IV. Landeskunde und Landschaftsgeschichte.

Die von G. Fochler- Hauke versuchte geographisch-geopolitische Zusammenschau des deutschen Volksbodens und Volkstums in der Tschechoslowakei läßt wie selten eine Darstellung die bodengebundenen Kräfte dieser deutschen Siedlungen lebendig werden < 1515>. Wir verfolgen das Werden des deutsch-tschechischen Gegensatzes in einem Überblick von der Frühzeit bis zur Gegenwart, den Verlauf der Sprachgrenze und erkennen die Siedlungs-, Stammes- und wirtschaftlichen Unterschiede


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der geschlossen in der bisherigen Tschechoslowakei wohnenden deutschen Volksgruppen von Südmähren angefangen bis nach Prag, ins Teschener Schlesien und nach Karpatenrußland. In besonderen Abschnitten werden die berufliche und wirtschaftliche Gliederung, die rassische Struktur, die kulturellen Verhältnisse und schließlich der gerechte Kampf der Sudetendeutschen um Gleichberechtigung dargelegt. Zahlreiche Karten unterstützen dabei die Darstellung (Besprechung von H. Schlenger, Z. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens, Bd. 72, 1938, S. 493--494, u. Schles. Mhh., Jg. 15, 1938, S. 68--69). Die größte Sprachinsel der Sudetendeutschen, den 1200 qkm großen Schönhengstgau, der von etwa 130_000 Menschen besiedelt ist, hat die landeskundliche Betrachtung von M. Chr. Theusner zum Gegenstand < 1515 a>. Das Kulturbild dieses Gaues ist deutsch. Es entstand im wesentlichen im MA., wenn der Verf. auch sehr für eine autochthone Entwicklung aus der germanischen Vorbesiedlung eintritt. Obwohl Th. eine Zuwanderung im 11. und 12. Jh. aus dem Reich nicht in Abrede stellt, fragt er sich, »warum die Siedlungsform des Waldhufendorfes von Fremden eingeführt worden sein soll«, sie ergibt sich aus den geographischen Gegebenheiten des sudetischen Berglandes und erscheint ihm »als das Ergebnis langer ortsgebundener Erfahrungen«. Diese Frage ist unseres Erachtens nur im Hinblick auf das ganze volksdeutsche Siedlungsgebiet zu entscheiden. Hinsichtlich der Mundarten fragt Th., ob ihre heutige Verteilung nicht erst auf nachma.'liche Vorgänge, etwa eine Wiederbesiedlung nach den Hussitenkriegen oder dem Dreißigjährigen Krieg, oder auf die Einflüsse von Verkehrssprachen zurückzuführen ist. Die Schwierigkeiten, eingehendes Material aus dem Schönhengstgau zu erhalten, machen sich leider nachteilig in Theusners Darstellung bemerkbar, die sonst durch zahlreiche Karten veranschaulicht ist. Eine gediegene Arbeit der Schule Rudolf Kötzschkes legt M. Müller vor, der Landschaftsbild und Siedlungsgeschichte des Ostteils der Leipziger Tieflandsbucht behandelt < 1479>. Es ist ein Versuch, den Siedlungsablauf nur aus den Siedlungsformen und Parallelerscheinungen im quellengesicherten übrigen Ostdeutschland abzulesen, da Urkunden vollständig fehlen. Diese Tatsache bedingt manche Zweifel bei der Lektüre. Die Auswertung der Flur- und Ortsnamen bestätigt auch sonst in Ostdeutschland gemachte Beobachtungen, sie wirken mehr stützend als begründend. Unter den trotz dieser Hindernisse erzielten Ergebnissen seien folgende hervorgehoben: die Burgwardverfassung tritt früh in den Hintergrund, infolge zeitiger Befriedung setzt die Kolonisation früh ein, die erste Siedlung liegt im Gebiet der Kleinformen und der unregelmäßigen und kleineren Fluren, die Kolonisatoren lassen sich nicht feststellen, die deutschen Flur- und Ortsnamen herrschen im ehemaligen Waldgebiet vor, sprachliche Merkmale lassen auf eine niederrheinisch-flämische Herkunft der Siedler schließen. Der Arbeit sind saubere Karten beigefügt. Im 1. Teil seiner Arbeit über das Wüstenland, das eigentlich nur zwei Dörfer umfaßt und ein Anhängsel des Stedingerlandes ist, schildert H. Munderloh die im Zusammenhang mit der Bedeichung und Entwässerung erfolgte Besiedlung seit dem 12. Jh. < 1467>. Ortsverlegungen haben stattgefunden. Die Zuwanderung der Siedler erfolgte aus der südlich benachbarten Geest. Die Karten und Abbildungen verdienen hervorgehoben zu werden. W. Maas stellt eine Liste der deutschrechtlichen Siedlungen in Kujawien und Masowien zusammen und hebt die Rodetätigkeit der Klöster hervor < 1456>. An Hand der Siedelformen: Normund

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Naturtypen verfolgt H. Schleinitz die Landschaftsveränderungen Westposens in der ma.'lichen Kolonisation < 1454>. M. Weber untersucht die Besitzungen und Rodungen auf der Baar der in der Mitte des 12. Jh.'s gegründeten Zisterzienserabtei Tennenbach, die eine beachtliche Grundherrschaft bildete < 2260>. Ihre Geschichte läßt sich in eine auf dynastischer Grundlage aufgebaute bäuerliche und in eine städtisch-kapitalistische Periode teilen. Dem Eigenbetrieb der Gründerzeit steht die Rentenwirtschaft der bürgerlichen Epoche gegenüber. Aus den Beschreibungen nach 1300 und aus den Urkunden läßt sich rückschließend ein Bild von der Rodungsarbeit im unteren Kirnachtal gewinnen. Auch hier ist Waldgeschichte nahezu identisch mit der Geschichte des Landesausbaues. Darum begrüßt die historische Landschaftskunde die Bemühungen J. Köstlers, der in der Hist. Z. einen Überblick über den »Wald und Forst in der deutschen Geschichtsforschung« gibt und dabei seine eigenen Fragestellungen und sein Arbeitsvorhaben umreißt < 1452>. Er gliedert die Geschichte des deutschen Forstwesens in folgende Abschnitte: Vor- und Frühgeschichte, Zeit der Rodung und Waldbesitzergreifung (600--1300), spätes MA. (1200--1500), Zeit der landesherrlichen Wohlfahrtspflege (1500--1800), Auswirkungen der Aufklärung und des Liberalismus (1750--1930) und fordert eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Forstwissenschaftlern und Historikern. Zum Arbeitseinsatz eignen sich wegen ihrer Reichhaltigkeit besonders die Urkundenbestände der geistlichen Besitzungen. Einen praktischen Versuch in dieser Richtung legt J. Sturm in seiner Abhandlung »Der Wald in den Freisinger Traditionen« vor < 1502>. Am Quellenbestand des Freisinger Hochstifts sollen die Aussagen über den Wald geprüft und ausgewertet werden. Innerhalb des Freisinger Bistums liegt ein großer Teil der bayrischen Vor- und Hochgebirgswälder. Das Schwergewicht der Untersuchung liegt auf der Frage: Was besagen die Freisinger Traditionen über den Wald im allgemeinen, über Bestand, Ausdehnung, Besitz, Nutzung und Rodung? Wesentlich ist dabei auch »die Deutung der den Wald betreffenden urkundlichen Termini«. Von den auf den Wald bezüglichen Ortsnamen der Freisinger Traditionen beziehen sich 49 auf Laubbäume, 22 auf Nadelbäume. Namen von Wäldern treten zurück. Wie Acker und Wiese kann auch der Wald ganz persönlicher Verfügung unterstehen, er kann echtes Eigentum sein. Weiter steht jedem Eigentümer einer Hufe die Nutzung am Markwald zu. Freier Bauernwald läßt sich in den Traditionen nicht feststellen. Holzbezug und Schweinemast wie Gewinnung von Rodeland sind die beiden Hauptnutzungsformen. Die Nachweise für die letzte Nutzungsform bringen eine Bestätigung der These F. Gutmanns, nach der »die Kommutationsverträge zwischen den Freisinger Bischöfen und Privaten zum Zwecke der Bodenarrondierung« als der »Effekt einer potenzierten Rodungstätigkeit« angesehen werden. -- Auf Grund eingehender Karten- und Urkundenauswertung kann R. A. H. Nordmann ein genaues Bild der »Vorgänge bei der Entstehung der etwa 220 qkm großen Neulandgebiete am Frischen Haff in den letztverflossenen 550 Jahren« zeichnen < 1457>. Das Ziel der Arbeit ist dabei ein doppeltes: 1. in physikalischer Hinsicht die geologisch-hydrologische Entstehung der sekundären Delten von Nogat und Elbinger Weichsel; 2. in kultureller Hinsicht die Neulandgewinnung durch Deichbauten, künstliche Trokkenlegung und Besiedlung. Zur Bestätigung der von C. Woebcken in seinem Buche »Deiche und Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste« geäußerten

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These über die ursprüngliche Landausdehnung Nordfrieslands bringt A. Busch neue Gesichtspunkte bei, indem er 1. die ursprüngliche Hardeneinteilung und 2. den Vorgang der Landzerstörung untersucht < 1443>. Als Endergebnis bringt er die Lokalisierung des untergegangenen Kirchspiels Rungholt mit dem dazugehörigen Hafen. Leider sind einzelne der beigegebenen Karten nicht recht deutlich. -- W. Kuhn gibt in einem in Hermannstadt gehaltenen Vortrag einen allgemeinen Überblick über die deutschen Siedlungsräume im Südosten < 1517>. Nach Schilderung der geographischen Grundlagen, der Natur- und Volksräume, werden die ma.'lichen Volksinseln, die neuzeitliche Frühkolonisation in Ungarn, die neuzeitliche Hochkolonisation und das Deutschtum im ehemaligen Waldsteppengebiet nördlich der Karpaten charakterisiert. Ein Vergleich mit der neuzeitlichen Kolonisation im Norden der Lößgrenze und den jungen Volksinseln im Gebirge beschließen den Überblick, dem eine bunte Karte beigegeben ist. Den demnächst erscheinenden Atlas des Burgenlandes nimmt H. Hassinger zum Anlaß, den Stand der wissenschaftlichen Erforschung dieses Grenzlandes im Spiegel dieses Atlasses zu überprüfen < 1512>. Recht verschiedenartige Kriterien setzt H. Weinelt zusammen, um die kulturgeographische Gliederung des nordwestlichen Sudetenschlesien zu ergründen, nämlich historische und kirchliche Grenzen, Rechtsformen, Burganlagen, Flurnamen, Wortgeographie, Brauchtum und Lautgeographie < 1476>. Durch die Auswertung zehn entsprechender Karten kann er drei »ausgeprägte Eigenräume« herausstellen: Breslauer Bistumsland, Freudenthaler Gebiet und Olmützer Bistumsland. Einen weiteren Beitrag zur Kulturraumforschung bietet H. E. Kubach für den Trierer Kunstraum vom 11.--13. Jh. (Trierer Zeitschrift, 12. Jg. 1937, S. 81--103). Er geht dabei nicht der Entstehung und Entwicklung von Formen, sondern ihrer wachstumsmäßigen räumlichen Verbreitung nach. Die Ausgliederung des Trierer Kunstraumes erfolgt nicht auf Grund eines besonderen Baugefüges, sondern auf Grund der Bauzier, Baugliederung, Turmdach- und Apsisform. Kunstraum und Erzsprengel stimmen nur im großen überein. Die durch saubere Karten veranschaulichten Grenzen heben sich im einzelnen folgendermaßen ab: im Osten Kamm des Wasgenwaldes, im Süden die Sichelberge, im Westen bis vor Troyes an der Seine, im Norden die Kreise Trier Land und Bitburg. Nur in Ausnahmefällen kann die Erdkunde die Begrenzung dieses Kunstraumes erklären. -- Die geschichtliche Stellung des Westerwaldgebietes als binnendeutsches Grenzland umreißt J. Nießen <1936, 1422>. Passiv ist seine politische Rolle. In Sprache, Brauchtum und Kultur mangelt ihm eigene Gestaltungskraft. Stauungen und Überschneidungen von Sprach- und Brauchtumserscheinungen sowie Kontaminationsformen im Sprachlichen sind für ihn charakteristisch .und machen ihn zu einer Rückzugslandschaft älterer Zustände. Nur einmal in der Geschichte, 1795--97, ist der Westerwald Kriegsschauplatz geworden. »Thüringens politisch-geographische Stellung im Wandel der Zeiten« charakterisiert F. Koerner auf dem 26. Deutschen Geographentag in Jena < 1484>. Auf die Territorienbildung dieses Gebietes wirkte in besonderem Maße der Grenzcharakter des Thüringer Waldes, auf dessen Kamm als geschichtliche Grenzlinie noch heute der Rennsteig verläuft, während der Übergang vom Thüringischen ins Hessische nicht geographisch, sondern politisch bestimmt ist. Am wenigsten abgegrenzt ist Thüringen nach Osten. Sein naturgegebener Mittelpunkt liegt im unteren Geratal bei Erfurt. Der

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Überblick gliedert die Geschichte des thüringischen Raumes in drei Abschnitte: die Zeit der Stammesorganisation etwa bis 1100, die dynastisch-labile Zersplitterung der Territorien, die Zeit großer Nachbarstaaten bis 1870. In der ersten dieser Perioden empfing Thüringen seine Bedeutung vom Reichsganzen her, »zuerst als Grenzland, dann als geplanter Mittelpunkt«. Später scheitern die Versuche, Thüringen zum Zentrum des Reiches zu machen. Es bleibt mit seiner politischen Organisation hinter den anderen Gauen zurück und scheidet 1547 »endgültig aus den Reihen der deutschen Landschaften aus, die aktiv Träger der Zukunft sind«. In der letzten Epoche wurde Preußen zur Vormacht Thüringens. Ergebnis: »Im Laufe der Geschichte sind nur Ansätze gemacht worden, aus Thüringen das zu gestalten, wozu es seiner räumlichen Ausstattung nach berufen schien.«


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