II. Einzeluntersuchungen in räumlicher und zeitlicher Folge.

Im deutschen Westen hat der Vorstoß A. Hömbergs zur Kritik überkommener Auffassung der Flurformen <1935, S. 351 f.> weiter gewirkt. In eingehenden Darlegungen setzt sich B. Huppertz, ein Schüler Steinbachs, damit auseinander < 1640>, im wesentlichen zustimmend, namentlich auch in bezug auf die jüngere Entstehung der Gewanneinteilung als einer Folgeerscheinung des Flurzwangs, der mit der stärkeren Parzellierung von Blockflurstücken (beim Erbgang u. a.) und der daraus hervorgehenden Gemengelage nötig geworden ist. Mit vorsichtiger Formulierung wird gesagt, daß die germanische Frühzeit noch kein durchgebildetes Gewannsystem gekannt hat. Nicht ohne Grund wendet sich H. dagegen, die Verschiedenheit der Flurformen nur aus der Verschiedenheit des Schar- und Hakenpflugs abzuleiten und die Flurformengrenze, Blockgemenge gegen Streifen, als Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen beiden Pflugarten anzusehen. Ob freilich das west- und südwestdeutsche Blockgemengeflurgebiet, wie er meint, als Einbruch in das ältere Streifenflurgebiet zu erklären sei, ist keineswegs ausgemacht. So dürfte die gegen


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Schluß skizzierte Theorie des Entwicklungsgangs nach drei Perioden doch etwas verfrüht sein. Auch Ferd. Huttenlocher, der den Zusammenhang zwischen ländlichen Siedlungsarten und Wirtschaftsformen Südwestdeutschlands untersucht < 1641>, hebt das Entwicklungsmoment bei der Erklärung der Flurformen hervor. Die großen vielteiligen Gewannfluren sieht er als nicht durchaus ursprünglich, vielmehr durch Umbildung entstanden an; Streifenteilung drückt das Maß der Erbteilung aus. Obschon nun die Grenzen des Auftretens solcher Fluren gegen die »Weilerfluren« verwischt sind, ist an der Unterscheidung festzuhalten, die Weiler mit ihren kleineren Feldblöcken sind auf Rodungslandschaften beschränkt. Interessant sind die Darlegungen über die Wirtschaftsweisen, ihre natürliche Begründung und geschichtliche Folge. Bei der ersten Landnahme wurden, so zeigt H. im Anschluß an R. Gradmann, solche Gebiete bevorzugt, die geeignetes Kulturland für Feldgraswirtschaft hatten (Magerwiesen, wo Trespe wächst; Steppenheide). Während der unruhigen Jahrhunderte der Wanderungen stand wohl die Wald-Feldgraswirtschaft im Vordergrund. Doch war die Dreifelderwirtschaft schon bekannt; ihre Entstehung ist in Gegenden zu suchen, wo gründlichere Feldbestellung für die Herbstsaat nach Abernten des Sommerfelds bei der Kürze der Wirtschaftsperioden nicht möglich ist: im nördlicheren Europa. In Württemberg erweist sie sich als das Feldsystem der altbesiedelten Räume. Bei der Landnahme der Alemannen geschah somit, daran hält H. fest, die Niederlassung in der Form der Gemeinschaftssiedlung: die dörfliche Gemeinschaft bestimmt den Anbau. Der Flurzwang ist hier als ursprüngliche Feldordnung anzunehmen; Aufteilung in die drei Zelgen ging der Streifenteilung voraus. Daneben gab es umzäuntes Sondereigen (Beunden). Feldgraswirtschaft hielt sich in den Außenfeldern; geregelte Feldgraswirtschaft ist für die Rodungslandschaften bezeichnend. Auch reine Graswirtschaft ist feststellbar. Vergleicht man diese Auffassung der alemannischen Siedlung mit jener oben erwähnten für den deutschen Nordwesten, so können sich die Verschiedenheiten aus der Zeitstellung und Art der Ansiedlungsvorgänge sowie aus Vorbedingungen der Landesnatur erklären. Eine Untersuchung Rich. Daehns über die ländlichen Orts- und Hausformen im württembergischen Unterland < 1497> ist siedlungsgeographisch angelegt. Die Begriffsbildung sucht er zu verfeinern, indem Haufendörfer und Haufenausbaudörfer, Weiler und Weilerausbaudörfer, dazu kettenartige Orte unterschieden werden; die Haufendörfer findet auch D. in der ältesten Kulturlandschaft. Eine Besonderheit sind die Waldenserdörfer und das Waldenserhaus. In der Frage der Stammeseinflüsse wendet er sich gegen die Annahme von Niederschlägen fränkischer Herkunft. Das Siedlungsbild des oberösterreichischen Mühlviertels und des angrenzenden böhmischen Gebiets zeigt uns Ad. Klaar in einem ansprechenden Aufsatz < 1643>, dem belebende Bilder der Siedlungsanlage in ihrer natürlichen Umgebung und eine geschickt entworfene Karte der Verbreitung der Siedelformen beigegeben sind. Es gelingt ihm gut, die besondere Eigenart der Siedlung in dieser Landschaft herauszuarbeiten. Dabei ist es wertvoll, daß die Zeitstellung der Siedeltypen glücklich aus der Überlieferung erfaßt zu werden vermag, wobei die Nachrichten über die schon planmäßig angelegten »Kirchensiedlungen« (bald nach 1100; sonst früher in Oberösterreich) sowie die Berücksichtigung der Marktortsgründungen (im 13. Jh.) Aufschlüsse bieten. Eine Besonderheit stellen die dortigen Waldhufensiedlungen dar: die einen in der Senke als »angerartige Grabendörfer« mit noch geschlossener Ortsform, im nördlichen Grenzraum aber lange, offen gebaute Reihensiedlungen. Fruchtbar ist

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die Beobachtung, daß in der Siedlungsgestalt die Umstellung von der Bauernkultur zu einer von der Stadtkultur bestimmten landwirtschaftlichen Siedlung deutlich wird (Straßenplatztype). Eine Einzelstudie von Annemarie Kallbrunner gilt den Flurformen des oberen Ybbstales < 1642>. Nach einem Rückblick auf die vordeutsche Besiedlung wird die deutsche Landnahme und das seitdem entstandene Landschaftsbild geschildert, mit Eingehen auf die Einteilung zwischen den Grundherrschaften. Das Dominikalgebiet kennzeichnen Waldungen, darin Holzhauersiedlungen, doch auch Einschlüsse mit Ansiedlung von Erbpächtern. Im Rustikalgebiet herrschen Einzelhöfe mit bäuerlichem Wirtschaftsbetrieb vor, demgemäß Weiler- und Einödflur, am stärksten der Mittelbesitz (mehr als 20 ha), dazu Kleinbesitz, all dies abgewandelt durch Teilungen und nachträgliche Rodung. Die Hufe wird als meist längliches Rechteck mit Schmalseite im Talgrund, von da zur Wasserscheide (nach Waldhufenart), beschrieben, aber auch mehrere Hufen lagern übereinander; dazu gibt es Gemeinschaftswald und Gemeinschaftsweiden. Mit den abgegangenen Siedlungen in Steiermark hat sich O. Lamprecht beschäftigt. In allgemein gehaltenen Darlegungen erörtert er die Aufgaben und Grundsätze dortiger Wüstungsforschung < 1506>. Dazu hat er sogleich eine recht lehrreiche Einzeluntersuchung für die mittlere Steiermark am Ende des MA. geboten < 1505>, in Auswertung der landesfürstlichen Urbare. Noch zu Beginn des 15. Jh. ist keine wesentliche Störung des Siedlungszustands wahrzunehmen. Indes zwischen 1429 und 1480 zeigt sich eine erschreckende Veränderung, im Hügelland wie in den weiten Ebenen an der Mur bis in die hintersten Talgründe; etwa seit 1493/94 tritt allmähliche Besserung ein. Die Auffassung A. Grunds (für Niederösterreich), wonach die Ortschaftsverluste aus einer Wirtschaftskrisis im späten MA. zu erklären seien, wird nicht abgelehnt, aber neben solchem Anlaß auch die Kriegsfolgen als wichtige Ursachen bezeichnet, jene politischen Ereignisse, die in den Zeiten des Wüstwerdens die Lande des deutschen Südostens heimsuchten: die Kämpfe mit Matthias Corvinus sowie der Türkeneinfall 1480. Im 16. Jh. begann eine Wiederaufsiedlung; neues Menschenmaterial half dazu mit, Siedlernamen traten auf, die man noch heute findet, Wüstungen sind nach 1500 nicht mehr entstanden.

Wenden wir uns dem Raume der deutschen Mitte zu, so ist der Ertrag einer wohlbegründeten Einzeluntersuchung hervorzuheben, die W. Emmerich der Siedlungsgeschichte des Fichtelgebirges und seiner Umlande gewidmet hat (Von Land und Kultur, S. 116 ff. < 1639>); sie ist um so wichtiger, weil sie von dem siedlungsgeschichtlich noch wenig durchpflügten Ostfranken und dem bairischen Nordgau in den Nahbereich deutscher Ostsiedlung hineinführt. Im Blick auf die Landesnatur und das vorgeschichtliche Fundgut sowie die Ortsnamen scheidet E. die älterbesiedelten Räume von den Ausbau- und Rodungslandschaften und schildert den Kranz von Offenländern, die das Fichtelgebirgsmassiv umgeben. Bei der Besiedlungsgeschichte hebt er den Anteil der Herrengeschlechter gebührend hervor. Ausführlich wird auf die Orts- und Flurformen eingegangen. Eine west-ostwärtslaufende Dreigliederung wird dabei sichtbar: Großdörfer mit alten Gewannfluren im westlichen Juraland, Kleindörfer und Weiler mit Blockflur im Bayreuth- Kulmbacher Land und Reihen- und Angerdörfer mit Waldhufen im Fichtelgebirge und Frankenwald. Vergleichbar und doch abweichend ist es im Südosten: um Amberg herrschen große, schmalparzellierte Gewannfluren vor, die langsam aus Wildland aufbereitet sind; nach Norden zu schließen sich Landstriche mit kleinen, unregelmäßigen Gewannfluren an, die von zahlreichen Wald- und Wieseninseln


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durchsetzt sind, daneben finden sich spärliche Ansätze von Waldhufen bei rundlichen Weilern. Planvoller sind die Siedlungsanlagen um die obere Wondreb, mit Angerdörfern, Feldbreiten und Waldhufen, auch gewannartigen Fluren (im Egerland). Im Norden und Nordosten (Regnitzland -- Vogtland) bedürfen die unregelmäßigen Formen besonders der Erörterung: das kleine Haufendorf und der Weiler, dazu die Blockfluren mit vielem Wiesenland und einzelnen Waldstücken in Streulage. Nicht aus slawischem Siedelbrauch sind sie zu erklären; mit Recht wird das »slawische Haufendorf« als ein Grundbegriff abgelehnt. Solche Anlagen können auf sorbische Siedler zurückgehen, aber ebenso, und dies in größerer Zahl, deutsche Weiler, Ausbauorte, sein. Die Siedlungsgeschichte dieses ganzen, in sich zusammenhängenden Gebietes ist so zu denken, daß dem Landesausbau, der frühen deutschen Kolonisation, ein größerer Anteil zukommt, als bisher angenommen zu werden pflegte. Im Fichtelgebirge selbst herrschen jüngere Formen: die Waldhufenflur; meist in radialer Form, bisweilen durch Parzellierung in Entwicklung zur Gewannähnlichkeit, in südlicher Gegend (Wunsiedel) Angerdörfer, auch enggebaute Zeilen, mit Flureinteilung wie im Land an der Wondreb. Leider hat eine Übersichtskarte der Siedelformen noch nicht beigegeben werden können. -- Die siedlungsgeschichtlichen Vorgänge im Harzvorland, vornehmlich um Quedlinburg, behandelt K. Schirwitz unter der Überschrift »Zum Alter unserer Ortschaften« < 1483>. Nach den Bodenfunden, auch mit Hinweis auf Wüstungsbezeichnungen und Burgnamen sowie die Kultstätten beschreibt er den Stand der Besiedlung und Kultur seit der Bronzezeit bis auf den Übergang zum voll geschichtlich werdenden Siedlungsbild der deutschen Frühzeit und die stärker einsetzende Rodungstätigkeit. Auf Orts- und Fluranlage wird leider nicht eingegangen; gerade dies wäre zu wirklicher Bestimmung des Alters der Ortschaften nötig, eine Aufgabe, die für jene Gegenden einmal in Angriff genommen werden möchte, da sie wichtige Aufschlüsse verspricht.

Zur Siedlungsgeschichte in den Sudetenländern liegen einige bedeutsame Beiträge vor. E. Schwarz, der seit Jahren erfolgreich dafür eingetreten ist, die Siedlungsvorgänge von der Sprachforschung her, namentlich in durchgebildeter Methode der Ortsnamenuntersuchung, aufzuhellen, beleuchtet jetzt in zusammenschauender Betrachtung < 1647> die verschiedenen, dort gelagerten Sprachlandschaften, zugleich im Hinblick auf das altdeutsche Gebiet und benachbarte Räume des östlichen deutschen Neulandes. Auch Forderungen für die Zukunft werden aufgestellt: noch engeres Zusammenarbeiten mit anderen Wissenschaften, Verfeinerung der Untersuchung von Bezirk zu Bezirk, Herausarbeiten der Sprachgrenzgeschichte, Aufdecken des versunkenen Deutschtums in jetzt rein tschechischen Gegenden. Auf Südböhmen, dessen Siedlungsgeschichte minder bearbeitet war, und damit auf die Zusammenhänge mit dem österreichischen Donauland richtet H. Zatschek den Blick in einem gehaltreichen Aufsatz < 1646>, der zugleich der politischen Geschichte dient. Bemerkenswert ist, daß er die Nachricht bei Cosmas (S. 49 f.) über die drei Grenzburgen 'contra Teutonicos orientales' auf dessen Zeit selbst bezieht. Am wichtigsten sind die Ausführungen über das mächtige Herrengeschlecht der Witigonen, seine Herkunft aus Bayern, die Entwicklung seines weitverzweigten Besitzes (ursprünglich zwischen Moldau und Donau, danach in Mittelböhmen) und sein wechselvolles Eingreifen in die Geschicke Böhmens. Danach ist ihr Anteil an den siedlungsgeschichtlichen Erfolgen zu bestimmen: die deutsche Besiedlung Südböhmens, soweit es an das


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Mühlviertel anschließt, ist wesentlich ihr Werk, die Siedler kamen aus Österreich, aus den Eigengütern des Geschlechts und wohl auch aus den Passauischen Lehen, wobei der Verdienste zu gedenken ist, die sich die Zisterzienser von Goldenkron und Hohenfurt erwarben. -- Ein dargebotener Überblick über die Epochen der Siedlungsgeschichte im nördlichen Böhmen und im angrenzenden Sachsen < 1638> zielt darauf ab, durch einen Vergleich die Vorgänge in beiden Siedellandschaften, ihre gemeinsamen Grundzüge und ihre Eigenart zu beleuchten, und zeigt die stammesmäßige Zusammengehörigkeit der Landeseinwohner Sachsens und der Sudetendeutschen Nordböhmens auf Grund der Siedlungsgeschichte. Die Besiedlung eines Kleinraums Nordböhmens, des Jeschken-Iser-Gaues, behandelt E. Gierach < 1645> aus eigenster Anschauung und Kenntnis der geschichtlichen Überlieferung sowie volkskundlicher Tatbestände, zugleich mit dem Blick auf die Nachbarlande. Die Siedlung von Slaven (nicht Tschechen) war äußerst gering. Erst die Deutschen haben die Besiedlung ausgebreitet, deren große Zeit das 13. und 14. Jh. waren; Dorfsiedlung schritt voran, Städtegründung und Bergbau folgten, Herrschaft und Burg übten maßgebenden Einfluß. Die Siedler kamen vornehmlich aus der Oberlausitz, wie die Gleichheit der Mundart erkennen läßt; die Dorf- und Fluranlagen zeigen volle Regelmäßigkeit, meist nach Waldhufenart, so wurde das Rasnitztal in vier Bezirke planvoll aufgeteilt. Auch auf den Siedlungswandel seit Ausbreitung der Gewerbe und auf die zweite Siedlungsperiode im 17./18. Jh. geht G. näher ein. -- Aus den Vorarbeiten zu einer Übersichtskarte der ländlichen Siedlungsformen, die für den Sudetendeutschen Kulturatlas geplant ist, bietet K. v. Maydell < 1637> eine Darlegung seiner Forschungsergebnisse für Nordwestschlesien (Freiwaldau, Freudenthal und Jägerndorf), zugleich um zu zeigen, wie die Siedlungsformen eine Geschichtsquelle sind, aus der anderweitige Lücken der Forschung (bei den Ausgrabungen, nach Urkunden und Ortsnamen) ausgefüllt werden können. Die Charakteristik der Orts- und Flurformen lehnt er an W. Eberts Beschreibung an <1936, S. 330>. Nunmehr gilt es, für den untersuchten Kleinraum die Zeitstellung dieser Grundformen zu bestimmen und sie in volklicher, rechtlicher und wirtschaftlich-sozialer Hinsicht zu erklären. v. M. tut dies mit großer Vorsicht und kritischer Besonnenheit; bisweilen geht die geübte Zurückhaltung wohl etwas weit. Mit Recht wird allerdings bemerkt, daß der Tatbestand zahlreicher Wüstungen die Deutung der Siedelformen erschwert. Die Gassen- und Haufendörfer, sowie kleinere Platzdörfer im Altsiedlungsland sind in der Regel als vorkolonial anzusehen; ein Teil der größeren rechteckigen Platzdörfer ist sicher deutsch-kolonialen Ursprungs, jedoch können solche durch Umbau aus älteren slawischen Formen entstanden sein, während die Straßenangerdörfer zumeist koloniale Neugründungen sind. Das Auftreten deutscher Siedler begann etwa 1159--70, damit auch die Einführung der Gewannfluren und der neuen Ortsformen. Zwischen dem Verbreitungsgebiet der Gewannfluren und den Waldhufendörfern ziehen sich kettenartig die Orte mit Fluren vom Gelängetyp hin; daher ist der Gelängeflur ein Übergangscharakter zuzuschreiben. Beide Formen, Waldhufen und Gelänge, kamen zeitlich nebeneinander vor (etwa seit dem dritten Jahrzehnt des 13. Jh.'s); die Annahme eines Einflusses »slawischer Lokatoren« auf die Siedelform der »Gelängedörfer«, wofür auch Ortsnamen zum Beweis herangezogen werden, erscheint nicht ausreichend begründet. Bis etwa 1400 war die Besiedlung des untersuchten Gebietes im wesentlichen abgeschlossen. Sehr ausführlich geht v. M. auf die neuzeitlichen Siedlungen ein und

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bestimmt die Eigenart ihrer Orts- und Fluranlage. Siedlungslücken werden dabei geschlossen; aber großenteils handelt es sich um Wiederaufbau von Fehlgründungen oder anderen Wüstungen, wobei öfter Formen von älterem Typ zur Anwendung gekommen sind. Die jungen Siedelformen treten zahlreich auf; eine Sonderstellung wird nur den großen »Waldstreifendörfern« zugeschrieben, die schon vor dem Dreißigjährigen Kriege zumeist entstanden sind. Die Theorie der bodenständigen germanischen Bevölkerung wird, wenigstens in ihrer scharfen Form, abgelehnt; die Waldhufendörfer können nicht auf Germanenreste, die sich in die Wälder zurückgezogen haben, zurückgeführt werden. Die beigegebene Karte ist mit Umsicht bearbeitet; doch bietet sie noch nicht das vollbefriedigende Vorbild dar, wie man sich solche Übersichtskarten, in denen Orts- und Flurformen gezeigt werden sollen, wünschen möchte.

In Schlesien ist die siedlungsgeschichtliche Forschung nach wie vor rege (vgl. darüber § 51 dieser Jahresberichte). Hier sei eine Arbeit H. Schlengers hervorgehoben < 1475>; gestützt auf vorliegende Einzeluntersuchungen, bietet er ein Übersichtsbild der Verbreitung von Wald und Siedlungsflächen im gesamtschlesischen Raum für die Zeit um 1200, also vor der großen deutschen Kolonisation, und bringt dies nebst wissenschaftlicher Begründung in einer gut gelungenen Kartenskizze zum Ausdruck, die zugleich Anregungen für die Heimatforschung geben soll. Ein beachtliches Ergebnis ist, daß die großen Freiflächen zwischen dem Walde nicht nur Zonen leichter Böden sind, sondern sich auch auf schweren finden (Löß, Schwarzerde, Geschiebelehm). Diese Flächen denkt er sich mit »Vorwerken« und »haufendorfartigen Weilern« besetzt; die durchschnittliche Größe der »slawischen Fluren« schätzt er auf »um 1000 Morgen«. Mit Recht wird die Bedeutung des entworfenen Kartenbildes für die Erkenntnis der politischen Bezirke (Kastellaneien), der Straßen u. a. herausgestellt.

Aus dem westlicheren Bereich ostelbischer Lande liegen einige Arbeiten vor, deren um ihrer allgemeineren Bedeutung willen zu gedenken ist. Frz. Engel < 1624> unternimmt es, die archäologische Methode für die ma.'liche Siedlungsforschung nutzbar zu machen, in einer Untersuchung von Ort zu Ort, in Höfen und Gärten, von Feldmark zu Feldmark, vornehmlich nach zeitlich bestimmbarer Keramik (Ausgrabung von Töpferwerkstätten); er führt dies an Beispielen aus Mecklenburg durch, dem er eine Schlüsselstellung für das Verständnis der nordostdeutschen Kolonisation zuschreibt. Besondere Beachtung schenkt er dabei den wüst gewordenen Siedelplätzen, die er nach drei Perioden zeitlich einreiht: jüngere slawische Zeit bis zur Ostsiedlung, Mittelalter bis 1550, Neuzeit. Sein bisheriges Ergebnis ist das folgende: Zusammenhang mit alter germanischer Siedlung ist nirgends erweisbar; slawische und deutsche Siedlung folgen zeitlich einander. Die deutschen Kolonisten mieden offensichtlich den Ausbau slawischer Dörfer. Deutsche Dörfer sind neben slawischen Dorfstellen, an denen mehrfach der Flurname »Dörpstädt« haftet, entstanden, aber auch ganz neu gegründet worden. Wenn Wenden übernommen wurden, so gaben sie ihre überkommene Kultur auf. Was die Ortsformen anbelangt, so braucht die Sackgasse nicht auf slawische Gründung zu weisen; in den Rundlingen des Südwestens sind bisher keine slawischen Reste aufgefunden worden. »Das mecklenburgische Dorf ist ein Erzeugnis der deutschen Kolonisation.« -- Eine über das räumliche Maß hinausgehende Bedeutung kommt in der norddeutschen Siedlungsgeschichte der Insel Fehmarn zu; haben sich doch dort bei ihrer insularen Geschlossenheit ältere Zustände in Wirtschaft und Wegen,


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alte Formen von Haus und Hof, bisweilen noch von ma.'licher Prägung erhalten. Daher ist eine Arbeit wichtig, in der K. Düring das Siedlungsbild Fehmarns behandelt < 1472>, neben einem besonderen, den dortigen Flurnamen gewidmeten Aufsatz < 1473>. Nach vorausgeschicktem Eingehen auf die landschaftlichen Grundlagen und die vorgeschichtlichen Siedlungen wird das Siedlungsbild für vier Zeitpunkte im Querschnitt dargestellt: die Zeit um 1230 (Waldemars Erdbuch), die schon eine gleiche Siedlungsdichte aufweist wie heute; die Zeit um 1700, in der noch die vom MA. überkommene Flurverfassung bestand, die Zeit um 1840 (Agrarreform) und endlich die um 1930. Um 1230 war die Siedlung schon rein deutsch. Hervorgehoben sei, daß die herrschende Siedlungsform auf planmäßigen genossenschaftlichen Dorfaufbau mit Flurgemeinschaft nach Verwüstung der Insel durch König Erich von Pommern 1419 und die darauf folgende Kolonistenwelle zurückgeführt wird, als Fehmarn Kornkammer der Hanse war. Für die neueren Zeiten wird die Bevölkerungsbewegung, auch die Auswanderung dargelegt. Die einstige Zuwanderung wird aus Dithmarschen, Friesland und Holstein abgeleitet.

Wenden wir uns weiter ostwärts, so ist ein ergebnisreiches Schrifttum zur Siedlungsgeschichte zu verzeichnen. Bei weitem die bedeutendste Leistung ist die gemeinsame Arbeit von Hans und Gertrud Mortensen über die Besiedlung des nordöstlichen Ostpreußens bis zum Beginn des 17. Jhs. < 1627>. Beide Verf., deren frühere Schriften zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde Samlands und Litauens bekannt sind, haben inzwischen ihre Forschungen in immer neuen, eindringenden Studien erweitert und vertieft. So können sie sich in ihrer jüngsten Veröffentlichung mit völliger Beherrschung des Quellenstoffs und wohlabgewogener Urteilsbildung erneut zu den einschlägigen Problemen äußern und kritisch mit anderen wissenschaftlichen Meinungen sowohl deutscher wie polnischer Gelehrter auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang seien die Ergebnisse hervorgehoben, die für die allgemeine Siedlungsgeschichte besonders bedeutsam sind. Dies gilt vorerst von den Ermittlungen zur Feststellung und Kennzeichnung der preußischen Siedlung. Die Verteilung von Siedlungsland und Wald in altpreußischer Zeit erscheint natürlich bedingt; das Siedlungsland zeigt inselförmige Lagerung. Die Siedlungsinseln waren, soweit ein Urteil darüber möglich ist, zu wlostartigen Territorien in der Vorordenszeit zusammengeschlossen; die Wloste zerfielen in Untergebiete, sog. Moter, die abgegrenzt, wahrscheinlich auch in der Natur, gewesen sein dürften und Bedeutung für die Bodennutzung gehabt zu haben scheinen (Vergleich mit dem slawischen opole). Bei der Erörterung der deutschen Besiedlung wird zunächst auf die »Freien« eingegangen, die einen Besitz von Gütern mäßigen Umfangs nach deutschem (Kölmischem oder Magdeburger) Recht innehatten. Darauf folgt die Untersuchung des deutsch-bäuerlichen Besitzes; es ergibt sich, daß die deutschrechtlichen dörflichen Siedlungen volksdeutschen Charakter gehabt haben, nur ganz ausnahmsweise sind später Preußen in ein solches Dorf hineingesetzt worden. Die Art der Dorfgründung wird nach dem bekannten Verfahren beschrieben; das deutsche Dorf ist in der Regel Rodungsdorf, kölmischen »Gärtnerdörfern« kam nur geringe Bedeutung zu. Die deutsche Besiedlung füllte Siedlungslücken aus; geschlossen deutsche und preußische Siedlungsflächen bestanden nebeneinander. Bei der Erklärung der Siedelbewegung (Nachlassen um 1370; neue Siedlungswelle um 1400) wird mit Recht auf militärisch-politische Momente aufmerksam gemacht: Die anderweitige Anspannung der Kräfte des Ordens ließ zeitweilig die Siedeltätigkeit zurücktreten. Eine Karte des preußischen Klein- und


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Mittelbesitzes für die Zeit um 1400 mit Unterscheidung der Freien und Bauern ist beigegeben; auch wird S. 128 ff. ein Versuch zahlenmäßiger Schätzung der Bevölkerung sowie des Besitzes (nach Diensten, Hufen und Haken), dazu auch der Bevölkerungsdichte (11 Einwohner auf den Quadratkilometer) gemacht. Ungewöhnlich aufschlußreich sind die Darlegungen über die Wildnis (Tl. II, S. 5 ff.). Keineswegs war sie menschenleer; es gab eine Wildnisbevölkerung, die nicht bodenständig war, jedoch Standquartiere meist am Wildnisrand oder vor den Burgen hatte und in mannigfaltiger Weise die Wildnis nutzte. Auch war diese nicht »Niemandsland«, der Orden gebot darüber als Landesherr bis zur Siedlungsgrenze der Litauer; ihr Wert als zukünftiges Siedlungsland war erkannt. Sodann werden nach prähistorischen Ermittlungen und jüngeren Nachweisen die Wohnsitze und Lebenszustände der früheren Völker auf dem Boden der Wildnis untersucht: es sind Nadrauer, Sudauer und Schalauer von preußischer Nationalität, dazu die Kuren in den südkurländischen Landschaften und, ohne voll zu erreichende Sicherheit, Karschauen. Ihre Gebiete sind zur Wildnis geworden; wie dies geschehen ist, aus welchen Ursachen die Verödung und Entsiedlung eintrat, wie sich die Abwanderung vollzog, wie die Verfassung und Ernährungsmöglichkeit einer verbleibenden Restbevölkerung zu denken sei, darüber werden höchst lehrreiche Beobachtungen angestellt, die ganz allgemein für die Beurteilung vergleichbarer Vorgänge der Wanderungen und Ansiedlung beachtlich sind. Ein knapp gehaltener Abschnitt behandelt die Entwicklung von 1410--1475 im Ordensgebiet, den Rückgang der Bevölkerung und Stillstand des großen Siedelwerkes des Ordens, ganz verhängnisvoll allerdings erst seit der Zeit um den zweiten Thorner Frieden.

Auch mehrerer Einzelarbeiten zur Geschichte der Ostsiedlung ist zu gedenken. In einem Aufsatz, der durch Vergleich der nördlichen und südlichen »Grenzmark« die verschiedenartigen Möglichkeiten des Besiedlungsvorgangs beleuchtet, stellt H. Schleinitz < 1454> die Umgestaltung des Landschaftsbilds durch die ma.'- liche ostdeutsche Kolonisation in ihren Grundzügen anschaulich dar. Wird im Norden das System der deutsch-rechtlichen Siedlung hauptsächlich auf schon bestehende Siedlungen durch Umsetzung angewendet, so sind für den Süden, das noch bewaldete Fraustädter Ländchen, die Aussetzungen zu deutschem Recht charakteristisch. Somit ist Anlaß gegeben, auf die slawische Orts- und Flurverfassung einzugehen; nach dem Zerfall der Großfamilie und dem Übergang des Grundbesitzes an die Kleinfamilien trat Zersplitterung der einzelnen Flurblöcke ein, so daß eine Art »unechter Gewanne« entstand (nach W. Eberts Bezeichnung würde es sinngemäß heißen: Blockgewanne). Danach schildert Schl. das Verfahren bei der Umsetzung und der Bildung echter, »rationaler Gewanne« (meist in vier rechteckigen Stücken), sowie die Anlage der neuen Dörfer bei Waldesrodung. Angaben über das Auftreten der fränkischen Hufe (zu zwölf Ruten, bisweilen mit abweichender Berechnung der Zinslast), über Dreifelderwirtschaft, die Pflugarten, die Verbreitung der Dorfformen schließen sich an. Wie die ländlichen Normtypen, so hat erst die ma.'liche Kolonisation auch die Städte geschaffen; bemerkenswert ist deren Streben, die Schulzenämter in städtische Hand zu bringen und in den Dörfern das Handwerk nicht zum Wettbewerb heranwachsen zu lassen. -- Der Siedeltätigkeit des deutschen Ordens von 1410--1466 hat K. Riel eine fleißige Arbeit gewidmet < 1628>. Auch er vermag kein erfreuliches Bild zu zeigen. An der Absicht planmäßiger Siedlung hielt der Orden fest. Der Erfolg durch Anlage von Bauerndörfern aber war schwach, nur zeitweilig etwas belebter. Besser glückte die Gutssiedlung.


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lmmerhin gelang es, alte Siedelgebiete an der Siedlungsfront aufzufüllen. Bei den Preußen fand Übergang zur Dorfgemeinschaft statt, der Unterschied von deutschen und preußischen Dörfern wurde nun nicht mehr streng festgehalten; etwa seit dem letzten Drittel des 15. Jh.'s setzte die Einwanderung von Masuren stärker ein. -- Erfreulicherweise mehren sich die Arbeiten, die der deutschen Ostsiedlung in neuzeitlichen Jahrhunderten zugewandt sind. Eine auf sorgfältig gesammeltes Quellenmaterial gestützte Untersuchung H. G. Osts < 1633> gilt den Landstrichen zwischen dem Bereich der ersten deutschen Ostsiedlung und dem posen-pommerschen Gebiet, in dem heutigen Regierungsbezirk Schneidemühl und dem angrenzenden Hinterpommern. Hatte die Kraft im 14. Jh. nicht mehr zu voller Besiedlung gereicht, so kam es zu neuen Gründungen im 16. Jh., teilweise auf wüsten Feldmarken, wie sie namentlich in der Nähe der politischen Grenzen lagen, am Rande des im MA. besiedelten Gebiets. Förderlich war der Drang der Bauern nach eigener Wirtschaft, als das Bauernlegen bedrohlich ward. Auch der Adel kolonisierte, öfter um nach getaner Rodungsarbeit das Land zu den Gütern zu ziehen. Als Dorfform tritt das »Rechteckangerdorf« (nach Schlenger) auf, wo die Talaue den Dorfanger einnimmt; die Flur weist »kurze Waldhufen« auf. Die bäuerliche Wanderung und damit die Kolonisation mit deutschen Siedlern griff über die Grenzen nach Polen hinüber. Eine Einzelstudie über ein Grenzdorf (Doderlage) geht näher auf den Vorgang und seine wirtschaftlich-sozialen Ursachen ein < 1634>. Der größeren Arbeit W. Schulz's über die zweite deutsche Ostsiedlung im Netzegau < 1632> soll ausführlicher gedacht werden, wenn sie erst vollständig, mit Quellenband, vorliegt. War die Tätigkeit Herzog Albrechts von Preußen und seiner Regierung für die Wiederaufnahme der Kolonisation bisher schon bekannt, so erfährt dies jetzt neue Beleuchtung in einem Aufsatz A. Pogodas < 1629>, der ein ins einzelne ausgeführtes Bild für ein engeres Gebiet, den Kreis Lyck, entwirft. Die jüngeren Maßnahmen des preußischen Staates zur Kolonisation der ihm angefallenen polnischen Gebietsteile kennzeichnet A. Müller < 1631>, indem er eine richtigere Würdigung dieses Vorgehens und seiner Bedeutung für Polens Siedlungsgeschichte in neuester Zeit anbahnt. Hingewiesen sei endlich auf einige Arbeiten zur Geschichte der neuzeitlichen Landnahme im Südosten, auf die an anderer Stelle dieser Jahresberichte einzugehen sein wird < 1651--1654> (vgl. S. 668 ff.), im besonderen auf die Ausführungen Joh. Kallbrunners < 1649> über die Kolonisation im Banat unter Karl VII. und Maria Theresia, die im vollen Sinne ein staatliches Unternehmen war, zugleich mit dem Erweis, daß die deutsche Südostsiedlung als Reichsangelegenheit galt.


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