V. Ahnentafeln.

Die Erforschung und Veröffentlichung von Ahnentafeln hat in den letzten Jahren einen beträchtlichen Umfang angenommen. Von F. Weckens Sammlung »Ahnentafeln um 1800« < 1685> kam der vierte Band zum Abschluß. Die Leipziger Zentralstelle ließ nach längerer Fortsetzungspause die Schlußlieferung des zweiten Bandes ihrer »Deutschen Ahnentafeln« < 1683> hinausgehen. Er bringt auf 576 Quartspalten insgesamt 34 z. T. sehr weit ausgebaute Ahnentafeln, also eine unvergleichliche Fülle genealogischen Materials. Auf Grund inzwischen gemachter Erfahrungen ist man in der neuesten Lieferung von der früher durchweg gebrauchten Listenform weitgehend zur übersichtlicheren Tafelform übergegangen. Auch tragen beigegebene kritische Erörterungen und soziologische Auswertungen des dargebotenen Stoffes den Fortschritten der wissenschaftlichen Ahnenforschung in erwünschter Weise Rechnung. Unter den Einzelbeiträgen verdient die Ahnentafel Schmidt < 1780> nicht nur wegen ihres großen Umfanges und inhaltlichen Reichtums, sondern auch wegen ihrer systematischen Durchdringung (von J. Hohlfeld), welche die Daten und Zahlen in ihrem inneren Zusammenhang zu erfassen sucht, besondere Beachtung. Diese Art der Bearbeitung hat sich in den »Ahnentafeln berühmter Deutscher«, die gleichfalls um mehrere Hefte vermehrt werden


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konnten, bereits länger aufs beste bewährt. Daß solche Grundsätze im einzelnen keineswegs die Anwendung eines bestimmten Schemas bedeuten, vielmehr in der Behandlungsweise je nach Gegenstand und Fragestellung genügend Spielraum lassen, macht ein Blick auf einzelne Arbeiten selbst deutlich.

Einen kleinen, aber recht bedeutsamen Beitrag zur ältesten Entwicklungsgeschichte des Ahnennachweises in Deutschland liefert Fr. v. Klocke, indem er auf eine bisher nicht beachtete »niederrheinische Ahnenbeurkundung von 1352« (Rhein. Heimatpflege 9, S. 437--42), ausgestellt vom Kölner Erzbischof für ein Edelfräulein von Isenburg, aufmerksam macht. Der rassische und volkliche Deutungsversuch, dem P. Rassow < 1743> die Ahnentafeln Friedrich Barbarossas und Heinrichs des Löwen vergleichsweise unterzieht, ist vielleicht weniger in seinem Ergebnis als methodisch von Belang. Sein schon bei Friedrich dem Großen durchgeführtes Verfahren in der Bearbeitung fürstlicher Ahnentafeln wendet E. Brandenburg auch in seinen Werken über die Ahnen Augusts des Starken < 1744> und Maria Theresias < 1745> an. An Hand der bis zur 13. Generation zurückgeführten Tafeln werden nacheinander näher untersucht und tabellenmäßig erläutert: 1. Ahnenverlust, 2. nationale Blutszusammensetzung, 3. Anteil einzelner Personen und Familien; daran schließen sich mehr vermutungs- und schätzungsweise Ausblicke bis zur 27. Generation. Die so ermöglichten Vergleiche geben Ahnentafeln wie diesen ihren tiefen geschichtswissenschaftlichen Sinn. Schon weiter aus den gewohnten Bezirken solcher dynastischen Aszendenzreihen hinaus führt die Ahnentafel eines Probanten aus mediatisiertem Hause, nämlich des Reichskanzlers Hohenlohe < 1766>, die durch einen frühen ungarischen Blutseinschlag ihr besonderes Gepräge erhält. Von den übrigen »Ahnentafeln berühmter Deutscher« seien noch erwähnt die vielleicht noch ausbaufähige Ferdinand Schichaus von E. Grigoleit < 1779> und die Max Webers, deren in der sozialen Schichtung ziemlich einheitliche Blutslinien westdeutscher und französischer Herkunft von E. Zwirner und G. Roesler < 1789> klar analysiert werden. Schon 1932 und in späteren Ergänzungen veröffentlichte erstmalig K. F. v. Frank eine Ahnentafel des Führers. Sie ist inzwischen durch tiefer schürfende Nachforschungen von R. Koppensteiner < 1765> weit überholt und liegt nun unter dessen Autorschaft mit vielen Beigaben, wie urkundlichen Beiträgen zur Lebensgeschichte einzelner Ahnen, einer Stammtafel des Geschlechts Hitler und Bildern, in einer umfangreichen neuen Folge der »Ahnentafeln berühmter Deutscher« vor. Die Ahnenliste bestätigt das schon früher gewonnene Bild »sozialer und nationaler Geschlossenheit der rein bäuerlichen und rein deutschen Abstammung des Führers«; sämtliche 260 nachgewiesenen Ahnen gehören dem bodenständigen, seit Jahrhunderten im Waldviertel, also im nordwestlichen Niederösterreich, angesessenen Bauerntum an, das nur in vereinzelten Fällen ins ländliche Handwerk des Webers oder Müllers hinübergreift. Von ähnlicher »Einstämmigkeit« ist im ganzen auch die von E. Kopf < 1687> mustergültig bearbeitete Ahnentafel Richard Arauners († 1936), Mitgliedes des Reichsbauernrates, die sich durch eine verhältnismäßig selten erreichte Vollständigkeit auszeichnet, denn hier fehlt z. B. in der 128er Reihe nur ein Ahne. Die Heimat der zu etwa drei Vierteln bäuerlichen Ahnen erstreckt sich zunächst über ein engumgrenztes Gebiet in Mittelfranken, aus dem erst in den ältesten Generationen, vornehmlich durch Hinzukommen protestantischer Exulanten aus Österreich im 17. Jh., einige Stammreihen hinausgehen.


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Während hier Forschungsergebnisse fertig vorgelegt werden, verfolgt man in dem Buch von A. Bergmann über Christian Dietrich Grabbes Abstammung < 1759> den Gang der zum Teil sehr schwierigen Ermittlungen selbst. Es ist dem Verf. zusammen mit H. Riemann durch mühevolle Archiv- und Aktenforschungen gelungen, die bisher fast völlig unbekannte Herkunft Grabbes väterlicher- und mütterlicherseits von im Lippischen alteingesessenen Bauernfamilien festzustellen und hierdurch wie aus dem Lebens- und Charakterbild der Eltern neue Anhaltspunkte zur Wesenserklärung des Dichters zu gewinnen. Was hier teilweise noch offenbleiben konnte, eine erschöpfende Erfassung der Persönlichkeit und ihres geistigen Werkes vom Erbgut her, versucht scharfsinnig W. Rauschenberger < 1782> an Hand der Ahnentafel Schopenhauers, zu der er auch neues genealogisches Material beibringt. Die Untersuchung war dadurch ermöglicht, daß hier unter den Ahnen schärfer erkennbare, überdurchschnittliche Personen auftreten und ein einheitlicher, überwiegend niederdeutscher, Stammescharakter vorherrscht. Das Genie Schopenhauers sieht R. erwachsen aus der Verschmelzung der großen mütterlichen Intelligenz mit der starken Willensnatur des Vaters, ja er vermag auf diesem Wege die wesentlichen Züge der Gedankenwelt des Philosophen aus dessen älterem Ahnenerbe herzuleiten. Auch W. Tröges auf schon bekannten Grundlagen beruhende Studie über Goethes Ahnen < 1758> bringt, in den Schlüssen zurückhaltender, mancherlei beachtenswerte Anregungen und Ausblicke.


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