III. Quellen.

Wir müssen einmal dahin gelangen, daß die ältesten vorhandenen Bevölkerungslisten lückenlos für das gesamte deutsche Siedlungsgebiet in Stadt und Land der Forschung bereitstehen. Daß dieses Ziel nicht unerreichbar fern ist, lassen viele Veröffentlichungen gerade der letzten Zeit erhoffen. Beispielhaft ist das große Unternehmen des Landes Mecklenburg, dessen Bauernlisten des 15. und 16. Jh.'s nach Ämtern geordnet in etwa 30 Bänden gedruckt werden sollen, von denen zuerst der das Amt Boizenburg betreffende Band in der Bearbeitung von G. Tessin erschienen ist < 1542>. Das originalgetreu


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wiedergegebene Material beginnt bereits mit Bederegistern aus der Mitte des 15. Jh.'s und erstreckt sich über rund 150 Jahre, so daß sich der Bevölkerungswechsel in den einzelnen Orten leicht ablesen läßt. Hierin liegt auch der besondere Wert der Arbeit von J. Schultze für das Land Ruppin < 1541>, der Listen von 1491--1700 benutzte, während sich E. Kittel für den Barnim < 1540> mangels älterer Unterlagen im wesentlichen auf Wiedergabe des Landreiterberichts von 1652 beschränken mußte. Unter stärkerer Berücksichtigung agrargeschichtlicher Gesichtspunkte weist A. Birch-Hirschfeld < 1535> die Bewohner der bischöflichen und domkapitularen Kämmereidörfer im Ermland aus neuentdecktem Material des 17. Jh.'s nach. Auf gleichartigen, aber auch jüngeren Unterlagen wie Steuerregistern und Stammrollen bis ins 18. Jh. hinein beruhen H. Borstelmanns Personenlisten des Amtes Zeven < 1697>; hier ist der Stoff durch Anordnung nach Familiennamen und durch genealogische Zusätze sippenkundlich bereits zugerüstet. In der vom Reichsnährstand herausgegebenen Serie »Quellen zur bäuerlichen Hof- und Sippenforschung« erschien ein Heft mit Kolonistenverzeichnissen aus einigen Warthebruchgebieten < 1536>. Diese von W. Schulz sehr umsichtig bearbeiteten Listen von 1768--72 sind siedlungs- und familiengeschichtlich dadurch besonders aufschlußreich, daß sie in allen Fällen genau die Herkunft der Siedler -- rund 50 v. H. sind deutsche Rücksiedler aus Polen -- angeben und erkennen lassen, daß schon nach einem Jahrzehnt 90 v. H. der Kolonisten wieder abgewandert sind. Statistisch und namengeographisch wertet F. Spatzal < 1564> eine Bevölkerungsliste der Graf Gallasschen Herrschaft Reichenberg vom Jahre 1651 aus. Noch zahlreicher sind entsprechende Veröffentlichungen aus Städten. Ein Material, wie es in seiner Reichhaltigkeit und Vollständigkeit wohl noch für keine Stadt gesammelt worden ist, hat H. Apel < 1714> für Jena aus allen zur Verfügung stehenden Quellen zusammengetragen. Er verzeichnet nach Familien geordnet die gesamten überhaupt noch feststellbaren Einwohner in 3½ Jahrhunderten vor 1600, dem Beginn der Kirchenbücher. Für jede einzelne Angabe ist die Quelle genannt, so daß der Benutzer leicht weiterforschen kann. Ähnlich umfassend ist L. Andresens Sammlung für die Bevölkerungs- und Sippenkunde Tonderns < 1545>, die allerdings eine jüngere Zeitperiode betrifft. Hier findet man alles verarbeitet, was an Aktenmaterial vom 16. bis 19. Jh. über Namen und Herkunft der Stadtbewohner Aufschluß gibt, darunter eine rekonstruierte Neubürgerliste seit 1593, die eigentlichen Bürgerbücher seit 1699, Beamtenlisten und Nachweise verschiedenster Art. Das Werk ist aber nicht bloß Quellensammlung, denn darin finden sich auch Ausführungen zur Bevölkerungsgeschichte und Statistik der Stadt, die das gegebene Material nach vielen Seiten auswerten. Der Abdruck von Bürgerbüchern, deren sippenkundliche Bedeutung immer mehr erkannt wird, schreitet in erwünschter Weise weiter fort. Das verhältnismäßig alte, von 1492 bis 1621 reichende Bürgerbuch des bischöflich-halberstädtischen Amtsstädtchens Hornburg erschien in mustergültiger Bearbeitung mit Hinweisen auf anderes örtliches Quellenmaterial < 1548>. In Weinheim an der Bergstraße liegen seit 1612 Bürgeraufnahmen in Ratsprotokollen vor < 1560>, die dem Forscher vielfach mehr Anhaltspunkte bieten als listenmäßige Aufführungen der Neuaufgenommenen. An weiteren Bürgerrechtsbüchern und gleichartigen Listen sind zu erwähnen aus dem 16. Jh. die von Ingolstadt < 1732>, Hildburghausen < 1549>, Saaz < 1565>, aus dem 17. Jh. die von Wesel < 1559>, Küstrin < 1538>, Uerdingen

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< 1558>, Görlitz <in 1705, S. 34--83> und schließlich das von Schlichtingsheim < 1537> seit 1799. Groß ist die Zahl städtischer Einwohnerlisten aus einzelnen Jahren. Unter ihnen seien besonders hervorgehoben die von S. Federle < 1561> zum Abdruck gebrachten Verzeichnisse der Wertheimer Bürger von 1605 und 1640 in vielsagender Gegenüberstellung. Für den Sippenforscher in Magdeburg, wo die Quellen vor dem Dreißigjährigen Kriege ja nur spärlich fließen, sind wichtig die Personalauszüge, die H. Leist < 1712> vornehmlich aus Lehnbüchern angefertigt hat. Einen selten anzutreffenden Quellenstoff macht C. Schöner < 1729> bekannt mit seinem Verzeichnis von Abschiedsbriefen, die der Rat zu Schweinfurt 1553--1613 Wegziehenden ausgestellt hat; sie werden ähnlich wie die Bürgerbücher manchen Familienforschern die Brücke von einem Ort zum andern schlagen helfen. Dasselbe gilt von den Exulantenlisten, die K. Haensch < 1706> aus Zittauer und J. Kirnbauer < 1709> aus Bernstadter Kirchenbüchern des 17. Jh.'s zusammengestellt haben; es handelt sich in beiden Fällen zumeist um Glaubensflüchtlinge aus Böhmen. Im Pfarrarchiv zu Bad Schandau finden sich rund 1000 handschriftliche Lebensläufe aus der Zeit von 1696--1837, die, vom Schulrektor verfaßt, vom Pfarrer im Anschluß an die Leichenrede verlesen wurden. Dies für die Sippenkunde eines ganzen Pfarrbezirks ungemein ergiebige Quellenmaterial machte H. Voigt < 1708> bekannt. A. Haemmerle < 1562> legt die vom 15. bis zum 18. Jh. reichenden Augsburger Hochzeitsbücher vor, die einen ähnlichen Quellenwert wie die kirchlichen Kopulationsregister haben, jedoch nur die oberen Schichten der Stadteinwohner betreffen. Ein umfangreiches Namenmaterial zur Sippenkunde deutscher Hugenotten ist enthalten in den von W. Beuleke zusammengestellten Nachrichten über Herkunft und Personalien der ersten Hugenotten in Hameln < 1698> sowie in H. Milbradts Verpflegungs- und Unterstützungslisten aus Hessen-Kassel < 1719>, beide vom Ende des 17. Jh.'s. Als Vorfrucht der von ihm vorbereiteten Presbyterologie der Provinz Brandenburg ließ O. Fischer < 2514> ein Heft über die Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche erscheinen, während H. Graf < 1711> seinen Abdruck der anhaltischen Ordiniertenbücher des 17. und 18. Jh.'s fortsetzte. Die Reihe gedruckter Universitätsmatrikeln ist durch zwei große Publikationen ergänzt worden. Von der Ingolstädter Matrikel < 1563>, über deren Herausgabe bisher ein Unstern waltete, ist bereits 1906 der älteste Teil gedruckt worden, aber nicht in die Öffentlichkeit gelangt; er ist nun als erster, die Zeit von 1472--1600 umfassender Band ausgegeben worden, dem noch mehrere Bände für Ingolstadt bis 1800, für Landshut bis 1821 und für München bis 1872 nebst drei Registerbänden folgen werden. Mit nicht geringerer Freude begrüßen wir das Erscheinen der von G. v. Selle bearbeiteten Göttinger Matrikel < 1544>. Gerade die Georgia-Augusta hat ja als einer der geistigen Mittelpunkte Deutschlands viel weiter als die meisten ihrer Schwestern ihre Anziehungskraft ausgeübt, was sich in der Zusammensetzung der über 40_000 Studierenden im ersten Jahrhundert ihres Bestehens deutlich widerspiegelt. So gehört diese Veröffentlichung zu den bedeutendsten Quellenwerken, deren Inhalt nach den verschiedensten Seiten hin unerschöpflich erscheint. Der Familienforscher wird es bedauern, daß der Göttinger Matrikel kein Ortsregister hat beigegeben werden können, weil die Herkunftsbezeichnungen zumeist nur auf das Land (politische Heimat) gehen. In kleinerem Rahmen bringt reiches personengeschichtliches Material auch Kuhlmanns Schülerverzeichnis

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des Gymnasiums zu Soest < 1555>, das von vielen Auswärtigen besucht wurde, sowie J. Hösers Verzeichnis der sächsischen Kadetten < 1707>, worin wohl kein Adelsname des derzeitigen Sachsen fehlt.


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