VI. Geistesgeschichte.

Hier ist zunächst ein Hinweis auf die nunmehr abgeschlossene History of the medieval political Theory von Carlyle nachzuholen <1936, 2472>. Der 6. Band gleicht seinen Vorgängern. Er behandelt wie sie nur eine Auswahl von Quellen, unter denen aber die juristischen nicht fehlen, und zieht auch die Verfassungseinrichtungen der Zeit heran. Eine voll befriedigende Geschichte des politischen Denkens im Spätmittelalter fehlt uns noch. Jeder billig Urteilende wird anerkennen, daß das Werk der Brüder C. ein achtungswerter Versuch in dieser Richtung ist. -- Was man darin gelegentlich vermißt, den Ausblick in die ganze Weite des geistigen Raumes und das Gefühl für den vielen Einzelerscheinungen gemeinsamen Rhythmus einer sich wandelnden Zeit, bietet Richard Scholz in seiner außerordentlich lesenswerten Skizze < 2569>, in der er zeigt, inwiefern die Krise des Reichsgedankens am Ausgang des MA.'s aus einer Krise der ma.'lichen Weltanschauung entsprang und sie verschärfte. -- Kurz zusammenfassend äußert sich Schmeidler < 2568> zu der Frage: Wieviel Einfluß haben in diesem Zeitraum die vom Geist ausgehenden Forderungen nach Umgestaltung der tatsächlichen Zustände ausgeübt? -- K. Eder < 2567> behandelt die Zeitwende am Ausgang des MA.'s knapp und kenntnisreich, manchmal schön in der sprachlichen Prägung. Der katholische Standpunkt und apologetische Zweck stehen so stark im Vordergrund, daß man von einer anregenden, aber nicht von einer für den wissenschaftlichen Leser bedeutsamen Zusammenfassung sprechen kann.

Mit Dante beschäftigt sich die in mitunter dunkler Sprache abgefaßte Anfängerarbeit Opalkas < 2574>. Sie sieht in der Monarchia Dantes letztes Werk und gewinnt ihm manche treffende Beobachtung ab. Die Entscheidung darüber, ob sie eine »kopernikanische Entdeckung« enthält (S. 58), hätte der Verf. besser anderen überlassen. -- Das wertvolle, aber doch auch in mancher Hinsicht anfechtbare Buch von Georges de Lagarde nimmt Scholz < 2575> zum Anlaß, die wesentlichen Züge in der Staatsidee des Marsilius von Padua noch einmal zu umreißen.

Einem nicht unbedeutenden deutschen Theologen, dessen Geschichte mit den Universitäten Prag und Wien verknüpft ist, und den vielleicht Karl IV. hochschätzte, Heinrich Totting von Oyta, widmet Lang < 2321> eine gründliche Monographie. Ihr Schwerpunkt liegt einmal in der Klärung des Problems, welche Schriften ihm, welche einem der beiden andern fast gleichzeitigen Theologen namens Heinrich von Oyta zuzuweisen sind, sodann in seiner Einordnung in die geistigen Strömungen seiner Zeit. Wenn auch H. ungleich seinem Freunde und Kollegen Heinrich von Langenstein sich als Schriftsteller so ziemlich auf das Feld der Theologie beschränkte, ist er doch durch Leistung und Schicksal der Aufmerksamkeit der Historiker wert.

Perdrizet < 2666> bespricht mit viel Gelehrsamkeit (aber irrend über die Haltung der ma.'lichen Deutschen gegenüber der nationalen Zuordnung Karls


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d. Gr.) die Zusätze zu einem Kalender der deutschen Nation an der Universität Paris. Sie zeigen, welche Heiligen die unter dem Sammelnamen Deutsche Nation (vor dem Hundertjährigen Kriege: englische Nation) zusammengefaßten zehn Völker vorzugsweise verehrten.

Nachdrücklich sei aufmerksam gemacht auf Heimpels neues Lebensbild des Dietrich von Niem < 2314>. Ich möchte diese 17 Seiten als die bestgelungene Kurzbiographie eines Deutschen aus dem SpätMA. bezeichnen.

Auch dem Historiker mag ein Hinweis willkommen sein auf den 5. Band der Werke des Nikolaus von Cues < 2576>. Er bringt die Gespräche des Laien mit dem ditissimus orator, in denen die Grundhaltung des größten deutschen Denkers im 15. Jh. klar zum Ausdruck kommt; zumal sein Gottesbegriff, in dem die affirmative, negative und zirkulare Theologie zum Ausgleich gelangen: Gott zugleich das Größte und das Kleinste, das Urbild alles Seienden, die letzte Wirklichkeit, Wahrheit, Weisheit, Gerechtigkeit und Macht. Man erkennt von da die Verbindungslinien, die zu des Cusaners politischen Überzeugungen und Reformvorschlägen hinüberführen. »Im Gegensatz zu den Romanisten, die entweder nur die Vielen oder nur das Eine sehen, sucht N. aus deutschem Denken heraus gerade die Verbindung der Vielheit mit dem Einen, Allgemeinen.« So steht es bei Kallen < 2577>, dessen kleine Schrift dem Laien eine gute Einführung, dem Fachmann Anregung bietet und das Erscheinen einer großen kommentierten Ausgabe der Concordantia catholica verspricht. An der neben diesem Werk meistgenannten Reformschrift der Konzilszeit, der Reformatio Sigismundi, reizt bekanntlich das Verfasserproblem zu immer neuen Lösungen. In einer tschechisch geschriebenen Abhandlung von 1934 hatte F. Bartoš einen solchen vorgeschlagen: den Offizial des Basler bischöflichen Gerichts Heinrich von Beinheim. Beer < 838> weist nach, daß er aus vielen Gründen nicht in Betracht kommt.


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