III. Einzelne Zeitabschnitte.

In der Arbeit von S. Katz < 1841> über die Juden im Westgoten- und Frankenreich ist das lateinische Quellenmaterial (zumeist staatsrechtliche und kirchenrechtliche Quellen) zusammengetragen und wird in systematischer Ordnung dargeboten. Zu einer wirklich historischen Verarbeitung dringt der Verf. aber nicht vor. Als Ergebnis dürfte festzustellen sein, daß die Alleinherrschaft des Christentums einerseits, das Eindringen des germanischen Fremdenrechts andererseits die Lage der Juden gegenüber ihrem Zustand in den ersten Jahrhunderten grundlegend verändert haben. Der Übergang der Westgotenkönige vom Arianismus zum Katholizismus bedeutete eine weitere Verschlechterung ihrer Situation. Im einzelnen werden die Versuche der Judenbekehrung, die Verbote, Mischehen einzugehen, christliche Sklaven zu halten, Land zu erwerben, die peinliche Gerichtsbarkeit auszuüben, ihr Ausschluß von den öffentlichen Ämtern und die Aufsicht über ihr Kultus- und Gemeindeleben geschildert (Rez. von A. Marx, Amer. histor. Rev., 43, 1938, S. 588 f., der die mangelnde Vertrautheit des Verfassers mit den hebräischen Quellen bedauert). -- Der Aufsatz von R. Ruth über Wucher und Wucherrecht der Juden < 1844> kommt zu bedeutsamen Ergebnissen. Im frühen und hohen MA. stellten die großen weltlichen und geistlichen Herren den Hauptteil der Schuldner der Juden, im späten MA. verlagert sich das Schwergewicht auf die kleinen Bürger und Bauern. Seit dem 14. Jh. sind weniger religiöser Fanatismus als vielmehr soziale und wirtschaftliche Motive Ursache der Judenverfolgungen. Seitdem pflegen Schuldentilgungsmaßnahmen und Festsetzungen des Zinsmaximums durch die Obrigkeit mit den Unruhen verbunden zu sein. Die Darlehen der Juden waren keine Produktiv-, sondern Konsumtivkredite. Im allgemeinen herrschte das Nutzpfand vor, das den Juden höheren Gewinn


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einbrachte. Von weiterem Vorteil für sie war das Hehlerrecht und ihre eigene Gerichtsbarkeit. Bezeichnenderweise blieb ihr Anteil am frühkapitalistischen Großhandel und am Hansehandel, ja selbst am handwerklichen Kleinhandel sehr gering, auch noch ehe die Bildung der Zünfte ihren Zutritt zum Handwerk ohnehin verhinderte. -- G. Franz, Der Jude im katholischen Kirchenrecht (Dt. Rechtswiss., Bd. 2, S. 157--166) zeigt, daß die katholische Kirche nur scheinbar den Juden lediglich als Ungläubigen, den es zu bekehren gilt, betrachtet hat. Aus den Sätzen des 4. Laterankonzils und späteren Bestimmungen wird deutlich, daß sie in ihm auch den von Natur aus Andersgearteten, den Rassefremden, sah. Die scharfe gesellschaftliche Trennung von Juden und Christen ist von da aus zu verstehen. Besonders stark war der Einfluß der westgotischen und spanischen Rassegesetzgebung auf das Judenrecht der katholischen Kirche, zuletzt noch in den »Arierparagraphen« des Jesuitenordens. Erst im 19. und 20. Jh. hat sich eine entscheidende Liberalisierung der Ansichten der Kirche vollzogen, die im neuen Codex iuris canonici ihren letzten Niederschlag gefunden hat. -- H.-K. Claußen, Der Judeneid (Ebd. S. 166--189) legt dar, daß der Judeneid im Westgotenreich eingeführt wurde und von dort in die ganze abendländische Welt gedrungen ist. Das Problem, eine Formel zu finden, die den Juden an die Erfüllung seines Wortes band, hat die Rechtsbücher und Juristen stark beschäftigt. C. stellt zahlreiche lateinische und deutsche Formeln nebeneinander. Erst 1869 ist in Preußen der besondere Judeneid abgeschafft worden. -- G. Kisch, der eine ausführliche Geschichte des Judenrechts im ma.'lichen Deutschland zu schreiben beabsichtigt, erörtert in zwei größeren Aufsätzen <1936, 1721; 1937, 1843> methodische Vorfragen, beschreibt die bisherige Forschungslage (unter bewußter Verkleinerung der deutschen Leistungen seit 1933) und stellt die Quellen für das ma.'liche Judenrecht zusammen. In seiner zweiten Arbeit schildert er eingehend die auf Juden bezüglichen Stellen im Sachsenspiegel, dringt jedoch noch nicht zu wesentlichen inhaltlichen Ergebnissen vor. Erst wenn weitere Untersuchungen Kischs vorliegen, wird ein zusammenfassendes Urteil möglich sein. (Vgl. auch die gekürzte Zusammenfassung von G. Kisch, Jüdisches Recht und Judenrecht. Ein Beitrag zur wissenschaftlichen Grundlegung für eine Rechtsgeschichte der Juden. In: Festschrift Dr. Jakob Freimann, Berlin, S. 94--105, u. I. Elbogen, »Judenrecht« als wissenschaftliche Disziplin, Z. Gesch. Juden Deutschland, Jg. 7, S. 65--71.) -- Da die Drucklegung des 2. Bandes der Germania Judaica, der die Zeit von 1238 bis 1350 umfassen soll, noch nicht abzusehen ist, haben die Herausgeber in der Z. Gesch. Juden Deutschland < 1842; ferner Jg. 7, S. 226--234> vorerst ein Register der Orte und Personen, mit knappen Quellenangaben versehen, veröffentlicht.

Eells < 1845> macht auf eine Auseinandersetzung Bucers mit der Judenfrage aufmerksam. Als dieser mit dem Landgrafen Philipp von Hessen in Fragen der Kirchenordnung Beratungen pflog, wurden seine von den Anschauungen des Landgrafen etwas abweichenden Ansichten über die Juden von diesen in die Öffentlichkeit gebracht, und er sah sich gezwungen, die Schrift »Von den Juden« zu seiner Verteidigung zu publizieren. -- In zwei Aufsätzen zeigt Selma Stern-Täubler < 1853, 1854>, daß die Verfassung der Juden im Staate Friedrich Wilhelms I. eng mit der Entwicklung der allgemeinen Landesverfassung zusammenhing; die Schaffung des Generaldirektoriums änderte auch


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ihre Stellung grundlegend und bedeutete den endgültigen Bruch mit dem MA. Im Justizwesen dagegen blieben unter Friedrich Wilhelm I. die alten Verhältnisse im ganzen bestehen. Die Verf. findet in der persönlichen, durchaus ablehnenden Haltung des Königs gegen die Juden einen Widerspruch zu seinen vom Geist des Absolutismus und des beginnenden Rationalismus getragenen Staatsreformen. Sie sieht mit Recht den Grund dazu in seinem gläubigen Protestantismus, betrachtet diesen aber als anachronistisch und verkennt dabei die Stärke, die der Pietismus in der ersten Hälfte des 18. Jh.'s besaß. -- Das Buch von M. J. Cohen, Jacob Emden, a man of controversy (Philadelphia, The Dropsie College, 336 S.), das den Hamburger Amulettenstreit zwischen Emden und Eibeschütz aus dem 18. Jh. behandelt und der Besprechung von E. Fraenkel zufolge (Z. Gesch. Juden Deutschland, Jg. 7, S. 248--251) ein aufschlußreiches Bild von den wenig bekannten geistigen und sozialen Zuständen der Juden in dieser Zeit und dem Parteiengezänk in ihren Reihen bietet, ist dem Berichterstatter nicht zugänglich gewesen.

»Sulamith«, die erste jüdische Zeitschrift in deutscher Sprache, ist Gegenstand einer eingehenden Untersuchung von S. Stein (Z. Gesch. Juden Deutschland, Jg. 7, S. 193--226). Von 1806 bis 1848, aber regelmäßig nur bis zu den Freiheitskriegen erschienen und auch nur bis zu diesem Zeitpunkt von politischer Bedeutung, war sie das Organ eines aufklärerisch gesonnenen, zu religiöser Reform neigenden Judentums. Wichtig ist sie durch ihre aktive Pressepolitik im Sinne der Emanzipation geworden. Sie verfolgte die Judenpolitik der Rheinbundstaaten und übte auf die Regierungen einen nicht geringen Einfluß aus. Für die Geschichte des jüdischen Konsistoriums im Königreich Westfalen ist sie Quelle ersten Ranges. Übrigens zählte sie zahlreiche Deutsche, Juristen und Pfarrer, zu ihren Mitarbeitern. -- In dem Aufsatz E. Schaumkells < 139> über Jakob Burckhardt und die Gegenwart sind auf S. 421--423 Burckhardts wesentlichsten Äußerungen zur Judenfrage zusammengestellt.

Für die jüngste Geschichte der Judenfrage und des Antisemitismus sind Memoiren und memoirenartige Werke von hohem Quellenwert. Diesmal sind zwei Veröffentlichungen zu erwähnen. Graf Reventlow < 1849> schildert aus den Erfahrungen seines eigenen politischen Kampfes heraus und mit reichem Bildmaterial unterstützt in lebendiger Form die Entwicklung von 150 Jahren Judenfrage. Er geht von der Judenherrschaft während der Novemberrepublik aus, um dann zurückzugreifen und, mit der Aufklärungszeit einsetzend, den stetig steigenden Einfluß der Juden zu schildern bis zu dem Zustand, den der Nationalsozialismus 1933 vorfand. Seinen eigenen Reiz erhält das Buch durch die zahllosen Zitate aus den Pressekämpfen der Zeit, die den aktiven Publizisten aus seiner Erinnerung schöpfend verraten. Besonders reich an zeitgenössischen Äußerungen ist der Abschnitt »Kaiser Wilhelm II. und die Juden«. -- Einen lehrreichen Blick in die aufreibende, oft undankbare Kleinarbeit des antisemitischen Kampfes in der Vorkriegszeit läßt uns W. Buchow tun < 1850>. Er wuchs um die Jahrhundertwende in die Berliner antisemitische Bewegung hinein, war in der Schriftleitung des »Hammers« und der »Staatsbürgerzeitung« tätig und vertrat den rassenantisemitischen Standpunkt. Die vielfachen kurzlebigen Gruppen, Vereine und Blätter, zumal in Berlin, die sich antisemitisch betätigten, ziehen an den Augen des Lesers vorüber. Wir vermissen nur ein Register des Buches, da bei dem Fehlen einer umfassenden Darstellung


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jedes solche Werk als Nachschlagemittel benutzt werden muß. Die Erinnerungen sind bis zur Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei geführt.


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