I. »Forschungen zur Judenfrage.«

Die bahnbrechende Neuerscheinung des Berichtsjahres und die erste Verwirklichung des Programms einer deutschen Judenfrageforschung bilden die unter dem Titel »Forschungen zur Judenfrage« veröffentlichten Vorträge der ersten beiden Tagungen des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands < 1839>. Sie tragen ihr besonderes Gepräge dadurch, daß in ihnen Angehörige nahezu sämtlicher wissenschaftlicher Disziplinen Themen aus den verschiedensten Bereichen des jüdischen Lebens behandeln, daß aber alle übereinstimmend den Blick auf das eigentliche Wesen des Judentums richten. Schon in den ersten Tagungen ist es gelungen, bestimmte allgemeine Ergebnisse zu erzielen und manche, oft überraschende Gesetzmäßigkeiten festzustellen: etwa Zeichen der gleichen parasitären Lebensweise der Juden in der antiken wie in der modernen Welt oder das Gebundensein aller Juden an die talmudische Denkweise, mögen sie auch abtrünnig (Spinoza), glaubenslos geworden (Marx) oder konvertiert sein (Stahl).

Die Vorträge von G. Kittel und K. G. Kuhn über Entstehung des Judentums und des talmudischen Denkens, über Weltjudentum in der Antike und das Konnubium von Juden mit Nichtjuden im Altertum (in Bd. 1 u. 2) sind als grundlegende Untersuchungen auch für die deutsche Geschichte von Wichtigkeit. Herbert Meyer behandelt ausführlich in Fortführung älterer eigener Forschung das Hehlerrecht der Juden und Lombarden (Bd. 1, S. 92--109), jenes den Juden vom Kaiser bestätigte, germanischem Rechtsempfinden zuwiderlaufende Privileg, wonach die Juden, ohne Gefahr zu laufen, Diebesgut kaufen und zu Pfande nehmen konnten. Er legt dar, daß dieses Hehlerrecht talmudischer Herkunft, altes jüdisches Nationalrecht ist. Es ist den Juden ebensowenig wie das Zinsleihgeschäft aufgedrungen, sondern von ihnen selbst gewollt und seine Bestätigung durch den Gesetzgeber von ihnen durchgesetzt worden. Erst 1548 und 1577 wurde es reichsgesetzlich aufgehoben, und bis in das 18. Jh. hielten sich seine Reste noch in den Territorien. (Dazu auch H. Meyer, Das jüdische Hehlerrecht, Dt. Rechtswiss. Bd. 2, S. 97--111.) -- Mit dem Einfluß des Judentums auf Staat und Wirtschaft der Neuzeit beschäftigen sich die Vorträge von Pleyer, Lorenz, Heckel und Ziegler. K. Pleyer, Das Judentum in der kapitalistischen Wirtschaft (Bd. 2, S. 154--169) gelangt nach einem Überblick über den Anteil der Juden an den verschiedenen Zweigen des kapitalistischen Wirtschaftslebens zu der Feststellung, daß sich die Juden im deutschen Herbergsstaat mittels ihrer Herrschaft in der Wirtschaft eine Art Ersatzstaat geschaffen hatten. Dieser jüdische Wirtschaftsstaat unterhöhlte mehr und mehr den deutschen Staat, bis sich das deutsche Volk zuerst durch den Aufbau genossenschaftlicher Selbsthilfeorganisationen, dann in der nationalsozialistischen Bewegung erfolgreich zur Wehr setzte. Einer ähnlichen politischen Betrachtung unterwirft O. Lorenz (Bd. 2, S. 143--153) die Persönlichkeit Karl Marx'. Er weist auf Grund einer Untersuchung seiner ersten Schriften überzeugend nach, daß bei Karl Marx nicht sozialistische Ideen, sondern ein ins Destruktive gewendetes politisches Machtstreben die Triebfeder seines Handelns war <vgl. auch 2154>. Die Stellung Walther Rathenaus zum jüdischen Volk und zum deutschen Volk untersucht W. Ziegler (Bd. 2, S. 170--181) besonders an


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Hand der literarischen Äußerungen. So wie Rathenau seine erste überraschend hellsichtige Stellungnahme zum Judenproblem später fallen lassen mußte und ausdrücklich widerrief, so zeigen seine zwiespältigen Bekenntnisse zum Deutschtum, daß er trotz aller Assimilationsversuche Jude war und blieb. Aus seinem politischen Wirken und seinem wirtschaftlichen Denken geht das nicht weniger deutlich hervor. -- Scheinbar am vollkommensten ist die Eindeutschung dem Programmatiker der preußischen Konservativen Friedrich Julius Stahl gelungen. J. Heckel < 2650> weist jedoch in eindringender Analyse einzelner staats- und kirchenrechtlicher Thesen nach, daß Stahl den konservativen Staatsbegriff und den lutherischen Kirchenbegriff entscheidend umgebogen hat. Seine dem jüdischen Geist eigene Fähigkeit, ein fertiges, in juristische Formeln gekleidetes System als scheinbare Lösung der Probleme darzubieten, mit denen der deutsche Staat rang, hat Stahl den ungeheuren Einfluß in der Politik und der Wissenschaft eingebracht.

Die gleiche Fragestellung nach den Ursachen der Einbruchsmöglichkeit der Juden liegt auch den geistes- und literaturwissenschaftlichen Vorträgen zugrunde. M. Wundt gibt einen Überblick über das Judentum in der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der letzten Jahrzehnte (Bd. 2, S. 75--87). W. Stapel < 1851> zeigt die Methoden auf, mit denen die Juden systematisch die literarische Vorherrschaft in Deutschland zwischen 1918 und 1933 zu erringen suchten: durch Beherrschung des Verlagswesens und der Presse, durch Einfluß auf Feuilleton und Buchbesprechung, durch Totschweigen und Hinaufloben, bald durch Verheimlichung, bald durch Betonung des Judentums. In einem weiteren Aufsatz hat Stapel am Beispiel Kurt Tucholskys und mit einer Fülle von Zitaten diese Erkenntnisse belegt (Bd. 2, S. 182--215). Tief in die Zerspaltenheit und innere Unwahrhaftigkeit des Assimilationsjudentums hinein leuchtet der Vortrag von F. Koch, Jakob Wassermanns Weg als Deutscher und Jude (Bd. 1, S. 150--164). Charakteristisch ist der Fall dieses jüdischen Literaten insofern, als Wassermann zwar um das Problem der Rasse weiß, er es aber stets wegzudeuten oder zu verkleinern sucht und doch nicht davon wegzukommen vermag.

Die bedeutsame und bisher noch nicht befriedigend gelöste Frage »Goethe und die Juden« hat F. Koch < 2611> in seinem Vortrag auf der zweiten Tagung der Klärung nähergeführt. Weder Goethes angeblicher Spinozismus noch seine Hochschätzung des Alten Testaments erlauben, ihn zum Freund des Judentums zu stempeln, das er sehr wohl vom alten Israel zu unterscheiden wußte. Bejahte er in seiner organisch-biologischen Weltauffassung alles, was sich in seiner Eigenart zu behaupten verstand, also auch die Juden, wenn sie Fremde blieben, so lehnte er die Emanzipationstendenz der modernen Juden mit steigender Entschiedenheit ab. Er mißbilligte die Ansprüche der Juden in seiner Heimatstadt Frankfurt auf Gleichberechtigung (1808) und erklärte seine Zustimmung zu den Ansichten der beiden Professoren Rühs und Fries, der entschiedenen Verfechter des völkischen Gedankens in der Judenfrage (1816).


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