I. Zur deutschen Geschichte der Nachkriegszeit.

Von der auf vier Bände berechneten umfassenden »Zeitgeschichte in Wort und Bild« G. Usadels, die die Periode des Zwischenreiches von 1918 bis 1933 (»Vom Alten zum Neuen Reich«) behandeln soll, sind im Berichtsjahre die ersten beiden Bände (1918/20 und 1920/23) erschienen < 1395>. Dieses große Werk baut sich auf dem gleichnamigen dreibändigen (jedoch nirgends genannten) des inzwischen verstorbenen Archivrates G. Soldan (1931/34 veröffentlicht) auf <vgl. 1932, S. 275; 1933/34, S. 370 f.>, aus dem auch ein sehr erheblicher Teil der (jetzt allerdings öfter besser wiedergegebenen) recht eindrucksvollen Abbildungen übernommen ist. Besteht ferner auch in der zeitlichen Abgrenzung der Bände und auch teilweise in der Kapiteleinteilung eine Übereinstimmung zwischen Soldan und Usadel -- bei beiden reicht der erste Band bis zum Sommer 1920, der zweite bis zum Winter 1923 --, so sind doch andererseits auch verschiedene wesentliche Unterschiede festzustellen. So ist erstens Usadels Werk, das auch noch die Jahre 1930/33 mitbehandeln wird (Soldan schloß mit dem 12. März 1930), in den bisherigen beiden Bänden fast um die Hälfte kürzer; weiterhin gibt U. für Einzelheiten vielfach seine Quellen in Anmerkungen an, und vor allem ist die Grundhaltung seines Werkes eine andere; denn das Buch Soldans, der von deutschnationalem Standpunkte aus schrieb, entstand zu einer Zeit, als Deutschland politisch und wirtschaftlich völlig am Boden lag, ohne daß zunächst überhaupt eine Wendung abzusehen war, während U., der seit langem der NSDAP. angehört, in der Lage war, einen nunmehr in sich ganz abgeschlossenen Zeitabschnitt vom nationalsozialistischen Standpunkt aus darzustellen und, worauf vom Verf. besonderes Gewicht gelegt wird, auch zu werten. Bei ihm nimmt naturgemäß die Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung einen wesentlich breiteren Raum als bei Soldan ein. Dagegen vermißt man bei beiden Verf. sowohl ein Personenregister wie auch ein Verzeichnis der zahlreichen Abbildungen, die hier eine wesentliche Ergänzung der textlichen Darstellung bilden.

Sowohl die gesamte Nachkriegszeit als auch die ersten vier Jahre des Dritten Reiches sind von nationalsozialistischem Standpunkt aus behandelt in den


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ausgezeichneten Schriften M. Edelmanns (»Volkwerden der Deutschen«, 5. Aufl.) als auch W. Gehls (»Der deutsche Aufbruch«, 2. Aufl.), die sich beide nicht so sehr an den Fachwissenschaftler als vielmehr an die Jugend und breitere Schichten des Volkes wenden. Wenn Edelmann die Forderung aufstellt: »Unsere Geschichtsbücher dürfen künftig keine trockenen, sachlichen Zusammenstellungen mehr sein. Sie sollen und müssen den Geschichtsstoff bereitstellen, gründlich und eingehend wie nur je. Aber ihre Hauptaufgabe ist es, darzustellen«, so charakterisiert er damit nicht nur die Bedeutung seiner Arbeit, sondern zugleich auch die von Gehls Schrift.

Über die deutsch-französischen Beziehungen in der Nachkriegszeit liegen nur zwei kleinere Arbeiten vor. Die eine ist eine sehr gute, von F. Hellwig besorgte bibliographische Zusammenstellung der »Saarliteratur Frankreichs und des übrigen Auslandes« (England, Vereinigte Staaten, Schweiz, Italien, Niederlande usw.) für den Zeitraum von 1914 bis 1935, d. h. vom Augenblick der ersten Erwähnung der Saarfrage bis zur endgültigen Rückkehr des Saargebietes zum Deutschen Reich < 1401>. Diese Bibliographie, die sowohl selbständige Schriften als auch Zeitschriftenaufsätze, soweit sie irgend erreichbar waren, in fast 650 Nummern verzeichnet, stellt eine sehr brauchbare Ergänzung zu dem von der Pfälzischen Landesbibliothek und der Stadtbücherei Saarbrücken bearbeiteten Auswahlkatalog der deutschen Saarliteratur (»Die deutsche Saar«) dar. Ferner ist hier ein französischer Aufsatz des separatistischen Landesverräters Dr. A. Dorten < 1403> zu nennen, in dem er -- in Ergänzung zu den im Vorjahre <vgl. 1936, S. 305 f.> besprochenen Briefen des französischen Generals Ch. Mangin aus den Jahren 1918/19 -- den Werdegang seines mit tatkräftiger Hilfe dieses Generals vorbereiteten, dann aber doch gescheiterten Versuches, im Sommer 1919 eine »Rheinische Republik« zu errichten, schildert.

Für die Verhältnisse in der Ostmark nach dem Zusammenbruch von 1918 und die deutsch-polnischen Kämpfe bringen die von H. J. Schmitz herausgegebenen »Grenzmärkischen Heimatblätter« auch in ihrem 13. Jg. (1937) neben einer Zusammenstellung polnischen Schrifttums über diese Ereignisse (ebd. S. 113 f.) wieder neues Material. So schildert der Herausgeber selbst in der seit 1934 erscheinenden Aufsatzfolge »Einzelbilder aus den Abwehr-, bzw. Grenzschutzkämpfen« den »Kampf um Lissa« < 1404>; E. Stober berichtet interessante und durch Dokumente belegte Einzelheiten über die Gründung der polnischen Volkswehr und die Finanzierung des Posener Aufstandes 1918/19 in Westpreußen < 1405; vgl. auch 1933/34, S. 379; 1935, S. 308; 1936, S. 305>. In einem Sonderheft dieser Zeitschrift würdigt endlich G. Raddatz < 1415> das überaus verdienstvolle sechzehnjährige Wirken (1917/33) Friedrich von Bülows für den deutschen Osten zunächst in seiner Eigenschaft als Regierungspräsident in Bromberg und dann als Oberpräsident der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen.

Über die Baltikumkämpfe der deutschen Truppen im Jahre 1919 existierten zwar bisher schon verschiedene Einzeldarstellungen aus der Feder von Männern, die einst entscheidend bei ihnen mitgewirkt hatten, wie General R. Graf von der Goltz, Major J. Bischoff und Hauptmann W. E. Freiherr von Medem <vgl. 1933/34, S. 378 f.; 1935, S. 308; 1936, S. 305>, aber es fehlte noch immer eine zusammenfassende und abschließende aktenmäßige Behandlung dieses Themas, wie sie nunmehr innerhalb der von der Forschungsanstalt für


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Kriegs- und Heeresgeschichte bearbeiteten und herausgegebenen »Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps« vorliegt. Der Stoff ist hier auf zwei Bände verteilt, der erste < 1407> schildert die Ereignisse vom Beginn bis zum Höhepunkt des Kampfes, der Eroberung Rigas (22. Mai 1919), während der zweite (»Die Kämpfe im Baltikum nach der zweiten Einnahme von Riga«, 1938 erschienen) die allmähliche Auflösung und das tragische Ende des Unternehmens behandelt. Obwohl bei allen diesen Vorgängen in stärkstem Maße Kriegführung und Politik in gegenseitiger Wechselwirkung standen, haben die Bearbeiter bewußt auf eine breitere Behandlung der politischen Seite verzichtet und sich weitgehendst auf die Darstellung der rein militärischen Vorgänge beschränkt. Dem Texte beigegeben sind im ganzen 19 Karten und Skizzen, ferner im Anhang einzelne Dokumente und mehrere Tabellen mit der Kriegsgliederung der verschiedenen Verbände.

Was Deutschösterreich anlangt, so ist hier für das Berichtsjahr 1935 noch eine beachtenswerte Veröffentlichung über den Kärntner Freiheitskampf und die dortige Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 nachzutragen; es handelt sich dabei um die recht umfangreichen und ins einzelne gehenden Aufzeichnungen, die der inzwischen verstorbene Lehrer H. Wiegele auf Grund seiner Tagebücher verfaßt hat und die dann F. Kraßnig einer Durchsicht und Bearbeitung unterzog < 1409>. Da diese Schrift von einem Augenzeugen und Mitkämpfer stammt, bildet sie eine wertvolle Ergänzung der Literatur über Kärntens Freiheitskampf. -- Über die deutsch-österreichischen Beziehungen der Nachkriegszeit ließ die Amerikanerin M. M. Ball ein aus ihrer Kölner juristischen Dissertation (»Die deutsch-österreichische Anschlußbewegung vom völkerrechtlichen Standpunkt«, 1934) hervorgegangenes Werk < 1397> erscheinen. Während aber ihre (ins Deutsche übersetzte) Doktorarbeit nur den Zeitraum vom Herbst 1918 bis zum Scheitern der Zollunion (1931) umfaßt, ist in ihrem in englischer Sprache veröffentlichten Buch die Darstellung bis zum Sommer 1936 weitergeführt. Zwar ist hier ein außerordentlich reichhaltiges Material mit großem Fleiß zusammengetragen (füllt doch das Literaturverzeichnis volle 16 Seiten), so kann man auf der anderen Seite den politischen Urteilen der Verfasserin nicht überall zustimmen, besonders nicht über die Dollfuß- und Schuschnigg-Zeit, bei deren Behandlung sie sich auf so trübe Quellen wie das berüchtigte österreichische »Braunbuch« und die »Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte« stützt.

Auf das Gebiet der deutschen Innenpolitik der Nachkriegszeit führt die Schrift des Polizeioberst a. D. von Pitrof < 1410>; er liefert auf Grund seiner eigenen Erlebnisse sowie von Akten, Aufzeichnungen und Berichten eine Geschichte des von ihm am 20. April 1919 gegründeten »Freikorps Schwaben«, das unter seiner Führung im April/Mai 1919 im Kampfe gegen die Münchener Räterepublik sowie anschließend im Allgäu, insbesondere in Kempten, eingesetzt wurde.

An biographischen Veröffentlichungen sind für das Berichtsjahr vier zu verzeichnen. Einen kurzen Abriß der außenpolitischen Tätigkeit des (am 14. Juli 1937 verstorbenen) ehemaligen Generalsekretärs der deutschen Friedensdelegation (1919), Reichsaußenministers (1920/21) und Reichsgerichtspräsidenten (1922/29) Walter Simons veröffentlichte aus Anlaß seines Todes im Rahmen eines Zeitschriftenaufsatzes F. Friedensburg < 1419>. -- »Ein Wort


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der Sühne« nennt L. Schemann seine Kapp-Biographie < 1412>, in der mit wissenschaftlicher Treue und in warmherziger Weise zum erstenmal der Lebensweg des ehemaligen ostpreußischen Generallandschaftsdirektors geschildert wird. Im Mittelpunkt der Darstellung steht neben Kapps Tätigkeit im Weltkriege (Kampf gegen Bethmann-Hollweg und Gründung der Vaterlandspartei) vor allem sein Anteil am »Märzunternehmen vom Jahre 1920«. Für diese Schilderung war der Verf. jedoch nicht nur auf die gedruckte Literatur angewiesen, über die er im Anhang A einen ausgezeichneten kritischen Bericht erstattet, sondern es standen ihm, der zu Kapps engerem Freundeskreis gehörte, auch dessen eigene Aufzeichnungen (u. a. über die Vorgeschichte des Unternehmens und Bruchstücke seiner geplanten Verteidigungsrede) sowie Mitteilungen von dessen Tochter zur Verfügung. Wenn der Verf. auch auf der einen Seite bemüht ist, Kapp von den vielen böswilligen und ungerechtfertigten Vorwürfen zu reinigen, und in lichten Farben ein Bild seiner Persönlichkeit entwirft, so ist er andererseits doch ehrlich genug, dessen Schwächen zuzugeben (vgl. das Kapitel »Kritik. Ausblicke«). Bei der Wertung des Kapp-Putsches und der Untersuchung der Gründe für sein vorzeitiges Scheitern ist allerdings eine -- und zwar sehr entscheidende -- Ursache übersehen, nämlich daß dem Unternehmen von Anfang an eine wirklich tragende und nach vorwärts gerichtete politische Idee fehlte, so daß ein Mißerfolg früher oder später unausbleiblich war. -- Über den am 27. Dezember 1936 verstorbenen Schöpfer der deutschen Reichswehr Generaloberst Hans von Seeckt ließ der Militärschriftsteller E. von Schmidt-Pauli, der u. a. bereits durch seine Biographien über die beiden Ungarn Graf Stefan Bethlen und Reichsverweser Nikolaus von Horthy sowie durch seine »Geschichte der Freikorps« <vgl. 1936, S. 304 f.> hervorgetreten war, ein skizzenhaftes »Lebensbild« erscheinen < 1417>, bei dem er ausdrücklich auf eine »fachwissenschaftliche Beurteilung der militärischen Fähigkeiten und Taten« Seeckts verzichtete und sich darauf beschränkte, »das Gesamtbild seines Wesens auszumalen«. Eine ausführlichere Behandlung erfährt hier Seeckts Tätigkeit in der Nachkriegszeit, vor allem seine Leistung als Chef der Heeresleitung. Für die Darstellung konnte der Verf. manches Material aus dem Besitz der Witwe und von Freunden des Verstorbenen verwenden, während ihm amtliche Quellen nicht zugänglich waren. Für die Beurteilung des historischen Wertes dieser Arbeit ist allerdings die Beantwortung der Frage von entscheidender Bedeutung, ob die große Bewunderung, mit der der Verf. den ihm persönlich bekannten General gegenübersteht, nicht gelegentlich den Anlaß für allzu einseitige Urteile (z. B. über Seeckts Verhältnis zu den nationalen Wehrverbänden und zur »Schwarzen Reichswehr«) bildete? -- Anläßlich von Schachts 60. Geburtstage (22. Januar 1937) kam eine größere, von F. Reuter verfaßte Biographie des Reichsbankpräsidenten < 1416> heraus; jedoch handelt es sich dabei um kein völlig neues Werk, sondern der gleiche Verf. hatte bereits drei Jahre zuvor, Ende 1933, schon einmal eine mit bester Sachkenntnis und auf Grund persönlicher Quellen und Zeugnisse geschriebenes Lebensbild Schachts in der Sammlung »Männer und Mächte« veröffentlicht <vgl. 1933/34, S. 381>. Dieses bildet nunmehr -- im wesentlichen unverändert geblieben -- den ersten Teil des jetzt erschienenen Buches (Werdegang und geistige Entwicklung. Große Aufgaben. Kampf auf neuer Basis), während das wichtige Kapitel »Wirtschaftspolitik unter dem Nationalsozialismus«,

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in dem Schachts Tätigkeit als Reichsbankpräsident und kommissarischer Reichswirtschaftsminister von 1933 (1934) bis Ende 1936 zur Darstellung kommt, ebenso wie das Schlußkapitel »Im Urteil des Auslandes« völlig neu geschrieben ist. Stark erweitert ist schließlich auch der Abschnitt »Die Persönlichkeit«. Dieses Buch enthält, weit über das rein Biographische hinaus, einen Abriß der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit, mit der Schachts Name seit 1923 aufs engste verknüpft ist.


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