§ 32. Historische Volkskunde

(B. Schier und G. Heilfurth)

Stärker denn je geht durch die deutsche Volkskunde unter den Impulsen nationalsozialistischer Volksauffassung die Besinnung auf das Wesentliche. Aus der Fülle der kleinen und kleinsten Züge nicht das Interessante, sondern das Wertvolle und Artgemäße aufzuzeigen, die lebenskräftigen Ausprägungen der deutschen Volkskultur auf allen Gebieten von den germanischen Grundlagen und vom Volksganzen her zu erkennen und damit ihre völkische Eigenart zu ergründen, lautet die Losung in einem wahrhaft entscheidenden Sinn. L. Makkensens straff durchdachter Versuch einer Standortsbestimmung < 1521> steht unter dieser Zielsetzung und fordert das klare Bekenntnis, daß die Volkskunde als Kunde vom deutschen schöpferischen Gemeinschaftsleben ihrem Wesen nach eine politische Wissenschaft ist im Einklang mit Riehls Gedankengängen und seinem berühmten Satz: »Das Studium des Volkes sollte aller Staatsweisheit Anfang sein.« Sein anregender Vorschlag zu einer Neusichtung des mächtig überquellenden volkskundlichen Stoffes von dem übergeordneten Begriff »Sitte und Brauch« aus hat vieles für sich, führt aber in der wissenschaftlichen Praxis zu nicht wenigen methodischen Schwierigkeiten und sachlichen Überschneidungen besonders für den Anfänger, dem neuerdings in A. Bachs »Deutscher Volkskunde« < 1519> ein großangelegtes, wohlgegliedertes Lehrbuch zur Verfügung steht. Es handelt sich dabei nicht um eine Darstellung der einzelnen Teilgebiete im Stil der bereits allzu zahlreichen Sammelvolkskunden, sondern um eine umfassende Einführung in die Forschungswege, -aufgaben und -ergebnisse. Als Ziel alles volkskundlichen Bemühens wird »die Frage nach dem Weltbild und der Geisteshaltung des unbekannten deutschen Volksgenossen«


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bezeichnet. Dazu kann man aber nur durch eine möglichst allseitige Betrachtung des kulturellen Gemeinschaftsbesitzes gelangen, den man nach vier Gesichtspunkten betrachten muß: historisch, geographisch, soziologisch und psychologisch. Mit Recht betont B. die besondere Bedeutung der kulturgeographischen Forschungsweise und die wertvollen Ergebnisse dieses Verfahrens, welches durch das mächtige Werk des von H. Harmjanz und E. Röhr herausgegebenen Atlas der deutschen Volkskunde < 1915> großen Auftrieb und reiche Handhaben empfangen wird. Nach einer wechselvollen Geschichte sind im Jahre 1937 die beiden ersten Lieferungen dieses großen Unternehmens erschienen, das im deutschen Sprachgebiet Mitteleuropas weit über 20_000 freiwillige Mitarbeiter zählt. Röhr hat wiederholt < 1916; Folk, Jg. 1, S. 113--146> über die Geschichte und den Aufbau dieses Werkes sowie über die kartographische Verarbeitung seiner gewaltigen Stoffsammlungen berichtet, die auch nach dem Abschluß der Drucklegung ein wichtiger Ausgangspunkt volkskundlicher Forschung bleiben werden.

Indes kann diese »indirekte Methode« niemals die unmittelbar erwanderte Kenntnis von Land und Leuten ersetzen, worauf Wilhelm Heinrich Riehl so nachdrücklich hingewiesen hat. Er bleibt darin der Volkskunde Altmeister. Von ihm geht auch Fr. Metz in dem einleitenden Aufsatz des neubegründeten »Deutschen Archives für Landes- und Volksforschung« aus < 1530>; er lenkt darin den Blick auf eine bislang kaum gewürdigte Richtung im Riehlschen Werk, die Erforschung der Grenzlande (Holland, Elsaß, Burgenland) und bestimmt damit zugleich die Aufgabe der Zeitschrift, alle Teile des Volkes, besonders seine Grenz- und Außenposten, von der organisch gegliederten und gewordenen Einheit des Volkes her zu verstehen. Wie stark aber das deutsche Schicksal ein Grenzlandschicksal ist, wie weit die deutsche Volksgrenze nach vielen Seiten hin jenseits der Staatsgrenze liegt, wie groß für uns Deutsche die Problematik der volklichen Berührungszonen, zeigt K. C. von Loesch in einer ausgezeichneten Übersicht mit Tabelle und Karte < 1526>. Den volkskundlichen Zusammenhängen über die Reichsgrenze hinweg will auch das Sonderheft »Sächsisch-sudetendeutsche Volkstumseinheit« der Mitteldeutschen Blätter für Volkskunde (Jg. 12, H. 2) dienen, das mit Beiträgen von E. Lehmann, B. Schier, G. Heilfurth und J. Hanika gefüllt ist. Über Riehls »Wissenschaft vom Volke« unter besonderer Heranziehung seiner Darstellung des saarpfälzischen Volkstums liegt eine Untersuchung von Klara Trenz vor < 1529>. Sie interpretiert ihn und seine Lehre aus der politischen Situation, die vor allem durch das Erlebnis der Revolution von 1848 bestimmt ist, und aus der geistesgeschichtlichen Lage, der die Ablösung der Romantik durch den Realismus ihr Gepräge gibt. Nach der Herausstellung seiner Hauptgedanken vermittelt die Verfasserin ein lebendiges Bild von seiner schönen landschaftlichen Monographie des rheinischen Volksschlags, dem er selber entstammt und den er auf vielen Wanderungen eingehend studiert hat. Wenn man Riehl als Erben Justus Mösers der konservativen Richtung zuordnet, so gehört dessen Zeitgenosse Christian Gotthilf Salzmann dem fortschrittlichen Lager an: über seine Volkskunde und sein Volksideal unterrichtet I. Breddin < 2670>. Salzmann verdanken wir vom volkserzieherischen Standpunkt aus geschriebene Schilderungen des Volkslebens seiner Zeit, eine Volkskunde aus sozialreformerischer und kulturpolitischer Sicht, die auf dem Erlebnis seiner thüringischen


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Heimat aufbaut. Er will nicht eigentlich schildern, sondern über die sozialen und kulturellen Mißstände aufklären. Doch versteht man Riehl falsch, wenn man ihm wenig von dieser sozialpolitischen Haltung zubilligt. Auch ihm geht es bei aller Ehrfurcht vor dem Althergebrachten nicht nur um »jene so beliebten Kabinettsstückchen der Volksaltertümer«, wie er in den »Pfälzern« einmal sagt, sondern um die ungeschminkte volkliche Wirklichkeit. Wie notwendig diese Einstellung gegenwärtig ist, erhellt der volkskundliche Forschungsaufriß, den W. Brepohl für das Ruhrvolk entwickelt < 1532>. Von Fragen der wichtigen Binnenwanderung ausgehend, kommt er zu dem Schluß, daß sich eine Volkskunde dieses Industriegebietes, die bei der Betrachtung der üblichen geistigen und sachlichen Stoffgruppen stehen bleibt, zwecklos ist. Sie müsse sich vielmehr zu einer Erfassung von Weltbild und Geistesart des Ruhrvolkstums aufschwingen, um zu einem wirklichen Verständnis der langsam verschmelzenden Menschenmassen vorzustoßen. -- Aus der jungen Geschichte unserer Wissenschaft greift A. Jobst das Verhältnis von evangelischer Kirche und Volkstum < 1930> heraus. Nach den Abschnitten über Pietismus und Aufklärung wendet er sich in einem zweiten Hauptteil der Epoche nach Herder zu, der Zeit der »wissenschaftlichen« Volkskunde, in der er die Stellung von Kirche und Theologie zum Volkstum und ihre volkskundliche Arbeit nach den verschiedenen Richtungen, Stoffgebieten und Landschaften ausführlich darlegt.

Wie im Zusammenhang mit dem geographischen Verfahren das historische Denken in der Volksforschung wieder umfassend Geltung bekam, darauf hat J. Dünninger gebührend hingewiesen, der in seiner Arbeit »Volkswelt und geschichtliche Welt« < 1524> die geschichtlichen Mächte im Werden und Dasein des Volkstums aufzudecken unternimmt. In einem ersten Teil verfolgt er in großen Linien den deutschen Schicksalsweg von der mythischen Einheit der germanischen Zeit über die versinkende Volkswelt bis zur bewußten Erweckung des Volksgedankens seit den Tagen der Romantik, um in einem zweiten Teil, »Einheit der Volkswelt« überschrieben, die volkhafte Wesenheit in all ihren geistigen und sachlichen Äußerungen der Volkskultur an ausgewählten Beispielen unter dem Gesichtspunkt der Totalität zu betrachten. Die Ausrichtung vielfach schon altbekannter Sachverhalte auf das Wesen der Gemeinschaft gibt der Arbeit ihren besonderen Charakter. Einen wichtigen Abschnitt aus der historischen Volkskunde behandelt L. Mackensen in seiner dankbar begrüßten Darstellung des Volkslebens der deutschen Frühzeit < 1920>; er betrachtet also den Zeitraum, der durch den Übergang vom Germanentum zum Deutschtum für die Ausbildung der deutschen Eigenart ausschlaggebend wurde. Den fünf inhaltreichen Kapiteln über den völkischen Aufbau, das Landschaftsbild, den Volksglauben, den bäuerlichen Alltag und das Leben im Fest folgt ein Schlußwort über die Bedeutung des frühen MA.'s für die völkische Entwicklung. Neben der richtig gesehenen Auseinandersetzung zwischen Germanen und Romanen tritt jedoch das germanische Erbe, das gerade im Bereich der bäuerlichen Sachkultur in ursprünglicher Altartigkeit weiterlebt, zu wenig hervor; ferner vermißt man einen Hinweis auf die frühma.'liche Einschmelzung nord- und ostgermanischer Merkmale, die weite Teile des westgermanischen Grundstocks unseres Volkes umgestaltet haben.

Zu dem unentbehrlichen allgemeinen Handwerkszeug des Volkskundlers gehört die Volkskundliche Bibliographie < 1913>, deren mühevolle Herausgabe


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nach dem Tod ihres Begründers Hoffmann-Krayer P. Geiger allein übernommen hat. Die Schwierigkeit, die weitverstreuten Titel zuverlässig und vollständig, doch unter Ausscheidung unnötigen Ballastes, zusammenzubringen, läßt das verdienstliche Werk trotz aller Bemühung leider zeitlich etwas nachhinken; gegenwärtig liegt es erst für die Jahre 1931 und 1932 vor. Der Überbrückung dieses zeitlichen Abstandes wollen die volkskundlichen Sammelberichte dienen, welche B. Schier seit 1935 in den Neuen Jahrbüchern für Wissenschaft und Jugendbildung veröffentlicht. Für das Jahr 1937 sind zwei dieser Fachberichte erschienen (Jg. 13, S. 84--90, 590--600), welche durch die auswählende Besprechung von 80 Buchveröffentlichungen ein eindrucksvolles Bild von der regen wissenschaftlichen Tätigkeit in allen Sonderbereichen der Volkskunde gewähren. Wie die Bibliographie ihren Rahmen möglichst weit zu spannen sucht, so auch die im Berichtsjahr begründete Zeitschrift des internationalen Verbandes für Volksforschung »Folk« < 1520>, aus deren beiden erschienenen Heften die Ausführungen zur Methodik der Sprachinselvolkskunde »Heimat, Kolonie, Umvolk« von L. Mackensen < 1522> und die Beiträge zur Methodik der Volkstumsgeographie des Atlas der deutschen Volkskunde von E. Röhr (s. o.) genannt seien. Ein wichtiges Nachschlagewerk ist das in Lieferungen veröffentlichte Handbuch der deutschen Volkskunde, herausgegeben von W. Peßler, das nunmehr seiner Vollendung entgegengeht < 1917>. Vor allem schließt der kenntnisreiche Beitrag von A. Spamer über das Brauchtum ab, der sich erfreulicherweise nicht mit der üblichen Gliederung des Stoffes nach Jahreslauf und Lebenslauf begnügt, sondern die Gemeinschaften, die Stände und Berufe mit einbezieht und so das Blickfeld auf die häufig vernachlässigte soziale Volkskunde ausdehnt.

Das weite Gebiet von Sitte und Brauch umfaßt auch die vielfältigen Formen der geselligen Unterhaltung; darunter fällt das Kartenspiel, das nach den Untersuchungen von W. L. Schreiber über die Spielkarten, Spielverbote und Spielordnungen < 2578> in der zweiten Hälfte des 14. Jh.'s neben den älteren Würfel- und Brettspielen aufkam. Im Vordergrund jedoch stehen die Fragen des glaubensmäßig gebundenen Brauchtums, dem sich die Forschung leidenschaftlich mit dem schweren Anliegen zugewandt hat, Arteigenes und Artfremdes zu scheiden. Im Anschluß an sein vielbesprochenes Buch »Kultspiele der Germanen als Ursprung des mittelalterlichen Dramas« verfolgt der inzwischen jung verstorbene R. Stumpfl die Möglichkeit des Fortlebens solcher Kultspiele im Volksbrauch am Beispiel des Dreikönigs- oder Sternsingens < 1922>, jenes weihnachtlichen Heischebrauches, den er als »verchristlichte Form einer alten heidnischen Kultprozession« kennzeichnet, »die in der Julzeit, besonders anfangs Januar, wenn sich die Zunahme der Tage bemerkbar machte, als sonnenkultische Handlung veranstaltet wurde.« Heute steht für uns Deutsche im Mittelpunkt der Weihnachtsfeier der Weihnachtsbaum, mit dessen brauchtümlicher Verwurzelung sich O. Lauffer wiederholt befaßt hat. Er hat viele wertvolle Einzelnachweise aus Vergangenheit und Gegenwart beigebracht und sie immer wieder ergänzt < 1925>. Die Herkunfts- und Sinndeutung des Weihnachtsbaumes und sein Zusammenhang mit dem Lebens- und Schicksalsbaum sind umstritten < 1924>; gerade das germanische Brauchtum der Wintersonnenwende ist durch die Aufnahme der Christgeburt sehr stark kirchlich überdeckt worden. Diese Tatsache wird an den deutschen Weihnachtsspielen


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offenbar, über deren Bestand in Niederösterreich Leopold Schmidt einen guten Überblick nach Umzugs-, Stuben- und Krippenspielen gibt < 1956>. Von altartigem Frühlingsbrauchtum in dem neugeschaffenen Grenzlandgau Saarpfalz berichtet Albert Becker < 1950>, der in seinem bekannten Büchlein über Osterei und Osterhasen das Osterfest als Höhepunkt der Frühlingsfeier betrachtet; vor allem geht er dem Sommersingen nach, das eine mitteldeutsche Erscheinung ist. Er führt uns in die Natursymbolik und die Naturverbundenheit unserer Vorfahren ein, die im Sommersingen den Sieg des aufsteigenden Jahres über die Gewalt des Winters und des Todes feierten, und schlägt zugleich die Brücke zum germanischen Sonnenkult als dem Mythos vom ewigen »Stirb und Werde«. Ein landschaftliches Teilstück aus dem Brauchtum im Lebenslauf beleuchtet K. G. Berghöfer in seiner Dissertation über Geburt und Kindheit in katholischen Orten des Vogelsberges und der Wetterau < 1948>. Er liefert einen lebendigen Bericht der oft stark in den Bann der Kirche geratenen Bräuche von der Ankündigung des noch Ungeborenen bis zum Abschluß der Kindheit, die nach der Schulentlassung mit der Feier beim »Firmpetter« ausklingt.

Solche Untersuchungen gehen leicht zu rein konfessioneller Betrachtungsweise über. Eine bewußt katholische Haltung vertritt G. Schreiber, die aber im Titel seiner Schrift »Deutsche Bauernfrömmigkeit in volkskundlicher Sicht« < 1929> nicht zum Ausdruck kommt; sie beschäftigt sich ausschließlich mit dem katholischen Teil des deutschen Bauerntums, während die protestantische Geistesart und die überkonfessionelle Frömmigkeit unberücksichtigt bleiben. Gleiches gilt fast durchweg für Schreibers Jahrbuch »Volk und Volkstum« und die aus dem zweiten Band angezeigten Arbeiten von J. Hau, »Zur Volkskultur des Trierer Raumes« < 1949>, J. Klapper, »Die Heiligenlegende im deutschen Osten« < 1927>, L. Pfleger, »Die elsässischen Weinpatrone« < 1951>, und für J. Vinckes Abhandlung »Volkstum und Recht aus kirchenrechtlicher und volkskundlicher Sicht« < 1935>. Das deutsche Volkstum und seine artbestimmenden Merkmale dürfen nicht einseitig konfessionell betrachtet werden. Vor allem trifft dies für den Volksglauben zu, in dem sich letzte Tiefen der Volksseele offenbaren. Um einen bewußt volkskundlichen Ansatz bemüht sich Hanna Glaser in ihrer Untersuchung über die Bedeutung der christlichen Heiligen und ihrer Legende für Volksbrauch und Volksmeinung in Deutschland < 1928>. Immer vom lebendigen und überlieferten Brauchtum ausgehend, erkennt sie in der einschlägigen volkstümlichen Meinungsbildung und Glaubensäußerung viele Züge, die nicht aus der christlichen Religion zu erklären sind, ja ihr manchmal geradezu widersprechen. Eine beachtliche Quelle des Volksglaubens im ausgehenden 18. Jh. behandelt die Dissertation von C. Wehn -- freilich mit einer merkwürdig negativen Einstellung und keineswegs immer einwandfreien Folgerungen -- über das »Journal von und für Deutschland« < 1931>, das, 1784 in Ellrich am Harz begründet, acht Jahre lang als periodische Druckschrift erschienen ist und im Sinn der Aufklärung das »Gestrüpp des Aberglaubens« bekämpfte; schon J. Grimm hat aus ihm für seine Mythologie geschöpft. Gestalten und Motive von Glaubensvorstellungen entfernen sich nicht selten weit von ihren Ausgangspunkten. In einer entwicklungsgeschichtlichen Studie versucht Anton Mayer den Hexenglauben auf seinen Ursprung zurückzuführen < 1926>. Er meint, ihn in einer


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alten kultischen, wahrscheinlich gemein-indogermanischen Erdverehrung ergründen zu können, die sich im MA. immer mehr ins Dämonische verschoben habe, zum Teil bewußt unter theologischem Einfluß. Einen reizvollen Vorstoß in ein wenig erforschtes Gebiet unternimmt G.-K. Bauer in seiner Arbeit über Sternkunde und Sterndeutung der Deutschen im 9.--14. Jh. < 2564>. Durch sorgsames Quellenstudium stellt der Verf. ein reges astronomisches Wissen und einen ausgedehnten astrologischen Glauben breiter Kreise fest, ohne daß beides zu trennen wäre; doch bleibt der Blick an den literarischen Zeugnissen haften, die nur eine Übernahme antiker Überlieferung unter Vermittlung der Kirche erkennen lassen. Sollte das Fortwirken der germanischen Himmelskunde in der bäuerlichen Schicht nicht stärker gewesen sein? Uralte Weisheit lebt in den volkstümlichen deutschen Monatsnamen, denen K. H. Schumacher eine eingehende Untersuchung widmet < 1934>. Als praktisches Ergebnis bringt er auf Grund ernsthafter sprachwissenschaftlicher und kulturgeschichtlicher Erwägungen die Verwendung folgender Reihe in Vorschlag: Hartmond -- Hornung -- Lenzmond -- Ostermond -- Wonnemond -- Brachmond -- Heumond -- Erntemond -- Herbstmond -- Weinmond -- Wintermond -- Julmond.

Das unentbehrliche große Auskunftswerk in allen Fragen volkstümlichen Glaubens und Brauches ist das »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens«, mag es auch mit manchen weltanschaulichen Mängeln behaftet sein und durch die große Anzahl der Mitarbeiter den Stoff von den verschiedenen Standpunkten bieten. Seine Herausgabe schreitet rüstig dem Abschluß entgegen; 1937 ist der achte Band vollständig geworden, von »Stuten« (Weißbrotgebäck) bis »Votive« (Opfergaben) reicht seine neu bearbeitete Stichwortfolge < 1918>, während vom »Handwörterbuch des deutschen Märchens« nur eine Lieferung (»Gegenspieler« bis »Geistlicher«) erschienen ist < 1919>. Das Werk ist etwas ins Stocken geraten, weil die gesamte Erzählforschung im Zusammenhang mit der Begründung der »Lehr- und Forschungsstätte für Volkserzählung, Märchen- und Sagenkunde (Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung)« neue Wege beschritten hat. Ein äußerst reizvolles und wichtiges Thema der Märchenkunde hat M. Ziegler untersucht: die Gestalt der Frau < 1933>. Sie ist als Leitmotiv weithin wesenbestimmend für diese Erzählgattung, immer wieder steht sie im Mittelpunkt, leidend und kämpfend. Ihre ursprüngliche Auffassung in der nordisch-germanischen Grundform des Märchens, die Z. mit umfassenden deutschen und skandinavischen Quellenbelegen aufweist, vermochte »die Luft des MA.'s« nicht zu verhüllen; im Märchen spiegelt sich bis heute das Frauenbild unserer deutschen Weltanschauung. Z. geht von der mythologischen Betrachtung des Märchens aus; daß man sie auch für gewisse Gruppen der Volkssage nicht ohne weiteres abtun könne, zeigt H. Ohlhaver in der aufschlußreichen Zusammenstellung einer Auswahl von Sagen vornehmlich aus dem niederdeutschen Gebiet, die in Zusammenhang mit Vorzeitgräbern stehen und die zähe Lebenskraft mündlichen Überlieferungsgutes in Sitte und Brauch und volkhaftem Wissen und Glauben erkennen lassen < 1921>. Ein wohlgegliedertes und zuverlässiges Typenverzeichnis der deutschen Riesen- und Teufelssagen -- der Teufel verdrängt als christliche Erscheinung vielfach den heidnischen Riesen! -- nach den drei Hauptgruppen Erklärungs-, Erlebnis- (im Anschluß an Rankes Unterscheidung) und Verhältnissagen (im Anschluß an v. Sydows »Porportionsphantasien«) verdanken wir Valerie Höttges < 1926 a>.


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Sage und Volkslied treffen sich in der Volksballade, von deren Reichtum wir bisher nur wenig wußten, die aber nun endlich im großen Volksliedwerk des Deutschen Volksliedarchivs ihre gebührende Würdigung findet. Aus dem Kreis der zur Veröffentlichung bereiten Balladen bringen John Meier und E. Seemann im Jahrbuch für Volksliedforschung eine tiefschürfende Untersuchung zweier weitverbreiteter Lieder, »Rheinbraut« und »Graf Friedrich«, die beide das Thema »Tod der Braut am Hochzeitstag« und deshalb in der Überlieferung mannigfache Berührungen zeigen < 1932>. Mit der fortschreitenden Veröffentlichung des deutschen Liedgutes gewinnen wir überhaupt eine bessere Einsicht in die so schwer faßbare Geschichte des Volksliedes, aus der G. Heilfurth in seiner grundlegenden Arbeit über das erzgebirgische Bergmannslied (Schwarzenberg, Glückauf-Verlag) mit dem Blick auf die gesamtdeutsche Überlieferung ein bislang unerforschtes Teilgebiet aufgehellt hat.

Wenn auch das Volkslied »unsichtbar« ist, so ragt es doch mitten hinein in die Volkskunst, die indes auf sachliche Gestaltung beschränkt bleibt. Den zeitlich und räumlich weiten Bereich der indogermanischen Überlieferungswelt durchmißt eigenwillig und mit erstaunlicher Sachkenntnis K. v. Spieß, oft kühn scheinende und umstrittene Verbindungslinien führend, in seinen »Marksteinen der Volkskunst« < 1936>. Nachdem er in früheren Werken Zusammenfassungen seiner Forschung gegeben hat, wendet er sich nun in aller Ausführlichkeit und mit reichen Bildquellen fünf einzelnen Stoffgruppen in geschichtlicher Darstellung zu, den Schicksalsgestalten und ihrem Kreis, dem Kind der drei Mütter, der vom Vogel Getragenen, dem Schuß nach dem Vogel im Anschluß an den Altar von Maria Gail in Kärnten und schließlich der Hasenjagd, ganz verschiedenen Themen also, die jedoch in ihrer Gestaltung von den frühesten Belegen bis zur Gegenwart als Ausdruck einer einheitlich mythisch bestimmten Weltanschauung gewertet werden. Die liebevolle Bestandaufnahme und Sammlung der Volkskunst einer deutschen Landschaft, der »durch fortschreitende Verstädterung weitgehend bedrohten« Mark Brandenburg, ist der planvollen Arbeit E. O. Thieles zu danken < 1944>. Nachdem zunächst die Sinnbilder auf Werken der märkischen Kunst behandelt sind, wird in einem zweiten Abschnitt versucht, die heimische Volkskunst als Ausdrucksform märkischen Brauchtums zu deuten.

Das in der gesamten Volkskunde sichtbare Arbeitsziel, zu den urtümlichen Grundlagen vorzudringen, hat insbesondere in der Sachforschung allenthalben hochwertige Anbrüche und Ausbeuten zur Folge. In einer knappen, aber ertragreichen Untersuchung über die vorgeschichtlichen Elemente im europäischen Trachtenwesen (Nat.-soz. Mhh., Folge 92) konnte B. Schier feststellen, daß unsere Volkstrachten, in denen man das wichtigste Beweismittel für die Lehre vom gesunkenen Kulturgut sehen wollte, im Gegenteil Zeugnis dafür ablegen, in wie starkem Maß vor allem die Bekleidungsgedanken der germanischen Vorzeit bis in unsere Gegenwart hinein lebendig geblieben sind. Darin sind auch Ergebnisse J. Hanikas verwertet, der im ersten Band seiner »Sudetendeutschen Volkstrachten« < 1957> sich mit der weiblichen Tracht beschäftigt. Er bringt die Vielfalt der trachtlichen Erscheinungen in entwicklungsgeschichtliche und kulturgeographische Ordnung, indem er der Reihe nach Zippelpelz, Hemd und Pfeid, Tragmiederrock, Mäntel und Umnehmetücher, Jacke und Janker, Glockenbendel und Borten, Kopfschürze, Drümlein (Schleierart),


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Kopftuch, Mädchenhaube und die verschiedenen Haubenformen bis in die kleinsten Einzelheiten behandelt, von den frühesten Entwicklungsstufen ausgehend und ihre Gestaltungen bis nach Skandinavien und dem Balkan verfolgend. Von der so geschaffenen sicheren und breiten Grundlage vermag er die Kopftracht als Wesensausdruck rassisch-stammlicher Artung zu fassen und zu gliedern. Er unterscheidet drei Formungsprinzipien: 1. das Haubentuch wird von rückwärts an den Kopf gelegt und auf dem Scheitel gegen die Stirn zusammengefügt (süddeutsch), 2. das Haubentuch wird von oben auf den Kopf gelegt und am Hinterhaupt gegen den Nacken zusammengefügt (niederdeutschnordgermanisch), 3. das Haubentuch wird von vorn an die Stirn gelegt und in der Horizontalen um den Kopf gewunden, so daß dann die beiden Enden auf dem Rücken herabhängen (östlich-slawisch); Formungsrichtungen, die Hanika durch eine fruchtbare Zusammenschau mit Haus und Siedlung auch in diesen volkskundlichen Sachbereichen nachweisen kann: dieser Ausblick vermittelt wertvolle Anregungen für eine tiefere Erkenntnis der »Arteigenheit«. Von ganz anderer innerer und äußerer Anlage ist die Geschichte der deutschen Tracht von Eva Nienholdt (Berlin und Leipzig, de Gruyter 1938, VI, 324 S.). Sie ist nicht vom volkskundlichen, sondern vom kultur- und kunstgeschichtlichen Standpunkt aus geschrieben. In großen Zügen wird der Wandel der Moden, vorwiegend der städtischen und höfischen Kleidungsformen, im Laufe der Jahrhunderte als Ausdruck des wechselnden Stilwillens und Zeitgeschmacks dargestellt, mit einem sehr brauchbaren Verzeichnis der im Text erwähnten Kostümbezeichnungen am Schluß. Ein kleines Wörterbuch der trachtlichen Fachausdrücke ihres Untersuchungsgebietes hat auch Hela Fuchs < 1955> ihrer Beschreibung und Geschichte der noch lebendigen Frauentracht in den katholischen Dörfern um Forchheim angefügt, die aus dem teils trachtenlosen, teils trachtenarmen Ostfranken inmitten einer geographischen und territorialen Einheit heraustreten.

Volkskunde und Vorgeschichte arbeiten besonders glückhaft in der Hausforschung Hand in Hand. Von diesem erfreulichen Zusammenwirken zeugt eindrucksvoll der Gemeinschaftsband »Haus und Hof im nordischen Raum« < 1939>, in dem die Vorträge des Nordischen Wissenschaftlichen Kongresses von 1936 vereinigt sind. Er besteht aus zwei Teilen, deren erster die vor- und frühgeschichtliche Zeit umfaßt, während der zweite die volkskundlichen Forscher zu Worte kommen läßt. Die Frage nach dem germanischen Erbe im bäuerlichen Hausbau steht im Vordergrund, ein verlockendes Thema, dem auch K. Thiede ein ausgezeichnetes Text- und Bildwerk gewidmet hat < 1937>. In einzelnen landschaftlichen Zusammenfassungen lehrt uns der Verf. die über Jahrhunderte wirkende und immer zu Ausstrahlungen in die kulturärmere Umwelt bereite Kraft des germanisch-deutschen Bauernhauses in seinen vielgestaltigen Formen und bodenständigen Besonderheiten begreifen. Von den vorgeschichtlichen Grundlagen geht auch A. Helbok in seiner Betrachtung der deutschen Haus- und Siedlungsformen aus < 1938>. Er erstellt ein eindringliches Bild von ihren Bewegungen und Entwicklungen, indem er zugleich mit den Fragestellungen und Ergebnissen der Forschung vertraut macht. Wie Schier unterscheidet er nord- und ostgermanische Zwiehofanlagen und westgermanische Wohnstallhäuser; über die historische Betrachtung hinaus, die er vielfach durch rassenkundliche und biologische Ausblicke bereichert, stößt er


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zu einer bewußt volkskundlichen vor und kennzeichnet Haus und Siedlung als Ausdrucksformen des Gemeinschaftslebens des Volkes. Angefügt ist ein knapper, aus enger Vertrautheit mit dem Stoff erwachsener volksbotanischer Überblick H. Marzells über den Bauerngarten. Haus und Hof samt dem Brauchtum im Jahres- und Lebenslauf des Volksschlags um die ermländische Nordostgrenze hat in einem Beitrag zur geographischen Volkskunde Ostpreußens E. Riemann behandelt < 1582>. Durch gründliche Heimatforschung gelingt es ihm an vielen Stellen, die einschlägige Literatur zu ergänzen und zu berichtigen und so neben engeren landschaftlichen Ergebnissen auch der großräumigen Betrachtung wertvolle Dienste zu erweisen. Das gilt z. B. für den Nachweis des westgermanisch-mitteldeutschen Wohnstallhauses in diesem ostpreußischen Teilgebiet. Gleichfalls nach Ostpreußen führt die Arbeit von E. Schimanski über das Bauernhaus Masurens < 1942>, welche die bäuerliche Wohnkultur dieses Grenzlandes in ihren lebendigen Beziehungen zu Volkstum und Boden als deutsche Schöpfung erweist. Unter den landschaftlichen Sonderarbeiten verdient schließlich R. Helms Untersuchung über das Bauernhaus in Franken < 1954> mit ihren reichen geschichtlichen und formenkundlichen Ergebnissen besondere Erwähnung.


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