V. Städtewesen.

Der Literaturbericht von Espinas < 845> setzt zwei früher erschienene desselben Verf. fort. Seine Besprechung von Werken, deren Auswahl undurchsichtig bleibt, zeichnet sich durch sehr genaue Wiedergabe des Inhalts aus, ohne darin steckenzubleiben. Berücksichtigt sind diesmal u. a. nachgelassene Schriften von Des Marez und Arbeiten über Dinant, Brüssel, Deventer, Loewen, Lyon. Der schon früher von E. ausgesprochenen Mahnung, Städtegeschichte mit europäischem Blickfeld, nicht mit engherzig nationalem zu behandeln, kann man sich nur anschließen. -- In einer lesenswerten Übersicht führt W. Vogel ausgezeichnet in die Quellen und die in den letzten 20 Jahren erschienene Literatur zur Hansegeschichte ein < 854>, wobei er die Geschichte des Handels mit den verschiedenen Ländern und der Handelstechnik einbezieht, auch das Notwendigste zur Geschichte der führenden Hansestädte angibt, den Grad des Geleisteten bezeichnet und auf Lücken hinweist. Tief bedauerlich ist, daß Vogels Hinscheiden die Hoffnungen auf das Erscheinen


S.260

des von ihm vorbereiteten 2. Bandes der Geschichte der deutschen Seeschiffahrt in Frage stellt. -- Aus Maschkes Bericht < 855> geht hervor, daß die polnische Forschung seit dem Diktat von Versailles begonnen hat, Schritt für Schritt in die Geschichte des Ostseeraums einzudringen, und seitdem der früher kaum beachteten deutschen Hanse Aufmerksamkeit schenkt.

Die schon öfter, grundlegend von Frensdorff, W. Stein und Bode behandelte Frage, ob es einen Hanse-»bund« gab und wie er juristisch aufzufassen sei, greift Fink < 2047> wieder auf, anknüpfend an eine 1603 abgefaßte Erwiderung auf einen von englischer Seite herrührenden Schriftsatz. F. betont aber, daß die von Heinrich Kreffting stammende Verteidigungsschrift zu weit geht, wenn sie in der Hanse sogar ein corpus politicum erblickt, während sie sie mit Recht als ein corpus ad acquirenda et percipienda privilegia habile et sufficiens nachweist.

Angeregt durch Vercauterens Étude <1933/34, S. 735, Nr. 319> zeigt Steinbach < 846>, wie hierdurch Aubins Ergebnisse betreffend Bonn und Kreuznach eine Parallele finden: vollständig in Atrecht = Arras, teilweise auch anderwärts. Auch Pirennes oftmals vorgetragene Lehre vom Weiterleben der antiken Stadt unter den Merowingern, ihrem Schrumpfen unter den Karolingern wird bestätigt. Doch möchte St. hieraus nicht folgern, daß das städtische Leben eine Zeitlang ganz ausgesetzt habe, sondern rät dazu, den etwa trotzdem bestehenden Zusammenhang zwischen der alten Stadt und der neuen schärfer ins Auge zu fassen.

Koebner < 851> arbeitet den Unterschied zwischen dem slawischen Marktort mit seinen den Einkünften des Fürsten dienenden Einrichtungen und der deutschen Gründungsstadt heraus. Der Grund für den nach langem Zögern gefaßten Entschluß der slawischen Fürsten, mit Hilfe deutscher Zuwanderer Städte zu gründen, sieht er darin, daß anders der Übergang von dem im Laufe der Zeit rückständig gewordenen älteren System zu einem neuen nicht möglich gewesen wäre. -- Ähnlich wie K. bemüht sich auch Schünemann < 847> zu zeigen, daß die Märkte des ma.'lichen Polen und die slawischen Handelsplätze an der Ostsee nicht auf dem Wege waren, sich zu vollen Städten zu entwikkeln, daß vielmehr die deutsche Stadt des 13. Jh.'s in diesem Raum höchstens topographisch an diese alten Siedlungen anknüpft, während sie »in der Stadtplanung, in der Volkssubstanz und im politischen Organismus der Stadtgemeinde fast durchweg eine völlige Neuschöpfung darstellt«. Ebenso vollständig erledigt er die 1934 von dem Ungarn Pleidell aufgestellte Theorie, die das ungarische Städtewesen als die Fortsetzung des angeblich niemals ganz untergegangenen römischen hinstellt. Zum Schluß verweist er darauf, daß der deutsche Einfluß auf die werdenden Städte in Ungarn nicht mit den ersten Stadtprivilegien, sondern mit dem weit früheren Eindringen deutscher Fernhändler in das Land beginnt.

Von Rörigs beiden neuen Arbeiten über die deutsche Stadt im Ostseeraum < 850, 852> ist die erste die umfassendere. Sie zeigt, wie man das einzelne aus dem Ganzen verstehen muß, wie Familien- und Volkszusammenhang hinter dem Tun der einzelnen wie der Führerschicht aller Städte stehen. »In dieser Verbindung von Verantwortlichkeit für das Ganze mit privatwirtschaftlicher Tätigkeit und Initiative scheint mir das Geheimnis hansischer Erfolge zu liegen.«


S.261

Man weiß seit langem, daß das gegenseitige Verhältnis zwischen der Leitung des deutschen Ordens und den preußischen Hansestädten Spannungen aufwies, wie sie auch zwischen den preußischen und den übrigen, vor allem den wendischen Hansestädten bestanden. In der Behandlung dieser Dinge liegt der Schwerpunkt von Rundstedts Buch < 856>, das manche Urteile der Vorgänger, zumal der gegen den Orden voreingenommenen Schrift von P. Werner (DW 8144) berichtigt.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)