II. Die einzelnen Zeitalter.

Die Zahl der Altsteinzeitfunde mehrt sich in Deutschland von einem Jahr zum anderen; war es bisher eine besondere Note der deutschen Forschung, die Parallelisierung einer im wesentlichen anderwärts ermittelten Kulturenfolge mit der erdgeschichtlichen Entwicklung zu betreiben, so nimmt jetzt der stoffliche Nachlaß selbst immer deutlicher Gestalt an < 652 ff.>. Besonders wichtig ist, daß ein spätes Paläolithikum nun auch in Holstein begegnet, also auch anderwärts längs dem Südrande des abschmelzenden Eises erwartet werden darf. Damit erweisen sich nicht nur solche Räume als besiedelt, welche ehedem für so gut wie menschenleer gehalten worden sind, sondern es verringert sich auch die ehedem hier im Norden vorhandene Kluft zwischen Altsteinzeit und Mesolithikum (Frühneolithikum) um ein beträchtliches. Und auch die Frage nach den Grundlagen der späteren vollneolithischen Bevölkerung des Nordens wird damit langsam in ein neues Licht gebracht. Zotz < 660> beleuchtet einen Fund, der in dem Ausgrabungsbericht von seiten des Prähistorikers als neolithisch hingestellt worden ist, dann aber durch einen Anthropologen in das Mesolithikum gesetzt und als Zeugnis einer schon um 4000 v. Chr. vorhandenen Menschen- und Kulturwanderung von Norden nach Süden hin benutzt wurde. Neuer Vergleichsstoff läßt die erste Datierung zu Recht bestehen, und so wird denn jener Schädel, der zwischendrin als »urnordisch« galt, sich mit der wesentlich bescheideneren Rolle eines spätneolithischen, vielleicht bandkeramischen Herkommens begnügen müssen. Daß »ein so ausgeprägt nordischer Rassetypus, wie ihn der Schädel von Groß-Tinz darstellt«, in offenbar nicht-nordischem Kulturzusammenhang begegnet, stellt die prähistorische Anthropologie vor eine neue Frage. Schmidt < 661> setzt die Veröffentlichung seiner Grabungsergebnisse fort und verspricht noch eine abschließende Lieferung seines Werkes. Ehrlich < 662> bietet in einem vortrefflichen Grabungsbericht ein Material, dessen Keramik für die Bevölkerungsgeschichte und dessen Hausgrundrisse für das Wissen um die Siedelungen von besonderer Bedeutung sind. Lais < 663> weist, mit dem Blick des Naturwissenschaftlers für das anscheinend ganz Bedeutungslose versehen, Zeugnisse steinzeitlicher Begehung des Schwarzwaldes nach. »Daß die Jagd den Menschen in den Hohen Schwarzwald führte, beweisen die Pfeilspitzen; daß er auch die tieferen Teile auf seinen Wanderungen durchzogen, oder zur Gewinnung begehrter Hölzer, vielleicht auch von Harz und Honig, durchstreift hat, darf aus den übrigen Funden erschlossen werden, und sie alle zusammen befremden heute nicht mehr, nachdem man


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weiß, daß der Urwald des Gebirges nicht so unwegsam war, wie man früher geglaubt hatte.« Von der dauernden Siedelung im Gebirge hielt nicht der Wald den Neolithiker ab, »sondern die Ungunst seines Bodens und Klimas«. Ein Problem des südskandinavischen Neolithikums, das lediglich infolge des vorläufigen Fehlens bestimmter Funde in Norddeutschland noch nicht zur Bearbeitung drängt, behandelt N. Åberg (Kulturmotsättningari Danmarks stenålder. Mit Zusammenfassung in deutscher Sprache. Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademiens Handlingar. Del 42, 4. Stockholm, 104 S., 157 Abb., 5 Karten). Es handelt sich um das zeitliche und räumliche Nebeneinander von Leuten, die in Großsteingräbern bzw. Einmanngräbern bestatten; ist es möglich, die gerne mit den Indogermanen verknüpfte schnurkeramische Welt aus jenen frühen Einmanngräbern abzuleiten und damit die These von der nordischen Herkunft der Indogermanen zu stützen? »Sehen wir von allem ab, was die Forschung in Zukunft vielleicht noch bieten kann, und stellen wir uns nur die Frage, wo die Schnurkeramik, die im Verhältnis zu der nordischen Entwicklung sicher datiert ist, am frühesten auftritt, so muß die Antwort die sein, daß die älteste Schnurkeramik den dänischen Megalithgegenden der Dolmenzeit angehört.« Es muß beachtet werden, daß Åberg lediglich mit formenkundlichen Gesichtspunkten arbeitet, und darin ist es wohl auch begründet, daß dieses Ergebnis von anderer, ihm aber innerlich sehr nahestehender Seite schon vor einem Jahrzehnt gezeitigt werden konnte. »Schritt für Schritt und nicht ohne Widerstreben meinerseits haben die Zeugnisse der verschiedenen Fundgruppen mich schließlich zu einer Auffassung geführt, die mir ursprünglich ziemlich fernstand. Wenn ich aber nun meine eigenen Ergebnisse mit denen Kossinnas vergleiche, so ist die Übereinstimmung zwischen ihnen fast vollständig. Ohne wie in dieser Untersuchung von Fundgruppe zu Fundgruppe vorwärtszuschreiten, ist Kossinnas Gesamtschau des nordischen Entwicklungsganges gleichsam in einem Guß zustande gekommen, mit der spielenden Leichtigkeit, die nur der Genialität beschieden ist.«

Einige Arbeiten behandeln bestimmte Kulturkreise des sehr reich gegliederten mitteldeutschen Neolithikums < 666, 667, 669>. Ihnen schließt sich Umbreit < 664> mit einer Untersuchung an, welche der Einordnung eines geschlossenen Ausgrabungsergebnisses in den Rahmen der märkischen Steinzeitkulturen gilt. Der Schwerpunkt des Fundplatzes Britz liegt weniger in Hausgrundrissen als in der Keramik. Unterscheidet sich diese Siedelungskeramik natürlich sehr wesentlich von derjenigen, die man aus den Gräbern gewohnt, sind die Formen und Verzierungen zunächst weniger bestimmt als die Grabkeramik, so ist ihre Deutung doch möglich. Es liegt ein Ableger des nordischen Kreises vor, der in Noßwitz eine nahe Parallele hat und durch seine Beziehungen zu Aunjetitz in die frühe Bronzezeit gesetzt werden muß, obwohl am Fundort selbst kein Metall hat nachgewiesen werden können. Ein Großteil der Britzer Formen lebt im Lausitzer Typus weiter, und so hat man auch von dieser Seite her den Eindruck, daß sie relativ jung sind und keine größeren Wandlungen der Bevölkerungsverhältnisse die Entwicklung in die volle Bronzezeit hinein stören. Die sehr wertvolle Arbeit Willvonseders < 670> wird besonders in den Nachbargebieten, namentlich in Süddeutschland, Beachtung finden. Sprockhoff < 671> behandelt den ersten Abschnitt der jüngeren Bronzezeit vermittels vor allem der Hortfunde. Ihrer Einzeldarstellung folgt die formenkundliche Auswertung und die Umschreibung der Kulturprovinzen, die sich anscheinend schon im Laufe der älteren Bronzezeit vorbereiten.


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Glaser < 676> bearbeitet eine besondere Fundgruppe der frühen Eisenzeit Ostdeutschlands, die wegen ihrer Eigenart schon vor fast 50 Jahren der Gegenstand einer eigenen Studie war. Die außerordentlich sorgfältige, in besonnener Abwägung der Erscheinungen zu ihren gesicherten Ergebnissen gelangende Arbeit läßt den Leser bedauern, daß ihr jugendlicher Verfasser den Druck nicht mehr erlebt hat. »Zahlreiche und enge Verbindungen in der Ornamentik und Farbentechnik der Keramik und die Verbreitung bestimmter Metallformen lassen es angebracht erscheinen, bei dem starken südöstlichen Einschlag der früheisenzeitlichen schlesischen Kultur auch die Anregung zur Bemalung der schlesischen Gefäße aus einem Gebiet herzuleiten, dessen Mittelpunkt wahrscheinlich in Niederösterreich und Westungarn zu suchen ist. Schlesien selbst wird bei seiner stark ausgebildeten Eigenkultur zum Mittelpunkt eines neuen osthallstättischen Kulturkreises, zu dem auch die ehemalige Provinz Posen gehört.« In das Ausgangsgebiet dieser Bewegung führt Barb < 677>. »In den drei südlichen Bezirken des Burgenlandes dürfte es keine einzige Gemeinde geben, in deren Waldungen nicht mindestens eine oder die andere Hügelgräbergruppe zu finden ist.« Hier wird aber auch noch in der Römerzeit in Hügeln bestattet. Unter den Siedelungsfunden fallen die Eisenbestandteile eines Pfluges auf, die vielleicht noch in die Latènezeit gehören. Sehr erfreut nimmt man die Veröffentlichung eines früheisenzeitlichen Hortfundes von Alsen entgegen (G. Rosenberg, Hjortspringfundet. Med Bidrag af K. Jessen og Fr. Johannessen. With English Summary. Nordiske Fortidsminder III, 1. København, 111 S., 64 Abb., 3 Tafeln). Es handelt sich um die in einem Moor niedergelegte Kampfesbeute, die vorwiegend aus hölzernen Gegenständen, vor allem Schilden, besteht. Daneben begegnen eiserne Waffen, insbesondere Speere und gedrechselte Dosen aus Holz, vor allem aber das Hauptstück des Fundes, ein hölzernes Boot. Die Bedeutung dieses Fundes, von dessen überaus sorgfältiger Hebung und Bearbeitung die Veröffentlichung beredte Kunde gibt, liegt darin, daß die frühe Eisenzeit des Nordens uns im wesentlichen nur aus dürftig ausgestatteten Gräbern bekannt ist und wir hier die tatsächlich dahinterstehende Welt endlich genauer greifen können. Das Boot ist aus Planken gefertigt, die über Querspanten befestigt sind, und somit ein beredtes Zeugnis einer weit gediehenen Schiffsbaukunst. Das älteste heute aus dem Norden vorliegende Fahrzeug, zeigt es mit dem Vorspringen von Kiel und Spanten an beiden Enden, daß die Schiffe der bronzezeitlichen Felsenbilder ebenfalls schon in dieser Art gefertigt gewesen sind.


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