III. Frühes Mittelalter.

In Kaiserslautern in der Pfalz, an einer seit der Zeit der keltischen Besiedlung (oder schon früher) benutzten wichtigen Verkehrsstraße gelegen, hat an der Stelle eines römischen Kastells seit dem frühen MA. eine Burg (Kaiserpfalz) bestanden. Da diese bisher baugeschichtlich noch nicht untersucht war, wurden seit 1934 Ausgrabungen unternommen, über deren bis jetzt vorliegende Ergebnisse Bremer < 184> kurz berichtet. Der Verf. rekonstruiert die Burganlage für die salische Zeit (um 1000), die Zeit der Hohenstaufen (1150 bis 1250) und die kurpfälzische Zeit (um 1575); er teilt ferner Einzelheiten der Grabungsergebnisse mit (es fanden sich u. a. zahlreiche Gräber in der Burg) und sucht das jeweilige Schicksal der Befestigungsanlage in den geschichtlichen Rahmen einzugliedern. -- Zu den Ausgrabungen auf der Kaiserpfalz Werla im Kreise Goslar, die seit 1934 im Gange sind, nimmt Grosse < 181> als Historiker Stellung. Die Ausgrabung 1937 läßt die Befestigungsanlage auf dem Werlahügel in ihrer gewaltigen Ausdehnung und ihrer planmäßigen Anlage deutlich erkennen; ferner ist das doppeltürmige Haupttor der Innenburg gefunden und freigelegt worden. Die Gesamtanlage in ihrem überraschenden Umfange gehört schon der sächsischen Zeit, also wohl der Zeit Heinrichs I. an. Verf. erörtert nach den bisher vorliegenden Untersuchungsergebnissen das Wesen einer Pfalzanlage, von der wir bis jetzt nur undeutliche Vorstellungen hatten. -- Ein ma.'liches Gehöft, das nach den aufgefundenen Tonscherben und Eisengeräten der Zeit von 850 bis


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1100 angehört, wurde durch P. Grimm ausgegraben (Z. Harz-Ver. Gesch. Altertumskde. 67, 1934, S. 23 ff.). Das Gehöft, zu dem 6 Häuser in Blockbau gehören, ist das erste frühma.'liche Gehöft, das in Mitteldeutschland durch Ausgrabung untersucht worden ist. -- Ausgrabungen auf dem Ringwall von Altencelle, Kr. Celle, die 1935/36 von Sprockhoff < 167> ausgeführt wurden, ergaben Anhaltspunkte für den Aufbau der Befestigung und lieferten drei klare Grundrisse von Langhäusern, die unmittelbar hinter dem Wall standen. Nach den aufgefundenen Tonscherben gehört die Burg dem 10. Jh. an. Die Burg von Altencelle stellt, wie die schon früher untersuchte Burg von Stöttinghausen, einen ganz bestimmten Typ von Burgen dar, die nach einheitlichem Plan und unter einer maßgebenden Leitung erbaut sind; es sind wahrscheinlich die langgesuchten Burgen Heinrichs I. -- Über die Ausgrabungen auf der Stellerburg in Holstein, die seit 1932 vom Museum vorgeschichtlicher Altertümer in Kiel durchgeführt wurden, liegt nunmehr eine Zusammenfassung von Haseloff < 175> vor. Der Wallaufbau (Holz -- Erde -- Mauer) weist Besonderheiten auf, die den Wall der Stellerburg von den Befestigungen des Danewerkes und von Haithabu unterscheiden, anderseits mit niedersächsischen Befestigungen des frühen MA.'s in Beziehung setzen. Im Innern wurde ein guterhaltener Bohlweg freigelegt; außerdem wurden 20 Hausgrundrisse festgestellt, die auffallende Verschiedenheiten in der Bauart zeigen (Flechtwerk- und Bretterwände; mehrfach sind Doppelwände vorhanden gewesen). Nach den Kleinfunden gehört die Burg ins 9. und 10. Jh. Rundwälle vom Typ der Stellerburg finden sich an der holsteinischen Westküste, auf den nordfriesischen Inseln, im linkselbischen Gebiet und zwischen Weser und Elbe, also in dem Gebiet, das von den Sachsen bewohnt wurde. Da sie erst nach der Eroberung des Sachsenlandes durch die Franken auftreten, können sie nicht zur Abwehr gegen diese gedient haben; ihre Lage in der Nähe der Küste, an Flußmündungen, Wegübergängen oder sonstigen strategisch besonders bedeutungsvollen Plätzen im Küstenland macht es wahrscheinlich, daß sie gegen die Wikinger gerichtet waren. Während die linkselbischen Burgen nur kurze Zeit besiedelt und offenbar Fluchtburgen waren, sind die lange und stark besiedelt gewesenen holsteinischen Burgen als Verwaltungsmittelpunkte und militärische Stützpunkte anzusehen.

In Ostdeutschland kommt der früh- und hochma.'lichen Keramik eine außerordentliche Bedeutung für die geschichtliche und kulturgeschichtliche Forschung zu; ihre zeitliche Einteilung stieß jedoch bisher auf Schwierigkeiten. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß H. A. Knorr < 162> eine gründliche Arbeit über die slawische Keramik zwischen Elbe und Oder veröffentlicht hat, in welcher der Verf. den gesamten umfangreichen Fundstoff aus dem Elbe-Oder-Raum vorlegt. Zum ersten Male ist hier unternommen worden, alle frühma.'lichen Funde dieses Gebietes kartenmäßig zu erfassen und so die slawischen Siedlungsräume innerhalb des genannten Gebietes zu ermitteln. Als solche sind nach K. zu unterscheiden: 1. der Oder-Raum (südlich bis Frankfurt reichend); 2. der Havel-Priegnitz-Raum; 3. der Niederlausitzer Raum; 4. der Oberlausitzer Raum. Alle vier Landschaften sind durch Besonderheiten des Kulturgutes gekennzeichnet. Die Untersuchungen von K. sind von besonderer Bedeutung für die Geschichtsforschung, weil er versucht hat, die Datierung der ma.'lich-slawischen Tonware auf eine gesicherte Grundlage zu stellen, indem er für die Einteilung nach formenkundlichen Merkmalen und für die Zeitansetzung von den durch Münzen datierten Keramikfunden


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aus dem Elbe-Oder-Gebiet ausging. Mögen auch bereits um 623 Slawen an der Saale aufgetaucht sein, so ist nach Ansicht des Verf.'s das Hinterland damals noch nicht slawisch besiedelt gewesen; anders läßt sich der Widerspruch zwischen der geschichtlichen Überlieferung und dem Fehlen von slawischen Bodenfunden aus dem 7. Jh. nicht erklären. Nach K. kann slawische Tonware zwischen Elbe und Oder erst von 700 an nachgewiesen werden; das ist allerdings erheblich früher, als bisher angenommen wurde. Die bekannten, von A. Götze aufgestellten drei Stil- und Zeitstufen sind nach der Revision durch Knorr folgendermaßen anzusetzen: I. von 700--850; II. von 850--1000; III. von 1000--1200. Mehrere Karten zeigen für die einzelnen Jahrhunderte (vom 9.--13./14.) die Verbreitung der wichtigsten Tonwarenformen und deren Verteilung auf die Landschaften, die Grenze zwischen frühdeutscher und slawischer Keramik, die Wege der frühdeutschen (westgermanischen) Einflüsse auf die slawische Tonware (Henkel, Stempelmuster, Deckel- und Kugelgefäße) und die durch die ostdeutsche Kolonisation eintretenden Veränderungen. -- Für die Frage, wann die ersten Slawen in Ostdeutschland aufgetreten sind, haben neue Untersuchungen in Schlesien wichtige Ergebnisse geliefert, welche die Ansicht von Knorr (s. oben) über den Beginn der slawischen Besiedelung zu bestätigen scheinen. Langenheim (Altschlesien 7, S. 76 ff.) berichtet über die Entdeckung einer sehr eigenartigen Tonware auf dem Burgberg Schmiedeberg bei Gustau, Kr. Glogau, die nach Ansicht des Verf.'s eine Mischung aus spätgermanischen und frühslawischen Elementen darstellt. Da diese Keramik nach L. dem 7. Jh. angehört und offenbar als frühslawisch anzusehen ist, wäre somit die Einwanderung der Slawen in Schlesien in diese Zeit (und nicht erst später, wie bisher angenommen wurde) zu setzen, vorausgesetzt, daß sich durch weitere Untersuchungen die frühe Zeitansetzung bestätigt. Diese und andere Funde (u. a. Waffen von westgermanischem Gepräge) geben L. Anlaß, an die Funde aus Kleinitz, Kr. Grünberg (s. unten unter Petersen) anzuknüpfen und die Frage der slawischen Landnahmezeit auf Grund der archäologischen Feststellungen und geschichtlichen Nachrichten zu erörtern. -- Eine ungewöhnliche Menge von Kleinfunden lieferte die Ausgrabung auf dem Burgwall bei Kleinitz, Kr. Grünberg in Schlesien, über die E. Petersen < 178> berichtet. Es handelt sich dort um eine eigenartige Tonware, die innerhalb der frühgeschichtlich-slawischen Keramik eine Sonderstellung einnimmt. Sie zeigt teils Verwandtschaft mit der Tonware der wandalischen Kultur der Völkerwanderungszeit, teils gehört sie zu einer für Schlesien völlig neuen Gruppe von Tongefäßen, die Beziehungen zur gleichzeitigen westgermanisch-fränkischen Tonware hat. Verf. vermutet daher, daß der Fundstoff von Kleinitz in das 7. Jh. zu setzen ist. Da nun germanische Bevölkerungsreste in Ostdeutschland noch bis ins 7. Jh. hinein vorhanden gewesen sein müssen, wie durch neuere Untersuchungen immer deutlicher geworden ist, lassen die Funde von Kleinitz vermuten, daß die frühslawische Töpferei an die spätostgermanische anknüpft; darüber hinaus liegt die Bedeutung der neuen Funde darin, daß sie für eine frühere Datierung der ältesten slawischen Funde sprechen, die man bisher meist ein Jahrhundert später anzusetzen pflegte. -- Derselben, erst jetzt erkannten frühesten slawischen Kulturgruppe gehören die in dem Burgwall bei Poppschütz, Kr. Freystadt in Schlesien, gefundenen Tongefäßreste an. Über die Ausgrabung dieses Burgwalles, die schon 1926 stattgefunden hat, berichtet Jahn (Altschlesien 7, S. 93 ff.), der sich der Zeitansetzung von Langenheim und Petersen (s. oben) anschließt (7./8. Jh.). -- Unter Fundstücken

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aus einer Siedlung des 8. Jh.'s bei Bunzlau in Schlesien konnte Langenheim (Nachrichtenbl. f. deutsche Vorzeit 13, S. 272 ff.) u. a. awarische Kennzeichen an Tongefäßscherben beobachten, die ersten, die aus Niederschlesien bekannt wurden. -- Die Ergebnisse der Ausgrabungen in Zantoch bei Landsberg an der Warthe hat Brackmann < 165> in einer kurzen Mitteilung übersichtlich zusammengefaßt. Die durch die Grabung festgestellten, übereinanderliegenden 12 Burganlagen, die sich auf die Zeit vom 8.--15. Jh. verteilen, und die Schicksale, die sich an ihre wiederholte Zerstörung knüpfen, werden vom Verf. mit geschichtlichen Überlieferungen in Beziehung gesetzt. -- Zur Geschichte von Alt- Beuthen haben Bodenuntersuchungen, die im Zusammenhang mit Bauarbeiten ausgeführt wurden, bemerkenswerte Ergebnisse geliefert, über welche Pfützenreiter (Altschles. Bll. 12, S. 181 ff.) berichtet; die aufgefundenen Reste gehören der frühdeutschen Zeit (13. Jh.) an. -- Die Veröffentlichung eines reich ausgestatteten slawischen Frauengrabes aus Leubus, Kr. Wohlau, gibt Langenheim (Altschles. Bll. 12, S. 74 ff.) Anlaß, die Verbreitung der hohlen, verzierten Schläfenringe (11./12. Jh.) in einer Karte festzulegen. Diese Gruppe von Schläfenringen ist anscheinend den Ostseeslawen eigentümlich gewesen; aus dem Küstengebiet haben sie sich bis nach Schlesien und Westpolen (Gegend von Warschau) verbreitet. Ihre Ziermuster (z. T. stilisierte Tierbilder) deuten auf wikingischen Einfluß hin. -- Die nahe Verknüpfung der Landesgeschichte mit der Siedlungskunde hat durch Kartierung der vor- und frühgeschichtlichen Bodenfunde schon manchen wichtigen Aufschluß für die Urlandschaftsforschung erbracht. Einen Beitrag dazu liefert Radig < 179>, der in der Kötzschke-Festschrift < 229> Sachsens Gaue als Burgwall-Landschaften behandelt. Der Verf. geht in der Weise vor, daß er in die Lebens- und Siedlungsräume der sächsischen Gaue, die für die Zeit von 800--1200 anzunehmen sind, die vor- und frühgeschichtlichen Funde eintrug. Als Funde am besten gesichert waren dabei die Burgwälle der Sorben und Deutschen. Der Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß die Gaue Sachsens in ihrer frühgeschichtlichen Besiedlung weder gleich alt noch gleichwertig sind (es werden Alt-, Jung-, Paß- und Neu-Gaue unterschieden). -- In einer sorgfältigen Untersuchung von Thede Palm < 161> über die wendischen Kultstätten werden alle Überlieferungen und archäologischen Tatsachen, die etwas über die Lage und das Aussehen der wendischen Kultstätten auszusagen vermögen, zusammengetragen und auf ihren Quellenwert geprüft. Ist es auch im Thema begründet, daß die Hauptbedeutung des Buches von P. auf religionsgeschichtlichem Gebiet liegt, so ist doch die allgemeine Bedeutung dieser Arbeit für die Geschichte des hohen MA.'s im ehemals slawisch besiedelten Ostdeutschland hoch einzuschätzen, besonders wegen der streng kritischen Einstellung des Verfassers. Zwei Ergebnisse seiner Arbeit seien hier hervorgehoben: Es ist nicht zulässig, vorauszusetzen, daß die slawische Kultur und Religion während der heidnischen Zeit einheitlich waren; im Gegenteil ist es sehr wahrscheinlich, daß sie sich an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Richtung entwickelt haben. Insbesondere ist im Kult der Ostseeslawen (»Wenden«) ein deutlicher skandinavischer Einfluß zu erkennen, der sich vor allem auf den Bau der ma.'lich-wendischen Tempel erstreckt. »Für die besondere wendische Religionsgeschichte und ihre vielen eigenen Probleme ... entsteht die Lage, daß man mehr als vorher einen möglichen nichtslawischen Einfluß auf die Wenden berücksichtigen muß, besonders von Skandinavien.« Dieses aus religionsgeschichtlichen Tatsachen gewonnene Ergebnis des

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schwedischen Forschers bestätigt durchaus die Anschauung der deutschen Geschichts- und Vorgeschichtsforschung über den starken wikingischen Einfluß im Gebiet der Ostseeslawen, der mehr und mehr durch die neuere Forschung erkannt wurde.

Welche außerordentliche Bedeutung den Ausgrabungen zukommt, die sich die Erforschung der Wikinger-Siedlungen in Deutschland zum Ziele gesetzt haben, ist aus den Berichten ersichtlich, die fortlaufend in den letzten Jahren an dieser Stelle erstattet worden sind. Waren es bis dahin nur Aufsätze und Mitteilungen in Zeitschriften, welche uns über den Fortgang der Untersuchungen berichteten, so liegen nunmehr zwei Veröffentlichungen in Buchform über Haithabu vor. Ein handliches Buch von Jankuhn < 174>, der seit Jahren die Ausgrabungen in Haithabu und am Danewerk leitet, gibt den Stand unseres Wissens um die germanische Stadt des frühen und hohen MA.'s mit ihren weitberühmten Befestigungsanlagen trefflich wieder. Es ist eine allgemeinverständlich und fesselnd geschriebene Zusammenfassung alles dessen, was an Ergebnissen bis jetzt vorliegt und was an Problemen zu erörtern und zu lösen ist. Der Verf. ist dabei besonders bemüht, die Grabungsergebnisse geschichtlich zu werten und mit den geschriebenen Überlieferungen in Beziehung zu setzen. Für die deutsche Geschichte ist die Geschichte der Stadt Haithabu, wie der Verf. betont, sehr viel bedeutsamer gewesen, als wir bisher angenommen haben. Zwar ist die Stadt und ihre Wehranlage eine Gründung der Nordgermanen, jedoch weisen nicht nur starke Handelsbeziehungen nach Westen, vielmehr läßt die Bauweise der Häuser erkennen, daß außer den Wikingern Westgermanen an der Besiedlung beteiligt gewesen sind. Ist der Stabbau in Haithabu nordische Bauweise, so muß der Ständerbau mit Flechtwerkwänden aus dem niedersächsischen Gebiet stammen. J. sieht in dieser Feststellung die Bestätigung der Angabe von Adam von Bremen, daß Heinrich I. 934 das Haihabu-Gebiet zur deutschen Nordmark machte und hier eine sächsische Kolonie anlegte. Das Buch von J. läßt ferner die aufschlußreichen Ergebnisse der Ausgrabungen für die Handels- und Kulturgeschichte des MA.'s erkennen. -- Das zweite Buch, ebenfalls von Jankuhn < 172> verfaßt, ist der erste Teil der großzügig angelegten Veröffentlichung sämtlicher Grabungsergebnisse und sonstiger Untersuchungen; es behandelt die Wehranlagen der Wikingerzeit zwischen Schlei und Treene und gibt alle wesentlichen Pläne, Zeichnungen und Bilder, die während der Ausgrabungen hergestellt wurden, in vorzüglicher Ausführung wieder. -- Über die letztjährigen Ausgrabungen in Haithabu (1935 und 1936) findet sich ein Bericht von Jankuhn < 173> in der neuen, vom Kieler Museum vorgeschichtlicher Altertümer herausgegebenen Zeitschrift »Offa«. Es wurde in diesen beiden Jahren eine etwa 1000 qm große Fläche in der Nähe der Stelle, wo der die Stadt durchfließende Bach in das Haddebyer Noor einmündet, untersucht. Die durch Bodenfeuchtigkeit bedingte gute Erhaltung der Holzreste zeitigte wichtige Ergebnisse für die Kenntnis des Hausbaues; es wurden Hausgrundrisse in Stabbau und solche in Ständerbau festgestellt, letztgenannte Bauart in zwei Abarten (mit querliegenden Holzbohlen und mit Flechtwerk). Dieses Nebeneinander verschiedener Haustypen läßt nach J. Schlüsse auf völkische Verschiedenheiten innerhalb der Bewohnerschaft zu: der Stabbau ist nordische Bauart, weist also auf Wikinger hin, während der Ständerbau mit Fachwerk, insbesondere mit Flechtwerk, auf Volksbestandteile aus Nordwestdeutschland schließen läßt. Dieser Befund stimmt völlig überein mit dem, was aus der Herkunft der Kleinfunde zu schließen ist.


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Der Verf. stellt daher, zunächst als Arbeitshypothese, die Behauptung auf, daß in der Wikingerzeit deutsches Volkstum in die große Handelsstadt auf der Grenze zwischen nord- und westgermanischem Raum eingedrungen ist. Entgegen der Annahme von O. Scheel und V. la Cour, welche eine Eingliederung des Haithabugebietes in das Reich Heinrichs I. ablehnen, weist J. auf geschichtliche Überlieferungen hin, die deutsche Ausdehnungsbestrebungen erkennen lassen, und glaubt, daß diese nicht nur militärischer Art waren, sondern Unternehmungen niederdeutscher Kaufleute gewesen sind. Die Untersuchung der Erdschichten zu beiden Seiten des unteren Bachbettes ergab wichtige Anhaltspunkte für die Rekonstruktion der Stadtplanung, die offenbar in mehreren, freilich noch nicht historisch deutbaren Zeitstufen vor sich gegangen ist. -- P. Paulsen < 171> nimmt den Fund von Leckhus in Schleswig-Holstein zum Ausgangspunkt einer Abhandlung über die Herkunft und Verbreitung einer besonderen Art von Spangen (»Schildkrötenfibeln«) des 9. Jh.'s und auch der wikingischen Zaumzeugbeschläge, Steigbügel und Sporen, die mit den Fundstücken von Leckhus in Beziehung stehen. Grabform und Beigaben sprechen nach Ansicht des Verf.'s dafür, daß im 9. Jh. norwegische Wirkinger an der Besiedlung der nordfriesischen Inseln beteiligt gewesen sind. Unter den wikingischen Beschlägen von Zaumzeug und Sattelzeug wird vom Verf. eine besondere Gruppe herausgearbeitet, die in Süd-England unter nordischem Einfluß um 1000 oder in der ersten Hälfte des 11. Jh.'s entstanden ist; die Verbreitung dieser Gruppe in Schweden und Dänemark ist fast die gleiche wie die der Runensteine, die von Englandfahrern unter den Wikingern berichten. Sind also die Runensteine historische Zeugnisse für Wikinger, die nach England zogen und dort den Tod fanden, so sind die Reiterrüstungsteile nach Ansicht des Verf.'s von Wikingern mitgebracht worden, die nach England gefahren und wieder zurückgekehrt sind. Wahrscheinlich waren dies nicht einzelne Reiter, sondern eine größere Einheit, das sog. Thingalid, d. h. eine Leibwache des Königs, deren Mitglieder nach den Regeln eines Ordens lebten. -- Ausgehend von der Beschreibung einer in Termonde in Belgien gefundenen verzierten Lanzenspitze der Wikingerzeit erörtert Paulsen < 191> die sinnbildliche Bedeutung der Lanzenverzierungen dieser Zeit und die Bedeutung der Kampfsymbole bei den Germanen überhaupt. -- Daß die Bedeutung des Wikingertums für Ostdeutschland und die im frühen MA. dort ansässigen Völker -- Slawen und Altpreußen -- viel größer war, als bisher angenommen wurde, ist in letzter Zeit immer wieder von Historikern und Vorgeschichtsforschern betont worden. Die seit Jahrzehnten gehegte Vermutung, daß bei Elbing ein wikingischer Handelsplatz namens Truso gelegen hat, ist nunmehr durch die Entdeckung eines Wikingerfriedhofes dicht bei Elbing, über die Neugebauer (Nachrichtenbl. dt. Vorzeit 13, S. 54 ff.) berichtet, bestätigt worden. Die vorwiegend aus Frauengräbern stammenden Beigaben sprechen deutlich für die Anwesenheit wikingischer Familien (nicht nur einzelner Kaufleute oder Krieger); sie gehören dem 8.--10. Jh. an und zeigen stärkste Übereinstimmung mit gotländischen Funden, wie es auch bei dem Wikingerfriedhof unweit von Libau (Lettland) der Fall ist. Damit ist endgültig und einwandfrei erwiesen, daß der von Wulfstan erwähnte Ort Truso, der als Handelsplatz eine wichtige Rolle spielte, bei Elbing gelegen hat. -- Den heutigen Stand der Forschung über das soeben genannte Truso-Problem gibt eine neuzeitliche Zusammenfassung von Ehrlich < 163> wieder. Nachdem wiederholt verschiedene Ansichten über die Lage des nur einmal (nämlich von Wulfstan)

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erwähnten Ortes Truso geäußert worden sind, ist die Ansicht des Verf.'s, die berühmte Stätte müsse nach dem Wortlaut des Wulfstan-Reiseberichtes auf dem Gelände der heutigen Stadt Elbing gelegen haben, durch die obenerwähnte Entdeckung eines Wikingerfriedhofes nahe bei dem Bahnhof Elbing voll bestätigt worden, wenn auch die zugehörige Siedlung selbst noch nicht gefunden worden ist. Die deutlich erkennbare Verwandtschaft der Grabbeigaben mit solchen des 8./9. Jh.'s aus Gotland erweist die gotländische Herkunft der bei Elbing bestatteten Wikinger. Wie Wollin an der Odermündung, war Truso ein Handelsplatz am östlichen Rande des Weichsel-Nogat-Deltas, der den Wikingern besonders als Einfallspforte in das Land der alten Preußen diente, in das sie zu Schiff teils über den Drausensee (Drausen = Truso), teils über das Frische Haff gelangten. Eine große Anzahl altpreußischer Siedlungs- und Gräberfunde in der nahen Umgebung der Stadt Elbing stehen zweifellos in engem Zusammenhang mit der Wikingeransiedlung. -- In Schlesien sind Altertümer wikingischen Ursprungs mehrfach in den Kastellaneien gefunden worden, d. h. in den wohl auf die ersten Piasten zurückgehenden Burgen, die im 12. Jh. Mittelpunkt der Landesverwaltung wurden. Die Ansicht, daß die tragende Schicht des Piastenreiches eine Gefolgschaft aus wikingischem Blut gewesen ist, gewinnt durch solche Funde immer mehr Boden. Auf einen Fund wikingischer Art aus der Kastellanei Nimptsch weist E. Petersen (Altschles. Bll. 12, S. 179 ff.) hin.


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