III. Die Revolution von 1848/49.

Trotz des stoffreichen Werkes von Veit Valentin ist es heute notwendig, die Revolutionsjahre mit neuer Fragestellung und im gesamtdeutschen Rahmen zu behandeln. P. Wentzcke < 1084> hat sich dieser Aufgabe mit viel Geschick unterzogen. Er will den damaligen Ereignissen den Rang einer wirklichen deutschen Revolution zurückerobern, die Gründe des Scheiterns sieht er in erster Linie im außenpolitischen Druck, dem sich die radikalen Strömungen im Inneren verbanden. Der deutsch-österreichische


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Anteil an der Revolution kommt bei W. nicht so stark zur Geltung wie bei Srbik; zur vollen Würdigung werden wohl auch noch weitere Vorarbeiten vonnöten sein. H. Rothfels' < 1091> gedankentiefe Arbeit über Schön ist eine der wissenschaftlich ergiebigsten des Berichtsjahres. Man kann dem Verf. nur darin beipflichten, wenn er es der deutschen Geschichtswissenschaft mittelbar zum Vorwurf macht, daß Schön bisher eine umfassende Würdigung nicht erfahren habe, die seinem Range unter den Reformern gemäß sei. Die Schwierigkeit einer Biographie besteht in diesem Falle darin, daß nicht nur der Staatsmann -- und zwar für einen weit längeren Zeitabschnitt als bei den meisten Reformern -- zu behandeln war, sondern daß vor allem auch seine Stellung in der deutschen Geistesgeschichte bestimmt werden mußte. R. legt Wert darauf, Schön gegen den üblichen Vorwurf in Schutz zu nehmen, daß er ein typischer Vertreter des doktrinären Liberalismus gewesen sei. Er betont demgegenüber seine starke Verbundenheit mit dem aus der ostpreußischen Heimat erwachsenen Staatsgedanken. Sein Verhältnis zu Friedrich Wilhelm IV. wird durch die erstmalige Veröffentlichung des Briefwechsels in einer für beide Persönlichkeiten sehr charakteristischen Weise beleuchtet. Er geht weit über das persönliche Verhältnis hinaus und bringt auch für die Zeitgeschichte eindringliche Belehrung. Das Zerwürfnis zwischen König und Oberpräsidenten wegen des Falles Rochow wird zum ersten Mal in seiner grundsätzlichen Bedeutung gewürdigt; der Herausgeber glaubt sagen zu können, daß die Briefe des Jahres 1841 ihresgleichen in der preußischen Geschichte suchten. Schöns Stellungnahme zur Revolution wird durch Veröffentlichung seiner Korrespondenzen und Denkschriften festgelegt. Er zeigt sich nicht frei von doktrinären Vorurteilen und von Neigung zu einseitiger, übelwollender Kritik, die zum Teil wohl mit seiner vorzeitigen Entlassung zusammenhing, aber seinen politischen Gesinnungsgenossen war er in der klaren Erkenntnis weit überlegen, was die Realität Staat bedeutete. In einer geschickt durchgeführten Untersuchung von K. Kettig < 1090> wird Friedrich Wilhelms IV. Einstellung zu Frankreich verfolgt. Des Königs Denkungsart sei durch Eindrücke bestimmt worden, »die in dem Haß gegen die im Westen wirksamen liberalen und demokratischen Ideen ihre Wurzeln besaßen«. Der Verf. vermag an Hand bisher ungedruckter Quellen nachzuweisen, daß der Standpunkt des Königs seit den Befreiungskriegen im Grunde immer der gleiche geblieben sei und seine Gedanken unablässig um Frankreich kreisten. Ein ungenannter Verf. < 1085> veröffentlicht in der Zeitschrift des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte zwei Aufrufe republikanischer Tendenz aus dem März 1848 und andere Schriftstücke über revolutionäre Vorgänge in Köln. K. Haenchen < 1086> legt einige neue Briefe und Berichte aus den Berliner Märztagen, hauptsächlich von Offizieren vor. Der vorwiegend bürgerliche Charakter der Revolution wird erneut durch verschiedenartige Stimmungsbilder bestätigt. Gefährliche Situationen konnten nicht nur durch entschlossenes Auftreten von Offizieren, sondern auch durch Verständigung vom Militär zu den Aufrührern überbrückt werden. Appell an das Ehrgefühl verfing bei den studentischen Anführern, wie gelegentlich bei der Menge; eine derbe Bemerkung oder eine gutmütige Geste konnten im Augenblick einen vollständigen Stimmungsumschwung herbeiführen. Mit gutem Recht weist der Herausgeber darauf hin, wieviel Irrtümer sich auch in sogenannte Augenzeugenberichte einschlichen. Jeder einzelne hatte eben nur einen sehr

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beschränkten Wahrnehmungskreis und konnte sich über diese wechselnden Situationen kein klares Bild machen. C. Boysen < 1087> teilt in einer seiner letzten Arbeiten Briefe des Prinzen Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg an Friedrich Wilhelm IV. aus dem Jahre 1848 mit. Wir erfahren, daß der Prinz sich bemüht hat, den König dahin zu bringen, »als wahrer Vertreter der deutschen Nationalität und des deutschen Interesses voranzugehen, ohne Rücksicht auf Österreich, in der in- und ausländischen Politik«. Der gleiche Verf. < 1096> benützt das Tagebuch des Generals von Prittwitz, um den Zusammenhang zwischen Politik und Kriegführung im Jahre 1849 zu überprüfen. Prittwitz wurde damals förmlich dazu gezwungen, die undankbare Rolle eines politischen Generals zu übernehmen. H. v. Möller < 1088> gelangt in einer anregenden Studie zu dem Ergebnis, daß die Worte klein- und großdeutsch erst verhältnismäßig spät in der Revolution auftauchten und von vornherein in einem sehr vieldeutigen Sinne gebraucht worden sind, wie es den verschiedenen Richtungen entsprach, die dahinterstanden. Man spürt, welche starken Gefühlswerte mit diesen Worten verbunden waren, vor allem, solange sie noch nicht feste Programmpunkte der Parteien bildeten. Abgedruckte Gedichte und Karikaturen verhelfen zu einem guten Anschauungsunterricht über das unerschöpfliche Thema der großdeutschen Bestrebungen. Hjelholt < 1094> bringt eine auf guten Quellen beruhende dänische Untersuchung über die Vorgänge in Kiel in der Nacht vom 23. zum 24. März 1848. F. Winzer < 1097> beschäftigt sich mit dem Verhalten Hannovers in dieser Zeit. Da er in den Archiven in Berlin und Hannover gearbeitet hat, vermag er in die Zusammenhänge tiefer einzudringen. Die politische Linie, die dieser Staat bis zu seinem Untergang gehalten hat, ist während der Revolution die gleiche gewesen. Nur unter starkem Druck beugte man sich vorübergehend den Anforderungen, um dann wieder rasch nicht nur gegenüber der Frankfurter Zentralgewalt, sondern auch gegenüber Preußen das partikulare Interesse einseitig hervorzukehren. G. Kunde, Die deutsche Revolution von 1848 und die italienische Frage (Diss. Königsberg, IV, 31 S.), legt einen Teildruck seiner Dissertation über die Behandlung des italienischen Problems in der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vor. Da Arbeiten über das deutsch-italienische Verhältnis nur spärlich vertreten sind, ist recht zu bedauern, daß die Dissertation nicht vollständig vorliegt (die Teildrucke sind bei brauchbaren Dissertationen überhaupt eine Unsitte). Die italienische Frage hat im völkerrechtlichen Ausschuß der Paulskirche eine beachtliche Rolle gespielt, da sie wegen Triest und Südtirol brennend geworden war. Radowitz forderte als Lösung die Schaffung eines italienischen Bundes, von dem ein Glied das bei Österreich verbleibende Land bis zum Mincio sein müßte, welches dann durch Verträge mit Deutschland verbunden werden sollte. Er stellte ein förmliches Mitteleuropaprogramm auf. Unter besonderer Hervorhebung der wirtschaftlichen Wirksamkeit Ludolf Camphausens zeichnet K. Loose < 1093> ein Lebensbild des rheinischen Wirtschaftsführers, »des Mitschöpfers der liberal-kapitalistischen Wirtschaftsepoche«.


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