III. Volksraumgeschichte.

Über viele Erörterungen und programmatische Schriften hinweg legt A. Helbok einen großangelegten Versuch vor, der die Grundlagen deutscher Volksgeschichte umreißen und deren Reichweite über die Kulturgeschichte bis zur Ideengeschichte andeuten soll < 1525>. Wohl zum erstenmal wurde hier über die heutigen Staatsgrenzen hinweg die Siedlungsgeschichte zweier Völker von der Vorzeit bis ins Spätma. verfolgt. Urkunden, Siedelformen, Ortsnamen und volkskundliches Gut sind für H. in gleicher Weise Quellen und werden durch Karten in anschauliche und sinnvolle Zusammenhänge gebracht. Das in acht Lieferungen erschienene Werk (Anzeigen der ersten Lieferungen <1935, S. 350; 1936, S. 332>) gliedert sich nach der einleitenden Darstellung der natürlichen Grundlagen in sechs Kapitel: die Urlandschaft und die vorma.'lichen Lebensräume beider Landschaften; die Kultur- und Völkerbewegungen der Vor- und Römerzeit; die Germanen und die Gestaltung ihres Volkskörpers in alten und neuen Räumen; Lebensräume und Zeitfolgen der Niederlassung und des Landesausbaues; Landergreifung und Landesmacht; die Herrschaft der Ideen. Im Anhang sind die romanischen oder von den Romanen überlieferten vorromanischen Ortsnamen zusammengestellt. Im 6. Kapitel, das über Urfeudalismus, Urgemeinde und Urstaat, Feudalismus und Zentralismus, Allodialismus und Partikularismus sowie Königsland und Volksland, politische und natürliche Nation handelt, sucht H. »die Voraussetzungen einer lebensgesetzlichen Kulturgeschichte zu schaffen oder doch anzudeuten« (Besprechung H. Schlenger, Hist. Z. 1939). Wie weitgreifend die von H. umrissenen Zusammenhänge sind, zeigt H. Schrepfers Vortrag über »die Bedeutung des Raumes für die Entwicklung unseres Volkes seit vor- und frühgeschichtlicher Zeit« auf dem 26. Deutschen Geographentag in Jena < 1450>. Er stellt drei Fragen: das Verhältnis von Mensch und Erde, Volk und Raum -- die Wesenheit des Volkes, speziell des deutschen Volkes -- die geschichtlichen Grundlagen der Volksentstehung -- und betont, daß »die deutsche Geschichte als Raumwissenschaft noch ebenso in den Anfängen wie die deutsche Volksgeschichte und die gesamtdeutsche Geschichtsbetrachtung« steht. Sein Endergebnis


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lautet, »daß Werden und Wesenheit unseres Volkes weder einseitig vom Boden noch einseitig von der Idee und vom Menschen aus bestimmbar sind; weder Geographie noch Geschichte noch Rassenkunde allein können das Problem lösen, nur die Zusammenarbeit der Wissenschaften kann weiterhelfen. Sicherlich war der Raum niemals Gesetz für die Entwicklung unseres Volkes; aber ohne diesen so und nicht anders beschaffenen Raum gäbe es auch kein deutsches Volk«. In einem umfangreichen Werk versucht der Geograph der Universität Toronto, G. Taylor, die geographischen Faktoren in der Kultur und politischen Geschichte Europas herauszustellen < 1449>. Insofern bildet es ein Gegenstück zu seinem Buch »Environment and Race«. Ein drittes Buch, »Environment and Settlement«, wird angekündigt. Er will die kulturelle und topographische Betrachtungsweise gegenüber der wirtschaftlichen hervorkehren. Zugute kommt ihm dabei die persönliche Kenntnis eines großen Teils der europäischen Länder. Ungenügend ist die Benutzung europäischer Literatur. Deutsche Werke dürfte er überhaupt nicht verarbeitet haben. In einem ersten Teil stellt er neben die Begriffsbestimmung »Nation« die geographischen Grundlagen: Topographie, Klima und Vegetation; im zweiten Teil beschreibt er die kulturellen Faktoren: Rasse und Bevölkerung, Sprache und Ortsnamen, Vorgeschichte, die Antike, die Völkerwanderung, die Christianisierung und Renaissance; im dritten Teil werden die protestantischen, im vierten die katholischen Nationen und im letzten endlich die Ostnationen behandelt. Der inhaltliche Aufbau der Einzelabschnitte über die Nationen ist stets gleich, zuerst der geographische Aufbau des Staatsraums, dann die Staatengeschichte und endlich die Kritik der gegenwärtigen und vergangenen Grenzen. Als methodische Hilfsmittel benutzt er das Zeit--Raum-Diagramm und die in Amerika recht beliebten Blockdiagramme. Doch kann man seinen Karten eine allzu große Überzeugungskraft nicht zusprechen. Etwas sehr mechanistisch wirken seine Ergebnisse, insbesondere die »National Indices«, die Maßzahlen für die Stärke des politischen Lebens darstellen, wofür im wesentlichen »the length of time during which it has had relatively independant self-goverment« ausschlaggebend ist. Aus diesen »National Indices« konstruiert er »Isopethen«, das sind »lines of equal abundance«. Das Ganze also ein amerikanischer Versuch, Raumgeschichte in Zahlen und Kurven zu fassen, den wir ablehnen müssen. Die Zuordnung der »National Indices« ist unseres Erachtens völlig willkürlich. Aufschlußreich sind seine Bemerkungen über die Versailler Grenzen, das Donauraumproblem und Fragen der Neuordnung Europas. Er verteidigt Wilson und ist offenbar weder ein Freund der preußischen noch der nationalsozialistischen Idee. Seine phantastische und unsachliche Einstellung zum Judenproblem und zur deutschen Rassenkunde beweist es. Weitere abzulehnende Einzelheiten und Grundauffassungen Taylors bringt die Besprechung von H. J. Beyer, Auslandsdeutsche Volksforschung, Jg. 1, S. 479--481.


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