I. 1648--1715.

Von bösen Nachwirkungen des großen Krieges und ihrer Bekämpfung berichtet anschaulich J. H. Gebauer in Auswertung von Akten des Hildesheimer Stadtarchivs über einen Straßenraub und seine Ahndung in den Jahren 1651/52 < 954>. Dabei gewinnen wir Einblick in das schwerfällige Justizverfahren der Zeit: weder über die Anwendung der Tortur noch dann über das Urteil wagte man in Hildesheim selbst, wo die fünf Missetäter, ehemalige Soldaten, gefaßt worden waren, die Entscheidung zu treffen, vielmehr holte man dafür das Gutachten der Juristenfakultät in Rinteln ein. In dem grotesken Hader um die Anerkennung der Gerichtshoheit zwischen dem bischöflichen Vogt und den städtischen Vertretern bei Gelegenheit der Hinrichtung und in dem erfolgreichen Eintreten des Bischofs für den freilich am wenigsten beteiligten Angeklagten auf Grund von dessen Zusage, katholisch zu werden, spiegelt sich die politische und konfessionelle Zerrissenheit des Reichs.

Wiederum sind bedeutsame Untersuchungen der verhängnisvollen Entwicklung an der deutschen Westgrenze im Zeitalter Ludwigs XIV. gewidmet. Eine Episode aus den Anfängen des Holländischen Krieges, den Streit um den Straßburger Rheinpaß, behandelt P. Wentzcke unter besonderer Berücksichtigung der Haltung von Kaiser und Reich auf der einen, von Rat und Bevölkerung Straßburgs auf der anderen Seite < 957>. Die tatsächliche Schwäche des Reichs wird dabei ebenso deutlich wie das bisher doch vielfach unterschätzte Vorhandensein eines patriotischen Gefühls der Verbundenheit und Schicksalsgemeinschaft. Hatte der Reichstag 1668 der »considerablen Frontierstadt« die dringend erbetene »ersprießliche Hilfe und Sublevation« zum Ausbau gerade auch der die wichtige Rheinbrücke schützenden Festungswerke gewährt, so rief dann die durch einen französischen Gewaltstreich im November 1672 erfolgende Zerstörung der Brücke im Reiche, wie die gleichzeitige Publizistik zeigt, heftige Entrüstung hervor. Die Stadt selbst begnügte sich nicht mit Protesten bei Ludwig XIV., sie suchte zugleich Rückhalt bei Kaiser und Reich, bei der österreichischen Garnison in Freiburg und zeitweise auch bei der Eidgenossenschaft und schritt, durch Beschlüsse des Reichstags ermutigt, schon im Januar 1673 zur Wiederherstellung der Brücke. Freilich haben französische Drohungen und Vorkehrungen sie dann doch angesichts


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der Unsicherheit über eine tätige Unterstützung des Reichs genötigt, die feste Brücke wieder durch eine Fähre zu ersetzen, welche erzwungene Nachgiebigkeit übrigens zu unruhigen Bewegungen der empörten Bevölkerung von Straßburg führte. Von einer Hinwendung der Stadt nach dem Westen ist in diesen Monaten jedenfalls nicht das geringste zu merken, vielmehr ist ihr ganzes Bestreben darauf gerichtet, die Verbindung mit dem Reich aufrechtzuerhalten und zu befestigen. -- Angeregt durch die Feststellungen v. Raumers über den Zusammenhang der Pfalzzerstörung mit der französischen Rheinpolitik <vgl. 1930, 833, S. 189 ff.> untersucht F. Textor die französischen Entfestigungen und Zerstörungen im gesamten Rheingebiet von der Freigrafschaft bis Holland seit der Zeit Richelieus bis zum Frieden von Ryswick < 956>. Er gelangt dabei zu einer scharfen Scheidung zwischen der Be- und Entfestigungen miteinander verbindenden Festungspolitik auf der einen und der Anlegung von Wüstungszonen, also der planmäßigen Verwüstung von größeren und kleineren Gebieten auf der anderen Seite. Wie er zeigen zu können glaubt, waren für die Entfestigungen strategische Gründe maßgebend, dann auch die Notwendigkeit, Truppen zu sparen, vor allem aber der Wunsch, ein leicht zu beherrschendes freies Vorfeld vor den planmäßig angelegten Festungsketten zu schaffen und dabei dem Feinde die Möglichkeit zum Angriff und zugleich zum Widerstand zu nehmen, zu welchem Zwecke dann nicht nur die Mauern geschleift, sondern ganze Städte zerstört wurden. Mit dem Sicherungsstreben verband sich da ein offensiver Gedanke, verband sich der politische Wille, das weitere Ausgreifen auf die Nachbarlande vorzubereiten und zu erleichtern. Dagegen waren nach der begründeten Meinung des Verf. für die riesigen Verwüstungen der Kriegszeiten weniger politische als militärische Gründe maßgebend, die allerdings nicht etwa in einer kriegerischen Notlage, sondern in der Ideenlosigkeit des Louvoisschen Kriegführungssystems mit seiner Scheu vor wirklichen kriegerischen Auseinandersetzungen zu suchen sind. Im einzelnen bringt die Darstellung, der eine Reihe aufschlußreicher Karten beigegeben ist, ein anschauliches Bild der französischen Zerstörungsaktionen, deren Motive jeweils herausgestellt werden. Mag hier und da eine Behauptung anfechtbar sein, im ganzen sind die Schlüsse, die der Verf. zieht, überzeugend. Die Akten des Pariser Kriegsarchivs waren ihm -- ohne seine Schuld -- nicht zugänglich, doch man wird sagen dürfen, daß die in den Sammlungen und Veröffentlichungen von Griffet, Rousset und Zeller vorliegenden französischen Quellen, verbunden mit dem Material, das sich in deutschen Archiven, in der zeitgenössischen Publizistik und in den vollständig erfaßten Überlieferungen und Forschungen lokalhistorischer Art fand, eine sehr breite, gesicherte Grundlage darstellen. -- Eine der letzten Schöpfungen der Festungspolitik Ludwigs XIV. war das auf einer Rheininsel unterhalb von Straßburg errichtete Fort-Louis. Einige Aktenstücke über seine Errichtung, in der Hauptsache drei Briefe Louvois' an Vauban vom 15. Oktober, 16. November und 4. Dezember 1686, legt G. Zeller vor < 958>. Bemerkenswert sind darin einmal die Begründung der Notwendigkeit der Anlage mit der Gefährdung von Straßburg, dessen Bevölkerung sonst bei Annäherung des Gegners durch eine Besatzung von 8000 bis 10_000 Mann im Zaum gehalten werden müsse, ferner der Hinweis, daß man im Hinblick auf die zu erwartenden deutschen Proteste auf eine rechtsrheinische Redoute verzichte, das Fort auf der Insel zudem aber beide Ufer beherrsche und man im Kriege jene Redoute rasch anlegen könne, und endlich die brüske Art, mit der Vaubans Einwendungen gegen den Ort abgewiesen werden.

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An den kaiserlichen Hof führt uns eine Mitteilung von L. Groß über »die Affäre des Herrn von Vaudémont« < 955>. Dieser aus nicht anerkannter Ehe Herzog Karls IV. von Lothringen stammende Prinz hatte sich Zusicherungen des souveränen Besitzes lothringischer Gebiete, die ihm noch zu Lebzeiten seines Vaters dessen Neffe und Nachfolger Karl V. gemacht, dann aber als Herzog nicht ratifiziert hatte, 1686 durch ein von der Reichshofkanzlei ausgestelltes kaiserliches Privileg bestätigen lassen. Die Ausstellung war nicht auf einwandfreie Weise erreicht worden, und so kam es 1694 auf den Einspruch der Witwe Karls V., einer Schwester Kaiser Leopolds, zur Kassierung des Privilegs. -- Eine Skizze des Lebens Kaiser Josefs I. vor seiner Thronbesteigung zeichnet O. Redlich < 959>. Über seiner von den Jesuiten unbeeinflußten Erziehung, die den Stolz auf die österreichische Dynastie, aber auch auf das deutsche Vaterland in ihm wecken und stärken sollte, wachte der Ajo Fürst Salm, als seine Lehrer wirkten H. J. Wagner, Verfasser des »Ehren-Ruf Teutschlands, der Teutschen und ihres Reiches«, der Weltgeistliche v. Rummel und der spätere Konferenzsekretär v. Buol. Seit 1699 mit Wilhelmine Amalia von Hannover vermählt, gewann der geistig sehr aufgeschlossene, impulsive Prinz in den ersten Jahren des Spanischen Erbfolgekrieges starken Einfluß auf die Regierung. -- Die Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Mainz, Lothar Franz von Schönborn, um die Haltung des Mainzers selbst und der von ihm beeinflußten vorderen Reichskreise zu dem durch die spanische Erbfolgefrage herbeigeführten Kriege schildert T. v. Borodajkewycz < 961>. Wie einst sein Vorgänger Johann Philipp von Schönborn, so war auch Lothar Franz bemüht, eine selbständige Politik zu treiben, für die das Reichsinteresse maßgebend sein sollte. Wenn er französische Lockungen abwies, so zeigte er anfänglich doch auch dem kaiserlichen Drängen gegenüber eine vorsichtige Zurückhaltung, plante er zeitweise die Bildung einer rheinischen deutschen Allianz, hielt er dann auch die Kreise auf der Linie der Neutralität. Das wurde erst anders, als ihn kaiserliche Anerbietungen und Zusagen im Oktober 1701 zum Abschluß eines Bündnisvertrages bewogen hatten. Die Verwertung bisher unbenutzter Quellen aus den Archiven des Kaisers und vor allem des Reichserzkanzlers gibt dem Aufsatz seine Bedeutung, doch ist es bedauerlich, daß der Verf. sowohl die ältere wichtige Materialsammlung der Kriegs- und Staatsschriften des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden von Röder von Diersburg als auch die neueren Forschungen über die Politik des Kurfürsten Josef Clemens von Köln <vgl. 1925, 1001; 1930, 840> anscheinend nicht kennt; über diese finden sich teilweise irrige Angaben. -- Wie der Schönborn, so hat sich auch sein Kollege von Trier, Johann Hugo von Orsbeck, zu Beginn der großen Krise für neutrale Haltung eingesetzt, auch er hat sich dann im Oktober 1701 vertraglich an den Kaiser gebunden, um im weiteren Verlauf des Krieges ebenso wie sein Nachfolger Karl Josef von Lothringen treu zur Haager Allianz zu stehen. Wie M. Braubach auf Grund der Korrespondenz des trierischen Gesandten im Haag, Kaisersfeld, zeigt, wurde diese Politik nicht zum wenigsten durch die engen Beziehungen Kurtriers zu den Seemächten bestimmt < 963>. Dem Anlehnungsbedürfnis des von Frankreich bedrohten Grenzstaates begegnete der Wunsch der holländischen Politiker auf Errichtung einer Barriere um ihr Land, in die sie auch die trierischen Festungen einbauen wollten. So kam es über das allgemeine Bündnis Triers mit den Seemächten vom Mai 1702 hinaus nicht nur seit 1709 zur Übernahme eines trierischen Bataillons in englischen Dienst, sondern auch zu eifrigen


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Verhandlungen über einen trierisch-holländischen »Partikulartraktat«, der zum Ziele hatte, die enge Verknüpfung der beiden Staaten auch für die Zeit nach Abschluß des Krieges zu sichern. Es sind 1709 und wieder 1712/13 Verträge aufgesetzt worden, in Kraft getreten sind sie jedoch aus verschiedenen Gründen nicht. Am kurfürstlichen Hofe hatte man immerhin die Genugtuung, daß nach Abschluß des Utrechter Friedens die Holländer die nicht zu Kurtrier gehörende wichtige Moselfeste Trarbach trierischen Truppen übergaben, die dann dort bis zum Polnischen Thronfolgekrieg das Besatzungsrecht behaupteten.


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