I. Die ersten nachchristlichen Jahrhunderte.

Einen bedeutsamen Beitrag zur Frühgeschichte der Westgermanen liefert Wegewitz < 649>, der das gesamte Inventar mehrerer Urnenfriedhöfe in den Kreisen Stade und Harburg zusammenfassend behandelt hat. Im Vordergrunde stehen dabei die Funde aus dem riesigen Urnenfriedhof von Harsefeld. Das erwähnte Gebiet ist nach Ansicht des Verfassers gleichbedeutend mit dem »Gau Moswidi«, der östlich an den »Bardengau« angrenzt. Der in sächsischer Zeit geprägte Gauname Bardengau bewahrt die Erinnerung an den


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germanischen Volksstamm der Langobarden, die nach den Berichten antiker Schriftsteller um die Zeitwende im Niederelbegebiet östlich von dem Wohngebiet der Chauken ihre Sitze hatten. Nach den Ergebnissen der Bodenforschung kann sich das Wohngebiet der Langobarden aber nicht auf den Bardengau beschränkt haben, sondern muß im Osten und Süden darüber hinausgereicht haben; danach war ein Teil von West-Mecklenburg im 1. und 2. Jh. nach Chr. langobardisch. Die Westgrenze der Langobarden war bisher unklar. Entgegen der bisherigen Anschauung tritt der Verf. auf Grund der archäologischen Untersuchungen, deren Ergebnisse von ihm ausführlich dargelegt werden, für die Anschauung ein, daß die Landschaft westlich des Bardengaues (zwischen der Seeve und der Aue), in der Sachsenzeit »Gau Mosvidi« genannt, ebenfalls von Langobarden besiedelt war (nicht von Chauken), da sich die Grabfunde von dort nicht von denen des Bardengaues unterscheiden. Dagegen herrschen ganz andere Fundverhältnisse im nordwestlichen Hannover, wo die Chauken wohnten. Als ein weiteres wichtiges Ergebnis sei erwähnt, daß der Verf. auf merkwürdige ostgermanische Einflüsse auf die langobardische Kultur im Unter-Elbe-Gebiet gestoßen ist, die er mit einer ostgermanischen Zuwanderung in Zusammenhang bringen möchte; jedoch bedürfen diese Tatsachen noch weiterer Untersuchungen zwecks endgültiger Klärung. Neben einer umfassenden Materialveröffentlichung hat somit das Buch von Wegewitz wesentliche neue Erkenntnisse zur Frühgeschichte der Elbgermanen erbracht. -- Nach einer Mitteilung von Waller (Nachrichtenbl. dt. Vorzeit 13, H. 2, S. 25) über die Verbreitung der chaukischen Keramik kommen vereinzelt chaukische Tongefäße im westholsteinischen Küstengebiet vor, was auf chaukische Seeunternehmungen schließen läßt. -- Der Ursprung der »sächsischen Keramik« des 3.--6. Jh.'s aus Friedhöfen zwischen Elbe- und Wesermündung ist nach Waller < 169> schon deswegen nicht in diesem Gebiet zu suchen, weil dort vorher (im 2. Jh.) eine ganz andere, nach dem Verf. chaukische Tonwarenart vorhanden war. Der Übergang von der chaukischen Ware des 1. und 2. Jh.'s zur sächsischen des 3. und 4. Jh.'s ist nach W. nicht die Folge eines Stilwechsels im eigenen Stammesgebiet, sondern das Ergebnis einer Neugestaltung unter Einflüssen von außen her; diese kamen aus den Gebieten des südlichen Holstein. Verf. bringt sie in Zusammenhang mit dem Eindringen kriegerischer Scharen von Sachsen aus Südholstein zu Beginn des 3. Jh.'s, die sich die einheimische Bevölkerung (Chauken) unterworfen hätten. Dies wäre eine neue Anschauung von der Herkunft und Landnahme der Sachsen, die sowohl von der Ansicht von Plettke wie der von Tackenberg abweicht. -- Ein ungewöhnlich reich ausgestattetes Frauengrab aus dem Anfang des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, bei Wincheringen im Trierer Land gefunden, wird von H. Koethe und W. Kimmig < 693> beschrieben und gibt den Verf. Anlaß, auf die Treverer-Frage einzugehen. Da sich Vergleichsfundstoff zu dem erwähnten Grabe in erster Linie im Trevererland findet, ist das Grab nach Ansicht der Verf. ein Treverergrab. Sowohl die historischen wie die archäologischen Zeugnisse machen es wahrscheinlich, daß die mittelrheinische Landschaft westlich des Stromes ursprünglich den Treverern (und nicht den Mediomatrikern) gehörte. Der Siedlungsraum der Treverer umfaßte in der Latènezeit weite Strecken des mittelrheinischen Flachlandes, und dieser Teil der Bevölkerung spielte selbst in der Kaiserzeit, als er das Land mit Wangionen und Nemetern teilen mußte, noch eine wichtige Rolle. -- Nachträge zu den kaiserzeitlichen Germanenfunden aus dem bayerischen Anteil an der Germania Magna hat Reinecke < 700> zusammengestellt.

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In den Gebieten der ehemaligen römischen Provinzen beschäftigt sich die archäologische Forschung naturgemäß stark mit den von den Römern geschaffenen Bauten, Stadtanlagen, Festungen, Straßen usw. Die zahlenmäßige Erfassung der Stadtanlage des römischen Köln hat sich Klinkenberg < 692> in einer besonderen Untersuchung angelegen sein lassen. Danach zeigt die Colonia Agrippinensis eine sehr sorgfältige Aufteilung in Baublöcke von klaren Maßverhältnissen. Es konnten ferner außerhalb der Stadt rechtwinklig sich kreuzende Linien nachgewiesen werden, welche einer planmäßigen Aufteilung der Feldflur, also zur Herstellung eines Katasters zum Zwecke der rechtlichen Feststellung des Bodenbesitzes und als Grundlage für die Erhebung einer Grundsteuer dienten (Limitation). Die Abstände der limites sind meistens gleich, so daß quadratische Flächen entstehen. Weiter stehen die vom Verf. ermittelten Linien einer vermutlichen Limitation in enger Beziehung zu den Straßen der ma.'-lichen Stadt, ferner zu den ältesten kirchlichen Gründungen, zu alten Wegen außerhalb der Stadt usw. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind wesentliche Teile des Ubierlandes limitiert gewesen, und zwar der geographischen Gliederung des Landes entsprechend in drei Systemen (Karte Abb. 3). Mathematisch durchgeführte topographische Untersuchungen haben so zu neuen Erkenntnissen für die Vorgänge bei der Ansiedlung der Ubier auf dem linken Rheinufer und der Gründung ihrer Stadt geführt. Die Arbeit des Verf.'s vermittelt »ein eindrucksvolles Bild römischer Kulturpolitik im Rheinland, in seiner historischen Auswirkung aber ein Zeugnis für die innere Kraft der germanischen Ubier, die wie auf andern Gebieten so auch hier Elemente einer ihnen zunächst fremden Kultur sich zu eigen machten und selbständig fortbildeten«. -- Über die Stadtanlage und Befestigung von Noreia, der Hauptstadt von Norikum, hat Walter Schmid < 190> eine Zusammenfassung gebracht, der auch ein Plan der alten Stadtanlage beigefügt ist. In demselben Heft der »Blätter für Heimatkunde« (Jg. 13, H. 4/5, 1935), das dem 60jährigen steierischen Geschichtsforscher Hans Pirchegger gewidmet ist, beschreibt Marianne Grubinger römische Gräber im Kaiserwalde südlich von Graz, die u. a. dadurch bemerkenswert sind, daß sich hier das Hügelgrab der hallstattzeitlichen Bevölkerung bis in die Römerzeit hinein erhalten hat. -- Über die Ergebnisse weiterer Grabungen in Vindonissa berichtet Simonett < 708>. Es gelang erstmals, verschiedene ausgedehnte und klare Grundrisse in Holzbauten festzustellen, die der Verf. als Kasernen deutet. Ein Übersichtsplan zeigt die Überschneidung sämtlicher Bauten aus vier Bauzeiten im Ausgrabungsgelände von 1935/36. Eine ausgedehnte Bauanlage mit heizbaren Räumen, zuerst als Holzbau, dann als Steinbau errichtet, ist nach Verf. wahrscheinlich ein Lagerlazarett (Naletudinarium) gewesen. -- Eine Mitteilung von Riedl < 702> beschäftigt sich mit dem römischen Lagerdorf in Mautern. -- Über die Fortsetzung der Grabungen in Enns (Lauriacum) im Jahre 1936 berichtet Swoboda < 707>. -- Die Untersuchung des zweiten Amphitheaters von Carnuntum bildet den Inhalt einer Abhandlung von Miltner < 705>. -- R. de Maeyer < 688> hat eine archäologische Studie über die römischen Landhäuser in Belgien veröffentlicht. -- Die Militärstempel auf den römischen Ziegeln, die im Museum in Aachen aufbewahrt werden, hat Schué < 690> beschrieben. -- Die im Berichtsjahr erschienenen Lieferungen 54 und 55 des großen Limes-Werkes < 699> enthalten außer den Beschreibungen der Kastelle Rottenburg (O. Paret), Rottweil (W. Schleiermacher), Nieder-Bieber (E. Ritterling) und Hüfingen (P. Revellio) Veröffentlichungen über Einzelfunde (J. Hagen, F. Oelmann, W. Schleiermacher)


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sowie eine geschichtlich und kulturgeschichtlich wichtige Abhandlung von E. Fabricius (z. T. nach den Untersuchungen von G. Wolff) über das römische Straßennetz im unteren Maingebiet im Taunus und in der Wetterau. -- Bei allen Fragen des germanisch-römischen Handels spielen erklärlicherweise die Einfuhrstücke eine große Rolle, und unter ihnen kommt den Bronzegefäßen eine besondere Bedeutung zu. J. Werner < 691> gibt in einer zusammenfassenden Darstellung eine Fundstatistik der Bronzeeimer vom Hemmorer Typ und der Bronzeeimer mit gewellter Wandung. Die Hemmorer Eimer gehören sämtlich ins 3. Jh., ihre Verbreitung umfaßt (mit ganz wenigen Ausnahmen) West- und Mitteldeutschland und Dänemark; übereinstimmend wird angenommen, daß sie im Rheinland (Provinz Niedergermanien) hergestellt sind, wahrscheinlich bei Aachen, wo Zinkvorkommen waren. Die Heimat der Bronzeeimer mit gewellter Wandung (Schrägrillen) ist dagegen umstritten; ihre Verbreitung ist völlig abweichend von der der Hemmorer Eimer (Hauptgebiet Dänemark, Ostdeutschland und Westpolen). Trotz dieser ausgesprochen östlichen Verbreitung nimmt der Verf. keine östliche Heimat für die gewellten Eimer an, sondern glaubt, daß auch diese im Rheinland (wo einige ältere Stücke vorkommen) hergestellt und von dort über Seeland nach Ostgermanien auf dem Seewege zur Oder- und Weichselmündung verhandelt worden sind. Dies stimmt zwar mit der Tatsache, daß fast alles Einfuhrgut des 3. Jh.'s in Skandinavien und Ostdeutschland westlicher Herkunft ist, gut überein, macht aber den unwahrscheinlichen Schluß notwendig, daß die gewellten Bronzeeimer und -schüsseln fast ausschließlich für die Ausfuhr bestimmt gewesen sind. -- Ausgehend von dem in Westfalen gefundenen römischen Handelsgut versucht Schoppa < 689> einen Überblick über das zu geben, was sich aus diesen Funden für die geschichtliche Entwicklung der ersten nachchristlichen Jahrhunderte herauslesen läßt.


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