c) Karl

V. Wir haben hier zunächst der bedeutendsten Erscheinung des Berichtsjahres zu gedenken, der Biographie Karls V. von Karl Brandi < 892>, des Ergebnisses einer Lebensarbeit, für das der Verf. vielfach selbst die quellenmäßige Grundlage erst geschaffen hat. Der besondere Vorzug des Buches liegt denn auch darin, daß B. in der Lage ist, sich auf die persönlichsten Äußerungen des Kaisers, seiner Ratgeber und seiner nächsten Umgebung zu stützen. Vieles davon ist noch ungedruckt, anderes, wie etwa die politischen Testamente Karls, erst neuerdings in genügender Vollständigkeit bekannt geworden. Diese Testamente, Instruktionen, Denkschriften, Briefe aus diesem Kreise werden oft wörtlich in die Darstellung eingeflochten. Daß uns dabei niemals der Fundort genannt wird, wird der Benutzer immerhin bedauern dürfen. Das Material ermöglicht es, die Entwicklung des Kaisers von seiner Jugend an zu verfolgen. Der Verf. hat aber kein zusammenfassendes Charakterbild Karls gegeben, sondern überläßt es dem Leser, dieses aus den Einzelausführungen des Bandes zu gewinnen. Mittelalterliche Frömmigkeit und die dynastische Staatsidee treten wohl als die Grundzüge hervor. »Das gesamte kirchliche und politische Vermächtnis seiner Ahnen wollte Karl ungeschmälert seinen Erben hinterlassen«, dazu gehörte dann auch das Reich. »Das weltliche und das geistliche Amt hingen für ihn unlösbar zusammen.« Die Schwächen des Kaisers werden nicht verschwiegen, seine Langsamkeit und Bedächtigkeit, seine Reizbarkeit und Härte im Alter. Wir können sonst nicht auf Einzelheiten eingehen, nur das eine sei betont, daß B. an die Friedlichkeit der Politik Karls den Protestanten gegenüber bis zum Jahre 1541 glaubt, ja noch für das Jahr 1543 ein Schwanken in seinen Entschlüssen meint feststellen zu können. Acht Porträts des Kaisers, eine Stammtafel und einige Karten erhöhen den Wert des gut ausgestatteten Werkes. -- In einem Vortrag, den er in der Preußischen Akademie gehalten hat, hat Brandi < 893> selbst die Ergebnisse seiner Studien,


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soweit es sich um das politische und persönliche Schicksal Karls handelte, zusammengefaßt. Als entscheidend für die Politik des Kaisers hebt er hier den dynastischen Gedanken hervor, für sein persönliches Schicksal sind Rittertum, Frömmigkeit, die politische Erziehung durch Chièvres und Gattinara, der Gegensatz zum Papsttum, der Kampf mit Frankreich und mit den deutschen Protestanten, der Mißerfolg vor Metz, Lebensweise und Krankheiten maßgebend. -- Dem Scheitern Karls vor Metz hat Brandi < 895> noch einen eigenen Aufsatz gewidmet. Er geht dabei rückblickend auf die Geschichte der Fürstenrevolution ein, weist nach, daß die treibende Kraft bei dem Eingreifen Frankreichs auf deutscher Seite lag, behandelt die schwächliche Haltung von Metz, das gern neutral geblieben wäre, dann durch Betrug besetzt und nun sofort durch Franz von Guise aufs stärkste befestigt wurde. Gegen den Rat der Königin Marie, besonders auf Albas Veranlassung, entschloß sich Karl doch zur Belagerung. Deren Verlauf und schließlicher Abbruch werden genau geschildert, die Bedeutung der Sache, besonders für Karl persönlich, wird dargelegt. Als Beilage kommt ein wichtiger Brief des Kaisers an seine Schwester Marie vom 23. September 1552 zum Abdruck.

Die im vorigen Jahrgang <1936, 811 S. 237> erwähnte Veröffentlichung der Geheimschriftenschlüssel der Kabinettskanzlei Karls V. setzt Stix < 896> fort, indem er 12 weitere Schlüssel aus der Abteilung Belgica des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs abdruckt. Der komplizierteste und letzte war schon von Buschbell <1935, 849 S. 231> zum Teil bekanntgemacht worden.

Ein Parteigänger Karls V., der vielleicht mehr Beachtung verdient als er bisher gefunden hat, war der Kardinal Matthäus Schiner. Der zweite Band von A. Büchis < 886> Werk über ihn, den E. F. J. Müller aus dem Nachlaß herausgibt, schildert unter anderm seine starke Beteiligung an den Vorbereitungen der Kaiserwahl und lehrt ihn uns dann als einen Hauptvertreter der habsburgischen Interessen in der Schweiz gegen Frankreich kennen. Auf dem Wormser Reichstag von 1521 gehörte er zur nächsten Umgebung Karls V., wurde damals zum entschiedenen Gegner Luthers. Gegen den Willen der Eidgenossenschaft warb er ein Heer für den kaiserlich-päpstlichen Bund und führte es selbst zur Eroberung Mailands. Bei der Wahl Hadrians VI. war er stark beteiligt, arbeitete an der Reform der Kirche in dessen Sinne. Er starb in Rom am 1. Oktober 1522. Außer über seine Politik unterrichtet uns das Werk auch über seine persönlichen Schicksale und über seinen nicht grade fleckenlosen Charakter. Ungerechte Urteile, wie etwa Kalkoff sie gefällt hat, werden zurückgewiesen.


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