I. Allgemeine Darstellungen.

Auch der vierte Band von F. Schnabels < 1060> Deutscher Geschichte bleibt zeitlich auf den Vormärz beschränkt. Das Werk hat damit, wie es jetzt ersichtlich wird, noch durchaus nicht seinen Abschluß gefunden. Es ist zu begrüßen, daß der Verf. den religiösen Kräften besondere Beachtung schenkt, gewöhnlich finden diese in den Geschichtswerken viel zu wenig Berücksichtigung, obgleich die damit zusammenhängenden Probleme aus dem völkischen Leben nicht hinwegzudenken sind. Man könnte höchstens fragen, ob dafür ein ganzer Band, der außerdem seinem Inhalt nach nur wenige Jahrzehnte umfaßt, im Rahmen einer allgemeinen Darstellung nicht etwas zu viel des Guten war. Bei der Betrachtung der vorher erschienenen Teile habe ich grundsätzliche Bedenken zur Geltung gebracht, die ich auch bei dem vierten Band nicht unterdrücken kann. Ist die vom Verf. angestrebte Geschlossenheit der Gesamtschau wirklich erreicht und der richtige Ausgangspunkt gewählt worden? Müssen die geistigen Tendenzen der neueren Zeit notwendig im Sinne der Auflösung gedeutet werden? Ist die Gegenüberstellung von Protestantismus und Katholizismus bei der verschiedenen Grundhaltung überhaupt möglich? Hängt nicht zum Teil die anscheinende Zersetzung in der protestantischen Kirche mit der Eigentümlichkeit der evangelischen Religiosität zusammen, die äußeren Formen zu sprengen, nach neuen lebendigen Einheiten zu suchen? Obgleich eine beträchtliche Forschungsleistung vorliegt und der Leser Gelegenheit findet, sich in diesem Bande ein vollständiges Bild über das kirchliche und religiöse Leben eines bestimmten Zeitabschnittes zu machen, muß die Frage verneint werden, ob auf diese Art eine den heutigen Ansprüchen und Bedürfnissen angemessene deutsche Geschichte gestaltet werden kann. Der konfessionelle Standpunkt, der in der Vergangenheit einen absolut gültigen Maßstab sucht, verbaut dem Verfasser den Weg zum Verständnis der lebendigen Gegenwart.

H. v. Srbik < 1061> spricht sich sehr anerkennend und vom gesamtdeutschen Standpunkt im wesentlichen zustimmend zum Werk von Erich Marcks aus. K. Borries < 1062> gibt in einer für einen weiten Kreis bestimmten Abhandlung einen guten Überblick über das Verhältnis der deutschen Großmächte zu Deutschland im 19. und 20. Jh. Die Schwierigkeiten der mitteleuropäischen Lage sind vom Verf. stark hervorgehoben, ohne daß die in der Vergangenheit


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mannigfach begangenen Fehler abgeleugnet werden. Der Historiker, der in seiner 1937 erschienenen Schrift die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich als den selbstverständlichen Abschluß einer langen Entwicklung betrachtete, konnte kaum ahnen, daß die Erfüllung so nahe vor der Tür stand. Im Anschluß an einen Aufsatz »Geist des 19. Jh.'s« schreibt K. R. Ganzer im Schulungsbrief (Jg. 4, S. 255--67) über »Das Führertum im 19. Jahrhundert«. In Kleist und Hölderlin sei die Unrast der Zeit verkörpert gewesen. Unter die Führer zu einem neuen nationalen Denken rechnet der Verf. Fichte und Arndt, zu einer deutschen Arbeiterbewegung den tragischen Kämpfer Wilhelm Weitling und für die deutsche Einigung Friedrich List. Bismarck gründete dann das Reich »auf den besten Möglichkeiten des 19. Jh.'s«. In dem gleichen Jahrgang (S. 312--20) ist ein Aufsatz »Staat und evangelische Kirche im 19. Jh.« erwähnenswert. Der Verf. gelangt zu dem Ergebnis, daß das 19. Jh. gekennzeichnet sei durch das Streben der Kirchen nach Verselbständigung gegenüber dem Staate. -- An gleicher Stelle (S. 300--11) setzt sich A. Deindl mit dem Verhältnis Staat -- katholische Kirche im Bismarckreich auseinander. Ausgehend von dem christlich-staatlichen Universalgedanken des MA.'s und seiner Spannung zum germanischen Kirchentum wird die Entwicklung des 19. Jh.'s verfolgt vom Ausgang des Kölner Kirchenstreites an und endend mit der ostmärkischen »Los-von-Rom«-Bewegung.


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