raumlage. »Wenn das vorgeschichtliche Ostpreußen vom Reiche aus als Rand- und Kolonialgebiet erscheint, so ist es vom Ostbaltikum aus gesehen bewegender Pol, der lange Zeit hindurch die Kulturentwicklung des Ostens tiefgehend beeinflußt und entscheidend bestimmt. Die Wesensart der ostbaltischen Kultur ist zuerst und am reinsten in Ostpreußen ausgebildet und von dort aus an die ostbaltischen Länder weitergegeben worden. Und zahlreiche in Ostpreußen umgeprägte germanische Formen haben lange Zeit, besonders in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitwende, die Kulturentwicklung im Ostbaltikum grundlegend beeinflußt. So bildet Ostpreußen in vorgeschichtlicher Zeit ein höchst bedeutsames Kulturzentrum, dessen Fernwirkung auf seine östlichen Nachbarländer seiner Gesamtbedeutung entsprechend heute noch nicht entfernt gewürdigt, im einzelnen noch ganz unzureichend herausgearbeitet ist.« Koch < 607> behandelt einen politischen Bezirk, dessen Grenzen sehr willkürlich gezogen sind, und da er die geographische Grundlegung der siedlungsgeschichtlichen Vorgänge nur kurz berührt, so mündet seine Darstellung nicht so lebendig gegen das MA. hin aus, wie man dies im Interesse einer gegenwartsnahen Vorgeschichtsforschung gern sehen würde. Überhaupt scheint ja die Neigung der Prähistoriker, politische Gebiete der Gegenwart und damit Gebiete einheitlich ausgeübter Denkmalpflege zum Vorwurf einer Darstellung zu nehmen, unausrottbar zu sein. Aber abgesehen hiervon bietet Koch eine gut zu benützende Übersicht, in der man insbesondere die erstmalige vollständige Bekanntgabe der swebischen Funde begrüßt. Die Deutung der neolithischen Bauernkulturen als indogermanisch ist umstritten; die Zeit der Römerherrschaft wird in Ablehnung ihrer bisherigen Überschätzung nun etwas zu nebensächlich behandelt. Wahle < 610> hält sich nicht an die politischen Grenzen der Gegenwart, sondern wählt das Gebiet seiner Darstellung so, daß diese unmittelbar in ein ma.'-liches Volkstum ausläuft. Pittioni < 613> verknüpft den Plan einer allgemeinen Urgeschichte mit demjenigen einer Urgeschichte Österreichs, was sich wohl daraus erklärt, daß diese Arbeit ein Glied des großangelegten Handbuches für den Geschichtslehrer (hrsg. v. O. Kende) ist. Nimmt man die nach Art der typologischen Vorgeschichtsschreibung behandelte Urgeschichte Österreichs recht gerne zur Hand, insofern sie eine gut brauchbare Übersicht über die Abfolge der einzelnen Erscheinungen bietet, so bedauert man doch sehr, daß diese nicht an den Rand des MA.'s führt, sondern, einem in Österreich wie auch der Schweiz öfters geübten Brauche zufolge, mit der Latènekultur abschließt. Bleibt damit die Bewertung der frühgeschichtlichen Vorgänge kommenden Untersuchungen vorbehalten, so hat man doch in dem Werke die Tatsachen nebst den erforderlichen Hinweisen auf Literatur und Fundorte bequem und zuverlässig zusammen. Das ganze Gebiet der Ostalpen ist gleichmäßig berücksichtigt, und es wird Wert darauf gelegt, die Verhältnisse in den Alpen selbst getrennt von denjenigen des Vorlandes


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zu behandeln, weil die »alpine Rückständigkeit« die Verhältnisse kompliziert und die starre Anwendung einer rein typologisch gerichteten Betrachtungsweise verbietet. Die Heranziehung der frühgeschichtlichen Völkernamen verleiht dem Kapitel über die jüngere Eisenzeit eine gewisse Farbigkeit; doch zeigt sich gerade hier, wie sehr sich das Netz der Funde noch verdichten muß, um ein zuverlässiges Bild der Bevölkerungsgeschichte zu ermöglichen. In Rückzugsgebieten, wo sich die aus den altbesiedelten Fruchtebenen verdrängten alten Völker noch lange zu halten vermögen, stehen dem Versuch, geschichtliche Namen auf bestimmte Fundgruppen zu übertragen, besondere Bedenken entgegen.

Angeschlossen sei diesen Darstellungen der Hinweis auf Kersten-Neuffer < 608>, welche versuchen, mit modernen Photos von ausgesprochen schönen oder sonstwie lebendig wirkenden Fundstücken und einem ganz kurzen, aber doch mit Karten ausgestatteten Text einen Überblick über die Vorgeschichte der Rheinprovinz zu bieten. Die bevölkerungsgeschichtliche Fragestellung wird besonders betont, aber leider nur bis zur Behandlung der römerzeitlichen Verhältnisse geführt; auch hier vermißt man also wieder die Ausmündung in einen Zustand von bleibender Bedeutung, und zwar um so mehr, als die vor der Karolingerzeit liegenden Jahrhunderte mit nur einer Seite Text und einigen Bildern hätten genügend berücksichtigt werden können. Ebenso sei als eine Sonderform der geschichtlichen Darstellung hier noch das ansehnliche Werk von Engel und La Baume genannt < 594>. Im Rahmen des Atlas der ost- und westpreußischen Landesgeschichte erschienen, unterscheidet es sich wesentlich von den mit Karten ausgestatteten Inventarwerken, die längere Zeit hindurch in der Prähistorie recht beliebt waren. Unter Verzicht auf die einzelnen Fundnachweise wird hier lediglich ihre Verarbeitung geboten, die alte Fundkarte also auf ein den Fortschritten der Forschung angemessenes Niveau gebracht. Interessierten damals nur die einzelnen Zeitstufen selbst und ihre räumliche Verbreitung, so ist seitdem die Scheidung des Stoffes nach Kulturkreisen und dahinterstehenden ethnischen Gruppen hinzugekommen. Der Bereich des Atlas umfaßt außer Ost- und Westpreußen in ihrem alten Umfang noch einen nennenswerten Teil von Hinterpommern und der ehemaligen Provinz Posen. Damit ist das Gebiet groß genug, um diejenigen Besonderheiten der Vorgeschichte des ostpreußischen Raumes zu erkennen zu geben, welche Engel in dem obengenannten Aufsatz < 593> skizziert; gestattet der große Maßstab 1 : 1 Million nicht die Herausarbeitung siedelungsgeographischer Gesichtspunkte, so kommt die Bevölkerungsgeschichte des betreffenden Gebietes um so eindringlicher zur Geltung. Schon das bäuerliche Vollneolithikum, welches von Mitteleuropa sonst ganz Besitz ergreift, gelangt nur in Ausläufern nach Ostpreußen hinein, und im Laufe der Bronzezeit scheidet sich dieses dann deutlich von dem Gebiet westlich davon, in dem nahe dem Meer die Germanen und südlich an sie anschließend die Illyrier siedeln. Die Germanen verdrängen die letzteren aus Ostdeutschland, lassen jedoch das Gebiet des »Baltischen Kreises« unberührt und stoßen die Weichsel aufwärts gegen Südosten vor. Schon in der jüngeren Bronzezeit ist der Baltische Kreis in mehrere Untergruppen geschieden, eine volkliche Aufspaltung, welche in die Stammesnamen der spätheidnischen Zeit ausklingt. Die das 5. und 6. Jh. n. Chr. betreffende Karte zeigt noch eine nennenswerte Anzahl von ostgermanischen Gräberfeldern, die bis in den Kreis Neidenburg und zur Passarge hin vorkommen; für das 7. und 8. Jh. werden noch deren zwei im Gebiet zwischen Danzig und Dirschau verzeichnet, und außerdem die eigenartige


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Erscheinung der »masurgermanischen Kultur«, die im 6. Jh. n. Chr. einsetzt und ethnisch noch nicht eindeutig identifiziert werden kann. Die nächstfolgende Karte zeigt dann das Auftreten der Slawen, das im 9. Jh. zu verzeichnen ist und auch wieder die Respektierung des baltisch-ostpreußischen Gebietes vor Augen führt. Die letzte Karte ist den Funden wikingischer Nationalität gewidmet, welche sich längs der Danziger Bucht und im Samland häufen, aber auch im Gebiet der Slawen des Binnenlandes nicht fehlen. Der Erläuterungsband vertieft durch weitere Karten und zahlreiche Typentafeln die im Atlas sich ausprägenden großen Linien der Bevölkerungs- und Stammesgeschichte; hierdurch und vermittels seiner literarischen Hinweise gewinnt er die Bedeutung einer selbständigen Darstellung, wie sie ja auch der Titel des Ganzen erwarten läßt. Insgesamt ist aber mit diesem Werk nicht nur in rein sachlicher Richtung viel gewonnen; der in technischer Hinsicht vortrefflich gelungene Atlas möge die Prähistorie wieder mehr den Fragen der kartographischen Wiedergabe vorgeschichtlicher Funde zuführen, denn so bequem die Veranschaulichung geschlossener Stammesgebiete vermittels der Gräberfelder ist, so schwierig wird die Darstellung dort, wo ein Unterschied zwischen dem Siedelungsraum und den Einflußgebieten einunddesselben Volkes zur Geltung kommen sollte. Man könnte z. B. daran denken, daß die wikingischen Gräberfelder und Einzelbestattungen eine ganz andere Bewertung verdienen als die Einzelfunde, welche lediglich Handelsbeziehungen andeuten; und ebenso erhebt sich angesichts der Karte 4 die Frage, ob nicht hier die große Anzahl der berücksichtigten Gerätformen das Bild zu sehr kompliziert. --

Der Erkenntnis des Werdeganges der vorgeschichtlichen Forschung dienen einige kleinere Beiträge. Einen der in der Romantik wurzelnden Prähistoriker behandelt G. Bierbaum (Karl Preusker -- 1786 bis 1871 --, sein Leben und Wirken für die vorgeschichtliche Denkmalpflege in Sachsen. In: Sachsens Vorzeit, 1937, S. 3--24). Preusker war Rentamtmann und lebte in der Kleinstadt Großenhain; trotzdem hat er der Vorgeschichtsforschung in Sachsen die Richtung gegeben. Sie ist ihm ein Stück nicht nur der heimatlichen Geschichte, sondern auch ein Mittel derjenigen Erziehung zu höherem Menschentum, die ihm noch auf anderen Wegen möglich erscheint. Sein Gedanke der »Stadt- und Dorf-Jahrbücher zur Förderung der Vaterlands-Geschichte und eines regen Sinnes für des Orts Gedeihen« mutet geradezu modern an; sein Interesse für Volksbildung, Dorfbibliotheken und Sonntagsschulen zeigt, wie ihm an einer lebendigen Wirkung der wissenschaftlichen Arbeit gelegen ist. Der Aufsatz von Curschmann < 149> gibt in erster Linie Material zur ältesten Geschichte des Römisch-germanischen Zentralmuseums und zur Beurteilung seines Gründers L. Lindenschmit. Eine Veröffentlichung der Landesanstalt für Volkheitskunde zu Halle bringt die Reden, welche anläßlich einer Feierstunde zum Gedenken an H. Hahne gehalten worden sind < 154>. Sie gedenken des Anthropologen und Prähistorikers, des Förderers der Heimatgeschichte und Denkmalpflegers. Kurz sei auch auf die Würdigungen verwiesen, welche R. Much gelten < 157>, denn ein besonderes Verständnis für die Bedeutung der vorgeschichtlichen Funde gehört zu dem Bilde dieses Germanisten.

Ein brauchbares Material zur Geschichte der Beschäftigung mit dem Fundstoff trägt L. Franz zusammen < 577>; er beginnt mit den Raritätenkammern des 16. Jh.'s und endet mit einer kurzen Kennzeichnung der unmittelbar vor dem Weltkrieg tätigen Arbeitskräfte. Merkel < 629> studiert das Interesse an der


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germanischen Religion vor dem Hintergrund der deutschen Bildungsgeschichte. Erst in der Renaissancezeit regt sich ein Verständnis für religionsgeschichtliche Entwicklung und wird man durch die Germania des Tacitus auf den Norden aufmerksam, »wobei die von skandinavischen Forschern aufgefundenen und neu veröffentlichten originalen Quellen altgermanischer Religion die Anteilnahme gelehrter Kreise an altdeutscher Mythologie und Ethik erhöhten. Namentlich war es dann die Aufklärung, die vom Standpunkt einer objektiven Betrachtung der Religionen aus und gegenüber einer einseitigen Bevorzugung bisher bekannter Religionsformen auch den fremden und untergegangenen Religionen Beachtung zuteil werden ließ. In dieser Epoche gewann man wieder neues Verständnis für volkhaft verbundene Religiosität, wie es ja heute auch als sicher gelten darf, daß die religiöse Volkskunde auf die Aufklärung und nicht auf die Romantik zurückgeht. So erschien denn im 18. Jh. eine große Zahl von Arbeiten archäologischen, kulturhistorischen und religions- oder mythengeschichtlichen Inhalts, die einer wissenschaftlichen Erforschung der altgermanischen Religion mit dem Beginn des 19. Jh.'s die Wege geebnet haben.« Das Interesse derselben Jahrhunderte an den Runen behandelt Jaffé < 366>. Die ältere Zeit des »Runenstudiums aus Liebhaberei« gipfelt in der Leistung des Ole Woren, die von seinen Nachfolgern freilich nicht ausgebaut wird; das 18. Jh. zeigt den Beginn der wissenschaftlichen Betrachtungsweise. »Was dann weiter im Laufe des 19. und 20. Jh.'s an Theorien über die Runen herrschte oder allmählich zur Herrschaft gelangte -- die lateinische, gotische, griechische, in gewissem Grade selbst Neckels Nordeuropathese --, war bereits im 17. und 18. Jh. irgendwie angedeutet und unbewußt empfunden worden.« Welche Arbeitsleistung in der Runenkunde heute enthalten ist, und wie diese ein Gebiet für sich darstellt, zeigt die Bibliographie von Arntz < 367>. Hier erscheinen in der Liste des nach Verfassern geordneten Schrifttums nicht weniger als 3912 Titel, denen sich noch über 200 Sachtitel und einige Nachträge anschließen. Leider sind die Register nur sehr knapp gehalten; insbesondere fehlt ein solches, welches die zeitliche Abfolge der Titel zu erkennen gibt, und noch ein weiteres, das den Anteil der einzelnen Nationen zeigt. Gerade weil A. meint, die Geschichte der Runenforschung müsse erst noch geschrieben werden, und die jüngst erschienene Dissertation von Jaffé lege sich diesen Obertitel zu Unrecht zu, wird man diese Lücken bedauern. Und weiter ist ja in der Beschäftigung mit den Runen viel mehr als nur ein Streben nach sachlicher Erkenntnis enthalten. Von Anfang an wird in diesen Denkmalen ein Zeugnis ganz besonderen Könnens und Wollens gesehen, sucht man vermittels ihrer tiefer in die Geheimnisse der Vergangenheit zu dringen, als die anderen Quellengruppen gestatten. Daraus ergibt sich nicht nur manche Übersteigerung, sondern auch eine enge Verbundenheit dieses Wollens mit den großen geistigen Strömungen. Die Germanistik ist zum Teil auf dem Wege über die Runen eine Wissenschaft geworden; anderseits aber haben diese Inschriften das Denken der Völker mannigfach beeinflußt. Deshalb »wird man nicht einwenden können, daß ein Großteil der verzeichneten Schriften gänzlich veraltet sei; denn zumindest Untersuchungen über die Geschichte der Runologie werden sie immer wieder benutzen müssen. Es gewinnt aber auch die belanglos erscheinende Erwähnung eines Denkmals oft Bedeutung durch den Zusammenhang, in dem diese Erwähnung geschieht.« Die kleine Studie von H. Bauersfeld (Die Entwicklung der keltischen Studien in Deutschland. Schriftenreihe der 'Deutschen Gesellschaft für keltische Studien', H. 1. Berlin,

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Selbstverlag der Ges., 20 S.) ist eine Vorarbeit für diejenige Geschichte der Keltistik, in welcher auch die dem Prähistoriker sehr gut bekannte Keltomanie eingehende Berücksichtigung zu finden hätte. --

Franz und Rudolph < 582> geben einen Beitrag zum Wiederaufbau des vorgeschichtlichen Landschaftsbildes. »Durch die Böhmerwaldfunde und die Erwägungen, zu denen sie Anlaß geben, wird nahegelegt, daß von einem unzugänglichen Urwalde keine Rede sein kann.« Anderseits zeigt die Paläobotanik, »daß aber auch die Annahme von Waldlosigkeit nicht zutreffen kann; auch Lichtungen im Walde sind nicht anzunehmen. Die sich daraus ergebende Frage, ob die Urböhmerwäldler den Platz, den sie für ihre Siedlungszwecke brauchten, durch Niederbrennen von Wald oder durch Schlagen gewonnen haben, bleibt unbeantwortbar.« Jedenfalls müssen »die im Böhmerwaldgebiet von der Hallstattzeit ab festgestellten Siedlungen im Walde angelegt und dem Walde abgerungen sein. Erfahrungen zeigen, daß Umwandlung von Wald in Kulturland auch auf primitiverer Kulturstufe nicht unmöglich ist.« Wie auch die antiken Schriftquellen Einblicke in Landesnatur und Topographie des alten Germanien geben, lehrt das Buch von Steche < 1451>.

La Baume würdigt die aus Mittel- und Nordeuropa bekanntgewordenen vorgeschichtlichen Pflüge von der typologischen Seite her < 583>. Wichtig erscheint besonders seine Feststellung, daß sich »bestimmte einfache Formen des Holzpfluges nachweislich über Jahrtausende unverändert erhalten haben. Allein aus der Form des Pfluges auf das Alter zu schließen, ist daher methodisch falsch.« Pflugscharen aus Bronze gibt es nicht; die ältesten aus Metall gefertigten Scharen sind aus Eisen und stammen, genau so wie die ältesten Pflugmesser, erst aus den letzten Jahrhunderten v. Chr. »Wahrscheinlich ist trotz diesen neuen Erfindungen der Holzpflug ohne Eisenschar noch lange neben dem Pfluge mit Eisenschar benutzt worden.« Da der älteste aus dem Norden vorliegende hölzerne Pflug neolithisch ist (Moorfund von Walle) und nach morrgeologischer Schätzung um 2500 v. Chr. angesetzt werden darf, so liegt hier das älteste bekannte Originalgerät dieser Art überhaupt vor. Doch wäre es ganz falsch, hieraus folgern zu wollen, daß der Pflug eine Erfindung des Nordens sei; besagt dieser Fund doch zunächst nichts weiter, als daß die Erhaltungs- und Fundbedingungen dort besonders günstig sind. Rydbeck < 584> sucht den wirtschaftlichen Verhältnissen in Innerschweden während des Neolithikums nahezukommen. Lindner < 585> behandelt die Jagd sowohl als Teilgebiet menschlicher Ernährung wie von der technischen Seite her. Einige neue schonensche Funde von Hundeknochen aus der Ganggräberzeit veranlassen E. Dahr (Studien über Hunde aus primitiven Steinzeitkulturen in Nordeuropa. Lunds Universitets Årsskrift N. F. Avd. 2. Bd. 32. Nr. 4. Lund, Gleerup; Leipzig, O. Harrassowitz, 65 S., 3 Taf.), ein schon öfters erörtertes Problem neu zu beleuchten. »In den ältesten, näher bekannten Haushundebeständen läßt sich keine deutliche Trennung von verschiedenen Rassen feststellen. Die Homogenität der Bestände gibt uns keinen Anlaß, ihnen einen di- oder polyphyletischen Ursprung beizumessen. Die Versuche, die Stammform der ältesten Haushunde unter den rezenten Schakalen oder Wölfen zu finden, führen zu keinem befriedigenden Resultat.« Dagegen vermutet D. ihren Ausgang in der Nähe des Dingo, d. h. räumlich im holarktischen Kontinentalblock, und kommt damit auf ein Gebiet, das auch sonst noch für die Beurteilung des nordeuropäischen, in nennenswerten Ausläufern auch in Ostdeutschland nachweisbaren


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Frühneolithikums von Bedeutung ist. Tschumi < 586> stellt fest, »daß in verschiedenen Alpengegenden der Schweiz in der Höhe von 1200--2000 Meter bronzezeitliche Kulturschichten mit Haustierknochen gefunden worden sind. Die Errichtung von Bronzegießereien am Eingang verschiedener Alpentäler der Schweiz läßt den Schluß zu, daß in der Bronzezeit Kupfervorkommnisse gesucht und in den Gußwerkstätten geschmolzen wurden. Damit könnte die beginnende Waldrodung zusammenhängen. Der ständige Schmelzprozeß erforderte große Mengen von Holz und führte zur Lichtung der Wälder und damit zur Erschließung von Höhenweiden, die offenbar ständig aufgesucht wurden. Sobald einmal die bronzezeitlichen Höhesiedelungen der Schweiz auf ihre Haustierfauna untersucht worden sind, wird man klarer sehen.« Über entsprechende Studien in Tirol unterrichten E. Preuschen und R. Pittioni (Untersuchungen im Bergbaugebiete Kelchalpe bei Kitzbühel. Erster Bericht über die Arbeiten 1931--1936 zur Urgeschichte des Kupferbergwesens in Tirol. Mitt. d. Prähistorischen Komm. der Akademie der Wissenschaften, III, Nr. 1--3. Wien, Kommissionsverlag Hölder-Pichler-Tempsky. 160 S., 10 Abb., 39 Taf.) in einem nicht nur durch seinen Umfang imponierenden Forschungsbericht. Man hat für die naturwissenschaftliche Aufnahme der Befunde mehrere Bearbeiter eingesetzt, die u. a. zu Reagensglas und Spektralanalyse gegriffen haben; vor allem aber stand dem Archäologen (Pittioni) der Hüttenfachmann (Preuschen) zur Seite. »In der Tat erwies sich die Zusammenarbeit als sehr fruchtbringend, da viele Bodenaufschlüsse erst dann einer entsprechenden Deutung unterzogen werden konnten, als die Kenntnis von den bergbaukundlichen Arbeitsvorgängen zur Verfügung stand.« Es liegen in dem betreffenden Bereich vor allem Scheidehalden vor, deren Untersuchung zeigte, daß die Feinaufbereitung auf naßmechanischem Wege vor sich gegangen ist. »Das Betriebswasser lieferten die auf den Kronen der Scheidehalden bestehenden Tümpel, die, wie die stratigraphischen Verhältnisse eindeutig zeigen, ihrem Wesen nach auf die Urzeit zurückgehen.« »Die zeitliche Einordnung der Funde ergibt die späte Bronzezeit; die Keramik der Kelchalpe gehört der Höttinger Kultur an. Die im Bergbaugebiet wahrzunehmende kulturelle Rückständigkeit erlaubt aber die Vermutung, daß solche Formen hier bis zum 8. Jh. v. Chr. fortlebten. Anhaltspunkte für den Beginn oder das Ende des Bergbaubetriebes im Bereiche der Kelchalpe liegen noch nicht vor.« An Haustierknochen begegnen solche von Rind und Schwein, doch sind noch wichtiger als sie die nachgewiesenen Rinderexkremente. Das Rind ist also im Bereich der Kelchalpe, d. h. nahe der oberen Grenze des Nadelholzes, lebend gehalten worden. »Dies, sowie die mit Milchspeisen zusammenhängenden Reste auf Gefäßbruchstücken zeigen an, daß auch die Milchprodukte genossen wurden, wodurch eine Art Alpwirtschaft höchst wahrscheinlich wird.« Ihre Ergänzung finden derartige Bearbeitungen der Abbaustätten durch die chemische Analyse der Bronzen. Geilmann < 602> zeigt, daß die Patina der Dolch- und Schwertgriffe das Recht auf eine eigene Untersuchung hat. »In drei Fällen ließen sich bei Griffzungenschwertern Abdrücke der Struktur des Hirschhornes in der Patina mikroskopisch nachweisen. Holz oder andere phosphorfreie Stoffe (Horn) sind seltener verwendet worden. In wenigen Fällen enthält auch die Patina der Dolchklingen Phosphat; wahrscheinlich steckten diese Dolche in Scheiden aus Knochen.« Reinecke < 587> behandelt den Abbau der Eisenerze, die an den Jura gebunden sind. Er geht aus von denjenigen Schürfgrubenfeldern, welche innerhalb des spätkeltischen Oppidums Alkimoennis, also über

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Kelheim a. D., liegen, aber auch recht zahlreich unmittelbar westlich davon außerhalb des Siedelungsbereiches sich finden. Ihnen reihen sich dann noch nördlich der unteren Altmühl weitere Schürfgrubenfelder und einzelen Schürfgruben, sowie Schlackenhalden, Ofenstellen und verstreute Eisenschlacken an. Reinecke vermag aber noch für den ganzen bayerischen Jura westlich von hier, für Oberpfalz und Frankenalb bis in die Gegend von Staffelstein und Haßfurt Zeugnisse ehemaliger Eisengewinnung beizubringen. Ob es sich hier überall um frühgeschichtlichen, insbesondere spätkeltischen Abbau handelt, bleibt natürlich unentschieden und ist von vornherein auch nicht wahrscheinlich. Nur im Gebiet an der untersten Altmühl erscheint diese Datierung gesichert und gibt die planmäßige Aufnahme der Befunde die Möglichkeit, zu einem gewissen Bilde des Umfanges dieses Wirtschaftszweiges zu kommen. »Müssen doch hier, selbst wenn mehr als ein Jahrhundert hindurch Erz geschürft und verhüttet wurde, Hunderte von Händen beschäftigt gewesen sein, zumal wohl nur zeitweise und nicht das ganze Jahr hindurch gearbeitet werden konnte, da ja im Winter die Schneedecke der Jurahochfläche hinderlich war, und in anderen Jahreszeiten auch die Felderbestellung und Ernte wieder Arbeitskräfte erforderten. War damals auch unser Gebiet offensichtlich ein Hauptrevier frühgeschichtlicher Eisenerzförderung und Verhüttung nördlich der Alpen, sicherlich nicht aber das einzige derartige Zentrum, so können wir gleichwohl im Augenblick seinen Anteil an der Gesamteisenproduktion jener Zeiten in Mitteleuropa und seine wirtschaftliche Bedeutung innerhalb dieses Rahmens noch nicht genauer einschätzen. Hier sei nur noch daran erinnert, daß die auf mitteleuropäischem Boden und weiter westlich in einer geschlossenen Zone mit einiger Dichte und Menge verbreiteten großen Eisenbarren (in Spitzwürfel- oder Doppelpyramidenform) in engem Zusammenhang mit der vorrömischen Eisengewinnung dieser Zone stehen.« In ein anderes Gebiet frühgeschichtlicher Eisenförderung führt Barb < 588> ein. Nach den von ihm zusammengetragenen zahlreichen Zeugnissen »liegt es nahe, auch für unsere burgenländische Eisenverhüttung die in den genannten Parallelen gegebene Datierung in die Spätlatènezeit anzunehmen, eventuell den Beginn der Verhüttung in die Späthallstattzeit, ihr Ende in die frühere römische Kaiserzeit zu setzen. Damit ist die Zeit unserer intensivsten Eisenverhüttung identisch mit der Zeit der Hügelgräbernekropolen im Süd-Burgenland. Unser Eisen mag dann auch als 'norisches' in Rom gepriesen worden sein. Für den Rückgang der Eisenverhüttung mögen die gleichen Gründe Ursache gewesen sein wie für das plötzliche Verschwinden der Hügelgräber: Entvölkerung durch Krieg, Pest und Landflucht. Jedenfalls hat sich mit zusammengeschmolzenen römischen Bevölkerungsinseln auch die Eisenverhüttung durch spätere Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit in die slawische und karolingische Periode unseres Landes hinübergerettet.« Eine andere Industrie, die in der Vorzeit ebenfalls eine große Bedeutung gehabt hat, wird von Schlabow < 626> gestreift; im wesentlichen gilt sein Interesse natürlich den aus den Gräbern vorliegenden Gewändern selbst.

In das geistige Leben der Vergangenheit führt L. Franz ein < 589>; die Denkmäler des Fruchtbarkeitszaubers und Totenkultes sind ihm Ausgangspunkt, weil um diesseitiges Leben und Leben nach dem Tode sich das Denken der Menschen bewegt. Eine andere Studie desselben Vfs. < 590> greift aus der Menge der Fruchtbarkeitsidole die Darstellung der Frau heraus; indem er sie von den eiszeitlichen Elfenbeinstatuetten bis zur Venus der Medici und von Westeuropa bis


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nach Vorderasien hier verfolgt, steht er vor einem der Urphänomene magischen Denkens. »Heute ist schon klar zu erkennen, daß diese ganze umfängliche Gruppe von Kunstwerken aufs engste mit Fruchtbarkeitsvorstellungen verknüpft ist und daß von den ältesten Vertretern jener Göttinnengestalt im Orient Fäden nach Europa und da in noch weit ältere Zeiten zurückführen, in die Eiszeit, daß also das Prinzip der Fruchtbarkeit zu einer besonderen Macht nicht erst durch babylonische Priester geworden ist, und daß auch keine rein ästhetische Verherrlichung weiblicher Schönheit zugrunde liegt.«

Mit den Runen beschäftigen sich einige Arbeiten < 368--372> von vorwiegend untersuchender Art. Man hat den Eindruck, daß, nachdem die These von ihrer Entstehung aus kraftgeladenen Symbolen der Forschung einen neuen Weg wies, die Einzeluntersuchung nun für einige Zeit genügend Stoff besitzt. Auch dürfte die Öffentlichkeit für weitere neue Darstellungen der Runenkunde, wie sie in den letzten Jahren erschienen sind, im Augenblick kaum aufnahmefähig sein. Nach Mentz < 373> hat Tacitus im 10. Kapitel seiner Germania richtige Runen im Sinn, »und er behandelt sie mit einer Sachkenntnis und Sorgfalt, daß keine andere Nachricht ihr gleichkommt. Die ältesten, sicher datierbaren Runenzeichen entstammen dem 3. nachchr. Jahrhundert. Tacitus schreibt volle 200 Jahre vorher. Mehr als das, er erweist die Existenz der Namen der Runen; nur so ist sein Begriff der nota wirklich zu erfassen. Ja, wir können vermutlich aus seinem Bericht auch die feste Reihe der Runen mit der Einteilung in drei aettir erschließen. Und die ganze Verwendung der Runen stellt Tacitus als einen allgemeinen Brauch der Germanen dar. Die Entstehung dieses Brauches, und ebenso die der Runen, muß demnach erheblich älter sein.« Vielleicht beweist der Helm von Negau, »eine Periode des Suchens nach einem germanischen Alphabet«. Buchner < 628> kommt zu dem Ergebnis, daß sich die germanische Geschichtsschreibung durch ihre Wirklichkeitsnähe, d. h. durch ihre Wissenschaftlichkeit auszeichne. Die germanische Wissenschaft von Geschichte suche von wirklichen Vorgängen und Kräften ein zutreffendes Bild zu gewinnen und zu geben, und entspreche damit der Erd- und Himmelskunde. »In beiden wirkt ein Drang nach Kenntnis und Verständnis der umgebenden Wirklichkeiten, der nicht mehr verschwunden ist. Er hat in der germanisch bestimmten Welt schließlich den Wissenschaften von Welt und Leben zu einer Weite und Tiefe verholfen, wie keine andere Kultur der Erde sie ihr eigen nennen kann.« Das germanische Geschichtsbild ist damit denjenigen der spätrömischen und der christlichen Welt überlegen; »es zeigt sich frei von Wunschbildern und religiös-weltanschaulichen Geschichtskonstruktionen, wie sie nach dem Vorbild der geschichtlichen Bücher des Alten Testaments und von Augustins Buch über den Gottesstaat in der spätantik-christlichen Literatur beliebt waren«.

Reicher als für die anderen Gebiete des altgermanischen Lebens ist das Schrifttum über die Religion. Genau so wie aus den letzten Jahren liegen auch aus dem verflossenen umfangreiche Zeugnisse der Beschäftigung mit diesem Gegenstande vor. Und so wie dort bereits zeigt sich auch weiterhin eine sehr starke Benutzung der spätnordischen Quellen. Je tiefer eine Untersuchung in die germanische Art, in das Denken, Fühlen und Wollen einzudringen strebt, um so mehr schöpft sie gerade hier. Liegt dies natürlich sehr nahe, so bedauert man doch, daß die aus diesem Stoff abgeleiteten Wertungen nun zumeist ohne Umstände auf das gesamte Germanentum übertragen werden; sowohl die Südgermanen


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wie diejenigen der Bronzezeit erscheinen damit unter einer Blickrichtung, deren Berechtigung doch erst bewiesen werden sollte. Der Gesichtspunkt der Entwicklung wird damit bedenklich in den Hintergrund gedrängt, und ebenso die damit im Zusammenhang stehende Frage der örtlichen Differenzierung. Lediglich die nordgermanische Spätzeit hat Grönbech vor Augen < 630>; anders könnte er ja nicht seinen Stoff nach den verschiedenen Äußerungen des Denkens und Empfindens gliedern, und fast nur aus der altnordischen Überlieferung schöpft er ja auch. »Er geht von der konkreten Fülle des täglichen Lebens aus, wie es vor allem die Isländersagas so anschaulich malen.« Sicherlich hat, wie der Herausgeber in seiner Vorbemerkung weiter sagt, das nun auch in das Deutsche übertragene Werk »auf unser Schrifttum schon lange gewirkt«. Aber es fragt sich doch sehr, ob G. etwas anderes hat bieten wollen als eben die nordische Vergangenheit, und ob nicht sein Bild erst von anderen auch für die Südgermanen beansprucht worden ist. Güntert < 631> deutet das älterbronzezeitliche Grab von Kivik als ein Denkmal altgermanischen Jenseitsglaubens. In den Wandbildern der Gruft »wird die vollzogene Aufnahme des Toten in den Kreis seiner Ahnen bildlich dargestellt«. Er behandelt weiter das Wesen des germanischen Götterglaubens, das er im Glauben an das Werden sieht und in Gegensatz bringt zu dem anderwärts herrschenden Glauben an das Sein. »Dieses 'Sein' ist die indogermanisch-arischer und germanischer Lebenseinstellung entgegengesetzte und feindliche, die Natur verachtende Denkungsrichtung, das antiarische Verhalten zur Lebenswirklichkeit ausgesprochen internationaler Art. Germanien aber war nie römische Provinz gewesen; daher finden wir nur bei den Germanen und vorzugsweise bei den Deutschen nach ihrem Übertritt zur römischchristlichen Kirche immer wieder eine letzte, innere Spannung gegen kirchliche Lehren und Einrichtungen, die schließlich zur Reformation führte. Diese aber setzte sich nur dort dauernd durch, wo der römische politische und kulturelle Einfluß niemals gewirkt hatte.« Der Inhalt des Werkes von Eckhardt < 636> ist in seinem Untertitel bereits verdeutlicht. Ausgehend von den Verhältnissen in Island, findet er seine Auffassung durch Beobachtungen bei den übrigen Nordgermanen, den Burgundern und Merowingern, sowie anderen indogermanischen Völkern bestätigt. Ninck < 632> erstrebt ein Gesamtbild, das trotz gelegentlicher Ansätze der Erkenntnis einer Entwicklung doch bei dem Zuständlichen bleibt und entsprechend seiner Gründung vorwiegend auf die nordische Überlieferung die nordischen Verhältnisse betrifft. Er setzt sich aber mit der Frage auseinander, wie weit seine Ergebnisse auch für die übrigen Germanen Gültigkeit haben. »Es gilt die wichtige Frage kurz zu berühren, wie überhaupt das Verhältnis der germanischen zur nordischen Religion zu denken sei, wie weit mit anderen Worten die dem nordischen Schrifttum entnommenen Angaben verallgemeinert und als Zeugnisse gemeingermanischen Glaubens angesprochen werden dürfen.« Die Prüfung ergibt, daß »die eddischen und übrigen nordgermanischen Quellen sicher einzelne Gestalten des Kults und des Mythus enthalten, die dem nordischen Kreis ganz besonders angehören, und die Dichtung zeigt in Haltung und Gepräge den teilweise eigentümlichen Stil der Wikingerzeit. Auch stehen Dichter hinter einzelnen Liedern, die als schaffende Künstler den gegebenen Stoff eigentümlich durchdrangen und manches nach ihrer eigenen Weise verflochten. Aber übertriebene Vorstellungen von nordischer Eigenständigkeit dürfen wir uns deswegen nicht machen. Wenn die genaue Untersuchung der eddischen Heldengedichte ergeben

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hat, daß die Mehrzahl von ihnen Umdichtungen südgermanischer Lieder darstellen und die fränkischen Urbilder zum Teil bis ins 5. Jh., die gotischen noch weiter zurückreichen, dann liegt die Vermutung nahe, daß auch in den Götterliedern manches auf Überlieferungen der Südgermanen beruhe.« Und »wichtiger als dieser äußere Grund ist der innere, daß die germanische Religion von sehr beträchtlichem Alter ist und wir ganz in Übereinstimmung damit denselben Grundzügen des Glaubens bei allen germanischen Stämmen begegnen«. Für Schmieder < 640> steht die in der Edda enthaltene Götterlehre »wie ein Bretterzaun vor der Welt unserer Ahnen. Fällt dieser Bretterzaun, so wird der Zugang zur Seele unserer Vorväter frei.« Und Vf. glaubt nun, daß die Edda keine wahrhaftige Quelle sei, daß »damit die Annahme einer germanischen Götterlehre hinfällig geworden, damit aber auch der Makel hinweggenommen, der in religiöser Beziehung auf unseren Ahnen lastete«. Denn »vielen Kreisen war die germanische Vielgötterei eine angenehme Erscheinung in ihrem Kampfe gegen die sich festigende Anschauung von der hohen Kultur unserer Ahnen«.

Eine sehr brauchbare, nach Sachgebieten geordnete und mit den nötigen Nachweisen versehene Quellenkunde bietet W. Baetke (Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen. Frankfurt a. M., Diesterweg. XII, 167 S., Abb.). »Zwar erwarten viele diese Belehrung heute zuerst von der Vorgeschichte, weil sie die schriftlichen Quellen für sekundäre und, da aus christlicher Zeit stammend, für unzuverlässig halten. Aber diese Ansicht ist einseitig und oberflächlich. So gewiß gerade auch die Religionswissenschaft der vorgeschichtlichen Altertumsforschung wertvolle Förderung verdankt, so gewiß ist die Deutung und Wertung prähistorischer Urkunden für die Geistesgeschichte auf die Mithilfe der schriftlichen Geschichtszeugnisse angewiesen und bleibt ohne sie eine unsichere Sache. Das dürfte das Schicksal gewisser Theorien der letzten Jahre deutlich genug gemacht haben.« Der zweite Band des Werkes von de Vries < 633> ist ein wertvolles, streng kritisch gehaltenes Handbuch, das sich überall unmittelbar auf die Quellen gründet. Hauptsächlich der Behandlung der Götter gewidmet, vernachlässigt es doch Seelen, Geister und Dämonen, die Magie, das Heilige und die Vorstellungen über den Kosmos keineswegs. Ein Schlußkapitel behandelt den Untergang des Heidentums. Zu einer beachtlichen Belesenheit gesellt sich ein wohl abgewogenes Urteil, das, von der kritischen Bewertung der Einzelheiten ausgehend, zuletzt auch die großen Zusammenhänge beleuchtet. »Aber wenn auch auf Nebenpfanden das Heidentum ein kümmerliches Dasein fristete, das Christentum wies den Menschen den Weg zur Zukunft. Die skandinavischen Völker wurden in die Gesellschaft der Völker Europas aufgenommen, ihre Augen wandten sich von der heimatlichen Scholle empor und suchten das Licht, das ihnen aus Rom und noch weiter aus Jerusalem entgegenstrahlte. Die Wanderlust dieser Wikinger findet neue Ziele in den heiligen Stätten des Christentums; schon bald fangen die Pilgerfahrten nach dem Süden an, ein schönes Zeugnis für die Sehnsucht ihres Glaubens, ein wirksames Mittel auch, die beiden Kulturwelten miteinander zu verschmelzen.« Helm < 634> behandelt die Religion der Ostgermanen besonders ausführlich, weil die Fachleute sie sehr verschieden bewerten. Der frühe Übertritt dieser Stämme zum Christentum hat zu der Vorstellung geführt, daß uns von ihrem Heidentum eigentlich so gut wie nichts bekannt sei; und von anderer Seite wird behauptet, daß die gotische Religion eine besondere Ausgestaltung erfahren habe, von welcher der spätere Norden nur einen Abglanz


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biete. Auch diese Arbeit mündet in die Darstellung der Bekehrung aus. Die Schrift von Harder < 635> erweist sich als ein ganz knapp gehaltener, zuverlässiger Grundriß. -- Größere Arbeiten über nichtgermanische Religionen, welche das Wesen der germanischen Frömmigkeit besonders herausstellen würden, liegen nicht vor. Wie fruchtbar aber gerade sie sein können, lehrt die Untersuchung Palms < 161> über ein Teilproblem. --

Von sehr verschiedener Seite und mit unterschiedlichem Erfolg wird die Indogermanenfrage beleuchtet. Vielerorts besteht sie lediglich in derjenigen nach dem Ausgangsgebiet der Wanderzüge < 620>, und man glaubt, sie auf dem Wege lediglich über die prähistorische Formenkunde lösen zu können < 621, 622>. Doch wird man sich daran gewöhnen müssen, sie auf eine breitere Plattform zu stellen und vermittels noch anderer Quellen zu einer völkerkundlichen Bewertung des Wesens des indogermanischen Urvolkes vorzudringen. In dieser Richtung weist ein von der Wiener kulturhistorischen Schule dargebotenes Sammelwerk < 619> neue Wege und wird, auch wenn man ihm nicht in allem folgt, das für dieses Stoffgebiet bei uns so rege Interesse hoffentlich fruchtbar beeinflussen. Ein knappes, als erste Einführung geeignetes Gesamtbild der Germanen und Kelten geben Kersten und v. Uslar < 641>. Nordman (Germanen und Finnen in der Vorgeschichte Finnlands. In: Mannus 29, S. 477--501) stellt die verschiedenen germanischen Wellen dar, welche von Schweden her über die Ålandsinseln nach Finnland gelangen. Ein anderes peripheres Gebiet germanischer Siedlung behandelt Beninger < 644>. Seine sehr wertvolle Zusammenstellung der Funde aus den südlichen Ausläufern der Karpaten gibt zu erkennen, ein wie reicher Stoff hier westlich und östlich vom Gran bereits vorliegt. Er wiegt um so mehr, als er fast durchweg zufällig zutage gekommen ist, und von einer planmäßig betriebenen Forschung also noch ungleich eindringlichere Zeugnisse der germanischen Besiedelung erwartet werden dürfen. Die Funde setzen um Chr. Geb. ein und zeigen hier neben Elementen der Vorbevölkerung und Einfuhrgut von jenseits der Donau auch die typischen elbgermanischen Mäanderurnen. B. scheidet zwischen den Quaden westlich vom Eipel und den in der späteren Kaiserzeit nördlich der Theiß nachweisbaren Wandalen. Spärlicher ist dann der Stoff, welcher der Zeit nach 400 angehört und aus Schnallen, Blechfibeln und mit Zelleneinlage versehenen anderen Schmucksachen besteht. Das von einem Kreise junger Prähistoriker dargebotene Kartenwerk < 642> ist das erste Heft der von der Gaustudentenführung Schlesiens herausgegebenen Schriftenreihe »Junge Wissenschaft im Osten«, über deren Aufgabe ein kurzes Vorwort unterrichtet. »Die geistige Krise der abendländischen Welt ist einem Auseinanderklaffen von alten und jungen Kräften gewichen. Wir sind darangegangen, durch die Schuttschicht eines Jahrtausends zu unseren Ursprüngen zurückzukehren. Wir suchen in der Geschichte unseres Volkes jene unverbogenen, sich gegen Orient und lateinische Welt auflehnenden Kräfte, deren Kampf wir zu vollenden haben. Wir ringen um den Reichtum der deutschen Seele und wissen wieder um die Gebundenheit an die deutsche Erde.« Die Darstellung selbst beginnt mit dem Untergang des schlesischen Illyrerreiches und dem Skytheneinfall. Karte 2 zeigt die um 500 v. Chr. einsetzende germanische Landnahme, der sich an der Oder vorübergehend noch keltische Bojer entgegenstellen. Im folgenden wird dann für jedes Jahrhundert ein eigenes Kartenbild geboten; das letzte faßt unter dem Titel »Germanen in Schlesien vom 7.--12. Jh. n. Zw.« Germanenfunde und Kastellaneien


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zusammen. Der Begleittext ist ganz knapp gehalten, aber mit einer ausführlichen Übersicht über das Schrifttum ausgestattet. Miltner < 627> zeichnet das Bild einiger hervorragender Germanen, welche sich mit dem Römischen Reich auseinandergesetzt haben. Er beginnt mit Ariovist und endet mit Geiserich. Während die einen den Gang der Entwicklung mit bestimmten, blieb den Werken Marbods und Arbogasts, sowie Stilichos die schöpferische Wirkung versagt. »Und fragen wir nach dem Grunde solcher Verschiedenheit, liegt die Antwort leicht zu greifen. Die einen haben ihr Werk mit ihrem Volk und für ihr Volk gebaut, die anderen, losgelöst von der Heimat und erfüllt von allzu persönlichem Machtdrange, haben ohne und auch gegen das naturgemäße Wollen und Denken ihres Volkes gearbeitet und gelebt und sind daran in Zwiespalt gescheitert. Denn auch größte Kraft und kühnstes Wollen und höchstes Wissen kann doch nur dann führerhaft zu fruchtbringendem Erfolge durchstoßen, wenn es gleichgerichtet ist den naturgegebenen Bedingnissen und dem naturhaften Weben und Streben von Heimat und Volk.«


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